Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 4 Sa 548/21

Kündigung eines Low-Performers: Minderleistung als wirksamer Kündigungsgrund

Der 50-jährige Kläger, der seit 2011 bei der Beklagten als Kommissionierer im Frischewarelager beschäftigt war, wurde zuletzt im Bereich des Trockensortiments versetzt. Aufgrund einer Betriebsvereinbarung ist für die Kommissionierungstätigkeit eine Basisleistung (100 Prozent) festgelegt, die der Normalleistung entspricht und mit dem Grundlohn vergütet wird. Seit seinem Wechsel konnte der Kläger den üblichen Basisleistungssatz, nach welchem die Kommissionierungsleistung gemessen wurde, nicht mehr erreichen. Nach zwei Abmahnungen kündigte die Beklagte dem Kläger sodann ordentlich. Die Beklagte trug vor, dass der Kläger wegen „bewusster Zurückhaltung der ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und Arbeit“ abgemahnt wurde. Im Rahmen des Kündigungsprozesses legte die Beklagte die mangelnde Arbeitsleistung dadurch dar, indem sie die Leistung des Klägers mit der Tätigkeit von ca. 150 herangezogenen Kommissionierern im Bereich des Trockensortiments verglich. Dabei ließ sich feststellen, dass der Kläger 45% weniger Kommissionierleistung erbrachte als die Vergleichsgruppe. Damit sei eine verhaltensbedingte Kündigung des „Low Performers“ gerechtfertigt – so die Beklagte. Dagegen wehrte sich der Kläger – jedoch erfolglos.
Das Landesarbeitsgericht Thüringen hielt die Kündigung für gerechtfertigt.
Der Arbeitgeber genüge seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vortrage, aus denen ersichtlich sei, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Dies sei bei einer gegebenen, langfristigen Unterschreitung der Durchschnittsleistung um deutlich mehr als 1/3 ersichtlich der Fall. Indem der Kläger die von der Beklagten vorgelegten Zahlenwerte und ihre Aussagefähigkeit weder bestritten noch erklärt habe, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe (etwa durch altersbedingte Einschränkungen oder betriebliche Umstände), gilt das schlüssige Vorbringen des Beklagten als zugestanden. Die pauschale Angabe des Klägers, er sei systematisch benachteiligt worden, genüge jedoch nicht.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung der Beklagten sowie Entfernung zweier vorangegangener Abmahnungen aus der Personalakte.

Der 50 Jahre alte Kläger ist seit dem 15.02.2011 bei der Beklagten als Kommissionierer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.364,90 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft vertraglicher Vereinbarung der Entgelttarifvertrag für den Groß- und Außenhandel NRW Anwendung; der Kläger erhält eine Vergütung nach der Lohngruppe III. Die Beklagte betreibt am Standort Köln-L ein Großhandelslager im Bereich der Lebensmittellogistik. Ein Betriebsrat ist errichtet.

Nach mehrjähriger Beschäftigung im Lager für Frischware (L 1) ist der Kläger seit Versetzung aufgrund der Fremdvergabe des Frischwarenlagers ab dem 01.01.2018 im Lager für das Trockensortiment (L 2) tätig.

Die Kommissionierung wird mithilfe des Warenwirtschaftssystems gesteuert, in welches in regelmäßigen Zeitabständen die Kundenaufträge einfließen. Diese Kundenaufträge beinhalten alle Verpackungseinheiten (Kolli) der im Markt verkauften Produkte in der Menge, in der sie jeweils für die nächste Warenlieferung vom Markt bestellt wurden. Die Priorisierung orientiert sich - jedenfalls grundsätzlich - an den durch den Fuhrpark vorgegebenen Zeitfenstern für die Beladung der LKWs.

Unter dem 02.02.2017 wurde die Betriebsvereinbarung "Prämienentlohnung Kommissionierung Betrieb L - Bestandsmitarbeiter ab 03/2017" abgeschlossen (im Folgenden "BV Prämie"), die die Zahlung einer Leistungsprämie, die sich auf eine Mengenleistung der Kommissionierer bezieht, für Mitarbeiter regelt, die vor dem 01.10.2016 eingestellt worden sind. Festgelegt wird eine Basisleistung (100 %), die der Normalleistung entspricht und mit dem Grundlohn vergütet wird. Die Basisleistung wird nach Vereinbarung zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat in Kolli pro Stunde bemessen. Die Leistungsprämie soll im Durchschnitt für jeden Bereich der Kommissionierung über alle Kommissionierer etwa 120 % betragen. Kommissionieraufträge werden ausschließlich systemtechnisch vergeben. Eine gezielte Vergabe von Aufträgen an einzelne Mitarbeiter ist nur in Ausnahmefällen möglich. Entsprechende Ausnahmefälle (z.B. Neueröffnungen, Kühlschäden oder Transportausfälle) sind zu dokumentieren und dem Betriebsrat anzuzeigen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 52a ff. der Akte verwiesen. Für Mitarbeiter, die nach dem 01.10.2016 eingestellt wurden, gilt die Betriebsvereinbarung Prämienentlohnung Kommissionierung Betrieb L ab 10/2016, die sich lediglich in der Prämienhöhe unterscheidet. Es fallen derzeit 74 Mitarbeiter unter die alte Prämienregelung, während 77 Mitarbeiter nach dem 01.10.2016 eingestellt wurden.

Seit seinem Wechsel in das Lager L 2 erreichte der Kläger in keinem Monat die Basisleistung.

Am 17.06.2019 und am 29.10.2019 führte die Beklagte mit dem Kläger hinsichtlich seiner Leistungswerte Personalgespräche.

Seit Januar 2020 wurde in der Kommissionierung sukzessive das sogenannte Pickby-Voice-System bestehend aus einem Basismodul vergleichbar einem Walkman nebst einem Headset, bestehend aus Kopfhörer und Mikrofon, anstelle eines auf dem Flurfahrzeug befindlichen Bordcomputers eingeführt. Das Pickby-Voice-System wird durch Sprachbefehle gesteuert. Der Kläger nutzt dieses seit dem 24.01.2020.

Am 17.01.2020 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen bewusster Zurückhaltung seiner ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und Arbeit nicht unter angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fertigkeiten (Bl. 37 f. der Akte). Sie warf ihm vor, im Dezember 2019 eine Leistung erbracht zu haben, die einer Basisleistung von 72,86 % entsprach, bei einer Leistung von 116,1 % der Basisleistung der vergleichbaren Mitarbeitergruppe.

Am 11.03.2020 erteilte die Beklagte eine weitere Abmahnung (Bl. 43 f. der Akte) mit demselben Vorwurf betreffend die Leistung des Klägers im Februar 2020. Sie warf ihm eine Leistung von 72,47 % der Basisleistung bei einer durchschnittlichen Leistung der vergleichbaren Mitarbeitergruppe von durchschnittlich 117,95 % vor.

Mit Schreiben vom 12.05.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 52k ff. der Akte). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab.

Mit Schreiben vom 20.05.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30.09.2020, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin.

Der Kläger hat mit am 10.06.2020 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenem Schriftsatz Kündigungsschutzklage sowie Klage auf Entfernung der Abmahnungen vom 17.01.2020 und 11.03.2020 erhoben. Er hat die Meinung vertreten, dass sowohl die Kündigung als auch die Abmahnungen unwirksam seien.

Der Kläger hat behauptet, im Gegensatz zu neueren Kollegen, die weniger Prämien erwirtschaften könnten, fast nur noch Aufträge zu erhalten, die aus diversen unterschiedlichen Waren bestehen. Für die Beklagte mache es einen wirtschaftlich großen Unterschied, ob ein vor oder nach dem 01.10.2015 eingestellter Arbeitnehmer in die prämierten Leistungsbereiche gelange. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Beklagte systematisch versuche, ihre "teureren" Arbeitnehmer mit aufwändigen Aufträgen einzudecken, um diese über den Anschein von Minderleistung schließlich kündigen zu können und die Arbeit durch günstige und jüngere Arbeitskräfte und zum Teil sogar Leiharbeitskräfte erledigen lassen zu können. Es könne kein Zufall sein, dass der Kläger unverhältnismäßig viele Aufträge erhalte, in denen jeweils nur wenige Kolli eines Produkts aufzuladen seien, sodass er diverse verschiedene Regale in weit auseinander liegenden Reihen anfahren müsse.

Der Kläger hat behauptet, dass die Kommissionier-Aufträge offiziell zwar der Reihe nach zugeteilt werden, bestimmte Aufträge mit vielen Kolli der gleichen Ware aber häufig mit der fadenscheinigen Begründung einer besonderen Eilbedürftigkeit vorgezogen und dann an spezielle Mitarbeiter vergeben werden, während er nur kleine Aufträge mit vielen verschiedenen Waren erhalte, mit denen nicht einmal die Basisleistung zu schaffen sei. Bei der Vergabe der Kommissionieraufträge werde tatsächlich regelmäßig zulasten Einzelner und zugunsten anderer eingegriffen. Er hat behauptet, dass beispielsweise das Kommissionieren von Aktionsware eine Belohnung darstelle, da leicht eine hohe Kollipro-Stunde-Zahl zu erreichen sei; diese Aktionsware werde ihm aber nicht gegeben. Seit Übernahme der Leistung des Lagers durch Herrn W und schließlich Herrn V werde er systematisch benachteiligt.

Hinsichtlich der von der Beklagten gebildeten Vergleichsgruppe hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass es nicht ausreichend sei, von allen Kommissionierern lediglich die akut und chronisch Kranken sowie die neuen herauszunehmen. Beispielsweise werde so nicht berücksichtigt, dass gar nicht alle Mitarbeiter über das Pickby-Voice System arbeiteten bzw. in den den Abmahnungen sowie der Kündigung zugrunde liegenden Monaten arbeiteten. Ebenso wenig werde berücksichtigt, dass die Mitarbeiter verschieden gut die deutsche Sprache beherrschten. Der Kläger spreche zwar gut Deutsch, durch seinen Akzent komme es jedoch regelmäßig zu Problemen mit dem Gerät. Die Arbeit des Klägers führe zudem zu körperlichem Verschleiß, sodass er nicht mit Mitarbeitern verglichen werden könne, die deutlich kürzer als Kommissionierer beschäftigt werden.

Zudem hat der Kläger auf Probleme mit dem im Januar 2020 eingeführten sogenannten Pickby-Voice System verwiesen. Die Einführung des Systems habe anstatt einer Erleichterung das Gegenteil bewirkt, dies unter anderem dadurch, dass häufige Störungen aufträten, die Zeit kosteten und die Benutzung generell zu einer schnelleren Ermüdung sowie Schmerzen an Kopf und Ohrmuschel führe. Zudem hat er darauf verwiesen, dass die türkische Sprache nicht vorhanden ist.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 20.05.2020, zugegangen am 22.05.2020, zum 30.09.2020 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 17.01.2020 und vom 11.03.2020 zu widerrufen und aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die ausgesprochene Kündigung wegen verhaltensbedingter Minderleistung berechtigt sei.

Die Beklagte hat die Leistungen des Klägers und der von ihr gebildeten Vergleichsgruppe wie folgt behauptet:

Monat

Leistung des Klägers Kläger

Leistung der übrigen Kommissionierer im Durchschnitt

März 2019

78,18 %

117,6 %

April 2019

85,14 %

118 %

Mai 2019

74,27 %

115,8 %

Oktober 2019

65,44%

111,91 %

Dezember 2019

72,86 %

116,1 %

Februar 2020

72,47 %

117,95 %

März 2020

61,71 %

115,77 %

April 2020

60,42 %

114,5 %

Die Beklagte hat behauptet, dass die ca. 150 herangezogenen Kommissionierer als vergleichbar mit dem Kläger herangezogen werden können. Die Mitarbeiter der Vergleichsgruppe werden ebenfalls im Trockensortiment eingesetzt. Solche Mitarbeiter, die aus objektiven Gründen an der Erbringung der Normalleistung gehindert sind, seien nicht mit einbezogen worden. Dies seien im Einzelnen Mitarbeiter, bei denen ein Grad der Behinderung besteht, die akut erkrankt sind, bei denen andere körperliche Beeinträchtigungen bestehen, die der Erbringung der Normalleistung entgegenstehen oder die nur aushilfsweise in der Kommissionierung beschäftigt werden. Gleichfalls seien Mitarbeiter, die sich noch in den ersten drei Monaten der Einarbeitung befinden, unberücksichtigt geblieben.

Die Beklagte hat behauptet, dass es sich bei den übermittelten Zahlenwerten um Auswertungen aus dem Warenwirtschaftssystem handele. Es werde aufgezeichnet, welche Anzahl von Packstücken der Kläger in welcher Zeit kommissioniert habe und welcher Zeitgrad sich daraus ableite. Aus den vorgelegten Tabellen ergebe sich der individuelle Zeitgrad aller Mitarbeiter und der sich daraus ergebende Durchschnittswert.

Die Beklagte hat behauptet, dass eine Zuordnung von Kommissionier-Aufträgen an bestimmte Mitarbeiter nicht erfolge. Wenn ein Mitarbeiter einen Kommissionierauftrag im System bezogen habe, beginne er mit der Kommissionierung. Dieser bestehe aus den im Auftrag enthaltenen Greifplätzen, von denen die vorgegebene Menge an Verpackungseinheiten (Kolli) von einem Produkt auf das mitgeführte Ladehilfsmittel gepackt werden müsse. Sobald der jeweilige Auftrag beendet worden sei, beginne die Arbeit erneut dadurch, dass der Kommissionierer am Bordcomputer die Taste "Kommissionierung starten" drücke und ihm automatisch ein Auftrag basierend auf der im Warenwirtschaftssystem hinterlegten Priorisierung und abhängig davon, welcher am weitesten oben stehende Auftrag noch nicht von einem anderen Kommissionierer bearbeitet werde, zugewiesen werde.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass es strikt untersagt ist, eine bewusste Zuordnung der zu kommissionierenden Aufträge zu einzelnen Mitarbeitern vorzunehmen. Sie hat behauptet, dass ein Eingriff in die im Warenwirtschaftssystem bzw. der durch die Priorisierung hinterlegten Reihenfolge nur in ganz seltenen Ausnahmefällen erfolge, etwa dann, wenn sich im Laufe der Schicht herausstelle, dass beispielsweise ein Markt gewisse Teile seiner vorherigen Lieferung nicht erhalten habe, diese aber noch am selben Tag benötige. Dieser Auftrag werde dann an die oberste Stelle gesetzt. Die ordnungsgemäße Einhaltung der Betriebsvereinbarung werde kontrolliert; der Betriebsrat prüfe regelmäßig, ob und in welchem Umfang und aus welchem Grund ausnahmsweise Kommissionieraufträge manuell in das Kommissioniersystem eingesteuert worden seien. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass alleine über die Vielzahl der zu kommissionierenden Aufträge zwangsläufig ein Ausgleich in der Attraktivität zwischen den Aufträgen geschaffen werde.

Die Einführung des Pickby-Voice Systems habe bei den Mitarbeitern zu einer Minderleistung geführt, die indes bei wenigen Prozentpunkten im Hinblick auf den bisherigen individuellen Zwölf-Monatsschnitt gelegen habe. Die Leistung des Klägers habe beispielsweise im April 2020 hingegen um 12,17 % unter seinem Zwölf-Monatsschnitt gelegen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H , Betriebsratsmitglied; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 10.06.2021 (Bl. 166 ff. der Akte) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 10.06.2021 - 6 Ca 3769/20 - hat das Arbeitsgericht Köln die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass die ordentliche Kündigung rechtswirksam sei, weil sie nach § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, bedingt sei. Die Beklagte habe ihrer Darlegungslast genügt und zur Überzeugung der Kammer vorgetragen und bewiesen, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum die Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer erheblich unterschritten habe. Dem Kläger sei es nicht gelungen, die Aussagekraft des Zahlenwerks in Abrede zu stellen oder zu belegen, dass er aufgrund äußerer Umstände nur eine deutlich geminderte Leistung habe erbringen können, obwohl er seine Leistungsfähigkeit ausgeschöpft habe. Auch die Interessenabwägung vermöge eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen, insbesondere erfüllten die ebenfalls streitgegenständlichen Abmahnungen vom 17.01. und 11.03.2020 die Hinweis- und Warnfunktion und seien einschlägig. Die Kündigung erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtsunwirksam; insbesondere sei der bestehende Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen, da die Leistungen des Klägers nach Überzeugung der Kammer korrekt angegeben seien, es sich in den relevanten Monaten Dezember 2019 und Februar 2020 um eine erheblich von den Leistungen der Kollegen nach unten abweichende Arbeitsleistung gehandelt habe und auch in formeller Hinsicht keine Bedenken bestünden.

Gegen das dem Kläger am 06.08.2021 zugestellte Urteil hat dieser am 06.09.2021 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 08.11.2021 begründet.

Der Kläger wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er behauptet, dass die tatsächlich von ihm auszuführenden Aufträge in der Regel - aufgrund von kleinen Anzahlen von Kolli bei einer großen Anzahl verschiedener Produkte aus weit entfernten Regalen - erheblich zeitaufwändiger in ihrer Erledigung gewesen seien als die durchschnittlichen Aufträge der Kommissionierer mit erheblich höheren Leistungswerten. Diese Unterschiede seien in den Aufstellungen der Beklagten nicht berücksichtigt worden. Nur durch - unstreitig mögliche - Eingriffe in die Verteilung sei erklärbar, dass die "schlechten" Aufträge in besonderer Häufigkeit bei einigen wenigen Personen wie dem Kläger gelandet seien. Die Beklagte hätte Belege für ein ähnliches Verhältnis von Kolli zu Produkten darzulegen gehabt. Das Gericht hätte auch die von ihm benannten Zeugen hören müssen. Er meint, dass auch sein fortgeschrittenes Alter, welches sich auf die Leistungsfähigkeit bemerkbar mache, sowie seine Benachteiligung als türkischer Muttersprachler bei der Benutzung des Pickby-Voice-Systems, hätten berücksichtigt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10.06.2021, Az. 6 Ca 3769/20 abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 20.05.2020, zugegangen am 22.05.2020, zum 30.09.2020 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 17.01.2020 und vom 11.03.2020 aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und nimmt zur Berufungsbegründung Stellung. Sie ist der Auffassung, dass der Kläger auch in der Berufungsbegründung keine konkreten Anknüpfungstatsachen dafür benenne, dass ihm (vermeintlich) schlechtere Kommissionierungsaufträge zugewiesen worden seien. Hinsichtlich des Vortrages des Klägers, dass sein Lebensalter nicht berücksichtigt worden sei, verweist sie auf ihre erstinstanzliche Darstellung, dass die Gruppe der 40 bis 50-jährigen Kommissionierer im Schnitt eine Kommissionierleistung von rund 112 % erbringe und die Gruppe der über 50-jährigen sogar auf einen durchschnittlichen Leistungsgrad von 121,3 % komme, sodass das Lebensalter der Erbringung einer entsprechenden Kommissionierleistung offensichtlich nicht entgegenstehen könne. Ebenso verweist sie im Hinblick auf die vom Kläger behauptete Benachteiligung als türkischer Muttersprachler bei der Benutzung des Pickby-Voice-Systems auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass die Kommissionierer, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sogar eine höhere Kommissionierleistung erbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Gründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Auf diese Begründung wird Bezug genommen und dort insbesondere auf die mitgeteilten und zitierten Rechtsgrundsätze aus der Rechtsprechung. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen lediglich zur Vertiefung, auch soweit die Berufungsbegründung hierfür Anlass gegeben hat.

Die Kündigung vom 20.05.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich fristgerecht zum 30.09.2020 aufgelöst. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom 17.01.2020 und vom 11.03.2020 aus seiner Personalakte.

1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.05.2020 zum 30.09.2020 ist rechtswirksam, weil sie nicht sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist - wie schon vom Arbeitsgericht erkannt - nach § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, bedingt.

2. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30. Juli 2020 - 2 AZR 43/20 -, juris, Rn. 44).

a. Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen. Daraus ist allerdings nicht zu folgern, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht selbst willkürlich bestimmen kann. Dem Arbeitnehmer ist es nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach seinem Belieben zu bestimmen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Ob der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung nachkommt, ist für den Arbeitgeber anhand objektivierbarer Kriterien nicht immer erkennbar. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft. In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das "Schlusslicht”. Das kann seine Ursache auch darin haben, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind, sich überfordern oder dass umgekehrt der gruppenschwächste Arbeitnehmer besonders leistungsschwach ist. Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichbaren Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären. Dem muss auch im Rahmen des Kündigungsschutzrechts Rechnung getragen werden, da ansonsten einer Vertragspartei die Möglichkeit genommen würde, einen vertragswidrigen Zustand mit rechtlich zulässigen Mitteln zu beseitigen (BAG, Urteil vom 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 -, juris - mit weiteren Nachweisen).

b. Bei quantitativen Minderleistungen orientiert sich die Rechtsprechung an den Werten, die für die Annahme einer grundlegenden Störung des Leistungsgleichgewichts herangezogen worden sind (BAG, Urteil vom 11.12.2003 - 2 AZR 667/02).

Der Konflikt zwischen den vorgenannten widerstreitenden Gesichtspunkten kann nach den Regeln der abgestuften Darlegungslast angemessen aufgelöst werden: Es ist deshalb zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt er lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Davon kann dann gesprochen werden, wenn, gemessen an der durchschnittlichen Leistung der vergleichbaren Arbeitnehmer, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist. Das ist bei einer gegebenen, langfristigen Unterschreitung der Durchschnittsleistung um deutlich mehr als 1/3 ersichtlich der Fall. Dem entspricht es, wenn das Bundesarbeitsgericht in anderen Fällen unterhalb einer Grenze von etwa 1/3 liegende Vergütungseinbußen als noch hinnehmbar und nicht als eine grundlegende Störung des Leistungsgleichgewichts im kündigungsrechtlich geschützten Kernbereich angesehen hat (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 -, juris; BAG 15. November 1995 - 2 AZR 521/95 - AP TVG § 1 Tarifverträge Lufthansa Nr. 20 = EzA BGB § 315 Nr. 45; 13. Mai 1987 - 5 AZR 125/86 - BAGE 55, 275; KR-Rost § 2 KSchG Rn. 47 ff. § 2 KSchG mwN).

Hat der Arbeitgeber vorgetragen, dass die Leistungen des Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum den Durchschnitt im vorgenannten Sinne unterschritten haben, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen, gegebenenfalls das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hier können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit, aber auch betriebliche Umstände eine Rolle spielen. Legt der Arbeitnehmer derartige Umstände plausibel dar, so ist es alsdann Sache des Arbeitgebers, sie zu widerlegen. Trägt der Arbeitnehmer hingegen derartige Umstände nicht vor, gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Es ist dann davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 -, BAGE 109, 87-100, Rn. 92 - 93).

c. Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte, wie das Arbeitsgericht zurecht erkannt hat, ihrer Darlegungslast nachgekommen; der Kläger hat weder die von der Beklagten vorgelegten Zahlenwerte und ihre Aussagefähigkeit plausibel bestritten, noch erklärt, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Sein Bestreiten erfüllt nicht die Substantiierungspflichten des § 138 ZPO; es ist damit unbeachtlich.

aa. Es ist nach dem Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass die Leistungen des Klägers über einen längeren Zeitraum, insbesondere auch dem für die Kündigung herangezogenen Zeitraum zwischen der zweiten Abmahnung vom 11.03.2020 und Ende April 2020, die Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer um deutlich mehr als 1/3 unterschritten hat. Im März lag seine Leistung mit 61,71 % bei einer Durchschnittsleistung der vergleichbaren Arbeitnehmer von 115,77 %, mithin bei 53, 3 % der Durchschnittsleistung und im April mit 60,42 % bei einer Durchschnittsleistung von 114,5 %, mithin bei 52,77 % der Durchschnittsleistung. Wie sich aus den Einzelaufstellungen der Leistungen des Klägers aus März und April 2020 ergibt, hat sich die Leistung mit 72,44 % am 16.03., 68,11 % am 17.03., 60,68 % am 18.03., 55,31 % am 19.03., 50,45 % am 20.03., 54,47 % am 21.03., 49,64 % am 23.03., 44,74 % am 26.03., 57,77 % am 27.03., 64,63 % am 30.03. und 61,29 % am 31.03.2020 auch im März 2020 nach Erhalt der Abmahnung nicht gesteigert.

Diese Zahlen ergeben sich aus den von der Beklagten vorgelegten Ausdrucken der Aufzeichnungen aus dem Warenwirtschaftssystem, die die Kommissionierleistung des Klägers sowie der Mitarbeiter der Vergleichsgruppe, nämlich der ca. 150 Kommissionierer, die wie der Kläger im Trockensortiment eingesetzt sind und nicht aufgrund eines Grades der Behinderung, akuter Erkrankung, aushilfsweisem Einsatz sowie Einarbeitung während der ersten drei Monate an der Erbringung einer Normalleistung gehindert sind, wiedergeben (vgl. im Einzelnen die Übersicht für März 2020 Bl. 145 ff. der Akte und für April 2020 Bl. 92 ff. und 147 ff. der Akte sowie die Einzelwerte des Klägers im März 2020 Bl. 90 der Akte Rückseite ).

bb. Das Arbeitsgericht ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen H auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass es sich bei den von der Beklagten vorgelegten Auswertungen um eine Dokumentation der Kommissionierleistung der bei der Beklagten beschäftigten Kommissionierer handelt wie sie vom System aufgezeichnet wird.

Nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachengrundlage des Arbeitsgerichts aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung oder in der Berufung neu vorgebrachter Umstände begründen könnten, liegen nicht vor. Die Beweiswürdigung, der sich das Berufungsgericht anschließt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat in der Berufung keine neuen Umstände diesbezüglich vorgebracht.

cc. Das Bestreiten des Klägers hinsichtlich des Zahlenwerks und seiner Aussagekraft ist unbeachtlich. Es erfüllt nicht die Substantiierungspflichten des § 138 ZPO.

(1) Der Kläger wiederholt im Berufungsverfahren seine Behauptung, dass die tatsächlich von ihm auszuführenden Aufträge in der Regel - aufgrund von kleinen Anzahlen von Kolli bei einer großen Anzahl verschiedener Produkte aus weit entfernten Regalen - erheblich zeitaufwendiger in ihrer Erledigung gewesen seien als die durchschnittlichen Aufträge der Kommissionierer mit erheblich höheren Leistungswerten, dass diese Unterschiede in den Aufstellungen der Beklagten nicht berücksichtigt worden seien und dass die besondere Häufigkeit "schlechter" Aufträge u.a. bei ihm durch - unstreitig mögliche - Eingriffe in die Verteilung erklärbar sei.

(2) Diese Behauptung steht im Gegensatz zu der BV Prämie, nach der die Kommissionieraufträge systemtechnisch vergeben werden und eine gezielte Vergabe von Aufträgen nur in Ausnahmefällen möglich ist. Ebenso steht sie im Gegensatz zu dem die Vorgehensweise näher erläuternden Vortrag der Beklagten. Sobald ein Kommissionierer einen Auftrag beendet habe, beginne die Arbeit erneut dadurch, dass der Kommissionierer am Bordcomputer die Taste "Kommissionierung starten" drücke und ihm automatisch ein Auftrag basierend auf der im Warenwirtschaftssystem hinterlegten Priorisierung und abhängig davon, welcher am weitesten oben stehende Auftrag noch nicht von einem anderen Kommissionierer bearbeitet werde, zugewiesen werde.

Gemäß der BV Prämie erfolge ein Eingriff in die im Warenwirtschaftssystem bzw. der durch die Priorisierung hinterlegten Reihenfolge nur in ganz seltenen Ausnahmefällen, etwa dann, wenn sich im Laufe der Schicht herausstelle, dass beispielsweise ein Markt gewisse Teile seiner vorherigen Lieferung nicht erhalten habe, diese aber noch am selben Tag benötige. Dieser Auftrag werde dann an die oberste Stelle gesetzt. Die ordnungsgemäße Einhaltung der Betriebsvereinbarung werde kontrolliert; der Betriebsrat prüfe regelmäßig, ob und in welchem Umfang und aus welchem Grund ausnahmsweise Kommissionieraufträge manuell in das Kommissioniersystem eingesteuert worden seien.

(3) Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, bleiben die Ausführungen des Klägers über manuelle Zuordnungen von guten Aufträgen an andere Kollegen und seine systematischen Benachteiligung bei der Zuordnung pauschal. Weder hat der Kläger konkrete Beispiele genannt oder aber Mitarbeiter, die in die Zuordnung eingegriffen haben sollen. Der Kläger hat seinen Vortrag auch im Berufungsverfahren diesbezüglich nicht ergänzt. Zudem ist das Arbeitsgericht durch Vernehmung des Zeugen H auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass nicht ansatzweise ersichtlich ist, dass zulasten des Klägers und ganz weniger anderer Kollegen manuelle Zuteilungen dergestalt erfolgt seien, dass der überwiegende Teil der Mitarbeiter im Durchschnitt deutlich mehr als ein Drittel Arbeitsleistung erbringen kann und dies dem Kläger aufgrund von Manipulationen verwehrt bliebe. Auch insofern ist die Beweiswürdigung nicht zu bestanden.

(4) Das Arbeitsgericht hat entgegen der auch in der Berufungsbegründung geäußerten Auffassung des Klägers zu Recht über die oben genannten Behauptungen des Klägers keinen Beweis erhoben durch Vernehmung der von ihm benannten Zeugen, weil sein Vortrag nicht den Anforderungen genügt hat, die an einen substantiierten Sachvortrag zu stellen sind.

Gemäß § 373 ZPO wird der Zeugenbeweis neben der Benennung des Zeugen durch die Bezeichnung der Tatsachen angetreten, über welche die Vernehmung des Zeugen stattfinden soll. Es sind danach konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte Geschehnisse oder Zustände, die der Vergangenheit oder der Gegenwart angehören, zu benennen. Andernfalls hat die Beweiserhebung wegen der Unzulässigkeit eines Ausforschungsbeweisantritts zu unterbleiben (BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 - 2 AZR 722/05 -.(Rn.25) -, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 10. September 2014 - 5 Sa 1560/10 -, juris)

Nach diesen Grundsätzen und dem zuvor Gesagten war der Vortrag des Klägers zu behaupteten Eingriffen zu seinen Lasten mangels ausreichender Konkretisierung einer Beweiserhebung nicht zugänglich. Es fehlt jede zeitliche, inhaltliche und persönliche Konkretisierung.

(5) Der Einwand des Klägers in der Berufungsbegründung, die Beklagte hätte Belege für ein ähnliches Verhältnis von Kolli zu Produkten darzulegen gehabt, ist ersichtlich nicht geeignet, das Zahlenwerk der Beklagten und seine Aussagekraft erheblich zu bestreiten. Ohne Eingriffe in das System erfolgt zwangsläufig alleine über die Vielzahl der zu kommissionierenden Aufträge ein Ausgleich in der Attraktivität zwischen den Aufträgen.

dd. Ebenso wenig hat der Kläger plausibel dargelegt, warum er mit seiner unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Altersbedingte Leistungsdefizite können hier eine Rolle spielen.

(1) Jedoch ist der Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung, die Beklagte habe sein erheblich über dem Altersschnitt der Beklagten liegendes Alter von 50 Jahren (Anmerkung: 48 Jahre im Kündigungszeitpunkt) und die damit natürlicherweise einhergehende langsame allgemeine körperliche Schwächung in keiner Weise berücksichtigt, nicht geeignet, in dieser Pauschalität die Aussagekraft des Zahlenwerks hinsichtlich der Bildung der Vergleichsgruppe in Zweifel zu ziehen. Der Vortrag überzeugt insofern nicht, als der Kläger nicht näher erklärt, inwiefern eine Schwächung vorliegen soll und welche Elemente der Kommissioniertätigkeit davon betroffen sein sollen. Die Kammer erkennt nicht, dass die Leistung maßgeblich von der körperlichen Fitness abhängt. Zudem kommt die langjährige Erfahrung des Klägers im Bereich Kommissionierung ihm auf der anderen Seite jedenfalls zugute. Im Übrigen ist die Beklagte dem Vortrag konkret entgegengetreten, als sie darlegt, dass die Leistung der Gruppe der 40 - 50-Jährigen im Schnitt eine Leistung von 112 % erbringe und die Gruppe der über 50-Jährigen sogar einen Schnitt von 121,3 % und daraus den Schluss zieht, das Lebensalter stehe der Erbringung einer durchschnittlichen Kommissioniertätigkeit ersichtlich nicht entgegen. Diesem Vortrag ist der Kläger nicht entgegengetreten.

(2) Gleiches gilt im Hinblick auf die vom Kläger behauptete Benachteiligung als türkischer Muttersprachler bei der Benutzung des Pickby-Voice-Systems. Zum einen spricht bereits der Umstand gegen diese Behauptung, dass die Leistungen des Klägers vor Einführung des Systems im Januar 2020 nicht signifikant höher lagen. Zum anderen macht der Kläger nicht plausibel, inwiefern er durch die türkische Muttersprache bei einem System mit 28 Wörtern zuzüglich der Zahlen von Null bis Neun Probleme hat, die zu einer ihn benachteiligenden erheblichen Zeitverzögerung führen.

d. Die Kündigung ist auch verhältnismäßig.

aa. Die Vertragsverletzung kommt als Kündigungsgrund nur dann in Betracht, wenn aus ihr geschlossen werden kann, dass auch zukünftige Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers zu befürchten sind. Die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, sondern es soll das Risiko künftiger Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist deshalb, ob Wiederholungsgefahr besteht oder ob die Pflichtverletzung künftige Folgewirkungen aufweist, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als ausgeschlossen erscheinen lassen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 -, Rn. 30, juris).

bb. Nach diesen Grundsätzen setzt die streitgegenständliche ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung der Beklagten eine Abmahnung voraus. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 17.01.2020 und vom 11.03.2020 Abmahnungen erteilt wegen Zurückhaltung seiner Arbeitskraft und nicht angemessener Anspannung seiner Kräfte und Fertigkeiten bei der Arbeitsleistung betreffend die Monate Dezember 2019 und Februar 2020. Die Beklagte forderte den Kläger unter Darlegung seiner Leistung sowie der Leistung der Vergleichsgruppe auf, zukünftig seine volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen und drohte ihm für einen erneuten Anlass zur Beanstandung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung an. Die Abmahnungen erfüllen jeweils die Hinweis- und Warnfunktion.

cc. Nach den oben dargelegten Maßstäben treffen die Vorwürfe zu; die Beklagte ist auch bezüglich der Monate Dezember 2019 und Februar 2020 ihrer Darlegungslast nachgekommen; der Kläger hat weder die von der Beklagten vorgelegten Zahlenwerte und ihre Aussagefähigkeit plausibel bestritten, noch erklärt, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfte. Sein Bestreiten erfüllt nicht die Substantiierungspflichten des § 138 ZPO und ist damit unbeachtlich.

Es ist nach dem Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass die Leistungen des Klägers auch im Dezember 2019 und im Februar die Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer um mehr als 1/3 unterschritten hat. Im Dezember 2019 lag seine Leistung mit 72,86 % bei einer Durchschnittsleistung der vergleichbaren Arbeitnehmer von 116,1 %, mithin bei 62,76 % des Durchschnitts und im Februar 2020 mit 72,47 % bei einer Durchschnittsleistung der vergleichbaren Arbeitnehmer von 117,95 %, mithin bei 61,77 % des Durchschnitts.

Diese Zahlen ergeben sich aus den von der Beklagten vorgelegten Ausdrucken der Aufzeichnungen aus dem Warenwirtschaftssystem, die die Kommissionierleistung des Klägers sowie der Mitarbeiter der Vergleichsgruppe darlegen (vgl. im Einzelnen die Übersicht für Dezember 2019 Bl. 139 ff. der Akte und für Februar 2020 Bl. 143 ff. der Akte). Das Bestreiten des Klägers hinsichtlich des Zahlenwerks und seiner Aussagekraft ist unbeachtlich. Ebenso wenig hat der Kläger plausibel dargelegt, warum er mit seiner unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Sein Bestreiten erfüllt nicht die Substantiierungspflichten des § 138 ZPO. Auf die obigen Ausführungen zum verhaltensbedingten Kündigungsgrund wird verwiesen.

dd. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, vermag die Interessenabwägung im Streitfall eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen.

3. Die Kündigung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtsunwirksam. Insbesondere hat die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat ordnungsgemäß im Sinne des § 102BetrVG angehört.

4. Auch Antrag 2 ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom 17.01.2020 und vom 11.03.2020 aus §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 - Rn. 10; BAG, Urteil vom 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 -, BAGE 142, 331-338, Rn. 13)

b. Wie das Arbeitsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung erkannt hat sowie nach dem oben Ausgeführten war die Beklagte zum Ausspruch der Abmahnungen berechtigt. Bedenken in formeller Hinsicht bestehen nicht.

Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO; als unterliegende Partei hat der Kläger die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.



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