Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Beschluss vom - Az: 7 TaBV 22/16

Geplante Betriebsteilschließung - Gericht bestellt Einigungsstelle bei Streit über "Wesentlichkeit" des Betriebsteils

(1.) Der Betriebsrat kann beantragen, dass das Arbeitsgericht einen Vorsitzenden für die Einigungsstelle bestellt (§ 100 ArbGG).

(2.) Der Antrag ist etwa dann unbegründet, wenn die Einigungsstelle an sich offensichtlich unzuständig ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Betriebsrat in der streitigen Angelegenheit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Grundsätzlich hat die Einigungsstelle jedoch selbst ihre Zuständigkeit zu prüfen.

(3.) Besteht Streit darüber, ob eine Betriebsänderung einen wesentlichen Teil des Betriebs betrifft und daher über Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln ist, so resultiert hieraus noch nicht die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle.

(4.) Die offensichtliche Unzuständigkeit für einen Interessenausgleich ist auch nicht deswegen gegeben, weil eine verübergehende Betriebsteilsschließung nun dauerhaft beibehalten werden soll. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Wiedereröffnung der Abteilung immernoch möglich ist. Dafür, dass eine solche Möglichkeit nicht mehr besteht, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.
(Redakationelle Orientierungssätze)

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 11. August 2016, Az. 5 BV 22/16, wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach § 100 ArbGG über die Einsetzung einer Einigungsstelle.

Die Beteiligte zu 2) ist im Bereich der Fensterproduktion aus unterschiedlichen Materialien tätig und beschäftigt am Standort A-Stadt circa 390 Beschäftigte. Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb gebildete Betriebsrat.

Nachdem die Abteilung "Isolierglas" zunächst vorübergehend geschlossen war, teilte die Beteiligte zu 2) dem Beteiligten zu 1) unter dem 17. Mai 2016 mit, dass sich die testweise Schließung dieser Abteilung als sinnvoll erwiesen habe und die Abteilung nicht wiedereröffnet werde. Die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer wurden in andere Bereiche "versetzt", der Mitarbeiter M. (Leiter der Abteilung Isolierglasfertigung) verließ das Unternehmen zwischenzeitlich auf eigenen Wunsch.

Die Beteiligte zu 2) lehnte Verhandlungen gemäß § 111 BetrVG ab, der Beteiligte zu 1) stellte mit Beschluss vom 8. Juli 2016 das Scheitern der Verhandlungen fest.

Mit am 2. August 2016 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift begehrte der Beteiligte zu 1) die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan".

Der Beteiligte zu 1) hat vorgetragen,

die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Das ergebe sich schon aus einer quantitativen Betrachtung. Neben den in der Abteilung bis zu deren Schließung beschäftigten 23 Arbeitnehmern J. P., Be. D., U. Sch., Ed. Fr., Pa. Pl., Rm. Sr., To. Bn., Ta. Gs., Ha. Or., Mo. Hr., Al. Gz., Ba. Sz., St. Pt., Ga. Ab., Al. Sm., Gr. Re., We. Kn., Ue. Gn., Vi. Ko., Br. Bo., Mu. Ro., Er. Bc. und De. Wn. seien weiter die Arbeitnehmer F. M. (Abteilungsleiter), Hl. Hf. (langzeiterkrankt) und Hn. Y. (Elternzeit) zu berücksichtigen. Auch betreffe die Betriebsänderung nicht nur die Abteilung "Isolierglas", sondern auch weite Teile der Produktion sowie produktionsnahe Bereiche (Einkauf, Lager, Materialwirtschaft), die ganz oder zum Teil neu organisiert würden. Allein die Einarbeitung der "versetzten" Kollegen ziehe eine Mehrbelastung und Leistungsverdichtung nach sich.

Der Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich beantragt,

1.    den Richter am ArbG O. a. D. Q. Z. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan" zu bestellen,

2.    die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen,

die Maßnahme sei nicht interessenausgleichspflichtig, zumindest nicht mehr nach vollständiger Umsetzung der Maßnahme. Sämtliche betroffene Mitarbeiter seien seit nunmehr über 3 Monaten nicht mehr in der Isolierglasfertigung beschäftigt und an den neuen Arbeitsplätzen vollständig eingearbeitet.

Eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation sei nicht gegeben. Es  seien lediglich 23 Arbeitnehmer, entsprechend circa 5,9 % der Belegschaft im Betrieb betroffen. Es könne nicht praktisch jeder Mitarbeiter hinzugerechnet werden, der in den "aufnehmenden anderen Abteilungen" beschäftigt werde. Dies gebiete das Interesse des Arbeitgebers an Rechtssicherheit.

Die Einigungsstelle sei auch offensichtlich unzuständig, wenn ein Interessenausgleich nicht mehr möglich sei, weil die Betriebsänderung schon abgeschlossen sei. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich hätten keinen Sinn mehr, wenn sowohl "Ob" als auch "Wie" der Betriebsänderung bereits feststünden oder die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden sei.

Es liege auch keine sozialplanpflichtige Maßnahme vor. Wirtschaftliche Nachteile existierten nicht.

Das Arbeitsgericht Trier hat durch Beschluss vom 11. August 2016 den RArbG O. a. D. Q. Z. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan" bestellt. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisit­zer hat es auf zwei festgelegt.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt,

ein Rechtsschutzinteresse für den zulässigen und hinreichend bestimmten Antrag bestehe. Der Antrag habe auch in der Sache Erfolg. Zwar seien Bedenken an der Zuständigkeit einer Einigungsstelle, jedenfalls bezüglich der Verhandlungen über einen Interessenausgleich, zu verzeichnen. Eine Offensichtlichkeit der Unzuständigkeit einer Einigungsstelle habe indes nicht vorgelegen.

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Gründe II. des Beschlusses des Arbeitsgerichts Trier (Bl. 58 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der genannte Beschluss ist der Beteiligten zu 2) am 16. August 2016 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 30. August 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Zur Begründung der Beschwerde macht die Beteiligte zu 2) nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 7. November 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 65 ff., 125 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

eine Betriebsänderung im Sinn des § 111 BetrVG liege nicht vor. Die Quote nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG sei nicht erreicht. Aus den Zahlen ergebe sich nur eine Betroffenheit von potenziell 24 Arbeitnehmern und damit von etwa 6 % der Belegschaft im Betrieb. Die tatsächliche Betroffenheit dürfte eher bei 21 Mitarbeitern liegen, da die Mitarbeiter Y. aufgrund Elternzeit und die Beschäftigten P. und Hf. als langzeitkranke Arbeitnehmer (Herr Hf. sei seit dem 10. Dezember 2015 aus der Entgeltfortzahlung) nicht regelmäßig beschäftigt worden seien. Insbesondere gehe sie bei Herrn P. aufgrund der Rentennähe (Eintritt voraussichtlich zum 1. November 2016) nicht davon aus, dass er wieder in den Betrieb zurückkehren werde.

Der Mitarbeiter Or. habe bereits zuvor keine eigentliche Tätigkeit der Produktion ausgeführt. Er sei vielmehr an der Schnittstelle zwischen Produktion und Weiterverarbeitung tätig. Das heißt, er prüfe erzeugtes Glas und bestimme die Art und Weise der Verwendung in der weiteren Produktion. Die Verantwortung liege darin, die richtigen Teile zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bereitzustellen. Diese Aufgabe falle unverändert an. Der Unterschied bestehe lediglich darin, dass nunmehr zugekauftes Glas in dieser Art und Weise behandelt werde. Dieses müsse ebenso angenommen, geprüft, einsortiert und intern an die verschiedenen Produktionsabteilungen kommissioniert werden. Dementsprechend sei gegenüber diesem Mitarbeiter auch keine Versetzung ausgesprochen worden.

Auch die Mitarbeiterin U. Sch. sei nicht Teil der Produktion gewesen. Sie sei als Disponentin verantwortlich für die Zusammenstellung der Optimierungsläufe in der Isolierglasherstellung (Reduzierung von Verschnitt etc.). Hierbei handele es sich um Arbeit, die der Produktion vorausgehe. Auch diese Tätigkeit bestehe unverändert. Die Mitarbeiterin nehme entsprechende Berechnungen weiter vor, wobei nunmehr nicht die eigene Produktion, sondern das externe Unternehmen nach den entsprechenden Anweisungen produziere. Sie habe keine neue Arbeit erlernen müssen, sondern habe allenfalls andere Empfänger ihrer Arbeitsergebnisse.

Dass alle Mitarbeiter des Betriebsteils nunmehr einen neuen Vorgesetzten hätten, sei der Tatsache geschuldet, dass Herr M. das Unternehmen verlassen habe.

Sie habe nicht die Verarbeitung von Isolierglas, sondern ausschließlich die Eigenproduktion eines Vorproduktes eingestellt. Die Isolierglasproduktion sei auch in qualitativer Hinsicht für sie kein besonders wichtiger Geschäftsbereich. Die Umstellung auf Zukauf sei problemlos verlaufen. Die Kostenstelle „Isolierglasfertigung“ sei im Rahmen der Schließung dieser Abteilung aufgelöst worden. Hierzu sei der Beteiligte zu 1) auch zu Versetzungen angehört worden, die keine Versetzungen im Sinn des § 95 Abs. 3 BetrVG sein dürften.

Betriebsbedingte Kündigungen seien nicht beabsichtigt. Einen besonderen Ausbildungsbedarf für die versetzten Mitarbeiter sehe sie nicht. Am 15. August 2016 habe sie nochmals mit den betroffenen Mitarbeitern (soweit nicht erkrankt oder im Erholungsurlaub) besprochen, ob diese einen Fortbildungsbedarf sähen. Dabei hätten lediglich zwei Arbeitnehmer überhaupt einen Bedarf geäußert. Entsprechende Maßnahmen würden erfolgen. Für den 31. August 2016 sei geplant gewesen, mit weiteren Beschäftigten diese Thematik zu besprechen. Die Mitarbeiter, die bis dahin weiter erkrankt seien, würden ein entsprechendes Angebot schriftlich erhalten.

Sie ist der Ansicht, die Auffassung, die Zahlenwerte des § 17 KSchG seien nur eine grobe "Richtschnur", wobei es genüge, wenn diese annähernd erreicht würden, sei nicht überzeugend. Sie führe für Arbeitgeber dazu, dass die Interessenausgleichspflicht nicht ermittelbar sei.

Die Einigungsstelle sei auch offensichtlich unzuständig, weil die Maßnahme umgesetzt sei. Es gebe keinen Anspruch darauf, eine bereits erfolgte Schließung einer Produktion durch Wiederaufbau rückgängig zu machen.

Dass der Betriebsrat Versetzungen gerichtlich angreife, könne nicht dazu führen, dass eine Schließung nicht abgeschlossen sei. Dann hätte es der Betriebsrat in der Hand, selbst für Jahre zurückliegende Vorgänge noch eine Einigungsstelle zu erzwingen, um unabwendbare Kosten zu verursachen.

Soweit der Beteiligte zu 1) einen Sozialplan zum Gegenstand der Einigungsstelle machen wolle, sei jedenfalls hierfür eine Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Wirtschaftliche Nachteile entstünden den Arbeitnehmern nicht.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 11. August 2016 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.                       

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 1) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe des Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 22. September 2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 102 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Die vom Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig.

Entgegen der Darstellung der Beklagten zu 2) seien 26 Beschäftigte in der Abteilung Isolierglas tätig gewesen. Auch die Beschäftigten U. Sch. und Ha. Or. seien dieser Abteilung und der dazu gehörigen Kostenstelle zugeordnet gewesen. Dass diese beiden Mitarbeiter keine unmittelbar der Produktion zuzuordnenden Tätigkeiten, sondern sogenannte produktionsnahe Tätigkeiten für die Abteilung Isolierglasfertigung ausgeübt hätten, ändere hieran nichts.

Für die Arbeitnehmerin Sch. ergebe sich das schon aus den Anhörungsbögen vom 8. Juni 2016 und 20. Juli 2016. Sie sei „von der Abteilung Isolierglasfertigung“ zunächst in die „Disposition“ und dann in den „Einkauf“ versetzt worden.

Herr Or. sei ebenfalls der Abteilung „Isolierglasfertigung“ und der entsprechenden Kostenstelle 41000 zugeordnet und für diese Abteilung im Bereich der Qualitätssicherung tätig gewesen. Sein Vorgesetzter sei der Leiter der Abteilung Isolierglasfertigung F. M. gewesen. Er sei zudem gegenüber vier Beschäftigten der Fertigung, den so genannten Glassortierern, weisungsbefugt gewesen. Alle hätten in der Fertigungshalle eng mit den übrigen Beschäftigten der Isolierglasabteilung zusammengearbeitet. Die vier Glassortierer seien aus Anlass der Abteilungsschließung in die Abteilung „Produktionslogistik“ versetzt worden. Dort sortierten sie jetzt das zugekaufte Glas. Neuer Vorgesetzter für Herrn Or. sei Pe. Fn..

Er, der Beteiligte zu 1), sei ursprünglich mit der vorübergehenden Schließung der Isolierglasabteilung einverstanden gewesen vor dem Hintergrund, dass es sonst – so die Beteiligte zu 2) seinerzeit – zu kostenträchtigen Lieferverzögerungen käme, die man unproblematisch mit den Beschäftigten der Isolierglasabteilung vermeiden könne. Von einer „Make or buy“-Entscheidung und einer darauf beruhenden Schließung habe er tatsächlich erstmals im Mai 2016 erfahren.

Hinsichtlich der Versetzungen der Beschäftigten Ko., Re., Hr., Bo., Pl., Gn., Kn., Wn., Gs. und Sch. habe zwischenzeitlich erneut wegen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung die Zustimmung verweigert werden müssen. Eine Anhörung über die Zustimmung zu vorläufigen Versetzungen sei seitens der Beteiligten zu 2) nicht eingeleitet worden, so dass erneut die Aufhebung der rechtswidrig durchgeführten Maßnahmen gerichtlich veranlasst werden müsse.

Er ist der Ansicht, es könne sich bei der streitigen Maßnahme zudem um eine Betriebsänderung gemäß § 111 S. 3 Nrn. 4 und 5 BetrVG handeln. Des Weiteren sei von der Beteiligten zu 2) parallel zur Schließung mit dem Aufbau einer „zentralen Materialwirtschaft und eines Zentrallagers“ begonnen worden. Ob dies auf einer einheitlichen Maßnahme beruhe, müsse die Zuständigkeitsprüfung vor der Einigungsstelle ergeben.

Der Beteiligte zu 1) bestreitet, dass es keine maßnahmenbedingten Nachteile gibt. Es sei etwa der maßnahmenbedingte Nachteil „Zuweisung und Einarbeitung in völlig neue Tätigkeit“ sowie das damit verbundene Risiko gegeben, aufgrund fehlender oder nicht hinreichender Einarbeitung/Qualifizierung und dadurch drohender Schlechtleistung den Arbeitsplatz zu verlieren.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 9. November 2016 (Bl. 132 ff. d. A.) und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.1. Die nach § 100 Abs. 2 S. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist gemäß §§ 100 Abs. 2 S. 2 und 3, 87 Abs. 2 form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

2. In der Sache hatte die Beschwerde der Beteiligten zu 1) jedoch keinen Erfolg.

Eine Einigungsstelle mit dem vom Beteiligten zu 1) beantragten Regelungsgegenstand ist nicht offensichtlich unzuständig.

a) Im Verfahren nach § 100 ArbGG ist die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung der Einigungsstelle weitgehend eingeschränkt. Von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Sinn des § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist nur dann auszugehen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfall beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (vgl. BAG, Beschluss vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89 - NZA 1990, 571, 572 m. w. N.; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2011 - 26 TaBV 1298/11 - juris Rz. 40). Die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle ist einem Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten. Die von der Einigungsstelle vertretene Rechtsauffassung unterliegt dann der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung.

Gibt es bei einer Rechtsfrage eine gefestigte und abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung, der zu Folge dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zustehet, so ist davon auszugehen, dass die dazu begehrte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (LAG Niedersachen, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 1 TaBV 112/12 - juris Rz. 37 m. w. N.). Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle auch dann, was die zugrunde zu legenden Tatsachen anbelangt, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsachengrundlage zwar streitig ist, die Richtigkeit der für die Unzuständigkeit der Einigungsstelle sprechenden Tatsachen dem Gericht im Sinn von § 291 ZPO jedoch offenkundig ist oder offenkundig gemacht wird (LAG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2014 - 5 TaBV 3/14 - juris Rz. 42 m. w. N.). Streitige Tatsachen sind im Verfahren nach § 100 ArbGG nur einer Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen. Raum für eine Beweisaufnahme besteht nicht (LAG Hessen, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 4 TaBV 128/08 - juris Rz. 23).

b) Vorliegend kommt eine Zuständigkeit der Einigungsstelle aus § 111 S. 3 Nr. 1, 112 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BetrVG in Betracht. Es könnte eine Einschränkung und Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils, nämlich des Bereichs Isolierglas vorliegen.

Nach § 111 S. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Die Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Arbeitgebers besteht nach § 111 S. 1 BetrVG allerdings nur bei geplanten Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft haben können. Satz 3 des § 111 BetrVG enthält eine beispielhafte Aufstellung von Tatbeständen, die als Betriebsänderung im Sinn des Satzes 1 gelten. Liegt einer der Tatbestände des § 111 S. 3 BetrVG vor, ist nicht mehr zu prüfen, ob nachteilige Folgen für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zu erwarten sind. Diese werden in den dort genannten Fällen fingiert (BAG, Urteil vom 9. November 2010 - 1 AZR 708/09 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 69 Rz. 13 m. w. N.). Dass tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstanden sind oder entstehen, ist nicht erforderlich. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen, ist bei der Aufstellung des Sozialplans - gegebenenfalls von der Einigungsstelle - zu prüfen und zu entscheiden (BAG, Beschluss vom 25. Januar 2000 - 1 ABR 1/99 - NZA 2000, 1069, 1070 m. w. N.; vom 17. August 1982 - 1 ABR 40/80 - NJW 1983, 1870, 1871).

Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung im Sinn des Satzes 1 die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von Betriebsteilen. Unter einer Stilllegung eines Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen. Dagegen liegt eine Betriebseinschränkung vor, wenn der Betriebszweck zwar weiterverfolgt wird, dies jedoch unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht. Die Stilllegung oder Einschränkung eines Betriebsteils ist dann eine Betriebsänderung im Sinn der Nr. 1, wenn ein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Insoweit ist auf die Zahlengrenzen des § 17 Abs. 1 KSchG zurückzugreifen. Wesentlich ist ein Betriebsteil danach jedenfalls dann, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt wird (quantitative Betrachtung). Dies ist der Fall, wenn die Zahlenwerte des § 17 KSchG erfüllt und im Betriebsteil mindestens 5 % der Belegschaft tätig sind (BAG, Urteil vom 9. November 2010 - 1 AZR 708/09 - NZA 2011, 466; vom 7. August 1990 - 1 AZR 445/89 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34). Die in § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG angegebenen höheren Zahlengrenzen sind für das Vorliegen einer Betriebsänderung irrelevant; sie sind nur maßgeblich für die Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.

Der Bereich Isolierglas ist ein Betriebsteil im Sinn des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG. Diesen hat die Beklagte zunächst vorübergehend geschlossen und sodann dem Beteiligten zu 1) unter dem 17. Mai 2016 mitgeteilt, dass die Abteilung nicht wiedereröffnet werde. Dieser Bereich könnte auch für den ganzen Betrieb "wesentlich" sein. Im Betrieb der Beteiligten zu 2), in dem insgesamt circa 390 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist ein Betriebsteil wesentlich, wenn von der Stilllegung des Bereichs 10 % der Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer betroffen sind.

In der Abteilung Isolierglas waren unstreitig mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigt. Weiter sind auch die beiden Mitarbeiter, die längere Zeit erkrankt sind als auch der Mitarbeiter in Elternzeit von der Schließung dieses Bereichs betroffen. Hinsichtlich weiterer Arbeitnehmer, nämlich der Mitarbeiterin U. Sch. und dem Beschäftigten Or. ist zwischen den Parteien streitig, ob sie zum betroffenen Betriebsteil gehören. Es ist insoweit jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch diese von der Stilllegung betroffen und mitzuzählen sind.

Frau U. Sch. war sowohl dieser Kostenstelle zugeordnet als auch wurde sie laut den Anhörungsbögen betreffend ihre Versetzungen von der Abteilung „Isolierglasfertigung“ zunächst in die „Disposition“ und sodann in den „Einkauf“ versetzt. Ihr Arbeitsplatz verändert sich nach dem Vortrag der Beteiligten zu 2) durch die Schließung des Bereichs Isolierglas jedenfalls insoweit als sie nunmehr Berechnungen und Anweisungen für externe Unternehmen erstellt. Sie könnte damit von der Schließung der Abteilung betroffen sein.

Auch Herr Or. könnte zur Abteilung Isolierglas zu zählen sein. Er war ebenfalls dieser Kostenstelle zugeordnet. Deren Leiter F. M. war er unterstellt und selbst gegenüber vier Glassortierern der Abteilung (Wn., Kn., Ko. und Gz.) weisungsbefugt. Nach der Abteilungsschließung ergeben sich für ihn ebenfalls neue Berührungspunkte mit externen Zulieferern.

Die Beteiligte zu 2) hat die Mitarbeiterin U. Sch. und den Mitarbeiter Ha. Or. erstinstanzlich auch selbst bei der Berechnung der betroffenen Mitarbeiter der Abteilung mitgezählt.

Die Zahlenwerte des § 17 KSchG könnten damit erfüllt sein, ohne dass es darauf ankäme, ob die Werte des § 17 KSchG starr sind oder diese Zahlengrenzen nur annähernd erreicht werden müssten (so ErfK/Kania, 17. Aufl. 2017, § 111 BetrVG Rn. 11).

Weiter kann dahinstehen, ob neben den Mitarbeitern der Abteilung Isolierglas weitere Arbeitnehmer der Produktion sowie produktionsnaher Bereiche (Einkauf,  Lager, Materialwirtschaft) von der Einstellung der Isolierglasproduktion mittelbar (beispielsweise durch die Einarbeitung von versetzten Kollegen) betroffen sind und daher bei der Ermittlung der Zahlenwerte des § 17 KSchG berücksichtigt werden müssen.

c) Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stilllegung des Bereichs Isolierglas bereits abgeschlossen wäre. Insoweit ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Entschluss der Beteiligten zu 2) dadurch umgesetzt wird, dass die vorübergehende bzw. testweise Schließung der Produktion, die zunächst für mehrere Wochen erfolgte, nicht wieder aufgehoben, sondern nicht lediglich vorübergehend, sondern dauerhaft belassen wird. Die Beteiligte zu 2) hat neben dem Zeitablauf keine Gesichtspunkte vorgetragen, die nunmehr eine - zunächst jedenfalls mögliche - Wiederaufnahme der Produktion ausschließen würden.

Zu bedenken ist weiter, dass die im Bereich beschäftigten Arbeitnehmer – mit Ausnahme des Abteilungsleiters – weiterhin im Betrieb arbeiten und die Produktion mit ihrer Hilfe wieder aufgenommen werden kann.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass mangels wirksamer Beteiligung des Betriebsrats jedenfalls in zehn Fällen der Beteiligte zu 1) der Versetzung nicht zugestimmt hat und diese vom Arbeitsgericht noch nicht ersetzt ist.

d) Eine Einigungsstelle ist auch nicht für den Regelungsgegenstand „Sozialplan“ offensichtlich unzuständig. Beim Vorliegen des Tatbestands des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG werden die nachteiligen Folgen für die Belegschaft oder wesentliche Teile der Belegschaft fingiert.

3. Über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden haben die Beteiligten nicht gestritten. Über die Zahl der Beisitzer streiten sie im Beschwerdeverfahren nicht mehr.

III. Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 100 Abs. 2 S. 4 ArbGG.



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