Arbeitsgericht Aachen

Urteil vom - Az: 1 Ca 448/15 h

Die Vergütung von Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst ist mit dem Mindestlohngesetz vereinbar

Auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes gibt es keinen über den tarifvertraglichen Vergütungsanspruch hinausgehenden zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsanspruch für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst. Die tarifvertraglichen Vergütungsregelungen im TVöD-V zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst sind auch nach Inkrafttreten des MiLoG weiterhin gesetzeskonform.
(Leitsatz)

Hier: Der TVöD enthält ein Regelungssystem, wonach im Fall des Klägers ein Grundgehalt - ohne jegliche noch hinzukommende Zulagen - bereits in Höhe von 2.680,31 EUR gezahlt wird. Hierfür schuldet der Kläger eine Arbeitszeit, die grundsätzlich von den Tarifvertragsparteien kalkuliert wurde auf der Basis einer 39-Stunden-Woche, wobei jedoch die Tarifvertragsparteien ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen haben, dass der Kläger unter Hinzuziehung von Bereitschaftszeiten Gesamtarbeitsleistungen von bis zu 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt (Vollarbeit zuzüglich Bereitschaftszeiten) erbringen kann.
Eine derartige tarifvertragliche Regelung unterliegt in ihrer Zulässigkeit auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes keinerlei Bedenken.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.855,95 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus dem Mindestlohngesetz.

Die Beklagte betreibt den S. im L. I. Der am 04.11.1978 geborene Kläger ist seit ca. 2001 bei der Beklagten bzw. diversen Rechtsvorgängern als Mitarbeiter im Rettungsdienst im Arbeitsverhältnis beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD-V Anwendung. Der Kläger erhält ein Grundgehalt der Entgeltgruppe 5 Stufe 6 in Höhe von 2.680,31 EUR, zuzüglich Zulagen. Die tarifliche Wochenarbeitszeit gemäß TVöD beträgt grundsätzlich 39 Wochenstunden. Hinsichtlich Tätigkeiten im Rettungsdienst enthält der Abschnitt B des Anhangs zu § 9 TVöD-V jedoch folgende Sonderregelung:

 „B. Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst und in Leitstellen

 (1)   Für Beschäftigte im Rettungsdienst und in den Leitstellen, in deren Tätigkeit regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten fallen, gelten folgende besondere Regelungen zu § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD:

Die Summe aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit darf die Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 nicht überschreiten. Die Summe aus Vollarbeits- und Bereitschaftszeiten darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Bereitschaftszeiten sind die Zeiten, in denen sich die/der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Bereitschaftszeiten werden zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet (faktorisiert). Bereitschaftszeiten werden innerhalb von Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit nicht gesondert ausgewiesen.

 (2)   Die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit beträgt zwölf Stunden zuzüglich der gesetzlichen Pausen.

 (3)   Die allgemeinen Regelungen des TVöD zur Arbeitszeit bleiben im Übrigen unberührt.“

Für die Tätigkeit des Klägers fallen regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an.

Der Kläger vertritt die Auffassung, aus den tarifvertraglichen Regelungen ergebe sich, dass er lediglich eine Arbeitszeit von 39 Stunden bezahlt bekäme und die Bereitschaftszeiten darüber hinausgehend nicht gezahlt würden. Der Kläger ist der Ansicht, die tariflichen Regelungen des TVöD zur Vergütung von Bereitschaftszeiten seien seit dem 01.01.2015 auf Grund des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes unzulässig geworden. Er ist der Ansicht, ihm stünde nunmehr ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Vergütung von 8,50 EUR pro Stunde für die Bereitschaftszeiten zu. Er vertritt unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12, die Ansicht, Bereitschaftszeiten seien wie (Voll-) Arbeitszeit zu vergüten.

Der Kläger hat am 04. Februar 2015 die vorliegende Klage erhoben, die er mit Schriftsatz vom 06.03.2015 (Blatt 32 der Gerichtsakte) erweitert hat und mit der er nunmehr zusätzliche gesetzliche Vergütungsansprüche auf Grundlage des Mindestlohngesetzes, die er mit 618,65 Euro pro Monat beziffert, für die Monate Januar und Februar 2015 geltend macht.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.237,30 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 618,65 EUR ab dem 01.02.2015 und aus weiteren 618,65 EUR brutto ab dem 01.03.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die tarifvertraglichen Regelungen zur Bereitschaftszeit im Rettungsdienst auch nach Inkrafttreten des Mindestlohns für gesetzeskonform. Sie ist der Ansicht, dass die Tarifvertragsparteien zulässigerweise einen fixen Bruttomonatslohn vereinbart hätten, mit dem nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sowohl die Vollarbeitszeit als auch eine zusätzliche Bereitschaftszeit abgegolten sein soll. Die Ausführungen des BAG in der Entscheidung vom 24.09.2008, 10 AZR 669/07, zur Zulässigkeit eines solchen tarifvertraglichen Arbeitszeitmodells seien auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes nicht überholt. Die Beklagte verweist darauf, dass im vorliegenden Fall des Klägers die hohe tarifvertragliche Grundvergütung selbst dann oberhalb des neuen gesetzlichen Mindestlohnes läge, wenn man die Bereitschaftszeit vollumfänglich wie (Voll-) Arbeitszeit vergütungsrechtlich bewerten würde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Zahlungsklage war unbegründet.

Der Kläger hat keinen über den tarifvertraglichen Vergütungsanspruch hinausgehenden weiteren gesetzlichen Vergütungsanspruch aus § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG).

Denn die tarifvertraglichen Bestimmungen im Abschnitt B des Anhangs zu § 9 TVöD zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst und in Leitstellen sind auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes weiterhin gesetzeskonform.

Nach § 1 Abs.1 MiLoG haben Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG beträgt die Höhe des Mindestlohns seit dem 01.01.2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde.

Diesen neuen gesetzlichen Anforderungen genügen die tarifvertaglichen Regelungen des TVÖD-V auch im Hinblick auf die Sonderregelungen zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst weiterhin.

Zunächst kann bereits der Ansatz des Klägers nicht geteilt werden, aus den tarifvertraglichen Vorschriften ergebe sich, dass Bereitschaftszeiten nicht vergütet werden. Eine solche Bestimmung enthalten die tarifvertraglichen Vorschriften im TVöD an keiner Stelle. Vielmehr enthält der TVöD ein Regelungssystem, wonach im Fall des Klägers ein Grundgehalt - ohne jegliche noch hinzukommende Zulagen - bereits in Höhe von 2.680,31 EUR gezahlt wird. Hierfür schuldet der Kläger eine Arbeitszeit, die grundsätzlich von den Tarifvertragsparteien kalkuliert wurde auf der Basis einer 39-Stunden-Woche, wobei jedoch die Tarifvertragsparteien ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen haben, dass der Kläger unter Hinzuziehung von Bereitschaftszeiten Gesamtarbeitsleistungen von bis zu 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt (Vollarbeit zuzüglich Bereitschaftszeiten) erbringen kann.

Eine derartige tarifvertragliche Regelung unterliegt in ihrer Zulässigkeit auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes keinerlei Bedenken.

Selbst ein Tarifvertrag, der eine wöchentliche Vollarbeitszeit in Höhe der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden (die ausdrücklich gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten tariflicher Modifikationen hierzu außen vorgelassen) vorsehen würde, wäre unzweifelhaft gesetzeskonform. Die vorliegende Regelung des TVöD weicht zu Gunsten der Arbeitnehmerseite von dieserunzweifelhaft zulässigen tariflichen Arbeitszeitregelung dahingehend ab, dass keine Vollarbeitszeit von 48 Stunden vorgesehen ist, sondern grundsätzlich nur eine tarifliche Arbeitszeit von 39 Stunden, wobei sich jedoch die tatsächlich für den Arbeitgeber einzusetzende Zeit unter Berücksichtigung von Bereitschaftszeiten auf bis zu durchschnittlich 48 Wochenstunden verlängern kann. Als arbeitgeberseitige Gegenleistung sehen die Tarifvertragsparteien hierfür einen Anspruch des klagenden Arbeitnehmers  auf ein Grundentgelt von mindestens 2.680,31 EUR brutto pro Monat vor.

Selbst wenn man einmal zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass die Bereitschaftszeiten wie Vollarbeitszeit vergütungsrechtlich zu bewerten wären, was - da nicht entscheidungsrelevant - vorliegend von der Kammer ausdrücklich offen gelassen wird, ergäbe sich bei einer 48-Stunden-Woche des Klägers, was nach dem  unstreitigen eigenen Vortrag des Klägers in der Klageschrift 208,7 Monatsstunden entspricht, ausgehend von den Voraussetzungen des seit dem 01.01.2015 in Kraft getretenen Mindestlohngesetzes ein Mindestvergütungsanspruch pro Monat in Höhe von 1.773,95 EUR (208,7 Stunden x 8,50 EUR). Dieser Vergütungsanspruch wird vorliegend mit einem monatlichen Vergütungsanspruch des Klägers in Höhe von mindestens 2.680,31 EUR deutlich überschritten. Selbst wenn man vorliegend die Bereitschaftszeiten vollumfänglich wie Vollarbeit vergütungsrechtlich bewerten würde, ergäbe sich ein Stundenlohn des Klägers in Höhe von mindestens 12,84 EUR (2.680,31 EUR : 208,7 Stunden). Dies liegt weit oberhalb der Erfordernisse des Mindestlohngesetzes.

Das klägerseitige Ansinnen, auf diese - nicht unerhebliche - tarifliche Vergütung noch eine zusätzliche Vergütung nach dem Mindestlohngesetz zu verlangen, war daher fernliegend. Das tarifvertragliche Regelungssystem des TVöD hinsichtlich der Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst bleibt auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes weiterhin zulässig, jedenfalls soweit ein Mindestentgelt in Höhe von 1.773,95 EUR tarifvertraglich pro Monat gewährt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach hatte der Kläger als vollumfänglich unterlegene Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde auf den bezifferten Wert des Zahlungsantrages festgesetzt.



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