Landesarbeitsgericht Nürnberg

Urteil vom - Az: 7 Sa 243/22

Hörschäden durch Signalhorn des Feuerwehrautos – Kein Schmerzensgeld

Der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII entfällt nicht schon dann, wenn ein bestimmtes und für den Gesundheitsschaden ursächliches Handeln – hier die Betätigung des Signalhorns eines Feuerwehrfahrzeuges – gewollt war. Er entfällt nur dann, wenn auch der Gesundheitsschaden – hier Tinnitus – für den Fall seines Eintritts gewollt war, also mindestens gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wurde.
(Leitsatz des Gerichts)

Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall. Der Kläger und der Beklagte waren Beschäftigte in der Feuerwache einer Kaserne. Der Beklagte wollte ein Feuerwehrfahrzeug zurück auf das Gelände der Feuerwache bringen. Dazu musste er einen engen Hofeinfahrtsbereich passieren. Dort saßen zwei Feuerwehrleute auf einer Parkbank und der Kläger stand mit dem Rücken zum herannahenden Feuerwehrfahrzeug auf dem Bürgersteig. Der Kläger bemerkte das herannahende Fahrzeug nicht. Der Beklagte hielt das Fahrzeug an. Anschließend betätigte er kurz das Signalhorn des Fahrzeuges, um den Kläger und die anderen anwesenden Feuerwehrleute, die sich in dem räumlich engen Einfahrtsbereich befanden, beim Passieren des Feuerwehrfahrzeugs zu warnen. Neben dem Signalhorn verfügt das Fahrzeug über eine Hupe, welche mit dem Signalhorn gekoppelt ist mit dem Effekt, dass die Hupe gleichzeitig das Signalhorn auslöst. Sodann setzte der Beklagte seine Fahrt fort. Der Kläger erlitt durch das Betätigen des Signalhorns einen Gesundheitsschaden und war danach mehr als 18 Monate arbeitsunfähig erkrankt. Der Unfall wurde als Arbeitsunfall anerkannt. Mit seiner Klage begehrte der Kläger vom Beklagten Schmerzensgeld in Höhe von 16.800 Euro.
Der Kläger hat keine Ansprüche gegen den Beklagten auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz nach § 823 BGB – so das LAG. Er sei mit diesen Ansprüchen ausgeschlossen nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Der Beklagte war bei Betätigung des Signalhorns betrieblich tätig und handelte ohne Vorsatz. Das Betätigen des Signalhorns stehe in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der zu erledigenden Arbeit des Beklagten, das Fahrzeug an den vorgesehenen Abstellplatz zu verbringen. Die Handlung des Beklagten sei primär auf die Erledigung betrieblicher Interessen gerichtet gewesen. Hierzu zählt auch die akustische Warnung anderer Mitarbeiter oder Betriebsfremder vor einer gefahrenträchtigen Situation beim Rangieren mit einem schweren Fahrzeug.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 30.05.2022 - 3 Ca 5672/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall.

Der 1970 geborene Kläger und der Beklagte waren Beschäftigte der U... in der Feuerwache der Kaserne in A....

Der Beklagte wollte am 14.08.2018 ein Feuerwehrfahrzeug zurück zum Unterbringungsort auf dem Gelände der Feuerwache bringen. Dazu musste er einen engen Hofeinfahrtsbereich passieren. Dort saßen zwei Feuerwehrleute auf einer Parkbank und der Kläger stand mit dem Rücken zum herannahenden Feuerwehrfahrzeug auf dem Bürgersteig. Er bemerkte das herannahende Fahrzeug nicht. Der Beklagte hielt das Fahrzeug an. Anschließend betätigte er kurz das Signalhorn des Fahrzeuges. Danach setzte er seine Fahrt langsam fort.

Nur der Kläger erlitt durch das Betätigen des Signalhorns einen Gesundheitsschaden. Er begab sich in ärztliche Behandlung. Er war danach mehr als 18 Monate arbeitsunfähig erkrankt.

Die Unfallversicherung Bund und Bahn (UVB) ließ einen Unfallbericht erstellen. In diesem Zusammenhang wurde die Unfallsituation nachgestellt. Nach dem Unfalluntersuchungsbericht vom 23.07.2019 (Bl. 7 ff der Akte) wurde für eine Entfernung von ca. vier Metern von dem Lufthorn ein Spitzenschalldruck von 137 bis 140 dBC gemessen. Ferner wurde ein HNO-Gutachten eingeholt. Das Gutachten vom 12.08.2019 (Bl. 26 ff der Akte) kam zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geltend gemachten Gleichgewichtsstörungen auf dem HNO-ärztlichen Gebiet nicht objektiviert werden könnten, aber eine Zunahme der Hörminderung und ein beidseitiger Tinnitus mit Wahrscheinlichkeit auf den Vorfall vom 14.08.2018 zurückzuführen seien. Ferner wurde eine bereits am 05.04.2017 festgestellte Vorschädigung in Form einer Hochtonsenke festgestellt. Der Unfall wurde als Arbeitsunfall anerkannt.

Mit Bescheid vom 03.01.2019 (Bl. 44 der Akte) wurde ein GdB von 30 anerkannt.

Neben dem Signalhorn verfügt das Fahrzeug über eine Hupe, welche jedoch nicht alleine betätigt werden kann, sondern gleichzeitig das Signalhorn auslöst.

Mit Klage zum Arbeitsgericht Nürnberg begehrte der Kläger Schmerzensgeld, Feststellung der Ersatzpflicht von Folgeschäden und die Erstattung vorgerichtlicher Kosten.

Er trug vor, er habe durch die Betätigung des Signalhorns gesundheitliche Schäden erlitten, an denen er immer noch leide. Auf das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII könne sich der Beklagte nicht berufen.

Es liege schon keine betriebliche Tätigkeit vor. Allein aus der Benutzung eines Betriebsmittels könne noch nicht auf eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Er vermute, der Beklagte habe ihn durch die Betätigung des Lufthorns erschrecken wollen, also nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit, sondern nur bei Gelegenheit und anlässlich einer solchen gehandelt. Gleiches gelte beispielhaft für einen Polizisten, der ohne Berechtigung einen Warnschuss in die Luft abgebe.

Zum anderen habe der Beklagte jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt mit der Betätigung des Signalhorns für ca. eine Sekunde. Der Beklagte habe gewusst, dass er keinen Gehörschutz getragen habe, obwohl dieser ausweislich der Dienstvorschriften bei der Überprüfung des Signalhorns getragen werden müsse. Es gebe auch keine Dienstvorschrift, die eine Betätigung des Lufthorns beim Rangieren vorsehe. Gem. §§ 35, 38 StVO sei der Einsatz des Martinshorns nur für bestimmte Fälle zugelassen (Leben retten, Gefahren abwenden, Allgemeinwohl). Somit habe der Beklagte, der als Feuerwehrmann auch gezielt im Einsatz von Warnsignalen geschult sei, einen durch das Signalhorn verursachten Schaden bewusst in Kauf genommen.

Der Kläger beantragte erstinstanzlich:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter 16.800,00 € ausgegangen werden soll.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle Folgeschäden, welche derzeit noch nicht absehbar sind, wie z.B. Vermögenseinbußen aufgrund Arbeitsunfähigkeit, welche auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sind, anzuerkennen, und sämtliche hieraus folgenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3. Der Beklagte hat überdies die vorgerichtlichen Kosten i.H.v. 1.072,77 € des Klägers zu tragen.

Das Erstgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.05.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass mit dem Betätigen des Signalhorns zur Warnung der umstehenden Personen eine betriebliche Tätigkeit vorgelegen habe. Der Beklagte habe auch weder das Unfallereignis noch den Personenschaden des Klägers vorsätzlich herbeigeführt.

Das Urteil wurde dem Kläger am 02.06.2022 zugestellt. Er legte dagegen am 29.06.2022 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 02.09.2022 am 29.08.2022.

Der Kläger trägt in der Berufung vor:

Ein Haftungsausschluss liege nicht vor. Die Betätigung des Signalhorns sei lediglich bei Gelegenheit im Betrieb ausgeübt worden und folglich dem persönlich privaten Bereich des Beklagten zuzurechnen. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Betätigen des Signalhorns unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit untypisch sei und einen Exzess darstelle. Er, der Kläger, sei völlig unbedarft mit dem Rücken zum Fahrzeug in einem Abstand von vier Metern gestanden. Die Betätigung des Signalhorns sei exzessiv gewesen. Dem Beklagten sei bewusst gewesen, dass er ihn, den Kläger, erschrecken werde. Er sei völlig unbedarft in einer Entfernung von ca. vier Metern mit dem Rücken zum Fahrzeug gestanden und es habe sich um ein Signalhorn der U... mit knapp 140 dB+ gehandelt. Diese Situation sei dem Beklagten klar gewesen. Es sei auch allgemein bekannt, dass ein sehr lauter Ton bei unmittelbarer Einwirkung auf den Körper eine Schädigung des Gehörs verursachen könne.

Der Kläger und Berufungskläger stellt folgende Anträge:

1. Auf die Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.05.2022 nach Maßgabe der folgenden Punkte abzuändern und der Klage stattzugeben.

2. Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter € 16.800,00 ausgegangen werden soll.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger alle Folgeschäden, welche derzeit noch nicht absehbar sind, wie z.B. Vermögenseinbußen auf Grund Arbeitsunfähigkeit, welche auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sind, anzuerkennen, und sämtliche hieraus folgende materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

4. Der Beklagte und Berufungsbeklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger und Berufungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Beklagte trägt in der Berufung vor:

Die Betätigung des Signalhorns sei betrieblich veranlasst gewesen. Das Erstgericht habe zutreffend festgestellt, dass es zur Warnung der umstehenden Personen diente ebenso wie das Bewegen des schweren Fahrzeugs selbst. Es habe sich nicht um einen Schabernack gehandelt, sondern um das angemessene und erforderliche Mittel, um vor einer Gefahrensituation zu warnen.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2022 führt der Kläger dazu noch aus, dass es einer Warnung für ihn nicht bedurft hätte, da er an einem Fahrzeug gelehnt hätte und der Beklagte ihn gar nicht hätte anfahren können.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Klägers vom 29.08.2022 und die Berufungserwiderung vom 13.09.2022.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft nach §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2b ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden nach § 66 Abs. 1 ArbGG,

§§ 519, 520 ZPO.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keine Ansprüche gegen den Beklagten auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz nach § 823 BGB. Er ist mit diesen Ansprüchen ausgeschlossen nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Der Beklagte war bei Betätigung des Signalhorns betrieblich tätig und handelte ohne Vorsatz.

Das Erstgericht ist insoweit mit sorgfältiger und zutreffender Begründung zum zutreffenden Ergebnis gelangt. Das Gericht nimmt daher Bezug auf die sorgfältigen und richtigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Erstgerichtes und macht sich diese zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen führt das Gericht noch aus:

1. Die Berufung meint, der Beklagte habe sich untypisch und exzessiv verhalten. Das Betätigen des Signalhorns sei nur bei Gelegenheit im Betrieb ausgeübt worden und nicht im betrieblichen Interesse.

a) Nach der Rechtsprechung des BAG ist die betriebliche Tätigkeit i.S.d. § 105 Abs. 1 SGB VII grundsätzlich mit der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gleichzusetzen. Dabei ist entscheidend für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des Haftungsausschlusses die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wurde. Eine betriebliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer eine Aufgabe verrichtet, die in den engeren Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenkreises fällt. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Die Tätigkeit des Schädigers muss im vorgenannten Sinne betriebsbezogen sein. Die Art, wie die Tätigkeit ausgeführt wird (sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig), entscheidet nicht darüber, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht. Der betriebliche Charakter der Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, dass der Arbeitnehmer bei der Ausführung der Tätigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Verhaltenspflichten verletzt.

Für die Haftungsfreistellung ist nach der Rechtsprechung des BAG maßgeblich, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit im dargestellten Sinne oder aber bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb durch den Schädiger verursacht wurde und folglich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt daher immer, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft. Es kommt mithin darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Dabei kommt es auf die Sicht des Schädigers an und nicht auf die Sichtweise des Geschädigten. Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt, BAG, Urteil vom 22.04.2004 - 8 AZR 159/03 -, Rn. 26 ff, zitiert nach juris.

b) Im vorliegenden Fall führt die Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze zur Annahme einer betrieblich veranlassten Tätigkeit bei der Betätigung des Signalhorns durch den Beklagten. Der Beklagte war im betrieblichen Interesse mit dem Fahrzeug unterwegs. Er war mit dem Fahrzeug auf dem Weg, um es an dem dafür vorgesehenen Unterbringungsort abzustellen. Er rangierte in einem unstreitig engen räumlichen Umfeld. Die beengte räumliche Situation zeigen auch die Fotos in der Anlage zum Unfalluntersuchungsbericht der UVB vom 23.07.2019 (Bl. 21 der Akte). In diesem Umfeld hielten sich auch mehrere Personen auf. Nach dem unbestrittenen Vorbringen waren diese Personen teilweise in Bewegung, standen teilweise auch herum oder verrichteten etwas. Diese Personen hatten zumindest teilweise das Fahrzeug nicht bemerkt. So nimmt der Kläger ausdrücklich in der Berufung für sich in Anspruch, mit dem Rücken zu dem Fahrzeug auf dem Gehsteig gestanden zu sein und völlig "unbedarft" gewesen zu sein. Der Beklagte betätigte nach dem Einfahren in den engen Bereich und vor der eigentlichen Rangiertätigkeit das Signalhorn und machte damit alle in dem Bereich Anwesenden unmissverständlich darauf aufmerksam, dass auf das von ihm gelenkte Fahrzeug zu achten war. Sein Handeln diente damit der Gefahrenvorsorge und war insoweit betrieblich veranlasst. Eine ausschließlich gegen die Person des Klägers gerichtete Tätlichkeit mit dem Ziel, diesen zu erschrecken, kann darin nicht gesehen werden. In gleicher Weise mussten auch andere Personen in dem Bereich, die das Fahrzeug ebenfalls noch nicht bemerkt hatten, aufmerksam werden. Das Betätigen des Signalhorns steht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der zu erledigenden Arbeit des Beklagten, das Fahrzeug an den vorgesehenen Abstellplatz zu verbringen. Die Handlung des Beklagten war im Ergebnis auf die Erledigung betrieblicher Interessen gerichtet. Dazu zählt auch die akustische Warnung anderer Mitarbeiter oder Betriebsfremder vor einer gefahrenträchtigen Situation beim Rangieren mit einem schweren Fahrzeug.

Der Beklagte hätte als milderes Mittel der Warnung vor Gefahren nicht alleine die Hupe betätigen können, die nicht den Schalldruck eines Signalhorns erreicht. Unstreitig zwischen den Parteien waren Hupe und Signalhorn bei dem Feuerwehrfahrzeug gekoppelt mit dem Effekt, dass die Hupe nicht alleine bedient werden konnte. Das mildere Mittel wäre gewesen, das Seitenfenster herunterzukurbeln und die umstehenden Personen durch lautes Rufen zu warnen. Entscheidungserheblich ist dies jedoch nicht. Das Betätigen des Signalhorns nimmt diesem nicht den Charakter der betrieblichen Tätigkeit, weil der Beklagte damit nicht das mildeste zur Verfügung stehende Mittel wählte.

2. Die Berufung meint ferner, der Beklagte habe mit Vorsatz gehandelt.

a) Nach der Rechtsprechung des BAG entfällt der Haftungsausschluss nicht bereits dann, wenn ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich gewesen ist, gewollt und gebilligt wurde. Für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist vielmehr ein "doppelter Vorsatz" erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen, BAG, Urteil vom 10.10.2002 - 8 AZR 103/02 -, Rn. 18, zitiert nach juris; in jüngerer Zeit BAG, Urteil vom 28.11.2019 - 8 AZR 35/19 -, Rn. 46, zitiert nach juris.

Vorsätzliches Verhalten in diesem Sinne liegt in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht schon vor, wenn der Schädiger den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht oder es ihm gleichgültig ist, ob ein derartiger Erfolg eintritt mit der Annahme, es werde schon nichts passieren. Bedingter Vorsatz liegt erst vor, wenn der möglicherweise eintretende Erfolg in Gestalt des eingetretenen Personenschadens für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wird.

Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich beim Kläger, Kasseler Kommentar, 115. Ergänzungslieferung, 2021, SGB VII, § 104, Rn. 20. Der Kläger muss deshalb Umstände schildern, die den Schluss auf eine vorsätzliche Handlung im genannten Sinne begründen.

b) Im vorliegenden Fall führt die Anwendung dieser Rechtsprechungsmaßstäbe dazu, dass nicht von einem vorsätzlichen Handeln des Beklagten ausgegangen werden kann. Er hat das Signalhorn absichtlich betätigt, die Verletzungshandlung also absichtlich begangen. Den Verletzungserfolg dagegen hat er nicht gebilligt. Es ging ihm nach den Umständen nicht darum, den Kläger und eventuell andere in der Nähe befindliche Personen zu verletzen. Die Umstände sprechen eher dagegen. Unstreitig waren mehrere Personen in dem engen räumlichen Umfeld anwesend. In unmittelbarer Nähe zum Kläger saßen zwei andere Feuerwehrleute auf einer Bank und unterhielten sich mit dem Kläger. Im Hinblick auf diese räumliche Situation hätte der Beklagte den Verletzungserfolg nicht nur hinsichtlich des Klägers haben dürfen. Es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte im Sachverhalt dafür, dass der Beklagte einen Gehörschaden bei drei seiner Kollegen gewollt hätte im Sinne eines billigenden Inkaufnehmens. Insoweit ist auch nicht zu übersehen, dass der Kläger selbst geltend macht, der Beklagte habe ihn nur erschrecken wollen. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Beklagte den Kläger eben nur erschrecken wollte, aber nicht in seiner Gesundheit verletzen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger nach § 97 ZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen nach § 72 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ArbGG.



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