Arbeitsgericht Ludwigshafen

Urteil vom - Az: 8 Ca 1303/06

Gegenläufige betriebliche Übung

Eine betriebliche Übung kann abgeändert werden bzw. entfallen, wenn der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum von ihr abweicht und die Arbeitnehmer dem nicht widersprechen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ein Anspruch auf Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes aus betrieblicher Übung erloschen ist.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2001 beschäftigt. Die nicht tarifgebundene Beklagten zahlte bis März 2004 ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 4,04 Euro je Urlaubsstunde; eine ausdrückliche vertragliche Regelung hierüber bestand nicht. Ab April 2004 stellt die Beklagten diese Zahlung aus wirtschaftlichen Gründen allgemein ein. Mit ihrer am 21. 6. 2006 erhobenen Klage begehrt die Klägerin Für die seither genommenen Urlaubstage das zusätzliche Urlaubsgeld in unstreitiger Höhe. 

Die Klage blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der vermutlich ehemals gegebene Anspruch aus betrieblicher Übung erloschen ist. Da zwischen den Parteien bezüglich des zusätzlichen Urlaubsgeldes keinerlei Vereinbarungen getroffen wurden und auch eine entsprechende tarifliche Regelung auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet, kommt als Anspruchsgrundlage allenfalls eine so genannte betriebliche Übung in Betracht. Nach diesem von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitut kann aus der mehrmaligen, gleichförmigen und ohne Vorbehalt erfolgten Gewährung von Leistungen des Arbeitgebers geschlossen werden, er wolle sich auch für die Zukunft binden, mit der Rechtsfolge, dass für die Zukunft ein einklagbarer Anspruch auf diese Leistungen entsteht. Gegenstand einer betrieblichen Übung kann grundsätzlich jede Leistung sein, auf die kein  (ausdrücklicher) arbeitsvertraglicher, tariflicher bzw. gesetzlicher Anspruch besteht. Hauptfall ist indes die Gewährung von Gratifikationen/Weihnachtsgeldern, wo die Rechtsprechung seit jeher annimmt, dass eine dreimalige Zahlung ausreicht, die geschilderte Bindung des Arbeitgebers herbeizuführen. Eine betriebliche Übung kann jedoch abgeändert werden bzw. entfallen, wenn der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum von ihr abweicht und die Arbeitnehmer dem nicht widersprechen.

Nach dem grundlegenden Urteil des BAG vom 26. 3. 1997 (NZA 1997, 1007) wird die alte betriebliche Übung einvernehmlich entsprechend geändert, wenn ein Arbeitgeber über einen Zeitraum von drei Jahren zu erkennen gibt, dass er eine betriebliche Übung anders zu handhaben gedenkt als bisher (hier: Gratifikationszahlung nur noch unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt) und die Arbeitnehmer der neuen Handhabung über diesen Zeitraum von drei Jahren hinweg nicht widersprechen. Auch wenn insoweit nur von einer Änderung der betrieblichen Übung die Rede ist („anders zu handhaben gedenkt“), läuft dies auf eine Beendigung der betrieblichen Übung hinaus, denn sobald der Freiwilligkeitsvorbehalt wirksam ist, besteht kein Anspruch auf eine entsprechende Gratifikation mehr. Diese Rechtsprechung hat das BAG in späteren Entscheidungen bestätigt. So hat es in seinem Urteil vom 24. 11. 2004 ausgeführt, dass ein Anspruch auf Gratifikation aus betrieblicher Übung durch eine geänderte betriebliche Übung beendet werden könne. Dies beruhe darauf, dass der Arbeitgeber das Schweigen der Arbeitnehmer auf die geänderte betriebliche Übung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte als Akzeptierung der geänderten betrieblichen Übung ansehen kann, weil er annehmen darf, dass der Arbeitnehmer der Änderung widersprechen werde, wenn er mit dieser nicht einverstanden sein sollte (BAG [24. 11. 2004], NZA 2005, 349). Diese Rechtsprechung des BAG hat zwar insoweit berechtigte Kritik erfahren, als ihre Begründung mit der vom BAG zu Grunde gelegten  „Vertragstheorie“ in Widersprüche gerät (Speiger, NZA 1998, 510). Diesen dogmatischen Bedenken begegnet jedoch bereits die Begründung der Entstehung einer betrieblichen Übung: Aus der rein faktischen Gewährung von Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, eine Vertragsofferte für die Zukunft abzuleiten, ist nicht weniger konstruiert, als aus dem Schweigen eines Arbeitnehmers, der Leistungen nicht mehr erhält, dessen Zustimmung hierzu zu folgern. Über die Ab- bzw. Beendigung einer betrieblichen Übung hinsichtlich von Leistungen, die nicht nur einmal jährlich gewährt werden, hat das BAG - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb insoweit andere Grundsätze gelten sollten - auch hier muss ein Arbeitgeber das Schweigen des Arbeitnehmers zur Streichung derartiger Leistungen als Zustimmung werten. Im Streitfall ist daher auch bezüglich des bisherigen Anspruchs der Klägerin auf Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes davon auszugehen, dass dieser einvernehmlich aufgehoben wurde. Denn die Beklagten hat die Zahlungen unter Berufung auf ihre wirtschaftliche Situation eingestellt. Die Klägerin hatte zwar ihren Angaben zufolge zu verschiedenen Zeitpunkten nach dem fehlenden Urlaubsgeld gefragt, auf den Hinweis, die  Leistungen der Mitarbeiter rechtfertigten ein Urlaubsgeld nicht, jedoch nichts weiter unternommen. Damit hat die Beklagten nicht nur faktisch die Zahlungen eingestellt, sondern sogar klar zu verstehen gegeben, dass sie nicht länger zahlen will. Arbeitet die Klägerin dann weiter, ohne weitere Schritte zur Erlangung des zusätzlichen Urlaubsgeldes zu unternehmen, kann die Beklagten nach Treu und Glauben dies nur dahingehend verstehen, dass die Klägerin mit einer entsprechenden Abänderung ihres Arbeitsvertrags, d.h. den Wegfall des zusätzlichen Urlaubsgeldes, einverstanden ist. Ein mehrmaliges Fragen nach dem „fehlenden Urlaubsgeld“ kann auch nicht als Widerspruch im Sinne der zitierten Grundsätze des BAG angesehen werden, denn schon nach allgemeinem Sprachsinn macht es einen Unterschied, ob jemand (mit offenem Ausgang) nach etwas fragt oder unter Berufung auf einen entsprechenden Anspruch der Streichung entsprechender Zahlungen widerspricht. Eine bloße Frage „zu verschiedenen Zeitpunkten“ kann zudem dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin sich erkundigt, ob nicht die wirtschaftliche Situation inzwischen wieder die Zahlung von Urlaubsgeld rechtfertigt. Dass sich die in diesem Sinne wider Spruchslose Hinnahme der Streichung des Urlaubsgeldes noch nicht über drei Jahre erstreckte, ist unschädlich. Denn im Gegensatz zu einer Gratifikation, wie sie dem Urteil vom 26. 3. 1997, bei dem das BAG für das Entfallen eines Anspruchs aus betrieblicher Übung eine gegenteilige Übung über einen Zeitraum von drei Jahren verlangte, wurde das Urlaubsgeld von der Beklagten mehrmals im Jahr gezahlt, nämlich unmittelbar im Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung - so erhielt es die Klägerin zuletzt im März 2004 für die in diesem Monat genommenen beiden Urlaubstage. Auf das Jahr gerechnet wich die Beklagten daher weitaus mehr als nur einmal von ihrer bisherigen Übung ab. Bei einer derart zeitnah mit der Urlaubsnahme gewährten Leistung dürfte es im Regelfall schon innerhalb eines Jahres zu drei Gelegenheiten kommen, bei denen ein Arbeitnehmer erkennt, dass der Arbeitgeber von seiner bisherigen Übung abweicht, und dem widersprechen könnte. Bei der Streichung von Weihnachtsgeldern und ähnlichen Gratifikationen bietet sich eine solche Gelegenheit hingegen nur einmal im Jahr. Dies rechtfertigt es, im vorliegenden Fall schon mit Ablauf des Jahres 2004 - und nicht etwa erst im März 2007 - von einem Ende der bisherigen betrieblichen Übung auszugehen. Soweit man die Auffassung vertritt, dass eine abändernde bzw. beendende betriebliche Übung wie ein Widerruf nur für die Zukunft wirken könne, käme vorliegend allenfalls noch ein Anspruch für 2004 in Betracht. Dieser indes wäre verwirkt, was im Übrigen für spätere Ansprüche unabhängig von den vorigen Ausführungen ebenfalls der Fall wäre. Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch mit der Folge verwirkt, dass er nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn der Berechtigte das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat, der Gegner nach dem früheren Verhalten des Berechtigten damit rechnen durfte, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde und er sich hierauf eingerichtet hat, so dass ihm die Erfüllung des Rechts nicht mehr zugemutet werden kann. Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Klägerin hat - bezüglich der Ansprüche aus 2004 - nahezu 1½ Jahre zugewartet, bis sie diese einklagte. Die Beklagten musste hiermit nicht mehr rechnen, denn die Klägerin hatte zwar eigenen Angaben zufolge mehrfach nachgefragt, sich aber mit der Antwort, die Leistungen der Mitarbeiter rechtfertigten weitere Zahlungen nicht, zufrieden gegeben. Die Beklagten musste folglich nicht damit rechnen, dass die Klägerin die Nichterfüllung ihrer Ansprüche lediglich übersehen hätte, sondern durfte vielmehr darauf vertrauen, dass die Klägerin sich mit ihrer Antwort zufrieden gegeben, wenn sie auf eine Durchsetzung ihrer Rechte verzichtete. Die Beklagten hat sich hierauf auch eingerichtet, denn sie hat es unterlassen, weitere Schritte zu einer rechtssicheren Änderung bzw. Beseitigung des bisherigen Anspruchs auf zusätzliches Urlaubsgeld etwa durch Vertragsverhandlungen mit der Klägerin oder Ausspruch einer Änderungskündigung zu unternehmen, welcher rückwirkend nicht zulässig wäre. Es ist ihr daher nicht mehr zuzumuten nunmehr derartige Ansprüche der Klägerin zu erfüllen. 



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