Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg

Urteil vom - Az: 1 Sa 13/14

Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers

1.Gemäß § 82 Satz 2 und 3 SGB IX hat der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Ein öffentlicher Arbeitgeber macht den gesetzlich intendierten Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers zunichte, wenn er diesem zwar die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Aussicht stellt, gleichzeitig aber dem schwerbehinderten Bewerber mitteilt, dessen Bewerbung habe nach der "Papierform" nur eine geringe Erfolgsaussicht, weshalb der schwerbehinderte Bewerber mitteilen möge, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Eine solch "abschreckende" Einladung begründet gemäß § 22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Dem schwerbehinderten Bewerber steht ein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 AGG auch dann zu, wenn er nicht der bestqualifizierte Bewerber war.

(3.) Gemäß des Schutzwecks des § 82 Satz 2 SGB IX muss der schwerbehinderte Bewerber die Chance auf ein Vorstellungsgespräch bei einem öffentlichen Arbeitgeber auch dann bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

(4.) Der Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren ist ein Individualanspruch. Dieser kann nicht dadurch aufgehoben wird, dass der Arbeitgeber die Gruppe der Schwerbehinderten gesetzeskonform behandelt.

 

Tenor

1. Die Berufung des beklagten Landkreises gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 05.06.2014 - 6 Ca 9/14 - wird zurückgewiesen.

2. Der beklagte Landkreis hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren geltend macht.

Der am … 1964 geborene, ledige und keinen Kindern unterhaltspflichtige Kläger absolvierte nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann und einem kurzzeitigen Studium der Wirtschaftswissenschaften von Oktober 1992 bis Juli 1999 ein Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften. Er schloss das Studium mit dem ersten Staatsexamen ab. Nach dem Referendariat von Februar 2000 bis Juni 2002 war er arbeitsuchend bzw. nahm an einer beruflichen Rehabilitation teil. Von März 2005 bis März 2012 war der Kläger bei verschiedenen Arbeitgebern, unterbrochen durch Zeiten von Arbeitslosigkeit tätig. Seit April 2012 ist der Kläger arbeitsuchend. Wegen der Einzelheiten wird auf den Lebenslauf des Klägers (Abl. 21 ff.) verwiesen. Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 100 % schwerbehindert. Er ist derzeit in P. wohnhaft.

Anfang Juli 2013 schrieb der beklagte Landkreis die Stelle eines/einer Projektmanagers/in aus. Die Stellenausschreibung wurde in zwei Fassungen veröffentlicht, die sich allerdings nur darin unterscheiden, dass es in der einen Fassung zu Beginn des 2. Absatzes heißt: „Zur Verstärkung unseres Teams ...“ (so Abl. 21) und in der anderen Fassung: „Zur Verstärkung unseres Teams Öffentlichkeitsarbeit/Europa ...“ (so Anlage B 1). Die Stellenausschreibung lautet auszugsweise wie folgt:

„Projektmanager/in

Zu Ihren Aufgaben gehören u.a.

- Zentrale Projekte der Kreisentwicklung- Planung und Umsetzung lokaler, regionaler und europäischer Projekte des Enzkreises- Neue Form der Bürgerbeteiligung

Wir bieten Ihnen

- Ein abwechslungsreiches, verantwortungsvolles Aufgabenfeld- Die Zusammenarbeit in einem engagierten und erfolgreichen Team- Bezahlung nach TVöD.

Wir erwarten von Ihnen

- Ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einem den Aufgaben entsprechenden Profil, z.B. Politik - Verwaltungswissenschaften oder Europa-Studien- Ausgeprägtes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen- Gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift- Eine gute Kommunikations- und Teamfähigkeit- Eigenständiges konzeptionelles Arbeiten und die Fähigkeit, sich in komplexe Themen einzuarbeiten- Hohe Einsatzbereitschaft, auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten- Organisationsgeschick, Kreativität und Flexibilität.“

Mit Schreiben vom 11.07.2013 bewarb sich der Kläger um die Stelle. In seinem Bewerbungsschreiben (Abl. 19 f und Anlage B 2) führte er das abgeschlossene Studium und seine zuletzt ausgeübten Tätigkeiten an. Er wies zudem auf seine Eigenschaft als Schwerbehinderter hin. Dem Bewerbungsschreiben waren ein tabellarischer Lebenslauf sowie die beiden Arbeitszeugnisse aus den letzten beiden Arbeitsverhältnissen beigefügt.

Mit Mail vom 12.07.2013 bestätigte der beklagte Landkreis den Eingang der Bewerbungsunterlagen und bat den Kläger gleichzeitig um etwas Geduld. Mit Mail vom 02.08.2013 (Abl. 16 und Anlage B 3) teilte der Leiter des Personal- und Organisationsamtes dem Kläger sodann Folgendes mit:

„Sehr geehrter Herr Z.,für Ihre Bewerbung bedanken wir uns nochmals.Unser Stellenangebot ist auf das Interesse von nahezu 100 Bewerberinnen und Bewerbern gestoßen, darunter eine ganze Reihe, deren Profil unseren Erwartungen an den Stelleninhaber oder die -inhaberin stärker entspricht als das Ihrige.Als öffentlicher Arbeitgeber berücksichtigen wir Bewerbungen von Schwerbehinderten entsprechend den Zielen des Schwerbehindertenrechts, d.h. wir geben Schwerbehinderten auch die Gelegenheit sich persönlich vorzustellen.Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie trotz der geringen Erfolgsaussichten ein Bewerbungsgespräch wünschen und die doch längere Anreise auf sich nehmen.Das Gespräch würde dann voraussichtlich am 13.08.2013 stattfinden. Das genaue Datum und die Uhrzeit würden wir Ihnen noch mitteilen.Mit freundlichen GrüßenR.S.“

Auf diese Mail reagierte der Kläger nicht.

Daraufhin lud ihn der beklagte Landkreis mit Mail vom 07.08.2013 (Abl. 15 und Anlage B 4) zu einem Vorstellungsgespräch auf Dienstag, 13.08.2013 nach P. ein. Zugleich wurde der Kläger um Mitteilung gebeten, ob er diesen Termin wahrnehmen werde. Auch auf diese Mail reagierte der Kläger nicht. Er erschien auch nicht zu dem Vorstellungsgespräch bei der Auswahlkommission, bestehend aus dem Landrat und weiteren hochrangigen Vertretern der Verwaltung.

Mit Schreiben vom 08.10.2013 (Abl. 14) teilte der beklagte Landkreis dem Kläger mit, dass er sich für eine andere Bewerberin entschieden habe. Bei der erfolgreichen Bewerberin handelt es sich um eine Frau, die ein Bachelor-Studium „Deutsch-Italienische Studien“ an den Universitäten Regensburg und Triest sowie ein Master-Studium „European Culture and Economy“ an der Universität Bochum mit Spitzennoten abgeschlossen hat und die über fließende Englisch- und Italienisch-Kenntnisse sowie fortgeschrittene Französisch- und Spanischkenntnisse verfügt (vgl. Anlage B 6).

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 05.11.2013 machte der Kläger einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG geltend. Zur Begründung ließ er ausführen, dass er durch die Formulierung in der Mail vom 02.08.2013 diskriminiert worden sei. Das angebotene Bewerbungsgespräch sei angesichts der bereits vorab mitgeteilten geringen Erfolgsaussichten der Bewerber reiner Förmelei gewesen. Mit Schreiben vom 22.11.2013 wies der beklagte Landkreis die Entschädigungsforderung zurück. Er teilte hierbei mit, der Kläger sei aufgrund des Anforderungsprofils nicht in den engeren Kreis einbezogen worden. Aufgrund seiner Schwerbehinderung sei er jedoch zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden. Er habe damit die Gelegenheit gehabt, den Landkreis von seiner Eignung und Befähigung zu überzeugen. Diese Chance habe der Kläger nicht genutzt. Im Übrigen sei - was unstreitig ist - die Agentur für Arbeit am 03.07.2013 über das Stellenangebot informiert und die Schwerbehindertenvertretung sei am Auswahlverfahren beteiligt worden. Der Landkreis beschäftige seit Jahren schwerbehinderte Menschen über die gesetzlich geforderte Quote hinaus. Mit Schreiben vom 03.12.2013 hielt der Kläger an seiner Entschädigungsforderung fest, bot aber eine vergleichsweise Regelung an. Diese ließ der beklagte Landkreis über seine Haftpflichtversicherung mit deren Schreiben vom 30.12.2013 zurückweisen.

Mit seiner am 08.01.2014 eingegangenen Klage hat der Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG in Höhe von EUR 6.440,83 geltend gemacht. Er hat vorgetragen, er habe das Qualifikationsprofil erfüllt und auf seine Schwerbehinderung ausdrücklich hingewiesen. Der beklagte Landkreis habe ihn zwar mit Schreiben vom 02.08.2013 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch müsse jedoch frei von jeglicher Diskriminierung erfolgen. Davon könne vorliegend keine Rede sein.

Nach teilweiser Klagrücknahme in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 05.06.2014 hat der Kläger beantragt,

den beklagten Landkreis zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 2.164,00 zu zahlen.

Der beklagte Landkreis hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung habe nicht stattgefunden. Die Mail des beklagten Landkreises vom 02.08.2013 lasse diesen Rückschluss nicht zu. Er habe dem Kläger lediglich die Botschaft überbringen wollen, dass nach einer erster Sichtung aller schriftlich eingegangenen Bewerbungsunterlagen dessen Bewerbung nicht in den engsten Kreis eingeordnet worden sei, er aber in einem persönlichen Gespräch den Landkreis überzeugen könne, mindestens gleich gut geeignet zu sein wie die zunächst favorisierten Bewerber. Dies habe auch wirtschaftliche Gründe gehabt, weil der Kläger, aus P. anreisend, erhebliche Kosten hätte auf sich nehmen müssen. Der Hinweis sei somit aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erfolgt. Die Verhaltensweise des Klägers lasse Zweifel aufkommen, ob dessen Bewerbung ernsthaft und wahrhaftig gewesen sei.

Mit Urteil vom 05.06.2014 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, im vorliegenden Fall sei eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung zu vermuten. Nach § 82 Satz 2 SGB IX habe der öffentliche Arbeitgeber den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Vorliegend sei der Kläger zwar nicht von dieser Möglichkeit ausgeschlossen worden. Ihm sei aber in der E-Mail vom 02.08.2013 klar zum Ausdruck gebracht worden, dass er lediglich geringe Erfolgsaussichten habe. Damit handele es sich nicht um eine neutrale Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, in dem dem schwerbehinderten Bewerber von Anfang an mindestens die gleichen Chancen eingeräumt worden seien wie einem der anderen Bewerber. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, erschöpfe sich nicht darin, dass der Bewerber die Möglichkeit erhalte, rein körperlich anwesend zu sein. Sie beinhalte auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, unvoreingenommen die Führung des Vorstellungsgesprächs in einer neutralen Atmosphäre zu ermöglichen.

Im vorliegenden Fall lasse die Formulierung der Mail vom 02.08.2013 den Eindruck aufkommen, dass es sich bei der Einladung zum Vorstellungsgespräch lediglich um eine Formalie handele. Der Kläger habe unstreitig das Anforderungsprofil erfüllt. Der beklagte Landkreis sei allerdings davon ausgegangen, dass andere Bewerber seinen Erwartungen stärker entsprächen. Die Gesprächspflicht laufe leer, wenn der Arbeitgeber den Bewerber auf rein interne und damit unbekannte Anforderungen verweisen könne. Da der beklagte Landkreis die Vermutung einer Diskriminierung nicht widerlegt habe, schulde er eine Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatseinkommens.

Gegen das ihm am 27.06.2014 zugestellte Urteil hat der beklagte Landkreis am 02.07.2014 Berufung eingelegt und diese am 07.07.2014 begründet. Er trägt vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ergebe sich aus der Mail vom 02.08.2013 keine Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Der Hinweis auf bessere Mitbewerber sei eine sachliche Mitteilung über den Zustand des Bewerbungsverfahrens. Aus seiner Fürsorgeplicht, dass die Anreise des Klägers mit Kosten verbunden sei, habe er auf diesen Umstand hingewiesen. Nachdem der Kläger nicht reagiert habe, sei er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Er habe somit seine Pflicht nach § 82 Satz 2 SGB IX erfüllt. Die Mail bringe nicht zum Ausdruck, dass die Bewerbung des Klägers nur eine geringe Erfolgsaussicht biete. Es müsse dem öffentlichen Arbeitgeber zugestanden werden, eine Hierarchie der Bewerber vorzunehmen. Das Profil der ausgewählten Bewerberin sei deutlich anspruchsvoller gewesen als das des Klägers.

Der beklagte Landkreis beantragt,

auf die Berufung des beklagten Landkreises wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 05.06.2014 - 6 Ca 9/14 - im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des beklagten Landkreises kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, dass die fragliche Formulierung in der Mail vom 02.08.2013 ein Indiz für eine Benachteiligung darstelle. Mit der Formulierung sei der Eindruck erweckt worden, als habe der beklagte Landkreis bereits zu diesem Zeitpunkt eine Art Vorauswahl über die Erfolgsaussichten der eingegangenen Bewerbung getroffen. Er habe damit eine ungünstigere Ausgangssituation als andere Bewerber gehabt. Gerade dies wolle § 82 Satz 2 SGB IX verhindern.

Seine fehlende Unvoreingenommenheit unterstreiche der beklagte Landkreis mit dem Vortrag in der Berufungsbegründung, wonach er berechtigt sei, vor den Bewerbungsgesprächen eine Hierarchie in den Bewerbungsprofilen vorzunehmen. Im Falle behinderter Bewerber solle aber nach dem Willen des Gesetzgebers der persönliche Eindruck entscheidend sein und nicht die Papierform. Im Zeitpunkt der Einladung sei aber eine Schlechterstellung wegen der Einstellung des beklagten Landkreises zu seiner Bewerbung bereits eingetreten gewesen.

Mit Verfügung vom 05.08.2014 hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass der Kläger nach der Aktenlage das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle nicht vollständig erfüllt habe. Dort seien gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift, verlangt worden. Zu diesem Kriterium verhalte sich die Bewerbung des Klägers nicht. Allerdings habe auch der beklagte Landkreis bislang keine Ausführungen dazu gemacht, weshalb gute Fremdsprachenkenntnisse für die ausgeschriebene Stelle erforderlich seien.

Hierzu trägt der Kläger vor, es sei völlig unklar, was der beklagte Landkreis mit der Anforderung „gute Fremdsprachenkenntnisse“ genau gemeint habe. Diese Angabe lasse sich jedenfalls keinem der Stufen des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen zuordnen.

Der beklagte Landkreis trägt vor, er sei im internationalen und europäischen Bereich umfassend engagiert. So sei er an verschiedenen internationalen und europäischen Projekten beteiligt. Die Planung und Umsetzung dieser Projekte zähle zu den Aufgaben des Stelleninhabers.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des beklagten Landkreises ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des beklagten Landkreises ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung hat.

1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber „Beschäftigter“ im Sinne dieses Gesetzes. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Der beklagte Landkreis ist als „Arbeitgeber“ passiv legitimiert. Arbeitgeber ist auch derjenige, der zu Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis auffordert.

2. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Die 2-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG beginnt im Falle einer Bewerbung grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung, nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat (BAG 15.03.2012 - 8 AZR 37/11 - AP AGG § 15 Nr. 11). Die Ablehnung seiner Bewerbung wurde dem Kläger mit Schreiben vom 08.10.2013 mitgeteilt. Mit Anwaltsschreiben vom 05.11.2013 hat der Kläger den Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend gemacht. Nach Zurückweisung des Anspruchs durch den beklagten Landkreis hat der Kläger den Anspruch mit seiner am 08.01.2014 eingegangenen Klage rechtzeitig innerhalb der 3-Monats-Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

3. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 AGG ergibt, einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus.

a) Als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 % fällt der Kläger unter den Behindertenbegriff des § 1 AGG. Der Kläger wurde auch unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt, weil er im Laufe des Bewerbungsverfahrens eine weniger günstige Behandlung erfuhr, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

aa) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war. Vergleichbar ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - AP AGG § 22 Nr. 4; BAG 21.02.2013 - 8 AZR 180/12 - NZA 2013, 840).

Was die Frage der objektiven Eignung angeht, so ist bei der hier vorliegenden Bewerbungssituation im öffentlichen Dienst folgende Besonderheit zu beachten: Während der private Arbeitgeber grundsätzlich frei ist, welche Anforderungen er in seiner Stellenausschreibung an Bewerberstellen will, hat der öffentliche Arbeitgeber den Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, die von Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stelle des öffentlichen Dienstes, zum anderen trägt er dem berechtigten Interesse des Bewerbers an seinem beruflichen Fortkommen Rechnung (BAG 07.04.2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6; BAG 16.02.2012 aaO Rn 36 ff.; BAG 21.02.2013 aaO Rn 30 ff.).

Aus Art. 33 Abs. 2 GG ergibt sich noch nicht, auf welchen Bezugspunkt sich die Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung beziehen. Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil. Der öffentliche Arbeitgeber hat in diesem die formalen Voraussetzungen, die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der ausgeschriebenen Tätigkeit benötigt. Mit Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss deshalb sachlich nachvollziehbar sein (BAG 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 - AP SGB IX § 81 Nr. 13; BAG 07.04.2011 aaO Rn 45; BAG 06.05.2014 - 9 AZR 724/12 - ZTR 2014, 610). Der öffentliche Arbeitgeber muss das Anforderungsprofil zudem dokumentieren, damit die Gründe für seine Entscheidung transparent sind (BVerwG 03.03.2011 - 5 C 16/10, NJW 2011, 2452 Rn 23). Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenbeschreibung bekannt gegebene Anforderungsprofil gebunden (BAG 07.04.2011 aaO Rn 44; BAG 21.02.2013 aaO Rn 32; BVerfG 28.02.2007 - 2 BvR 2494/06 - ZTR 2007, 586).

bb) Der Kläger ist davon ausgegangen, dass er das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle eines Projektmanagers erfülle (Klageschrift vom 08.01.2014). Auch der beklagte Landkreis hat nicht in Abrede gestellt, dass der Kläger das Anforderungsprofil erfülle. Konsequent hat es das Arbeitsgericht als unstreitig angesehen, dass eine Erfüllung des Anforderungsprofils vorliege (Urteil Seite 8).

Die Prüfung des Anforderungsprofils und der Bewerbungsunterlagen des Klägers ergeben nach der Aktenlage allerdings eine andere Beurteilung. So heißt es in der Stellenausschreibung unter der Rubrik „Wir erwarten von Ihnen“: „Gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift“. Zu diesem Teil des Anforderungsprofils verhält sich die Bewerbung des Klägers nicht. Von guten Fremdsprachenkenntnissen, mindestens Englisch in Wort und Schrift, ist im Bewerbungsschreiben des Klägers vom 11.07.2013 nicht die Rede. Auch aus dem beigefügten Lebenslauf geht nicht hervor, dass der Kläger über derartige Kenntnisse verfügt. Der Schwerpunkt der Ausbildung des Klägers lag in den Geschichts- und Sozialwissenschaften; internationale Bezüge gab es hierbei nicht. Auch in seinen beruflichen Tätigkeiten war der Kläger ausschließlich national ausgerichtet. In der Berufungsverhandlung hat der Kläger erklärt, er habe gute Fremdsprachenkenntnisse nicht als so erheblich angesehen. Diese Annahme ist aber mit der Stellenausschreibung nicht in Einklang zu bringen.

cc) Die Festlegung des Anforderungskriteriums „gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch und Wort und Schrift“ ist im Hinblick auf das Profil der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar. Der beklagte Landkreis suchte eine/n Arbeitnehmer/in, der/die u.a. bei der Planung und Umsetzung europäischer Projekte mitwirken sollte. Auf den Hinweis der Kammer mit Verfügung vom 05.08.2014 hat der beklagte Landkreis im Einzelnen geschildert, an welchen europäischen Projekten er beteiligt ist. Aus diesem Grund ist es sachlich nachvollziehbar, dass in der Stellenausschreibung zum einen auf den Ausbildungsgang „Europa-Studien“ hingewiesen wurde und zum anderen auf gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift Wert gelegt wurde. Die Projektsprache ist vielfach Englisch.

Entgegen der Auffassung des Klägers war es nicht erforderlich, den Umfang der vorausgesetzten Fremdsprachenkenntnisse näher durch die Angabe eines formalen Abschlusses oder Levels zu beschreiben. Derartige Festlegungen sind in Stellenausschreibungen unüblich und auch nicht sinnvoll. Denn die Gründe, weshalb ein Bewerber gute Kenntnisse in einer bestimmten Fremdsprache besitzt, können sehr vielfältig sein. Die Kenntnisse können darauf zurückgehen, dass der Bewerber ein Muttersprachler in der fraglichen Sprache ist. Sie können aber auch darauf beruhen, dass sich ein deutscher Arbeitnehmer die Kenntnisse durch einen längeren Auslandsaufenthalt angeeignet hat. Schließlich können sie dadurch erworben worden sein, dass ein deutscher Arbeitnehmer im Inland an Sprachkursen teilgenommen hat. Lediglich im letztgenannten Fall könnte der Bewerber ggf. einen formalen Abschluss oder Level angeben. Das Verlangen nach einem formalen Abschluss wäre hiernach nicht zielführend und würde den Kreis der Bewerber unnötig einengen. Es ist daher in Stellenausschreibungen auch allgemein üblich, den Grad der verlangten Fremdsprachenkenntnisse durch allgemeine Abstufungen wie „verhandlungssicher“, „sehr gut“, „gut“ oder „in Wort und Schrift“ zu beschreiben.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Kläger einen wesentlichen Teil des Anforderungsprofils nicht erfüllt hat. Der beklagte Landkreis wäre daher berechtigt gewesen, den Kläger von vornherein aus dem Kreis der für die Stelle in Frage kommenden Bewerber auszunehmen.

b) Im Streitfall durfte der Kläger aber gleichwohl davon ausgehen, dass er das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle erfülle. Dies ergibt die Auslegung der Erklärungen des beklagten Landkreises im Laufe des Bewerbungsverfahrens.

aa) Auf die Bewerbung des Klägers vom 11.07.2013 bestätigte der beklagte Landkreis mit Mail vom 12.07.2013 zunächst den Eingang der Bewerbung. Mit weiterer Mail vom 02.08.2013 teilte er sodann dem Kläger mit, dass das Stellenangebot auf das Interesse von nahezu 100 Bewerbern/innen gestoßen sei, darunter eine ganze Reihe, deren Profil den Erwartungen des Landkreises an den Stelleninhaber oder die -inhaberin stärker entspreche als dasjenige des Klägers.

bb) Nach § 133 BGB sind empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Abzustellen sind auf die Verständnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers, also darauf, wie der Erklärungsempfänger die Willenserklärung verstehen durfte. Entscheidend ist der objektive Erklärungswert. Bei diesem Auslegungsmaßstab durfte der Kläger annehmen, dass ihn der beklagte Landkreis für die ausgeschriebene Stelle nicht von vornherein für ungeeignet hielt. Hierauf weist schon die Formulierung hin, dass andere Bewerber den Erwartungen stärker entsprächen als der Kläger. Der Kläger durfte diese Mitteilung dahingehend verstehen, dass er das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle grundsätzlich erfülle, es aber Bewerber/innen gebe, die „besser“ seien als er.

Zudem wies der beklagte Landkreis auf das beabsichtigte Vorstellungsgespräch hin. Hätte der Kläger dem Anforderungsprofil von vornherein nicht entsprochen, so wäre eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 3 SGB IX entbehrlich gewesen. Denn mit dem Anforderungsprofil bestimmt der öffentliche Arbeitgeber zugleich den Umfang seiner Verpflichtungen nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX (BAG 16.02.2012 aaO Rn 38; BVerwG 03.03.2011 aaO Rn 22). Der Kläger durfte somit aus der Mail des beklagten Landkreises vom 02.08.2013 schließen, dass dieser das Fehlen guter Fremdsprachenkenntnisse als nicht ausschlaggebend für die weitere Behandlung der Bewerbung ansah.

Demgegenüber entspricht die Interpretation, die der Beklagtenvertreter der Mail vom 02.08.2013 in der Berufungsverhandlung gegeben hat, nicht deren objektiven Erklärungswert. Der Beklagtenvertreter hat ausgeführt, der beklagte Landkreis habe als vorsichtiger Arbeitgeber dem Kläger das Vorstellungsgespräch in Aussicht gestellt. Man habe - sinngemäß - nicht mit der erforderlichen Sicherheit abschätzen können, wie in einem etwaigen Streitfall die Erfüllung des Anforderungsprofils von den Arbeitsgerichten beurteilt werde. Auf dieser Erwägung mag die Mail vom 02.08.2013 beruhen. Für den Kläger war dieser Hintergrund aber nicht erkennbar. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn in der Mail vom 02.08.2013 etwa ausgeführt worden wäre, der Arbeitgeber gehe an sich davon aus, dass der Kläger das Anforderungsprofil nicht erfülle, er aber gleichwohl aus rechtlicher Vorsicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde. Dem Wortlaut der Mail vom 02.08.2013 durfte der Kläger entnehmen, dass es auf seine fehlenden guten Fremdsprachenkenntnisse nicht ankam.

cc) Dieser Würdigung steht nicht entgegen, dass das Vorliegen einer vergleichbaren Situation im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG voraussetzt, dass eine objektive Eignung für die zu besetzende Stelle vorliegt. Es trifft zwar zu, dass es nicht mit dem Schutzzweck des AGG in Einklang zu bringen wäre, wenn auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen könnte (BAG 07.04.2011 aaO Rn 37). Der Mail vom 02.08.2013 ist aber gerade zu entnehmen, dass der beklagte Landkreis den Kläger als objektiv geeignet für die ausgeschriebene Stelle ansah. Das AGG schützt den Beschäftigten sogar dann, wenn der Arbeitgeber das Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals lediglich annimmt (§ 7 Abs. 1, 2. Hs. AGG). Erst recht muss dies gelten, wenn ein Diskriminierungsmerkmal objektiv vorliegt und der Arbeitgeber, aus welchen Gründen auch immer, vom Vorliegen einer vergleichbaren Situation ausgeht.

Der vorstehenden Würdigung steht auch nicht entgegen, dass das dokumentierte bekannt gemachte Anforderungsprofil für das Ausschreibungsverfahren verbindlich ist (BAG 21.07.2009 - 9 AZR 431/08 - AP SGB IX § 82 Nr. 1; BAG 16.02.2012 aaO Rn 39; BVerfG 28.02.2007 aaO Rn 6; BVerwG 03.03.2011 aaO Rn 30). Eine nachträgliche Verschärfung des Anforderungsprofils ist ebenso unzulässig wie der spätere Verzicht auf einzelne Merkmale (BAG 07.04.2011 aaO Rn 44). Hiervon ist der hier vorliegende Fall zu unterscheiden, dass der Arbeitgeber entweder aus nicht erkennbarer Vorsicht heraus oder aber irrtümlich dem Bewerber den Eindruck vermittelt, dieser erfülle das Anforderungsprofil.

4. Der Kläger wurde auch gerade wegen seiner Behinderung weniger günstig behandelt.

a) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf schuldhaftes Handeln oder eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16.02.2012 aaO Rn 42; BAG 25.04.2013 - 8 AZR 287/08 - Juris; BAG 26.06.2014 - 8 AZR 547/13 - juris).

b) Nach § 22 AGG genügt der Bewerber seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Es genügt der Vortrag von Hilfstatsachen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

c) Eine derartige Hilfstatsache liegt hier vor. Nach § 82 Satz 2 SGB IX ist der öffentliche Arbeitgeber - vorbehaltlich des Satzes 3 - verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterlässt er die Einladung, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache im Sinne des § 22 AGG (grundlegend BAG 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 - AP SGB IX § 81 Nr. 13). Im Streitfall hat der beklagte Landkreis den Kläger zwar mit Mail vom 07.08.2013 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Vorangegangen war jedoch die Mail vom 02.08.2013, worin dem Kläger mitgeteilt wurde, dass es eine ganze Reihe von Bewerbern/innen gebe, die den Erwartungen des Landkreises stärker entsprächen. Der Kläger wurde um Mitteilung gebeten, ob er trotz der geringen Erfolgsaussichten ein Bewerbungsgespräch wünsche und die doch längere Anreise auf sich nehmen wolle.

Mit dieser Vorgehensweise hat der beklagte Landkreis den Schutzzweck des § 82 Satz 2 SGB unterlaufen. Der Schutzzweck der Vorschrift besteht darin, dass ein schwerbehinderter Bewerber bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen muss, selbst wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Der schwerbehinderte Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung (BAG 16.09.2008 - 9 AZR 791/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 15; BAG 21.07.2009 - 9 AZR 431/08 - AP SGB IX § 82

Nr. 1; BAG 16.02.2012 aaO Rn 48).

Der beklagte Landkreis hat den gesetzlich vorgesehenen Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers durch seine Vorgehensweise zunichte gemacht. Die Auslegung der Mail vom 02.08.2013 nach dem objektiven Empfängerhorizont ergibt, dass dem Kläger signalisiert werden sollte, seine Bewerbung habe nach den Bewerbungsunterlagen nur eine geringe Erfolgsaussicht. Er solle sich daher überlegen, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Dahinter mag der aus Fürsorgegründen berechtigte Gedanke gestanden haben, der schwerbehinderte Bewerber solle keine lange Anreise für ein voraussichtlich erfolgloses Vorstellungsgespräch auf sich nehmen. Dem schwerbehinderten Bewerber wurde aber damit zugleich signalisiert, es sei aller Voraussicht nach aussichtslos, dass er den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch noch von seiner Eignung überzeugen könne. In der konkreten Situation handelte es sich bei der Mail vom 02.08.2013 entgegen der Auffassung des klagenden Landkreises nicht um eine neutrale Information über den Bewerberkreis; die Mail konnte aus der Sicht des schwerbehinderten Bewerbers nur als „abschreckende“ Mitteilung verstanden werden.

d) Der Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX wurde nicht dadurch geheilt, dass der beklagte Landkreis den Kläger mit Mail vom 07.08.2013 doch zu dem Vorstellungsgespräch einlud. Der Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG in Verbindung mit § 82 Satz 2 SGB IX besteht darin, den schwerbehinderten Menschen ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren zu gewährleisten. Die Benachteiligung des schwerbehinderten Bewerbers liegt schon darin, wenn er nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Entscheidend ist, dass dem schwerbehinderten Bewerber eine Chance versagt wird (BAG 23.08.2012 - 8 AZR 285/11 - NZA 2013, 37; BAG 22.08.2013 - 8 AZR 563/12 - NZA 2014, 82).

Die mit Mail vom 07.08.2013 ausgesprochene Einladung beinhaltete nicht dieselbe Chance wie eine neutrale Einladung. Sie eröffnete eine erheblich verminderte Chance, nämlich nur die Chance, ein Auswahlgremium zu überzeugen, das sich bereits eine dokumentierte Meinung gebildet hatte. In seinem Urteil vom 22.08.2013 (aaO Rn 59) hat das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, der durch § 82 Satz 2 SGB IX gewollte Chancenvorteil entfalle dann, wenn ein Bewerber bereits einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht habe. Dies gilt aber auch dann, wenn der Arbeitgeber dem schwerbehinderten Bewerber, ohne dass eine offensichtliche Nichteignung im Sinne des § 82 Satz 3 SGB IX vorliegt, die geringe Erfolgsaussicht seiner Bewerbung mitteilt. Unabhängig von dieser rechtlichen Bewertung ist die Kammer allerdings der Auffassung, dass es dem Gebot der Höflichkeit entsprochen hätte, wenn der Kläger den Termin vom 13.08.2013 abgesagt hätte. Die Verärgerung der Vertreter des Auswahlgremiums, die vom Kläger buchstäblich sitzen gelassen wurden, ist mehr als berechtigt. Es wäre fair gewesen, wenn der Kläger das Vorstellungsgespräch mit dem Hinweis abgesagt hätte, er betrachte die Mail vom 02.08.2013 als Diskriminierung und behalte sich rechtliche Schritte vor.

Würde man die Vorgehensweise des beklagten Landkreises billigen, so wäre eine erhebliche Umgehungsgefahr nicht auszuschließen, Die Kammer verkennt nicht, dass manche Vorstellungsgespräche mit schwerbehinderten Bewerbern von öffentlichen Arbeitgebern als „Pflichtübungen“ angesehen werden, weil sich die Auswahlgremien aufgrund der „Papierform“ längst eine Meinung gebildet haben. Der schwerbehinderte Bewerber soll aber gerade ungeachtet der „Papierform“ die Chance zu einer persönlichen Vorstellung erhalten. Würde man die Vorgehensweise des beklagten Landkreises akzeptieren, so könnte mancher öffentliche Arbeitgeber geneigt sein, schwerbehinderten Bewerbern Mitteilungen über die voraussichtliche Erfolglosigkeit ihrer Bewerbung zukommen zu lassen, um sich bestimmte Vorstellungsgespräche zu ersparen. Von Vorstellungsgesprächen mit schwerbehinderten Bewerbern kann jedoch nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur dann abgesehen werden, wenn dem schwerbehinderten Bewerber die Eignung offensichtlich fehlt. Letzteres war nach der Mail des beklagten Landkreises vom 02.08.2013 aber gerade nicht der Fall.

Auch das weitere Vorbringen des beklagten Landkreises, er übererfülle die Beschäftigtenquote von schwerbehinderten Menschen, genügt zur Widerlegung der Vermutung nicht. Der Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren ist ein Individualanspruch, der nicht dadurch aufgehoben wird, dass der Arbeitgeber die Gruppe der Schwerbehinderten gesetzeskonform behandelt (BAG 24.01.2013 - 8 AZR 188/12 - NZA 2013, 896).

5. Der beklagte Landkreis hat die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen dessen Behinderung nicht widerlegt. Der Umstand, dass die letztlich erfolgreiche Bewerberin besser qualifiziert war als der Kläger genügt zu seiner Widerlegung der Vermutung nicht. Es ergibt sich schon aus § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, dass eine Entschädigung auch dann verlangt werden kann, wenn der benachteiligte Bewerber nicht der bestqualifizierte Bewerber war (zuletzt BAG 26.06.2014 aaO Rn. 29). Im Übrigen können zur Widerlegung der Vermutung nur solche Gründe herangezogen werden, die nicht die fachliche Eignung betreffen (BAG 16.02.2012 aaO Rn 59; BVerwG 03.03.2011 Rn 29).

6. Das Arbeitsgericht hat die Entschädigung mit einem Bruttomonatsgehalt zutreffend bemessen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung sowie eine Reihe weiterer Faktoren (BAG 16.02.2012 aaO Rn 68). Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung zu entfalten.

Bei diesem Maßstab bewegt sich die ausgeurteilte Entschädigung nach Auffassung der Kammer im unteren Bereich. Das Arbeitsgericht war allerdings nach § 308 Abs. 1 ZPO an den gestellten Antrag gebunden, nachdem der Kläger die ursprünglich auf drei Bruttomonatsgehälter gerichtete Entschädigung auf ein Bruttomonatsgehalt reduziert hatte.

III.

Der beklagte Landkreis hat gemäß § 97 Abs. 1 die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Zum Schutzzweck des § 82 Satz 2 SGB IX liegt eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor. Die Auslegung der Mail vom 02.08.2013 beruht auf einer Würdigung des Einzelfalls.

 



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