Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 7 Sa 1243/14

Keine Auswechslung des Kündigungsgrundes

1. Ein Auswechseln der Kündigungsgründe erst im Prozess in dem Sinne, dass die Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält, ist nicht zulässig. In einem derartigen Fall ist nur der Ausspruch einer neuen Kündigung möglich, denn es handelt sich insoweit nicht um den Fall des nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässigen Nachschiebens von zuvor nicht bekannten Kündigungsgründe, sondern um die Auswechselung bekannter Kündigungsgründe.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Spricht der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung aus, so hat er den Kündigungsgrund insoweit beschränkt. Im Kündigungsschutzprozess kann er die Kündigung daher nicht mehr auf betriebsbedingte Gründe stützen.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 23.10.2014, 3 Ca 264/14 lev, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass eine seitens der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat und macht damit zusammenhängende Ansprüche geltend.

Die am 13.11.1969 geborene, verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten, die zirka 20 Arbeitnehmer beschäftigt, auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 02.01.2006 als kaufmännische Angestellte mit Prokura in Teilzeit mit 20 Stunden wöchentlich zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 1.875,00 € angestellt. Der Geschäftsführer der Beklagten ist der Bruder der Klägerin.

Die wesentlichen Aufgaben der Klägerin bestehen darin, die Lohnbuchhaltungstätigkeiten durchzuführen. Daneben hat sie Schriftverkehr nach Diktat zu führen und die Post zu bearbeiten. Außerdem ist sie für das sogenannte Forderungsmanagement zuständig. Welche weiteren Aufgaben die Klägerin zu erfüllen hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Neben ihrer Tätigkeit für die Beklagte übt die Klägerin auf selbständiger Basis eine Hausverwaltertätigkeit aus. Die Unterlagen für diese Tätigkeit bewahrte die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten in ihrem Büro auf.

Am 31.01.2014 fand ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten statt. Im Rahmen dieses Gesprächs ging es auch um die Frage, ob die Klägerin bei der Beklagten ausscheiden sollte. Die Einzelheiten des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig.

Seit dem 05.02.2014 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.

Am 06.02.2014 erschien die Klägerin bei der Beklagten. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin lediglich ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überbracht oder auch ihre privaten Unterlagen die Hausverwaltung betreffend aus dem Büro mitgenommen hat.

Auch am 10.02.2014 befand die Klägerin sich trotz ihrer Arbeitsunfähigkeit in den Geschäftsräumen der Beklagten. An diesem Tag gab es Probleme mit einem EDV-Programm die Lohnbuchhaltung betreffend. Die damit zusammenhängenden Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.

Am 20.02.2014 erfolgte ein erneutes Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und der Klägerin mit dem Ziel einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, das jedoch ergebnislos blieb.

Mit Schreiben vom 21.02.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin fristlos.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigung unwirksam. Am 06.02.2014 habe sie die Geschäftsräume der Beklagten aufgesucht, um ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzugeben. Am 10.02.2014 sei sie trotz ihrer Arbeitsunfähigkeit im Büro der Beklagten erschienen, um im Interesse der Beklagten die Lohnsteuerunterlagen zu versenden. Sie habe an ihrem Arbeitsplatz ihre Mutter Frau I. und ihre Kollegin Frau N. vorgefunden, die damit beschäftigt gewesen seien, ihre Unterlagen zu durchwühlen. Sie sei sodann von ihrer Mutter gebeten worden, das abgestürzte Personalprogramm wieder zum Laufen zu bringen. Dazu habe sie darum gebeten, ihr die im Tresor deponierte Festplatte mit der Datensicherung, die von ihr täglich durchgeführt worden sei, zu übergeben. Das Einspielen von Daten sei zur Behebung des Fehlers allerdings nicht erforderlich gewesen, weil ein Datenverlust nicht eingetreten sei. Sie habe die Lohnsteueranmeldung sodann über das Lohnprogramm versendet. Eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte eine solche nicht ausgesprochen habe. Abgesehen davon sei kein betriebsbedingter Kündigungsgrund gegeben.

Die Klägerin hat beantragt,

1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.02.2014 nicht beendet worden ist.

2.die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

3.hilfsweise für den Fall, dass der Feststellungsantrag zu 1) abgewiesen wird, die Beklagte zu verurteilen, ihr ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

4.die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als kaufmännische Angestellte weiter zu beschäftigen.

5.die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

6.die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

7.die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

8.die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

9.die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

10. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

11. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.875,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2014 abzüglich 763,20 € netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, sie habe Ende Januar 2014 in Person ihres Geschäftsführers den Entschluss gefasst, einen Teil der Tätigkeiten der Klägerin fremd zu vergeben, einen Teil selbst zu übernehmen und den verbleibenden Teil auf die Mitarbeiterin N. zu übertragen. Sämtliche Personalangelegenheiten sollten zukünftig von einem Steuerbüro durchgeführt werden, das Forderungsmanagement vom Geschäftsführer und die Schreibarbeiten durch die Mitarbeiterin N. übernommen werden. Am 31.12.2014 habe der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin eröffnet, dass er beabsichtige, ihr Arbeitsverhältnis zum nächst möglichen Zeitpunkt ordentlich aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen. Die Klägerin habe sodann darum gebeten, ihr zunächst einige Tage Urlaub zu bewilligen, damit sie sich auf die neue Situation einstellen könne. Am 05.02.2014, ihrem letzten Urlaubstag, habe die Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass sie überhaupt nicht mehr zur Arbeit kommen werde, aber erwarte, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2014 fortbestehe und sie auch ihre Vergütung erhalte. Der Geschäftsführer habe ihr erklärt, er sei dazu bereit, sie lediglich bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen. Am 06.02.2014 sei die Klägerin sodann nur deshalb erschienen, um ihre privaten Unterlagen für die Hausverwaltung auszuräumen. Am 10.02.2014 habe der Geschäftsführer der Beklagten die Mitarbeiterin N. angewiesen, Zugriff auf das Computerprogramm auf dem Rechner der Klägerin zu nehmen, um die Lohnsteueranmeldungen an das Finanzamt zu übermitteln. Nach Eingabe des im Safe hinterlegten Passwortes sei eine Meldung erschienen, wonach ein Aufruf der betreffenden Daten nicht möglich sei, da diese ausgelagert seien. Daraufhin habe der Geschäftsführer sofort bei der Klägerin angerufen, die sich jedoch zunächst nicht gemeldet habe. Ein Anruf bei dem Software-Hersteller habe ergeben, dass eine externe Auslagerung von Daten nicht aus Versehen, sondern nur zielgerichtet erfolgen könne. Mit Schriftsatz vom 29.07.2014 hat die Beklagte vorgetragen, völlig überraschend sei die Klägerin dann doch noch am 10.02.2014 erschienen und habe erklärt, dass sie einen Fehler gemacht habe, den sie nun beheben wolle. Zu diesem Zweck habe die Klägerin eine Festplatte aus dem Safe genommen und damit den ursprünglichen Zustand ihres Rechners wiederhergestellt. Hierbei habe sich herausgestellt, dass die Klägerin auch sämtliche Daten für ihre Hausverwaltung auf dem Rechner installiert habe. Dies sei zwischen den Parteien nicht abgesprochen gewesen. Zudem habe die Klägerin maximal 50 % ihrer Arbeitszeit tatsächlich auch für Aufgaben für die Beklagte verwandt. Bereits im Herbst 2013 habe die Klägerin selbst gegenüber der Mitarbeiterin N. erklärt, sie brauche täglich nur zwei Stunden für die Beklagte zu arbeiten. Aufgrund dieses Sachverhalts sei das Arbeitsverhältnis zur Klägerin außerordentlich gekündigt worden. Das Vertrauen in die Klägerin sei insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sie Personaldaten ohne Wissen des Geschäftsführers der Beklagten ausgelagert habe, unwiederbringlich zerstört. Jedenfalls sei die Kündigung als ordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt. Seit Februar 2014 sei die Arbeit entsprechend der unternehmerischen Entscheidung umverteilt worden. Durch die Umverteilung sei arbeitsmäßig allenfalls ein geringfügiger Mehraufwand entstanden. Das Beschäftigungsbedürfnis für die Klägerin sei entfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sowohl als außerordentliche als auch als fristgerechte Kündigung unwirksam. Die Beklagte habe bereits nicht konkret dargelegt, dass die Klägerin regelmäßig ihre Arbeitsstunden nicht eingehalten habe. Ebenso wenig sei zu erkennen, dass die Klägerin feste Zeiten des Arbeitsbeginns nicht eingehalten habe. Im Übrigen habe die Beklagte zutreffend selbst darauf hingewiesen, dass insoweit regelmäßig zunächst eine Abmahnung erteilt werden müsse. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe Personaldaten ausgelagert, als zutreffend unterstellt werde, liege kein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung vor. Insbesondere sei auch nach dem Vortrag der Beklagten keine Schädigungsabsicht der Klägerin erkennbar. Jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Eine betriebsbedingte ordentliche Kündigung sei bereits deshalb als unwirksam anzusehen, weil die Beklagte kein einziges Wort zur Sozialauswahl vorgetragen habe. Im Hinblick auf das fortbestehende Arbeitsverhältnis seien auch die weiteren Anträge der Klägerin auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses, Weiterbeschäftigung und Zahlung der Vergütung unter Abzug des erhaltenen Arbeitslosengeldes berechtigt. Wegen der Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf Bl. 193 bis 198 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.11.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 15.12.2014 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.01.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, das Arbeitsgericht habe sich seine Meinung nicht ohne Durchführung einer Beweisaufnahme bilden dürfen. Bei Durchführung einer Beweisaufnahme wäre das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin die Personaldaten - aus welchem Grund auch immer - bewusst und zielgerichtet gelöscht und damit einen Zugriff der Beklagte auf diese Daten verhindert habe. Eine Beweisaufnahme hätte zudem ergeben, dass die Klägerin am 10.02.2014 keineswegs freiwillig in den Geschäftsräumen der Beklagten erschienen sei, sondern erst auf massiven Druck des Geschäftsführers der Beklagten und der Androhung, dass ansonsten polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen werde. Wäre die Klägerin schwerwiegend erkrankt gewesen und hätte die Räumlichkeiten der Beklagten nicht aufsuchen können, hätte die Lohnsteueranmeldung nicht fristgerecht erfolgen können, wodurch zumindest Säumniszuschläge fällig geworden wären. Sie - die Beklagte - gehe daher nach wie vor davon aus, dass die Klägerin ihr die Personaldaten bewusst habe vorenthalten wollen. Insbesondere im Hinblick auf die besondere Vertrauensstellung der Klägerin als Prokuristin sei das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört worden. Selbst wenn der Ausspruch einer fristlosen Kündigung unberechtigt gewesen sein sollte, so habe das Arbeitsgericht jedenfalls die in der fristlosen Kündigung enthaltene ordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen zu Unrecht als unwirksam erachtet. Zunächst sei das Arbeitsgericht dazu verpflichtet gewesen, den Hinweis zu erteilen, dass es beabsichtige, der Klage bezüglich einer ordentlichen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen stattzugeben, weil keine Angaben zu einer durchgeführten Sozialauswahl erfolgt seien. In diesem Fall hätte selbst im Kammertermin noch dargestellt werden können, dass eine Sozialauswahl letztlich nicht durchgeführt worden sei, weil die Klägerin mit weiteren Mitarbeitern im Betrieb nicht vergleichbar sei, was der Klägerin auch aufgrund ihrer Tätigkeit bekannt sei. Die Mitarbeiterin N. sei ausgebildete Buchhalterin. Über eine derartige Ausbildung verfüge die Klägerin nicht. Zudem sei die am 17.07.1966 geborene und seit dem 01.01.2007 beschäftigte Mitarbeiterin N., die einer studierenden Tochter zum Unterhalt verpflichtet sei, sozial schutzwürdiger als die Klägerin. Weitere Arbeitnehmer mit administrativen Aufgaben seien bei der Beklagten nicht beschäftigt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Solingen vom 23.10.2014, 3 Ca 264/14lev, abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und ist der Auffassung, die Beklagte habe auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens eine irgendwie geartete Schädigungsabsicht der Klägerin nicht dargelegt. Die von der Beklagten gewünschte Beweiserhebung hätte keinerlei Erkenntnisse zu der Auffassung der Beklagten erbringen können, aus welchem Grund eine angebliche Löschung von Daten erfolgt sein solle. Für die Entscheidung des Rechtsstreits sei zudem ohne Belang, ob sie - die Klägerin - am 10.02.2014 freiwillig in den Geschäftsräumen erschienen sei oder nicht, denn entscheidend sei allein, dass sie tatsächlich vor Ort und der Zugriff auf Daten möglich gewesen sei. Selbst wenn etwaige Säumniszuschläge angefallen wären - den Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt - könne dies den Ausspruch einer Kündigung nicht rechtfertigen. Betriebsbedingte Gründe für den Ausspruch einer Kündigung habe die Beklagte nicht konkret dargelegt. Abgesehen davon habe die Beklagte als weitere Mitarbeiterin Frau X. eingestellt, die ebenfalls Büroarbeiten ausführe und daher mit ihr - der Klägerin - vergleichbar sein dürfe. Die Mitarbeiterin N. sei nur Bürokauffrau und nicht Buchhalterin.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern.

1.

Mit zutreffenden Erwägungen, die die Berufungskammer sich - auch zur Vermeidung von Wiederholungen - ausdrücklich zu eigen macht, hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die streitgegenständliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen weder als fristlose noch als ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe maximal 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit auch für Aufgaben der Beklagten verwandt, in jeder Hinsicht unsubstantiiert ist. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe gegenüber der Mitarbeiterin N. geäußert, sie sei lediglich dazu verpflichtet, täglich zwei Stunden für die Beklagte zu arbeiten, als richtig unterstellt wird, eine fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt ist. Zum einen war der Beklagten diese angebliche Äußerung der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag schon im Januar 2014 bekannt, denn auf S. 3 des Schriftsatzes vom 29.07.2014 (Bl. 102 der Akte) hat die Beklagte vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe Ende Januar 2014 den Entschluss gefasst, den Arbeitsplatz der Klägerin zukünftig entfallen zu lassen "nachdem sich die Klägerin gegenüber der nachbenannten Zeugin dahingehend geäußert hatte, dass sie lediglich dazu verpflichtet sei, täglich zwei Stunden für die Beklagte zu arbeiten". Danach ist die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ersichtlich nicht eingehalten. Abgesehen davon hätte die Beklagte die Klägerin - wenn sie tatsächlich zu wenig gearbeitet hätte - zunächst abmahnen müssen, was unstreitig nicht erfolgt ist. Vielmehr hat die Beklagte die angebliche Äußerung der Klägerin nach eigenen Angaben lediglich zum Anlass genommen, eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu erwägen. Da die Beklagte die Ausführungen des Arbeitsgerichts mit der Berufung nicht weiter angegriffen hat, erübrigen sich diesbezüglich weitere Ausführungen der Berufungskammer.

Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe nach dem Gespräch vom 31.12.2014 angekündigt, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen, ist ebenfalls nicht geeignet, den Ausspruch der fristlosen Kündigung zu rechtfertigen. Selbst wenn diese Behauptung als zutreffend unterstellt wird, hätte die Beklagte ein derartiges Fehlverhalten zunächst abmahnen müssen. Anhaltpunkte dafür, dass eine beharrliche Arbeitsverweigerung seitens der Klägerin vorgelegen haben könnte, sind nach dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich. Auch die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht angegriffen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die streitgegenständliche Kündigung auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin nach Behauptung der Beklagten bewusst, gezielt und in Schädigungsabsicht Personaldaten vom Rechner gelöscht haben soll. Zunächst ist auch nach dem Berufungsvorbringen nicht erkennbar, woraus sich eine Schädigungsabsicht der Klägerin ergeben soll. Die Beklagte hat dazu in der Berufungsbegründung ausgeführt, eine solche hätte sich ergeben, wenn das Arbeitsgericht eine Beweisaufnahme durchgeführt hätte, allerdings ohne darzulegen, worüber das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang denn Beweis hätte erheben sollen. Das Arbeitsgericht hat den Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe die Daten gelöscht und auf einer Festplatte gesichert, als richtig unterstellt und ist unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin die Daten auch nach dem Vortrag der Beklagten jedenfalls nicht endgültig und damit nicht unwiederbringlich gelöscht habe, zu dem - auch nach Auffassung der Berufungskammer zutreffendem - Ergebnis gekommen, dass unter diesen Umständen nicht erkennbar sei, dass die Klägerin die Daten der Beklagten vorenthalten wollte. Da das Arbeitsgericht den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt hat, ist nicht ersichtlich, worüber das Arbeitsgericht nach Auffassung der Beklagten Beweis hätte erheben sollen. Eine Beweisaufnahme darüber, ob die Klägerin am 10.02.2014 freiwillig in den Geschäftsräumen der Beklagten erschienen ist, war schon deshalb nicht geboten, weil der Vortrag der Beklagten dazu widersprüchlich ist. Auf Seite 6 des Schriftsatzes vom 29.07.2014 hat die Beklagte vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe am 10.02.2014 bei der Klägerin angerufen, die sich jedoch zunächst nicht gemeldet habe. Vollkommen überraschend sei die Klägerin dann doch noch am 10.02.2014 in den Räumlichkeiten der Beklagten erschienen. In der Berufungsbegründung hat die Beklagte sodann vorgetragen, die Klägerin sei erst auf massiven Druck und unter Androhung, polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, in den Geschäftsräumen erschienen. Abgesehen von der Widersprüchlichkeit dieses Vortrages hat die Beklagte beide Behauptungen nicht unter Beweis gestellt, so dass auch nicht ersichtlich ist, wer zu welcher Behauptung hätte vernommen werden sollen. Schließlich räumt auch die Beklagte ein, dass der einzige konkrete Nachteil, der der Beklagten gedroht hätte, etwaige Säumniszuschläge seitens des Finanzamtes hätten sein können. Es kann dahinstehen, ob der Eintritt eines derartigen Schadens ausreichen könnte, eine Kündigung auszusprechen, was der Berufungskammer im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die in jedem Fall durchzuführende Interessenabwägung unwahrscheinlich erscheint, denn die Klägerin ist trotz der bestehenden Arbeitsunfähigkeit erschienen und hat die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Ein Schaden ist danach gerade nicht eingetreten.

Unter den gegebenen Umständen war danach weder der Ausspruch einer außerordentlichen noch der Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt.

2.

Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht als ordentliche betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt.

Nach Auffassung der Berufungskammer ist die streitgegenständliche Kündigung als ordentliche betriebsbedingte Kündigung bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte gerade keine betriebsbedingte Kündigung, sondern eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat. Dabei kann für das vorliegende Verfahren als richtig unterstellt werden, dass die Beklagte die von ihr behauptete unternehmerische Entscheidung, die Arbeit umzuverteilen mit der Folge, dass der Arbeitsplatz der Klägerin wegfällt, Ende Januar 2014 und damit vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung getroffen hat. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten auf Seite 7 des Schriftsatzes vom 29.07.2014 hat sie die streitgegenständliche Kündigung jedoch nicht aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen, sondern wegen des von ihr behaupteten unwiederbringlichen Vertrauensverlustes aufgrund des Verhaltens der Klägerin. Erst im Prozess hat die Beklagte die Kündigungsgründe ausgewechselt. Ein Auswechseln der Kündigungsgründe in dem Sinne, dass die Kündigung - wie vorliegend - einen völlig anderen Charakter erhält, ist nach Auffassung der Berufungskammer nicht zulässig. In einem derartigen Fall ist nur der Ausspruch einer neuen Kündigung möglich, weil es sich nicht um den Fall des nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässigen Nachschiebens von zuvor nicht bekannten Kündigungsgründen handelt, sondern um die Auswechselung des Kündigungsgrundes. Dies gilt vorliegend gerade deshalb, weil der Beklagten nicht etwa nachträglich Kündigungsgründe bekannt geworden sind, die ihr vor Ausspruch der Kündigung nicht bekannt waren, sondern dass der betriebsbedingte Kündigungsgrund nach eigenem Vortrag der Beklagten bereits vor Ausspruch der fristlosen Kündigung gegeben gewesen sein soll und die Beklagte sich dennoch dazu entschlossen hat, sich auf den Ausspruch einer verhaltensbedingten fristlosen Kündigung zu beschränken.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten aufzugeben.

IV.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen bisherigen Entscheidung (Urteil vom 18.01.1980, 7 AZR 260/78; Urteil vom 24.03.1982, 7 AZR 956/79; Urteil vom 04.06.1997, 2 AZR 362/967; Urteil vom 06.09.2007, 2 AZR 264/06, jeweils zitiert nach juris) offen gelassen, ob ein Auswechseln der Kündigungsgründe im Prozess auch dann möglich ist, wenn die Kündigung dadurch einen völlig anderen Charakter erhält. Dieser vorliegend entscheidungserheblichen Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu.



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