Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg

Urteil vom - Az: 11 Sa 46/21

Kein Weihnachtsgeld bei Arbeitsunfähigkeit

Geklagt hatte ein Maschinenbediener, der seit seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeitserkrankung im Dezember 2017 keine Weihnachtsgelder für die Jahre 2018 bis 2020 erhalten hatte. Die beklagte Arbeitgeberin hatte dem Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2003 jeweils mit dem Abrechnungsmonat November des laufenden Kalenderjahres ein Weihnachtsgeld ohne weitere Erklärungen gezahlt. Dies nahm der Kläger zum Anlass, die Zahlungen auch künftig zu erhalten – trotz seiner Arbeitsunfähigkeit. Dagegen wandte die Beklagte ein, dass nur die Mitarbeiter, die – wie der Kläger – keinerlei Arbeitsleistung für sie erbracht haben, keinen entsprechenden Anspruch auf Weihnachtsgeld erhalten.
Das LAG teilte die Auffassung des Beklagten: Werde die Zahlung erbracht, ohne dass weitere Anspruchsvoraussetzungen vereinbart sind, spreche dies dafür, dass die Sonderzahlung als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet wird. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte dem Kläger keinerlei Mitteilung gemacht, unter welchen Voraussetzungen das streitige Weihnachtsgeld geleistet werde. Folglich könne es sich nur um eine im Synallagma stehende Leistung gehandelt haben. Andere Anhaltspunkte waren für den Kläger aus den Leistungen nicht zu entnehmen. Das führe jedoch dazu, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht berücksichtigt werden können, weil diesbezüglich eine Arbeitsleistung bzw. eine Zurechnung zum Arbeitgeberrisiko durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung nicht erfolgt ist. Folglich könne der Kläger auch kein Weihnachtsgeld beanspruchen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 10.06.2021 - 5 Ca 436/20 - abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.4. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Weihnachtsgeld für die Jahre 2018, 2019 und 2020.

Der 58 Jahre alte Kläger steht seit 22. Januar 2003 bei der Beklagten, die sieben Arbeitnehmer beschäftigt, als Maschinenbediener in einem Arbeitsverhältnis. Seit 18. Dezember 2017 ist er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger hat mit seiner am 15. Oktober 2020 beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen eingereichten Klage - soweit für die Berufung relevant - beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 3.000,00 € brutto und 1.500,00 € brutto an ihn nebst Zinsen zu verurteilen und vorgetragen, ihm stehe für die Jahre 2018, 2019 sowie 2020 ein Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von jeweils 1.500,00 € zu. Die Beklagte habe ihm seit Beginn seiner Beschäftigung im Jahr 2003 jeweils mit dem Lohnlauf November des laufenden Kalenderjahres ein Weihnachtsgeld ohne weitere Erklärungen gezahlt. Zuletzt habe er mit dem Lohnlauf November 2017 ein Weihnachtsgeld von 1.500,00 € brutto erhalten, dort erstmals mit dem Zusatz "freiw." in der Lohnabrechnung. Zumindest seien ihm seit dem Jahr 2010 jährlich 1.500,00 € brutto Weihnachtsgelder abgerechnet und bezahlt worden, bis einschließlich dem Jahr 2016 ohne weitere Erklärungen.

Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Klage abzuweisen und - soweit für die Berufung relevant - vorgetragen, der Kläger habe seit 2018 deshalb kein Weihnachtsgeld mehr bekommen, weil er seit dem 18. Dezember 2017 keinerlei Arbeitsleistung mehr erbracht habe.

Mit Urteil vom 10. Juni 2021 - 5 Ca 436/20 - hat das Arbeitsgericht - soweit für die Berufung relevant - der Klage teilweise in Höhe von jeweils 950,00 € für die Jahre 2018, 2019 und 2020 stattgegeben und ausgeführt, der Anspruch ergebe sich aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem geschlossenen Arbeitsvertrag. Bei Zahlung einer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinausgehenden Vergütung sei durch Auslegung (§§ 133, 153 BGB) zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung (beispielsweise Gratifikation im Kalenderjahr) oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet habe. Eine dauerhafte Verpflichtung könne sich insbesondere aus einem Verhalten mit Erklärungswert, wie einer betrieblichen Übung, ergeben. Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen, habe der Kläger Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeldern für 2018, 2019 und 2020. Die Beklagte habe die Zahlungen nicht bestritten, wenn auch die Höhe streitig sei. Soweit sie in die Lohnabrechnungen zumindest seit dem Jahr 2017 den Zusatz "freiw." aufgenommen habe, stehe dies dem klägerischen Anspruch nicht entgegen, was es weiter ausgeführt hat. Die durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers in den streitgegenständlichen Jahren, stehe dem Anspruch nicht entgegen, weil die Beklagte nicht ausgeführt habe, wie der Arbeitnehmer von einem solchen Vorbehalt Kenntnis erlangt habe. Würden solche Voraussetzungen vom Arbeitgeber nicht kommuniziert, könnten sie auch nicht Vertragsbestandteil werden. Zur Anspruchshöhe hat das Arbeitsgericht weitere Ausführungen gemacht.

Gegen dieses, der Beklagten am 14. Juli 2021 zugestellte Urteil wendet sich diese mit ihrer am 20. Juli 2021 eingereichten und nach antraggemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 14. Oktober 2021 fristgerecht ausgeführten Berufung.

Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, das Urteil widerspreche ihrer klaren und im Protokoll der Kammerverhandlung festgehaltenen - unbestrittenen - Angabe, sie habe an Mitarbeiter ein Weihnachtsgeld in Abhängigkeit zu der erbrachten Arbeitsleistung geleistet. Mitarbeiter, die - wie der Kläger- keinerlei Arbeitsleistung für sie erbracht hätten, hätten kein Weihnachtsgeld erhalten.

Die Beklagte beantragt:

1.Das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 10.06.2021 - 5 Ca 436/20 - wird abgeändert.2.Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe keine der Billigkeit entsprechende Entscheidung ausgeübt, was er weiter ausführt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2b ArbGG). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung lässt zudem i.S.d. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände erkennen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben soll. Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die streitigen Weihnachtsgelder für die Jahre 2018 bis 2020.

1. Als grundsätzliche Anspruchsgrundlage kommt, wie es das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, § 611a BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien in Betracht (hierzu I 1 a aa der Entscheidungsgründe).

a) Erbringt der Arbeitgeber über das arbeitsvertraglich vereinbarte Gehalt hinaus weitere Leistungen, ist durch Auslegung nach §§ 133, 153 BGB zu ermitteln, ob sich der Arbeitgeber nur zu der konkreten Leistung oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat.

Eine dauerhafte Verpflichtung kann sich aus einem Verhalten mit Erklärungswert, wie einer betrieblichen Übung, ergeben. Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern regelmäßig stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen für die Zukunft. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Erklärende einen Verpflichtungswillen hat, sondern ob der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) dahin verstehen konnte und durfte, der Arbeitgeber wolle sich zu einer, über seine gesetzlichen, tarifvertraglichen und vertraglichen Pflichten hinausgehenden Leistung verpflichten. Das ist im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers zu ermitteln. Die Anforderungen an den Erklärungswert bestimmen sich nach der Art des Verhaltens des Vertragspartners, das eine betriebliche Übung begründen soll. Eine vertragliche Bindung ist regelmäßig anzunehmen, wenn besondere Umstände ein schützwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründen. Dabei kommt dem konkreten Verhalten des Arbeitgebers, insbesondere dessen Intensität und Regelmäßigkeit, entscheidendes Gewicht zu. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht keine verbindliche Regel aufgestellt, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, er würde die Leistung auch zukünftig erhalten. Allerdings ist für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikation die Regel aufgestellt worden, nach der eine zumindest dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, falls nicht besondere Umstände hiergegen sprechen oder der Arbeitgeber bei der Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft geschlossen hat.

Auch wenn es an einer betrieblichen Übung fehlt, weil beispielsweise der Arbeitgeber eine Zahlung nur an einen Arbeitnehmer vorgenommen hat und damit das kollektive Element fehlt, kann für diesen ein Anspruch entstanden sei. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers auf ein Angebot schließen konnte, das er gemäß § 151 BGB durch schlüssiges Verhalten angenommen hat (BAG 14. September 2011 - 10 AZR 526/11).

b) Die Beklagte hat an den Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2003 jeweils mit dem Abrechnungsmonat November an den Kläger Weihnachtsgeld, wenn auch in streitiger Höhe gezahlt. Das genügt, um ein schützwürdiges Vertrauen des Klägers zu begründen, die Zahlungen auch künftig zu erhalten. Die seit dem Jahr 2017 in die Lohnabrechnungen aufgenommenen Vermerke "freiw." stehen dem grundsätzlichen Anspruch nicht entgegen, wie es das Arbeitsgericht ebenfalls richtig ausgeführt hat (hierzu I 1 a cc der Entscheidungsgründe).

2. Allerdings folgt die Berufungskammer nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass sich die durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht auf den Anspruch auswirkt.

a) Mit welchen Inhalt eine konkludente Vertragsänderung durch vorbehaltslose Zahlung einer Sonderzahlung zustande gekommen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist dabei der ebenfalls durch Auslegung zu ermittelnde verfolgte Zweck der Sonderzahlung (BAG 13. Mai 2015 - 10 AZR 266/14).

aa) Wird die Zahlung erbracht, ohne dass weitere Anspruchsvoraussetzungen vereinbart sind, spricht dies dafür, dass die Sonderzahlung als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet wird (BAG 3. September 2014 - 5 AZR 1020/12; LAG BW 30. Juni 2020 9 Sa 13/20 - Rn. 92, Revision beim BAG: 10 AZR 330/20).

(1) Dies ergibt sich bereits aus § 611a Abs. 2, 1 Satz 1 BGB:

Die vereinbarte Vergütung wird beim Arbeitsvertrag für die Verrichtung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geschuldet. Die Entgeltpflicht ist damit Hauptleistungspflicht und steht folglich im Gegenseitigkeitsverhältnis - Synallagma - zur Arbeitspflicht (ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 389).

(2) Damit kann ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass eine vom Arbeitgeber ohne weitere Erklärung geleistete Zahlung etwas Anderes sein soll, als eine in diesem Synallagma stehende Leistung.

Eine andere Annahme kann schon deshalb nicht auf §§ 307 Abs. 1 und 2 sowie 308 und 309 BGB gestützt werden, weil dem § 307 Abs. 3 BGB entgegensteht.

(3) Folglich ergibt sich als logische Konsequenz:

Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben, weil diese ja vom gesetzlich geregelten Synallagma abweicht (Stichwort: Positive Bestätigung).

So können z.B. Sonderzahlungen als "Treueprämie" oder als "Halteprämie" künftige Betriebstreue honorieren, eine "Reinlichkeitsprämie" die Sauberkeit am Arbeitsplatz oder eine "Freundlichkeitsprämie" den Umgang mit Kunden und/oder Arbeitskollegen fördern. Der Arbeitgeber kann aber auch mit seiner Leistung bezwecken, sich an den für das Weihnachtsfest oder den Urlaub typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen.

Will der Arbeitgeber künftige Betriebstreue honorieren, wird er dies - im Sinne einer positiven Bestätigung logischerweise nur dadurch sicherstellen können, wenn die Arbeitnehmer auch davon erfahren:

Also muss er die Sonderzuwendung vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus abhängig machen und/oder den Arbeitnehmern mitteilen, dass sie die Sonderzuwendung zurückzahlen müssen, wenn das Arbeitsverhältnis unter bestimmten Bedingungen nicht über einen genannten Termin fortbesteht (vgl. BAG 13. Mai 2015 - 10 AZR 266/14 - Rn.13f; BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10).

bb) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dem Kläger - im Sinne einer positiven Bestätigung - unstreitig keinerlei Mitteilung gemacht, unter welchen Voraussetzungen das streitige Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld geleistet werde. Folglich kann es sich nur um eine im Synallagma stehende Leistung gehandelt haben. Andere Anhaltspunkte waren für den Kläger aus den Leistungen nicht zu entnehmen.

Das führt jedoch dazu, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht berücksichtigt werden können, weil diesbezüglich eine Arbeitsleistung bzw. eine Zurechnung zum Arbeitgeberrisiko durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung nicht erfolgt ist.

Folglich kann der Kläger auch kein Weihnachtsgeld beanspruchen.

3. Deshalb war das erstinstanzliche Urteil entsprechend abzuändern.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

2. Die Kammer hat die Revision für den Kläger zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen