Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 7 Sa 694/14

Krankheit als "Anlass" der Kündigung

(1.) Der Arbeitgeber ist kündigungsrechtlich nicht gehindert, während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu kündigen. Der Anspruch des Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung bleibt aber dann erhalten, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit zum Anlass nimmt, eine Kündigung auszusprechen (§ 8 I EFZG). „Anlass“ in diesem Sinne ist nicht gleichbedeutend mit dem Kündigungsgrund. Die Krankheit ist dann Anlass der Kündigung, wenn sie die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusst, gerade jetzt den Kündigungsgrund auszunutzen und die Kündigung zu erklären.

(2.) Eine Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit scheidet aus, wenn der Arbeitnehmer zwar zur Zeit des Zugangs der Kündigung krank ist, der Arbeitgeber jedoch von der (bevorstehenden) Erkrankung keine Kenntnis hat.

(3.) Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber die Kündigung aus Anlass der Erkrankung ausgesprochen hat, mag er auch andere Gründe dafür gehabt haben. Regelmäßig genügt insoweit der Hinweis auf die Kenntnis des Arbeitsgebers von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und der zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung. Diesen Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber dadurch entkräften, dass er Tatsachen vorträgt und im Bestreitensfall beweist, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben.

Im vorliegenden Fall ist der klagende Arbeitnehmer, welcher als Fahrer angestellt war, nicht mehr zur Arbeit erschienen, nachdem er sich beim Arbeitgeber per SMS über die Drosselung seines Fahrzeugs beschwert hatte. Hierbei verwendete er die Formulierung "Ich lass den Bus ab sofort dann stehn ...". Der Arbeitgeber kündigte daraufhin fristlos. Erst zwei Wochen später erreichte den Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Nach Ansicht des LAG Mainz bestünde - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - in diesem Falle kein Anscheinsbeweis für eine Kündigung aus "Anlass" der Arbeitsunfähigkeit, da der Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt von einer Arbeitsverweigerung ausgegangen sei.

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwighafen am Rhein vom 9. Oktober 2014 - 1 Ca 684/14 - teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

2. Von den Kosten erster Instanz haben der Kläger 19/20 und der Beklagte 1/20 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über Zahlungsansprüche des Klägers.

Der Beklagte betreibt ein Transportunternehmen. Der 1987 geborene, geschiedene und gegenüber zwei minderjährigen Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist der Neffe des Beklagten. Er war bei dem Beklagten seit dem 1. November 2013 als Fahrer beschäftigt.

Am 26. Februar 2014 schrieb der Kläger dem Beklagten SMS mit den Inhalten: "Warum ist de Bus gedrosselt (0: 43) Ich lass den Bus ab sofort dann stehn du weißt genau dass ich tragen muss (0:44)" (Bl. 132 d. A.). Der Kläger stellte den Bus am Auslieferungslager der Rheinpfalz-Zeitung ab und hinterlegte die Papiere sowie die Schlüssel beim Pförtner. Weitere Tätigkeiten für den Beklagten übte der Kläger dann nicht mehr aus.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Schreiben vom 27. Februar 2014, dem Kläger zugegangen am 28. Februar 2014, außerordentlich fristlos zum 26. Februar 2014. Er meldete den Kläger zum 26. Februar 2014 bei der Krankenkasse ab.

Der Kläger war ab dem 26. Februar 2014 durchgehend bis zum 31. März 2014 arbeitsunfähig erkrankt. Er übersandte spätestens mit Poststempel vom 10. März 2014 entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an den Beklagten.

Der Kläger begehrte mit am 15. April 2014 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen erhobener Klage die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. März 2014. Darüber hinaus machte er Zahlungsansprüche für März 2014 in Höhe von 1.200,00 € netto und die Herausgabe von Arbeitspapieren (Lohnsteuerbescheinigung für die Jahre 2013 und 2014, Durchschriften der Meldungen an den Träger der Krankenversicherung, Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III, Lohnbescheinigung zur Vorlage bei den Jugendämtern B-Stadt und Z-Stadt) geltend.

Der Kläger hat - soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung - vorgetragen,

er habe mit dem Beklagten in einem Telefongespräch am 28. Februar 2014 vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 27. Februar 2014 geendet habe, sondern bis zum 31. März 2014 fortbestehen werde. Sein durchschnittliches Arbeitsentgelt habe bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in Vollzeit mündlich vereinbarte 1.200,00 € netto betragen. Er habe sich jeweils ordnungsgemäß arbeitsunfähig krank gemeldet. Die per Einschreiben übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien vom Beklagten nicht zurückgereicht worden.

Lohn bzw. Lohnfortzahlung über den 26. Februar 2014 hinaus seien nicht geleistet worden. Der Zahlungsantrag für den Monat März 2014 in Höhe von 1.200,00 € netto werde für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis bestanden habe, als Entgeltfortzahlung geltend gemacht. Hilfsweise werde der Anspruch auf § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG gestützt.

Der Kläger hat - nach teilweiser Klagerücknahme (Bl. 33 d. A.) und Abschluss eines Teilvergleichs hinsichtlich der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III (Bl. 33 d. A.) - erstinstanzlich beantragt,

1.    festzustellen, dass zwischen den Parteien bis zum 30. März 2014 ein sozialversicherungsrechtliches Arbeitsverhältnis bestand,

2.    die beklagte Partei zu verurteilen, der klagenden Partei 1.200,-- € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Klageerhebung zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat - soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung - vorgetragen, er habe mit dem Kläger nicht vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis erst am 31. März 2014 seine Beendigung finden solle. Da das Arbeitsverhältnis am 28. Februar 2014 seine Beendigung gefunden habe, bestehe kein Anspruch des Klägers auf Lohnansprüche für den Monat März 2013. Der Lohn für den Monat Februar 2014 sei vollständig und somit bis zum 28. Februar 2014 abgerechnet worden. Ein Nettolohnanspruch in Höhe von 1.200,00 € für den Monat März 2014 sei nicht nachvollziehbar. Zwischen den Parteien sei ein Stundenlohn in Höhe von 8,30 € brutto vereinbart gewesen. Der Kläger habe ausweislich der Gehaltsabrechnungen (Bl. 23 ff. d. A.) im November 2013 (Eintritt 5. November 2013) 611,92 € brutto bzw. 524,85 € netto, im Dezember 2013 966,54 € brutto bzw. 814,16 € netto, im Januar 2014 1.433,41 € brutto bzw. 1.198,96 € netto und im Februar 2014 1.258,29 € brutto bzw. 1.084,97 € netto verdient. Der erzielte Durchschnittsverdienst liege damit bei ca. 1.220 € brutto im Monat.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 9. Oktober 2014 verurteilt, an den Kläger 1.220,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 26. April 2014 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, das Arbeitsverhältnis habe mit Zugang der außerordentlichen Kündigung des Beklagten vom 27. Februar 2014 am 28. Februar 2014 geendet. Die Kündigung gelte nach §§ 4 S. 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Vortrag des Klägers bezüglich der mündlichen, telefonischen Vereinbarung mit dem Beklagten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. März 2014 sei unzureichend. Der Kläger habe dennoch Anspruch auf Zahlung für den Monat März 2014 in Höhe von 1.220,00 € brutto. Grundlage dieses Zahlungsanspruchs seien §§ 3 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 1 S. 1 EFZG. Der Arbeitgeber habe im Streitfall das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Die Arbeitsunfähigkeit brauche nicht der den Arbeitgeber zur Kündigung bewegende Grund zu sein, es genüge, wenn die Kündigungsmaßnahme ihre objektive Ursache in der Arbeitsunfähigkeit habe. Kündige ein Arbeitgeber in zeitlichem Zusammenhang mit der Krankmeldung eines Arbeitnehmers, so spreche ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit Anlass der Krankheit gewesen sei. Diesen Beweis des ersten Anscheins könne der Arbeitgeber nur dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vortrage und erforderlichenfalls beweise, aus denen sich ergebe, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt hätten. Der Kläger sei seit dem 26. Februar 2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, was der Beklagte auf Grund der übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewusst habe. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. Februar 2014 gekündigt. Andere Kündigungsgründe neben der Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe er nicht vorgetragen. Hinsichtlich der Höhe des Anspruch habe das Gericht seiner Entscheidung den von dem Beklagten angegebenen monatlichen Durchschnittsverdienst des Klägers in Höhe von 1.220,00 € brutto zugrunde gelegt. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, wann er mit dem Beklagten wo welche Vereinbarung über die Zahlung einer Arbeitsvergütung in Höhe von 1.200,00 € netto/Monat getroffen habe.

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 9. Oktober 2014 (Bl. 40 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Beklagten am 19. November 2014 zugestellt worden. Der Beklagte hat hiergegen mit einem am 17. Dezember 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb der durch Beschluss vom 13. Januar 2015 bis zum 19. Februar 2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 13. Februar 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 12. Februar 2015 begründet.

Zur Begründung der Berufung macht der Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 23. April 2015, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 128 ff. und 156 f. d. A.), und unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen zusammengefasst geltend,

das erstinstanzliche Gericht sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, wenn es ausgeführt habe, er habe aufgrund der übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewusst, dass der Kläger seit dem 26. Februar 2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Der Kläger habe entsprechende Tatsachen nicht vorgetragen.

Ausschließlicher Kündigungsgrund sei die Arbeitsverweigerung des Klägers am 26. Februar 2014 um 0.44 Uhr durch die SMS "Warum ist de Bus gedrosselt    (0:43) Ich lass den Bus ab sofort dann stehn du weißt genau dass ich tragen muss (0:44)". Er, der Beklagte, habe den Bus, der vom Kläger gefahren worden sei, drosseln lassen, um Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie unnötigen Spritverbrauch zu vermeiden. Dies habe der Kläger zum Anlass genommen, den Bus stehen zu lassen und die Arbeit zu verweigern.

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung/Erstbescheinigung vom 26. Februar 2014 des Dr. med. Y. vom 26. Februar bis zum 2. März 2014, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung/Erstbescheinigung vom 3. März 2014 vom Dr. X. sowie die Folgebescheinigung vom 10. März 2014 seien vom Kläger zusammen in einem Briefumschlag mit Poststempel 10. März 2014 an ihn übersandt worden. Zum Zeitpunkt der Kündigung seien ihm deshalb weder die Krankheit noch die entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt gewesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 9. Oktober 2014 mit dem Aktenzeichen 1 Ca 684/14, dem Beklagten und Berufungskläger zugestellt am 19. November 2014, teilweise abzuändern, soweit der Beklagte und Berufungskläger verurteilt wurde, an ihn 1.220,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 26. April 2014 zu zahlen, und die Klage des Klägers und Berufungsbeklagten auch insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung vom 12. Februar 2015 gegen das Urteil des Arbeitsgericht Ludwigshafen vom 9. Oktober 2014 zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 26. März 2015, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 149 ff. d. A.) als rechtlich zutreffend. Er ist der Ansicht, der Vortrag des Beklagten zum Vorliegen einer Anlasskündigung sei präkludiert, da erstmals in der Berufungsbegründung erfolgt. Er beantragt, diesen - bestrittenen - Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Der Beklagte könne sich auch nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass die Anspruchsgrundlage nach § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG nicht hinreichend thematisiert worden sei. Er habe in der Klageschrift sogar ausdrücklich die Norm angeführt, auf die er seinen Anspruch, wenn auch hilfsweise, stütze.

Er bestreitet, dass verhaltensbedingte Gründe zum Ausspruch der Kündigung geführt hätten, insbesondere dass eine ernsthafte und nachhaltige Arbeitsverweigerung eingetreten sein solle. Hiergegen spreche zum einen das zeitliche Moment, da der Ausspruch der Kündigung erst nach seiner Krankmeldung erfolgt sei. Zum anderen wäre ein derart gravierender Sachvortrag mit Sicherheit im Rahmen der Güteverhandlung bzw. im Rahmen der Schriftsätze thematisiert worden, läge er der Kündigung tatsächlich zugrunde. Der Beklagte sei zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers informiert gewesen.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.  In der Sache hatte die Berufung des Beklagten Erfolg. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Monat März 2014 gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG.

Zwar war der Kläger ab dem 26. Februar 2014 ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung/Erstbescheinigung vom 26. Februar 2014 des Dr. med. Y. durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert. Anhaltspunkte für ein Verschulden des Klägers liegen nicht vor.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts auch nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Im Streitfall endet das Arbeitsverhältnis aufgrund der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung vom 27. Februar 2014, dem Kläger zugegangen am 28. Februar 2014, mit dem 28. Februar 2014 (vgl. das insoweit nicht mit der Berufung angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 9. Oktober 2014, Az. 1 Ca 684/14).

Diese Kündigung erfolgte im vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer jedoch nicht "aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit". Der Arbeitgeber ist kündigungsrechtlich nicht gehindert, während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu kündigen. Er kann sogar wegen einer langanhaltenden oder wegen vieler Kurzerkrankungen eine sozial gerechtfertigte Kündigung aussprechen. In diesen Fällen hat das auch nicht zwingend die Erhaltung des Entgeltfortzahlungsanspruchs zur Folge, wenn der Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung gerade arbeitsunfähig ist. Der Anspruch bleibt dem Arbeitnehmer dabei nur dann erhalten, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit zum Anlass nimmt, eine Kündigung auszusprechen. „Anlass“ im Sinn des § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG ist nicht gleichbedeutend mit dem Kündigungsgrund. Die Krankheit ist dann Anlass der Kündigung, wenn sie die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusst, gerade jetzt den Kündigungsgrund auszunutzen und die Kündigung zu erklären. Eine Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit scheidet damit aus, wenn der Arbeitnehmer zwar zur Zeit des Zugangs der Kündigung krank ist, der Arbeitgeber jedoch von der (bevorstehenden) Erkrankung keine Kenntnis hat (BAG, Urteil vom 17. April 2002 – 5 AZR 2/01 – NZA 2002, 899). Ferner ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79 – AP LohnFG § 6 Nr. 18) der Arbeitgeber, der von der bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis hatte, aber die dem Arbeitnehmer von Gesetzes wegen eingeräumte Nachweisfrist nicht abwartet, wie derjenige zu behandeln, der von der Arbeitsunfähigkeit Kenntnis hatte. Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass eine Begünstigung des Arbeitgebers, der auf ein Fehlen des Arbeitnehmers sofort mit einer Kündigung reagiert, nicht gerechtfertigt wäre gegenüber demjenigen Arbeitgeber, der bei einem Fehlen des Arbeitnehmers zunächst abwartet, ob dieser innerhalb der Nachweisfrist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Fehlt der Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass dieser arbeitsunfähig krank ist (Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79 – AP LohnFG § 6 Nr. 18; Urteil vom 26. April 1978 – 5 AZR 5/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 5).

Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber die Kündigung aus Anlass der Erkrankung ausgesprochen hat, mag er auch andere Gründe dafür gehabt haben. Regelmäßig genügt insoweit der Hinweis auf die Kenntnis des Arbeitsgebers von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und der zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung. Diesen Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber dadurch entkräften, dass er Tatsachen vorträgt und im Bestreitensfall beweist, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben (BAG, Urteil vom 5. Februar 1998 – 2 AZR 270/97 – NZA 1998, 644).

Aufgrund der in der Berufungsinstanz zu berücksichtigenden Tatsachenlage ergibt sich, dass andere als krankheitsbedingte Gründe den Kündigungsentschluss des Beklagten veranlasst haben. Hier ist der Vortrag des Beklagten zu berücksichtigen, wonach er die vom Kläger unstreitig in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 2014 gesandte Nachricht als Arbeitsverweigerung aufgefasst habe. Vorangegangen waren Verwarnungen des Klägers wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen. Diese hatten den Beklagten unstreitig veranlasst, den vom Kläger gefahrenen Bus drosseln zu lassen. In seiner Nachricht hat der Kläger sodann um 0.43 Uhr nachgefragt, warum der Bus gedrosselt ist, um unmittelbar anschließend um 0.44 Uhr mitzuteilen, dass er den Bus ab sofort dann stehen lasse. Diese SMS hat der Beklagte nach seinem Vortrag so verstanden, dass der Kläger als Reaktion auf das Drosseln des von ihm genutzten Fahrzeugs seine Arbeit nicht fortsetzen wird. Soweit der Kläger in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen hat, ihm sei bereits den ganzen Tag nicht gut gewesen, es habe weitere SMS gegeben sowie er habe den Bus abgestellt, damit der Beklagte diesen zur Verfügung habe und er zum Arzt gehen könne, konnte er diesen - vom Beklagten bestrittenen und als verspätet gerügten - Vortrag nicht näher ausführen und unter Beweis stellen. Ebenfalls konnte der Kläger nicht darlegen, wann er den Beklagten von seiner Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt hat und nachweisen, wann er an diesen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen übersandt hat. Unter diesen Umständen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte durch die SMS des Klägers, das Abstellen des Fahrzeugs und das Nichtfortsetzen der Arbeit zur Kündigung bestimmt worden ist, nicht aber durch das Wissen oder die Befürchtung, der Kläger könne arbeitsunfähig krank sein. Darauf, ob die unstreitige Äußerung des Klägers per SMS ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Klägers gewesen wäre, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit "Anlass" für die Kündigung vom 27. Februar 2014 war, nicht an. Der Vortrag des Beklagten zum Anlass für die Kündigung war auch nicht verspätetet und daher von der Kammer zu berücksichtigen. Eine Zurückweisung dieses Vorbringens ist im ersten Rechtszug nicht erfolgt (§ 67 Abs. 1 ArbGG). Auch die Voraussetzungen einer Zurückweisung des Vorbringens nach §§ 67 Abs. 2 S. 2 und 3 ArbGG sind nicht gegeben. In erster Instanz war lediglich dem Kläger eine inhaltlich bestimmte Frist zur vom Kläger behaupteten am Telefon getroffenen mündlichen Vereinbarung mit dem Beklagten zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. März 2014 gesetzt worden. Dem Beklagten war im Beschluss vom 6. Mai 2014 lediglich aufgegeben worden, hierauf unter ordnungsgemäßem Beweisantritt zu erwidern. Im Übrigen hat das Vorbringen des Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift die Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz nicht verzögert.

Der Beklagte hat damit nicht aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom 1. bis 31. März 2014 ist daher nicht gegeben.

III.  Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kosten erster Instanz unter Berücksichtigung der teilweisen Klagerücknahme und des von den Parteien geschlossenen Teilvergleichs aus § 92 Abs. 1 ZPO, hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens aus § 91 ZPO. Dabei ist das Gericht für die erste Instanz von einem Gebührenstreitwert in Höhe von 1.941,20 €, für die zweite Instanz von 1.220,00 € ausgegangen.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen