Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 8 Sa 373/14

Kein Anscheinsbeweis einer AU-Bescheinigung bei Krankschreibung nach mehr als zwei Tagen

Nach § 5 Abs. 3 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit) soll die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ersten Inanspruchnahme des Arztes liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu zwei Tagen zulässig. Der Grund für diese Regelung in den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien ist, dass die notwendigen medizinischen Feststellungen hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit für einen noch länger zurückliegenden Zeitraum grundsätzlich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden können. Daher ist im Fall einer nachwirkenden Krankschreibung über zwei Tage hinaus in der Regel von der Erschütterung des Beweiswertes eines solchen Attestes auszugehen.

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.03.2014 Az.: 7 Ca 3802/13 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Urlaubsabgeltung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 19. Oktober 1998 als Zahnarzthelferin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1.040,00 EUR beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung der Klägerin vom 31. Juli 2013 am 31. August 2013. In § 7 - Urlaub - des Arbeitsvertrags vom 07. Oktober 1998 (Bl. 4 ff. d. A.) heißt es:

 „Der Arbeitnehmer erhält kalenderjährlich einen Erholungsurlaub von 30 Werktagen (30 Arbeitstage).

Der Urlaubszeitraum wird in Abstimmung mit dem Arbeitgeber festgelegt.

Bei verschuldeter fristloser Kündigung reduziert sich der Urlaubsanspruch auf den anteiligen gesetzlichen Mindesturlaub.“

Die Klägerin hat einen Urlaubsantrag vom 16. Juli 2012 (Bl. 12 d. A.) zur Akte gereicht, in dem unter Berücksichtigung eines Jahresurlaubs von insgesamt 30 Tagen und des beantragten Urlaubs noch 10 verbleibende Urlaubstage für das Kalenderjahr 2012 aufgeführt sind.

Die Klägerin hat weiter folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt:

- Erstbescheinigung von Herrn Dr. med. M. (Bl. 15 d. A.):

arbeitsunfähig seit 07.12.2012 bis 20.12.2012, festgestellt am 07.12.2012

- Folgebescheinigung von Herrn Dr. med. M. (Bl. 15 d. A.):

arbeitsunfähig seit 07.12.2012 bis 03.01.2013, festgestellt am 20.12.2012

- Erstbescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. (Bl. 14 d. A.):

arbeitsunfähig seit 02.01.2013 bis 23.01.2013, festgestellt am 02.01.2013

- Folgebescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. (Bl. 48 d. A.):

arbeitsunfähig seit 02.01.2013 bis 13.02.2013, festgestellt am 23.01.2013

- Folgebescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. (Bl. 49 d. A.):

arbeitsunfähig seit 02.01.2013 bis 31.07.2013, festgestellt am 10.07.2013

- Folgebescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. (Bl. 50 d. A.):

arbeitsunfähig seit 02.01.2013 bis 30.08.2013, festgestellt am 31.07.2013

- Folgebescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. (Bl. 13 d. A.):

arbeitsunfähig seit 02.01.2013 bis 12.09.2013, festgestellt am 30.08.2013

In einer Bescheinigung vom 21. Mai 2013 (Bl. 51 d. A.) der Gemeinschaftspraxis Dres. B./F. heißt es:

 „Og. Pat. ist seit dem 02.01.2013 bis auf weiteres arbeitsunfähig erkrankt.

Der Auszahlschein ersetzt die Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber!“

Der Beklagte hatte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 (Bl. 31 d. A.) wegen verspäteter Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 07. Dezember 2012 sowie mit Schreiben vom 17. Mai 2013 (Bl. 32 d. A.) und 21. Juni 2013 (Bl. 33 d. A.) wegen unterbliebener Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 14. Februar 2013 abgemahnt.

Die Klägerin hat Auszahlungsscheine für das Krankengeld durch den behandelnden Arzt Dr. F. vom 01.02.2013, 13.02.2013, 13.03.2013, 10.04.2013, 25.04.2013, 13.05.2013, 22.05.2013, 07.06.2013, 21.06.2013 und 10.07.2013 (Bl. 38 ff. der Akte) zur Akte gereicht.

Die Klägerin hat ein Schreiben ihrer Krankenkasse vom 31. Januar 2014 (Bl. 52 d. A.) zur Akte gereicht, in dem erklärt wird, dass die Klägerin vom 18. Januar 2013 bis zum 04. Dezember 2013 Krankengeld erhalten habe.

Weiter hat die Klägerin eine fachärztliche Bescheinigung vom 03. Februar 2014 (Bl. 53 d. A.) zur Akte gereicht, in der es heißt:

Die oben genannte Patientin befindet sich seit dem 02.01.2013 regelmäßig in unserer fachärztlichen Behandlung und ist ab diesem Datum durchgehend arbeitsunfähig erkrankt."

Die Klägerin hat den Beklagten mit Schreiben vom 18. September 2013 (Bl. 16 d. A.) zur Zahlung von Urlaubsabgeltung für 40 Tage iHv. 1.980,80 EUR bis zum 02. Oktober 2013 aufgefordert. Am 14. Oktober 2013 hat sie Klage eingereicht.

Wegen des wechselseitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 27. März 2014, Az.: 7 Ca 3802/13 (Bl. 61 ff. d. A.), Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.920,00 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 03. Oktober 2013 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten durch das genannte Urteil vom 27. März 2014 zur Zahlung von 1.920,00 EUR nebst Zinsen verurteilt. Es hat ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch auf Abgeltung von 40 Tagen Urlaub nach § 7 BUrlG. Für das Kalenderjahr 2012 ergebe sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 10 Arbeitstagen aus der von dem Beklagten selber erteilten Urlaubsbescheinigung vom 16. Juli 2013. Das Bestreiten des Beklagten hinsichtlich der Höhe stelle sich somit als ein Bestreiten ins Blaue hinein dar. Der Anspruch sei nicht gemäß § 7 Abs. 3 verfallen, da nach Auffassung der Kammer die Klägerin in geeigneter Form bewiesen habe, dass sie vom 07. Dezember 2012 bis zum 31. August 2013 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Erkrankung sei durch die Auszahlungsscheine zur Vorlage bei der Krankenkasse und die fachärztliche Bescheinigung vom 03. Februar 2014 ärztlich attestiert. Offenbleiben könne, ob es sich bei diesen Bescheinigungen um solche handle, welche die Indizwirkung nach §§ 3, 5 EFZG auslösten, da es nicht um einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gehe, sondern um Urlaubsabgeltung. Der Beklagte habe neben dem Einwand eines formalen Aspekts keine Gründe vorgetragen, welche die Annahme rechtfertigen könnten, die Klägerin sei in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Für das Kalenderjahr 2013 ergebe sich ein Abgeltungsanspruch für die vollen 30 Tage. Entgegen der Auffassung des Beklagten seien auf den Abgeltungsanspruch Zeiten des Betriebsurlaubs nicht anzurechnen, da die Klägerin nicht arbeitsfähig gewesen sei. Gründe für die Annahme, die Klägerin habe konkludent auf die Nachgewährung von Urlaub verzichtet, seien nicht erkennbar. Den Regelungen im Arbeitsvertrag sei nicht zu entnehmen, dass der Abgeltungsanspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub zu beschränken sei.

Das Urteil ist dem Beklagten am 12. Mai 2014 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 12. Juni 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. August 2014 durch Beschluss vom 15. Juli 2014 mit Schriftsatz vom 12. August 2014, beim Landesarbeitsgericht am selben Tag eingegangen, begründet.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Beklagte geltend:

Auch im Bereich der Urlaubsabgeltung nach § 7 BUrlG hätten die ärztlichen Bescheinigungen die Kriterien gem. § 5 EFZG zu erfüllen. Dies ergebe sich auch aus einer vergleichenden Betrachtung von § 9 BUrlG, der ebenfalls eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd EFZG erfordere.

Entsprechend einer Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt vom 24. April 1996 (Az: 3 Sa 449/95) habe auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums die Verpflichtung der Klägerin bestanden, formal ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen. Bescheinigungen, die den Anforderungen dieses Urteils nicht genügten, könnten auch keine Indizwirkung hinsichtlich des Bestehens einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auslösen. Nach der benannten Entscheidung könne die Nichtvorlage sogar zu einer außerordentlichen Kündigung führen. Insbesondere mit den Abmahnungen habe er alles in seiner Macht stehende getan, um die Klägerin darauf hinzuweisen und anzuhalten, die üblichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen. Wenn der behandelnde Arzt die Ausstellung der üblichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verweigere, könne dies nicht zum Nachteil des Arbeitgebers gereichen.

Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch für die Zeiten, in denen Betriebsurlaub angesetzt gewesen sei, keine genügende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Aus der unterlassenen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in den Zeiten des Betriebsurlaubs folge auch der konkludente Verzicht auf Urlaubsgewährung bzw. Urlaubsabgeltung.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Sie sei im Zeitraum vom 07. Dezember 2012 bis zum 31. August 2013 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Problematik habe darin bestanden, dass der behandelnde Arzt nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeit nicht bereit gewesen sei, weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erteilen, sondern hierzu auf die Auszahlungsscheine der Krankenkasse verwiesen habe. Dies entspreche den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit. Dort sei nach Ende des Lohnfortzahlungszeitraums nur noch die "Bescheinigung für Krankengeldzahlung" vorgesehen und nicht mehr die Erteilung einer normalen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Demgemäß habe sie zum Beleg ihrer Erkrankung lückenlos die Auszahlungsscheine des Krankengeldes vorgelegt. Auf nochmalige Bitte habe der Arzt dann zusätzlich die Atteste vom 03. Februar 2013 und 21. Mai 2013 sowie weitere 2 Folgebescheinigungen am 10. Juli 2013 und 31. Juli 2013 ausgestellt. Die rückwirkend bescheinigte Arbeitsunfähigkeit sei nicht problematisch, weil zusätzlich die ärztlichen Atteste aus Februar und Mai 2012 und die lückenlosen Krankengeldauszahlungsscheine vorlägen. Soweit es um den Zeitraum nach Ende der Entgeltfortzahlung gehe, ergebe sich aus dem EFZG nicht, dass die Arbeitsunfähigkeit nur durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beweisen wäre. Der Arbeitgeber habe u.U. ein berechtigtes Interesse daran, sich zur weiteren Planung der Betriebsorganisation auch nach Ablauf der Entgeltfortzahlung die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen zu lassen. Es gehe bei einem solchen Informationsinteresse jedoch nicht darum, erhöhte Anspruchsvoraussetzungen für Ansprüche auf Urlaubsabgeltung zu begründen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B. In der Sache hat die Berufung des Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Abgeltung von Resturlaub im Umfang von 10 Arbeitstagen für das Jahr 2012 und 30 Arbeitstagen für das Jahr 2013 in Höhe von EUR 1.920,00 (§§ 1, 3 Abs. 1, §§ 4, 7 Abs. 4 BUrlG) nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 03. Oktober 2013.

I. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen der Klägerin noch 10 Tage Urlaub für das Jahr 2012 zu.

1. Da die Klägerin vom 07. Dezember 2012 bis einschließlich 31. August 2013 arbeitsunfähig erkrankt war, ist ihr Resturlaub für das Jahr 2012 nicht nach § 7 Abs. 3 S. 2 und 3 BUrlG mit dem 31. Dezember 2011 oder dem 31. März 2012 untergegangen. Dies gilt auch für den im Arbeitsvertrag in § 7 vereinbarten Mehrurlaub von 10 Tagen.

a) § 7 Abs. 3 BUrlG ist so auszulegen, dass der Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) ist § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform so auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. Die unionsrechtskonforme Auslegung hat zur Folge, dass der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt (BAG 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 14, juris).

b) Die Klägerin war vom 07. Dezember 2012 bis einschließlich 31. August 2013 arbeitsunfähig erkrankt.

aa) Zunächst hat die Klägerin für den Zeitraum vom 07. Dezember 2012 bis zum 13. Februar 2013 ihre Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen. Bei den Attesten, die diesen Zeitraum abdecken, handelt es sich jedenfalls um ärztliche Bescheinigungen iSd. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG.

In der Regel führt der Arbeitnehmer den Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Dies ergibt sich aus der Lebenserfahrung. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt (BAG 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - Rn. 33 mwN, juris). Bei den Attesten vom 07. Dezember 2012, 20. Dezember 2012, 02. Januar 2013 und 23. Januar 2013 handelt es sich jeweils um ab dem Ausstellungsdatum für die Zukunft geltende und nahtlos aufeinanderfolgende ärztliche Bescheinigungen, welche die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG erfüllen.

bb) Die Klägerin hat auch für den Zeitraum ab dem 14. Februar 2013 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2013 ihre Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen.

 (1) Dieser Nachweis ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen im Zusammenhang mit den regelmäßig getroffenen Feststellungen über die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit in den Auszahlungsscheinen für die Krankenkasse.

Die Klägerin hat eine ärztliche Bescheinigung vom 21. Mai 2013, Folgebescheinigungen vom 10. Juli 2013, 31. Juli 2013 und vom 30. August 2013 sowie eine fachärztliche Bescheinigung vom 03. Februar 2014 vorgelegt. In diesen Bescheinigungen bezeugt der behandelnde Arzt eine durchgehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vom 02. Januar 2013 bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt 31. August 2013.

Weiterhin hat die Klägerin die Auszahlungsscheine für das Krankengeld vorgelegt, in denen durchgehend ab dem 01. Februar 2013 im 2- bis 4-Wochenrhythmus jeweils eine künftig weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin durch ihren behandelnden Arzt gegenüber der Krankenkasse bekundet wird. Aus § 4 Abs. 2 der zeitlich hier maßgeblichen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien in der Fassung vom 01. Dezember 2003, zuletzt geändert am 21. Juni 2012, ergibt sich dabei, dass die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit gleichermaßen Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wie für den Anspruch auf Krankengeld ist. Die medizinische Feststellung unterscheidet sich in beiden Fällen nicht. Der von einem Arzt zur Vorlage bei der Krankenkasse ausgestellte "Krankengeldauszahlschein" kann, wenn sich hieraus das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit ergibt, sogar selbst als ordnungsgemäßer Nachweis der Arbeitsunfähigkeit iSd. § 5 Abs. 1 EFZG anzusehen sein (vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 04. April 2007 - 7 Sa 108/07 - Rn. 37, juris).

Die besagten Atteste und die regelmäßig vom Arzt ausgestellten Auszahlungsscheine für die Krankenkasse reichen jedenfalls zusammengenommen aus, um einen Nachweis für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 31. August 2013 zu begründen. Aus den regelmäßigen medizinischen Feststellungen, die den Auszahlungsscheinen zu Grunde liegen, ergibt sich dabei die Legitimation für den Arzt, auch nachträglich eine durchgängig bestehende Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen.

 (2) Aufgrund der durchgehenden Behandlung der Klägerin widerspricht die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit für einen zurückliegenden Zeitraum durch ihren behandelnden Arzt nicht den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Beweiswert der Atteste nicht erschüttert.

Nach § 5 Abs. 3 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien soll die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ersten Inanspruchnahme des Arztes liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu zwei Tagen zulässig. Der Grund für diese Regelung in den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien ist, dass die notwendigen medizinischen Feststellungen hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit für einen noch länger zurückliegenden Zeitraum grundsätzlich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden können. Daher ist im Fall einer nachwirkenden Krankschreibung über zwei Tage hinaus in der Regel von der Erschütterung des Beweiswertes eines solchen Attestes auszugehen (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Mai 2008 - 3 Sa 195/07 - Rn. 47, juris).

Dieser Grund trifft auf den vorliegenden Sachverhalt jedoch nicht zu. Da die Klägerin sich seit dem 02. Januar 2013 durchgehend bei dem die späteren Atteste ausstellenden Arzt in Behandlung befand, bestehen hier keine Bedenken, dass dieser Arzt das Fortbestehen der Erkrankung über Atteste im Nachhinein für den Zeitraum dokumentiert, in dem er fortlaufend die medizinischen Feststellungen hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit getroffen hat.

 (3) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch nicht erforderlich, dass die Klägerin dem Beklagten für den Zeitraum ab 14. Februar 2013 lückenlos und rechtzeitig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG vorgelegt hat.

Zwar ist der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer auch nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 1 EFZG) verpflichtet. Denn die Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht gem. § 5 Abs.1 S. 2-4 EFZG unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer (noch) einen Entgeltfortzahlungsanspruch geltend machen kann (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 24. April 1996 - 3 Sa 449/95 - NZA 1997, 772). Wegen der Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht des § 5 Abs. 1 S. 1- 4 EFZG kann auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums eine Kündigung berechtigt sein (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 04. April 2007 - 7 Sa 108/07 - Rn. 32 ff., juris; LAG Sachsen-Anhalt 24. April 1996 - 3 Sa 449/95 - NZA 1997, 772).

Soweit § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG eine fortbestehende Pflicht zur direkten Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums vorsieht, ist dies jedoch für die hier entscheidende Frage der Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs wegen Arbeitsunfähigkeit nicht relevant.

Die Verpflichtungen nach § 5 EFZG haben insoweit eine andere Zielrichtung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung isd. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG hat nicht nur den Zweck, die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Attest nachzuweisen. Sie soll vielmehr den Arbeitgeber aufgrund der ärztlichen Angaben über die voraussichtliche (Fort-)Dauer der Arbeitsunfähigkeit auch in die Lage versetzen, möglichst frühzeitig die wegen des fortgesetzten Ausfalls des Arbeitnehmers notwendig werdenden betrieblichen Dispositionen treffen zu können (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 24. April 1996 - 3 Sa 449/95 - NZA 1997, 772).

Bei der Frage, ob ein Urlaubsanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit fortbesteht, kommt dieser fortlaufenden Pflicht jedoch keine Bedeutung zu. Es geht nicht darum, dem Arbeitgeber betriebliche Dispositionen zu ermöglichen und ihm bei Verstößen des Arbeitnehmers gegen die Nachweispflicht das Recht zur Abmahnung oder Kündigung zu geben. Zu prüfen ist vielmehr die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit während eines bestimmten Zeitraums und die dadurch bewirkte Aufrechterhaltung eines Urlaubsanspruchs. Dies ist eine Frage des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit und nicht der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten.

 (4) Die Regelung in § 9 BUrlG bestätigt, dass es lediglich auf einen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Zeugnis für den bestimmten Zeitraum ankommt.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden nach § 9 BUrlG die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Entscheidend ist im Anwendungsbereich des § 9 BUrlG, dass ein ärztliches Zeugnis beides bescheinigt: die Krankheit des Arbeitnehmers und die dadurch hervorgerufenen Arbeitsunfähigkeit (Gutzeit in Dornbusch/Fischermeier/Löwisch, Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, 6. Aufl., § 9 BUrlG Rn. 8). Eine Frist zur Vorlage des ärztlichen Attests schreibt das Gesetz für die Nachgewährung nicht vor. Die Regeln des Entgeltfortzahlungsrechts über die Anzeige- und Nachweispflichten sind nicht entsprechend anwendbar (ErfK/Gallner, 15. Aufl., BUrlG § 9 Rn. 5). Die Regelung in § 9 BUrlG betrifft eine dem vorliegenden Fall entsprechende Interessenlage. Es geht um die Aufrechterhaltung eines Urlaubsanspruchs aufgrund nachgewiesener krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Dafür kommt es allein auf ein ärztliches Zeugnis an, dessen Beweiswert nicht erschüttert ist.

2. Der Arbeitsvertrag sieht auch keinen Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs vor. Der Anspruch auf Abgeltung des vertraglichen Mehrurlaubs in Höhe von zehn Tagen nimmt daher mittelbar an der richtlinienkonformen Fortbildung von § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG teil.

Die Vertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt (vgl. BAG 04. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 23, juris). Allerdings müssen für einen Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen. Regel ist der „Gleichlauf“ der Ansprüche. Ausnahme ist ihr unterschiedliches rechtliches Schicksal. Das gilt auch für Arbeitsverträge, die vor der Entscheidung des EuGH in der Sache Schultz-Hoff vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 - AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 1 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 1) geschlossen wurden (BAG 04. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 25, juris).

Solche Anhaltspunkte gibt es hier nicht. Die Parteien haben in § 7 des Arbeitsvertrags ohne jede Unterscheidung zwischen dem gesetzlichen und dem vertraglichen Urlaubsanspruch einen Gesamturlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen festgehalten. Sie haben keine eigenständigen Regeln für die Gewährung und die Abgeltung des vertraglichen Mehrurlaubsanspruchs aufgestellt. Lediglich für den Fall der verschuldeten fristlosen Kündigung sieht der Arbeitsvertrag eine Reduzierung des Urlaubsanspruchs auf den anteiligen gesetzlichen Mindesturlaub vor. Damit haben die Parteien einen Sonderfall des Verlusts des vertraglichen Mehrurlaubs geregelt und ein Verhalten des Arbeitnehmers sanktioniert. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass über die Regelung dieses Einzelfalls hinaus die Ansprüche auf gesetzlichen und vertraglichen Urlaubs generell unterschiedlich laufen sollten.

3. Der Umfang des Abgeltungsanspruchs ergibt sich aus der von dem Beklagten erteilten Urlaubsbescheinigung vom 16. Juli 2012. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin noch 10 Tage Urlaub von insgesamt 30 in § 7 des Arbeitsvertrags vorgesehenen Urlaubstagen. Der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht vorgetragen, wann der Klägerin über die zu diesem Zeitpunkt bewilligten 20 Urlaubstage hinaus die ihr noch zustehenden 10 Urlaubstage für das Jahr 2012 gewährt worden sein sollen.

Soweit es im Betrieb des Beklagten Betriebsferien gab, haben diese jedenfalls nicht zu einer Erfüllung von Urlaubsansprüchen der Klägerin geführt. Wer arbeitsunfähig krank ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden. Ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB kann dann nicht bewirkt werden (vgl. BAG 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 16, juris). Dies gilt gleichermaßen, wenn der Arbeitgeber kraft des ihm obliegenden Direktionsrechts Betriebsurlaub anordnet. Auch dies ist eine Erfüllung von Urlaubsansprüchen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 25. September 2012 - 10 Ta 149/12 - Rn. 4, juris), die bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich ist.

Im Übrigen hat die unterlassene Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen insbesondere in Zeiten eines Betriebsurlaubs vorliegend keinen Erklärungswert. Es gibt keinen Grund, aus dem sich - wie von dem Beklagten angeführt - ein konkludenter Verzicht der Klägerin auf Urlaubsgewährung bzw. Urlaubsabgeltung ergeben könnte.

II. Für das Jahr 2013 stand der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch der volle Urlaubsanspruch von 30 Tagen zu.

Da sie nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, fand keine Zwölftelung des Urlaubsanspruchs nach § 5 BUrlG statt, wie sich aus dem Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG ergibt (vgl. BAG 12. November 2013 - 9 AZR 727/12 - Rn. 17, juris.).

Betriebsferien haben in Bezug auf diesen Urlaub wegen der Erkrankung der Klägerin ebenfalls nicht zu einer Erfüllung von Urlaubsansprüchen geführt.

III. Der Klägerin steht damit insgesamt ein Abgeltungsanspruch für 40 Urlaubstage in Höhe von EUR 1.920,00 brutto zu (40 Tage x EUR 48,00 brutto je Tag).

IV. Die Beklagte hat die Klageforderung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§ 286 Abs. 1 S. 1 iVm. § 288 Abs. 1 BGB).

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.



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