Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss vom - Az: 15 Ta 1108/14

Keine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wegen Schweigerecht im Strafverfahren

1. Das Recht, im Strafverfahren schweigen zu dürfen, rechtfertigt keine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.
(Leitsatz)

(2.) Auch im zivilgerichtlichen Verfahren besteht das Recht zu Schweigen. Die Partei muss in diesem Fall lediglich die zivilprozessualen Folgen tragen.

(3.) Ob das Verfahren auszusetzen ist liegt im Ermessen des Gerichts. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist der Beschleunigungsgrundsatz von besonderer Bedeutung.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.05.2014 - 5 Ca 17397/13 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Grund einer fristlosen Kündigung.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe im Jahr 2013 Tonermaterial im Wert von 80.000,-- EUR bestellt, obwohl sie jährlich im Durchschnitt nur für 4.000,-- bis 5.000,-- EUR Drucker-Toner benötige. Der Kläger habe Oki-Toner bestellt, obwohl bei ihr lediglich Kyocera-Toner zur Anwendung komme. Anhand von rekonstruierten E-Mails ließe sich feststellen, dass der Kläger über eine andere Firma die Originalrechnungen in Rechnungen für Kyocera-Toner habe umschreiben lassen. Durch weitere rekonstruierte E-Mails sei ermittelt worden, dass der Kläger im Rahmen einer Nebentätigkeit anderen Personen Oki-Toner angeboten habe. Daher gehe man davon aus, dass der Kläger den Oki-Toner auf eigene Rechnung gewinnbringend veräußert habe.

Der Kläger hat die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des Strafverfahrens beantragt, ohne bisher auf die Vorwürfe im Einzelnen einzugehen. In dem zurzeit beim LKA anhängigen Verfahren habe er noch keine Akteneinsicht erhalten. Der Kläger verweist darauf, dass eine Vielzahl von Personen Zugang zu dem Raum gehabt hätte, in dem die Druckertoner gelagert worden seien. Die Erkenntnismöglichkeiten der Staatsanwaltschaft gingen weiter. Diese könne effektiver als das Arbeitsgericht Zeugen zu der Frage laden, welche Personen zu welchem Zeitpunkt Zugang zu diesem Raum und Zugriff auf die Toner gehabt hätten. Das Verfahren sei auch deswegen auszusetzen, da er sonst im hiesigen Verfahren Gefahr laufe, sich selbst ggfs. zu bezichtigen. Wenn er im hiesigen Verfahren die Vorwürfe substantiiert bestreite, um der Geständnisfiktion des § 138 ZPO zu entgehen, werde das Aussageverweigerungsrecht im Strafverfahren inhaltsleer. Dem Recht, schweigen zu dürfen, komme eine überragende Bedeutung zu. Dies ergebe sich aus dem Grundgesetz, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und ferner der EMRK. Im Übrigen verweist er auf Regelungen im Disziplinarrecht von Beamten (§ 22 BDG), wonach ein Disziplinarverfahren auszusetzen sein, wenn öffentlich Klage erhoben worden ist.

Das Arbeitsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss und in dem Nichtabhilfebeschluss den Antrag auf Aussetzung abgelehnt. Es sei im Moment schon nicht ersichtlich, in welchem Umfang durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein Erkenntnisgewinn zu erwarten sei, da der Kläger bisher nicht erklärt habe, welchen Vortrag der Beklagten er bestreiten wolle. Dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz sei Vorrang einzuräumen. Das Recht zu Schweigen habe der Kläger auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ggfs. müsse er dann die zivilprozessualen Folgen seines Schweigens tragen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat das ihm zustehenden Ermessen (§149 ZPO) rechtmäßig ausgeübt und den Aussetzungsantrag zu Recht zurückgewiesen.

Gemäß § 252 ZPO findet gegen die Entscheidung, durch die aufgrund u.a. des § 149 ZPO die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, sie sofortige Beschwerde statt. Die Entscheidung des Gerichts ist gemäß § 252 ZPO, § 78 S. 1 ArbGG durch das Beschwerdegericht nur auf das Vorliegen des Aussetzungsgrundes und auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen (vgl. Zöller-Greger § 252 ZPO Rn. 3; LAG Köln 30.08.2012 - 12 Ta 197/12).

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren an sich Auswirkungen auf das arbeitsgerichtliche Verfahren haben kann. Ermessensfehler sind jedoch auch bei Berücksichtigung des Vorbringens in der sofortigen Beschwerde nicht ersichtlich.

1. Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die streitigen Umstände, die durch ein Strafverfahren einfacher geklärt werden können, konkret festgestellt werden müssten (BGH 17.11.2009 - VI ZB 58/08 - Rn 10). Bisher ist jedoch gar nicht ersichtlich, was der Kläger überhaupt bestreiten will. Sein Hinweis, dass eine Vielzahl von Personen Zutritt zu dem Raum gehabt hätten, in dem die Toner aufbewahrt wurden, ist unerheblich. Dem Kläger wird schließlich vorgeworfen, Tonerprodukte bestellt zu haben, die bei der Beklagten gar nicht benutzt werden und entsprechende Rechnungen verfälscht zu haben. Ob er die von ihm bestellten Toner selbst veräußern wollte oder ob ihm diese vorher durch andere Personen abhanden gekommen sind, ist für den außerordentlichen Kündigungsgrund ohne größeren Belang. Er erklärt auch nicht, welchen Sinn die Bestellung dieser Art von Toner gehabt haben soll. Schon deswegen ist ein Aussetzungsgrund nicht gegeben.

2. Das vom Kläger in Anspruch genommene Recht, im Strafverfahren schweigen zu dürfen, rechtfertigt auch keine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.

2.1 Dieses Recht, das das Bundesverfassungsgericht aus Art 2 I, 1 I GG als Ausfluss des Gebotes eines fairen Verfahrens ableitet (BVerfG NJW 97, 1841, 1843), wird durch die Mitwirkungspflichten nach § 138 ZPO nicht verletzt. Eine Partei muss sich auch im Zivilprozess nicht selbst bezichtigen (BVerfGE 56, 37, 44). Daher kann der hiesige Kläger in dem von ihm angestrengten Prozess zu den Vorwürfen der Beklagten schweigen. Insofern führt das BVerfG aus:

 „Die derart gegen den Zwang zu Selbstbezichtigung geschützten Prozessparteien ... tragen lediglich das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung.“ (BVerfGE 56, 37, 44).

Auch die Kommentarliteratur geht davon aus, dass die Partei im Zivilprozess jede Äußerung verweigern dürfe (Stein-Jonas 22. Aufl. § 138 ZPO Rn 13). Eine solche Partei müsse sich rechtzeitig überlegen, ob sie einen Prozess führen möchte (MüKo 4. Aufl. § 138 ZPO Rn 15). Sie dürfe nicht wahrheitswidrig vortragen und müsse bei Absehen eines eigenen Vortrags die prozessualen Konsequenzen tragen (Zöller 30. Aufl. § 138 ZPO Rn 3). Hiervon wird auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ausgegangen (LAG Hamm 10.05.2013 - 7 Ta 155/13 - Rn 21ff m.w.N.)

Insofern muss auch der hiesige Kläger überlegen, ob er in dem von ihm angestrengten Prozess schweigen oder sich wahrheitsgemäß äußern will. Größerer Schutz muss ihm im Zivilverfahren nicht eingeräumt werden.

2.2 Art. 6 EMRK rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Art. 6 EMRK hat nach der Ratifizierung den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und bindet die deutschen Gerichte unmittelbar (BAG 26.03.1987 - 8 AZR 54/86 - Rn 19). Der EGMR leitet aus Art. 6 EMRK das Recht ab, zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen (EGMR 03.05.2001 - 31827/96 - NJW 2002, 499). Der Begriff der "strafrechtliche Anklage" in Art. 6 I EMRK legt der EGMR autonom aus. Bei der Entscheidung, ob ein Verfahren ein Strafverfahren ist, seien drei Kriterien heranzuziehen, nämlich erstens, wie das innerstaatliche Recht das Verfahren qualifiziert, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens die Art und Schwere der dem Betroffenen drohenden Sanktion. Daher dürfe ein Bürger in einem Steuerverfahren nicht mit Bußgeldern zu Auskünften gezwungen werden, die in einem Steuerstrafverfahren zu seinem Nachteil verwendet werden (EGMR a.a.O.).

Art. 6 EMRK kann hier schon deswegen nicht verletzt sein, weil im Arbeitsgerichtsprozess keine Partei zu einer Aussage gezwungen werden kann. Darüber hinaus stellt das Kündigungsschutzverfahren auch kein Strafverfahren im Sinne des Art. 6 EMRK dar. Hier tritt nicht der Staat strafend dem Bürger gegenüber, sondern das Verfahren betrifft zwei Bürger untereinander.

2.3. Das Gleiche gilt für das Schweigerecht nach Art. 14 Abs. III lit. g des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. II 1973 S. 1533, 1541). Das dort geregelte Schweigerecht betrifft ebenfalls das Strafverfahren (BGH GS 13.05.1996 - GSSt 1/96 - Rn 38).

2.4. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers folgt aus § 22 I 1 BDG nichts anderes.

Nach dieser Norm ist ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren auszusetzen, wenn öffentliche Klage erhoben worden ist. Der Staat, der dem Beamten im Disziplinarverfahren als Dienstherr hoheitlich gegenübertritt, mag sich in seinem Verfahren entsprechend binden. Auf ein zivilgerichtliches Verfahren zweier Bürger untereinander ist dies aber nicht anwendbar.

3. Insofern durfte das Arbeitsgericht dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz im Ergebnis zu Recht das höhere Gewicht beimessen.

III.

Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, weil die Ausgangsentscheidung des Arbeitsgerichts über die Aussetzung des Verfahrens als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthalten durfte und das Beschwerdeverfahren daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04 - Rn 12; Zöller-Heßler § 572 ZPO Rn 47).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Daher ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen