Arbeitsgericht Siegburg

Urteil vom - Az: 5 Ca 1397/20

Fristlose Kündigung: Kollegen auf der Toilette eingesperrt

Schließt ein Arbeitnehmer seinen Kollegen vorsätzlich in der Toilette ein und kann sich dieser nur durch das Eintreten der Toilettentür befreien, begeht der Arbeitnehmer dadurch eine schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten, die eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigt.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger bei der Beklagten als Lagerist beschäftigt. Der Kläger war wiederholt mit einem seiner Kollegen in Streit geraten. Während der Kollege sich auf der Toilette befand, schob der Kläger unbemerkt ein Blatt Papier unter der Toilettentür hindurch. Mit einem Gegenstand stieß er den Toilettenschlüssel aus dem Schloss. Der Schlüssel fiel auf das Papierblatt, welches durch den Kläger weggezogen wurde. Anschließend verließ der Kläger den Ort des Geschehens und seinen eingesperrten Kollegen. Der Kläger ließ seinen Kollegen so lange auf der Toilette eingeschlossen, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten. Als der Beklagten der Vorfall bekannt wurde, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt und wies die Klage ab.
Indem der Kläger seinem Kollegen „durch einen alten Trick“ den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm, habe er ihn zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette beraubt. Dies stelle eine ganz erhebliche Pflichtverletzung dar. Weiterhin sei durch das Verhalten des Klägers die Toilettentür – also das Eigentum des Beklagten – beschädigt worden. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen. Auch eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen

2. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 18.06.2020.

Der am ... geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.09.2019 als Lagerist zu einem Bruttomonatslohn in Höhe von ... EUR beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer in Vollzeit. Neben dem Kläger war im Lager ein weiterer Mitarbeiter, Herr ..., beschäftigt. Herr ... und der Kläger mussten öfter mal zu ihrem Vorgesetzten, wenn sie sich gestritten hatten.

Im Januar 2020 befand sich Herr ...auf der Toilette im Lager. Während er dort seinem Geschäft nachging schob der Kläger unter der Toilettentür ein Blatt hindurch und stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss. Der Schlüssel fiel auf das Blatt, welches durch den Kläger weggezogen wurde. Der Kläger ließ Herrn ... so lange auf der Toilette eingeschlossen, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.

Im Februar 2020 reichte der Kläger seinen Urlaub für die Zeiträume vom 22.06.2020 bis 03.07.2020 und 14.09.2020 bis 26.09.2020 bei der Beklagten ein. Diese wurden ihm trotz mehrfacher Nachfrage zunächst nicht schriftlich bestätigt. Am 17.06.2020 wurde ihm nach einer langen Diskussion für den Zeitraum vom 22.06.2020 bis 27.06.2020 Urlaub gewährt.

Am 18.06.2020 viel der Beklagten auf, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war. Hieraufhin nahm sie Einzelgespräche mit dem Kläger und Herrn ... vor. Herr ... ließ sich dahingehend ein, dass er vom Kläger auf der Toilette eingeschlossen wurde und sich nur durch das Eintreten der Tür befreien konnte.

Mit Schreiben vom 18.06.2020 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine außerordentliche fristlose Kündigung aus.

Mit der am 29.06.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 04.07.2020 zugestellten Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung gewandt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigung rechtswidrig sei. Es würde kein Grund bestehen, der die Kündigung rechtfertigen könne. Der Kläger behauptet, dass er zu Herrn ... stets ein gutes Verhältnis gehabt habe. Dies auch nach der fristlosen Kündigung. Herr ... habe ihm in einem Telefonat bestätigt, dass er vor ihm keine Angst habe und dass es auch sein Fehler gewesen sei, da er die Tür zu schnell eingetreten habe.

Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, dass der eigentliche Grund für die Kündigung in seinem Urlaubsantrag liege. Die Beklagte habe nach einem Grund gesucht, ihn fristlos zu kündigen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.06.2020 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche außerordentliche fristlose Kündigung berechtigt sei, da der Kläger Herrn ... der Freiheit beraubt habe und ihre Toilettentür beschädigt wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der zulässige Klageantrag ist unbegründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 18.06.2020 beendet worden.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG v. 16 Dezember 2010 - 2 AZR 485/08, Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass die streitgegenständliche Kündigung wirksam ist. Der wichtige Kündigungsgrund liegt darin, dass der Kläger Herrn ... auf der Toilette einschloss, indem er ihn durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch beraubte der Kläger Herrn ... zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette. Inwieweit es sich um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB handelt, ist nicht entscheidungserheblich. Für die kündigungsrechtliche Würdigung kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung an, entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses (Vergl. Erfurter Kommentar/Niemann, 21. Auflage 2021, § 626 BGB, Rd-Nr. 133 a).

Darüber hinaus besteht ein weiterer wichtiger Grund darin, dass der Kläger durch das Einschließen von Herrn ... die Beschädigung der Toilettentür der Beklagten verursachte. Dadurch, dass er Herrn Müller so lange den Schlüssel vorenthielt, bis dieser die Toilettentür eintrat, um sich zu befreien, verantwortete er deren Beschädigung. Das Verhalten von Herrn ... ist dem Kläger als Veranlasser vollumfänglich zuzurechnen. Dies selbst dann, wenn Herr ..., wie vom Kläger behauptet, die Tür zu schnell eingetreten haben sollte. Hätte der Kläger Herrn ... den Schlüssel durch den Trick mit dem Papier nicht entwendet, hätte dieser die Toilette ganz normal verlassen und nicht die Tür eingetreten.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es ist eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG v. 10 Juni 2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231, juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine frühere Abmahnung bei besonders schweren Verstößen entbehrlich, da der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (vgl. m. w. N. ErfK/Müller-Glöge, 13. Auflage 2013, § 626 BGB, Rdnr. 29 e).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass sowohl das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung das Fortsetzungsinteresse des Klägers überwiegt. Zudem steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass der Kläger durch die Beklagte bezogen auf die begangenen Pflichtverletzungen nicht zuvor abzumahnen gewesen ist. Zum Nachteil des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er bei der Beklagten erst seit dem 01.09.2019 beschäftigt ist. Er ist noch jung, so dass davon auszugehen ist, dass er zeitnah einen neuen Arbeitsplatz finden wird. Zudem war es zwischen ihm und Herrn Müller bereits vor dem streitgegenständlichen Vorfall zu diversen Streitigkeiten gekommen, wegen derer die beiden wiederholt zu ihrem Vorgesetzten mussten. Hinzukommend spricht gegen den Kläger, dass dieser den Vorfall der Beklagten nicht freiwillig meldete und den entstandenen Schaden nicht ersetzte.

Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung scheitert nicht aufgrund einer fehlenden Abmahnung, da sie bei dem vorliegenden Sachverhalt wegen der besonderen Schwere des vorgeworfenen Verstoßes entbehrlich ist. Der Kläger durfte in keiner Weise davon ausgehen, dass die Beklagte es duldet, wenn er seinen Kollegen auf der Toilette einschließt und dort so lange eingeschlossen lässt, bis dieser die Tür eintritt, um die Toilette verlassen zu können. Davon, dass eine Arbeitgeberin ein entsprechendes Verhalten duldet bzw. lediglich zum Anlass einer Abmahnung nehmen wird, ist nicht auszugehen. Dies musste dem Kläger während der Begehung der Pflichtverletzung bewusst sein. Der Kläger entzog nicht nur seinem Arbeitskollegen die Möglichkeit, sich ungehindert von der Toilette zu entfernen, sondern ist darüber hinaus verantwortlich dafür, dass durch das Auftreten der Toilettentür das Eigentum der Beklagten beschädigt wurde.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Kündigung auch nicht gemäß § 612 a BGB unwirksam. Zwar liegt zwischen den Streitigkeiten der Parteien im Hinblick auf den Urlaub des Klägers und dem Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung nur ein Tag und somit ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum. Dennoch ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass die Kündigung kausal auf dem Vorfall mit der Toilettentüre und nicht aufgrund des Urlaubsantrags des Klägers beruht. Dies, da die Beklagte dem Kläger am 17.06.2020 noch Urlaub für den Zeitraum vom 22.06.2020 bis 27.06.2020 gewährte und erst am 18.06.2020 von dem Vorfall aus Januar 2020 erfuhr.

Weitere Unwirksamkeitsgründe sind weder erkennbar noch vorgetragen.

II. Die Berufung ist nicht gesondert zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Als unterlegene Partei trägt der Kläger die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG und § 3 ZPO. Die Kündigungsschutzklag ist entsprechend § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG mit dem Quartalsverdienst des Klägers zu berücksichtigen.



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