Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 11 Sa 493/14

BR-Anhörung vor Kündigung: Falschangabe von Fehlzeiten

1. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG angehört, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat. Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände (BAG, Urteil vom 16.09.2004 - 2 AZR 511/03 - m. w. N.).

2. Der Grundsatz der subjektiven Determinierung des Anhörungsverfahrens entbindet den Arbeitgeber nicht von seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht, den Betriebsrat zutreffend über die von ihm herangezogenen Kündigungsgründe zu unterrichten. Der Arbeitgeber muss seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Ein aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung stellt keine ordnungsgemäße Anhörung dar (BAG, Urteil vom 24.11.24.11.2005- 2 AZR 514/04 - m. w. N.).
(Leitsätze)

Hier: Die Beklagte hat in dem Anhörungsschreiben vom 18.07.2013 die Kündigung nicht nur damit begründet, dass keine positive Prognose über den Gesundheitszustand der Klägerin vorgelegen habe. Sie hat darüber hinaus ausdrücklich betont, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im letzten halben Jahr spürbar verschlechtert habe. Sie hat diesen Umstand zum Gegenstand ihres Kündigungsbegehrens gemacht. Diese Mitteilung gegenüber dem Betriebsrat lässt sich aber unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.04.2014 - 10 Ca 6204/13 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 29.07.2013, zugegangen am gleichen Tag, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutz-verfahrens zu den vereinbarten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Die im Jahre 1963 geborene Klägerin, verheiratet und Mutter eines bei Klageerhebung 27-jährigen Studenten, mit einem Grad der Behinderung von 40 und mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt, ist seit dem November 2002 bei der Beklagten beschäftigt, ursprünglich als Erzieherin und seit dem Jahre 2006 als Ergänzungskraft. Das Monatsgehalt der Klägerin beträgt etwa 2.400,-- € brutto. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages vom 12.05.2003 wird Bl. 6 ff. d. A. verwiesen. Die Beklagte betreibt 27 Kindertagesstätten in Köln und beschäftigt einige hundert Mitarbeiter.

Im April 2010 konnten sich die Parteien nach längerer, fortdauernder Erkrankung der Klägerin seit dem Januar 2010 nicht auf eine stufenweise Wiedereingliederung über das sog. Hamburger Modell einigen, weil die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt hatte, wonach sie nicht mehr als 5 Kg heben und tragen dürfe.

Mit Bescheid vom 17.06.2010 (Bl. 10 f. d.A.) wurde bei der Klägerin zunächst ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Laut Bescheid lagen folgende Beeinträchtigungen vor: psychische Behinderung, rückfälliges Wirbelsäulen- und Schulter Syndrom, Bandscheibenschäden, Meniskusschäden, Allergie und Exanthem.

Die Betriebsmedizinerin äußerte mit Schreiben vom 01.09.2010 arbeitsmedizinische Bedenken gegen den weiteren Einsatz der Klägerin in der Unterdreijährigen-Gruppe wegen der Leiden im Stütz- und Bewegungsapparat. Unter der Voraussetzung, dass der Klägerin ein ergonomisch ausgerichteter Erzieherinnenstuhl zur Verfügung gestellt werde, bestünden keine arbeitsmedizinischen Bedenken gegen die Betreuung von älteren Kindern. Wegen der weiteren Einzelheiten der Mitteilung vom 01.09.2010 wird auf Bl. 51 f. d. A. verwiesen.

Nach einem Arbeitsplatzkonflikt an der bisherigen Einsatzstelle der Klägerin, der Kita H -S -S , sowie der Durchführung einer Kurmaßnahme setzte die Beklagte die Klägerin in unterschiedlichen Kindertagesstätten mit Vertretungsdiensten ein, zunächst in der Kita A (K -R ), in der Zeit vom 22.11.2010 bis 30.11.2010 in der Kita S (K -K ).

Am 01.12.2010 fand an ein Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) statt, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Beklagte einen Erzieherinnenstuhl beantragt und nach einem festen Einsatzort für die Klägerin sucht, es sollte auch geprüft werden, ob ein Einsatz in der Kita H -S -S möglich ist. Die Klägerin hatte in diesem Gespräch darauf hingewiesen, dass sie zur Gesundung einen festen Arbeitsplatz benötige und sie nicht weiter als Springerin eingesetzt werden wolle. An der früheren Arbeitsstelle habe sie sich wohl gefühlt. Den Vorschlag der Beklagten zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wies die Klägerin zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des BEM-Gesprächs vom 01.12.2010 (Bl. 532 f. d.A.) Bezug genommen.

Laut fachärztlichem Befundbericht vom 10.03.2011 (Bl. 176 d.A.) stellt die ungeklärte Arbeitssituation eine psychische Belastung für die Klägerin dar. Zum Erreichen und Erhalt der psychischen Stabilität sei eine feste Orientierung und ein fester Rahmen des Arbeitsplatzes dringend notwendig, wechselnde Einsatzorte seien als nicht leidensgerecht anzusehen, bei unverändert andauernder körperlicher und seelischer Belastung könne eine Chronifizierung der Symptome bis hin zu einer schweren Depression nicht ausgeschlossen werden.

Im Zeitraum 13.05.2011 bis 22.07.2011 erfolgte der Einsatz der Klägerin in der Kita M (K -W ).

Im November 2011 wurde der Klägerin ein Erzieherinnenstuhl zur Verfügung gestellt.

Der vorgesehene Einsatz der Klägerin im Zeitraum vom 07.12.2011 bis 23.04.2012 in der Kita H -A -S (K -O ) konnte wegen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht realisiert werden.

Mit Bescheid vom 16.12.2011 (Bl. 172 f. d. A.) lehnte der Rentenversicherungsträger den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab.

Mit Bescheid vom 13.01.2012 (Bl. 164 f. d.A.) wurde der anerkannte Grad der Behinderung auf 40 erhöht. Als zusätzliche Beeinträchtigung ist eine rezidivierende Bronchitis genannt.

Laut ärztlichem Attest zur Vorlage bei der Rentenversicherung vom 30.01.2012 (Bl. 13 f. d.A.) lag bei der Klägerin eine mittelgradig depressive Episode und ein chronisches Wirbelsäulensyndrom vor. Zur weiteren Stabilisierung und Erhalt der Arbeitsfähigkeit wurde eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme mit einem multimodalen Therapiekonzept als dringend erforderlich erachtet. Dies sollte auch zur Vorbereitung einer ambulanten Psychotherapie dienen.

Im ersten Halbjahr 2012 stand die Klägerin auf einer Warteliste für einen psychoambulanten Therapieplatz. Im Sommer 2012 verzichtete die Klägerin auf ein weiteres Verbleiben auf der Warteliste, so dass Schreiben des psychologischen Psychotherapeuts vom 13.01.2014 (Bl. 171 d.A.).

Seit dem 24.04.2012 wird die Klägerin wieder in der Kita A mit wechselnden Vertretungsdiensten innerhalb verschiedener Betreuungsgruppen eingesetzt.

Am 16.05.2012 fand ein weiteres BEM-Gespräch statt, indem die Klägerin der Beklagten das Attest vom 30.01.2012 vorgelegt hat.

Am 02.07.2012 mahnte die Beklagte die Klägerin wegen der Weigerung der Übernahme des Hofdienstes ab (Bl. 202 f. d.A.).

Die Klägerin stellte sich auf Veranlassung der Beklagten am 12.07.2012 der Betriebsmedizinerin vor. Laut betriebsärztlicher Stellungnahme vom 15.07.2012 steht die seelische Erkrankung im Vordergrund des Beschwerdebilds der Klägerin. Da die Klägerin den Empfehlungen des Attests vom 30.01.2012 nicht nachgekommen sei, sei aus arbeitsmedizinischer Sicht mit der Verschlechterung ihres Zustands zu rechnen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme der Betriebsmedizinerin wird auf Bl. 170 d. A. verwiesen.

Unter dem 18.07.2012 erteilte die Beklagte der Klägerin eine erneute Abmahnung, weil die Klägerin nicht bereit gewesen war, ein Gespräch über ihren Aufgabenbereich fortzuführen, nachdem der Betriebsrat den Raum verlassen hatte (Bl. 204 f. d.A.).

Die Klägerin hatte nach Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren seit dem Jahre 2009 folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten aufzuweisen:

2009                                                                       37 Arbeitstage

2010              246 Kalendertage (190 Arbeitstage, vgl. Aufstellung Bl. 568)

2011                                                                      55 Arbeitstage

2012                                                                      81 Arbeitstage

2013 bis zum 12.07.2013              21 Kalendertage (17 Arbeitstage, vgl. Aufstellung Bl. 576 d.A.)

Hinsichtlich Art und Dauer der attestierten Arbeitsunfähigkeitszeiten wird auf die Auskunft der Allgemeinen Ortskrankenkasse R vom 01.04.2014 (Bl. 329 ff. d. A.) verwiesen.

Das Integrationsamt erteilte auf Antrag der Beklagten vom 24.01.2013 mit Bescheid vom 12.07.2013 (Bl. 57 ff. d. A.) die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus krankheitsbedingten Gründen. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Nachdem der Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 28.03.2014 zurückgewiesen wurde, hat sie hiergegen Klage vor dem Verwaltungsgericht (VerwG Köln 7 K 2148/14) erhoben.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 18.07.2013 zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 31.12.2013 an. In dem Anhörungsschreiben ist u.a. angegeben, dass die Klägerin keine unterhaltsberechtigten Kinder habe, in der Tätigkeit einer Kinderpflegerin als Ergänzungskraft in der Kita A beschäftigt werde und mit der Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht gerechnet werden könne. Der Gesundheitszustand habe sich letzten halben Jahr spürbar verschlechtert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anhörungsschreibens nebst Anlagen wird auf Bl. 559 ff. d. A. Bezug genommen. Dem Betriebsrat wurden laut Bestätigung vom 03.09.2013 (Bl. 574 d. A.) entstandene Lohnfortzahlungskosten von 24.154,03 € mitgeteilt. Der Betriebsrat ließ die Stellungnahmefrist verstreichen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.07.2013 zum 31.12.2013.

Die Klägerin hat sich mit der vorliegenden Klage gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gewandt. Zur Begründung hat sie u.a. behauptet, die Beklagte habe ihre arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht verletzt, die Klägerin sei jahrelang diskriminiert und einem gesundheitsgefährdenden Fehlverhalten ausgesetzt worden. Die Beklagte habe es unterlassen, hinreichende Maßnahmen zur Schlichtung des Arbeitsplatzkonflikts zu ergreifen. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses angehört worden. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei unbegründet, da die Vorwürfe nicht gegen die Beklagte sondern nur gegen ihren Prozessvertreter erhoben worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 29.07.2013, zugegangen am gleichen Tag, nicht aufgelöst worden ist;

2. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungs-schutzverfahrens zu den vereinbarten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des gestellt wird, jedoch 18.000,-- € nicht überschreiten soll, aufzulösen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Auflösungsantrag abzuweisen.

Die Beklagte hat u.a. die Ansicht vertreten, die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, denn nach der bisherigen Fehlzeitenentwicklung sei davon auszugehen, dass die Klägerin auch in Zukunft in gleichem Umfang krankheitsbedingt fehlen werde. Die zu besorgenden betrieblichen und wirtschaftlichen Belastungen seien ihr nicht zuzumuten. Der Auflösungsantrag sei im Hinblick auf den prozessual vorgetragenen Vorwurf, dass es das vornehmliche Interesse der Beklagten sei, die Klägerin vorsätzlich an Körper und Seele zu schädigen, gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.04.2014 (Bl. 372 ff. d.A.) die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sei, da eine negative Gesundheitsprognose bestehe und der Beklagten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten nicht zumutbar sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung hätten keine handfesten Beweise für eine Besserung des Gesundheitszustandes bestanden, im Gegenteil sei mit steigenden Krankheitszeiten der Klägerin zur rechnen gewesen, da sich die körperlichen Beschwerde der Klägerin zwischenzeitlich verschlechtert und chronifiziert hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.05.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.06.2014 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 13.08.2014 begründet.

Die Klägerin rügt die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats, weil diesem zum einen unzutreffend mitgeteilt worden sei, dass die Klägerin keine unterhaltsberechtigten Kinder habe. Die Beklagte habe um die Unterhaltspflicht für den Sohn gewusst, wie sich dem Schreiben der Klägerin vom 17.01.2013 (Bl. 531 d. A.) entnehmen ließe. Die Angabe der Tätigkeit der Klägerin sei ebenfalls falsch. Die Beklagte habe verschwiegen, dass die Klägerin als Springerin eingesetzt worden sei. Mit dieser Fehlinformation sei die Tatsache verschleiert worden, dass der Einsatz an wechselnden Einsatzorten aus medizinischer Sicht nicht leidensgerecht gewesen sei. Irreführend seien auch die Angaben zum Gesundheitszustand der Klägerin gewesen. Die angebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei ohne konkreten Bezug in den Raum gestellt worden, die dokumentierten krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahre 2013 rechtfertigten diese Annahme nicht. Dem Betriebsrat sei zudem eine überhöhte Anzahl von Krankenfehltagen und zu hohe Entgeltfortzahlungskosten mitgeteilt worden. Die Klägerin behauptet, sie wäre ab dem Juli 2010 uneingeschränkt arbeitsfähig geworden, wenn die Wiedereingliederung im April 2010 nicht am Widerstand der Beklagten gescheitert wäre. Die Klägerin hält der Beklagten vor, dass sie in Kenntnis der gesundheitlichen Problematik der Klägerin daran festgehalten habe, die Klägerin von der Basisstation Kita Adlerstraße zu Springer- und Vertretungsdiensten heranzuziehen. Die Beklagte habe die Vereinbarung zum Einsatz der Klägerin aus dem BEM-Gespräch vom 01.12.2010 trotz mehrfachen Anmahnens der Klägerin nicht umgesetzt. Die psychosomatischen Erkrankungen, einschließlich der körperlichen Beschwerden, der Klägerin seien reaktiver Art. Durch den Einsatz in der Kita A seien Mehrbelastungen entstanden, die Zeiten für Hin- und Rückfahrt zur Arbeitsstelle hätten sich von einer halben auf drei Stunden erhöht. Die Leiterin der Kita A habe die Klägerin in herabwürdigender und diskriminierender Art und Weise behandelt. Die Darstellung der Betriebsärztin vom 15.07.2012 sei irreführend und tendenziös. Die Klägerin habe den Eindruck gehabt, dass die Betriebsmedizinerin persönlich befangen gewesen sei. Diese habe entgegen früherer Zusage eine Beteiligung als aktives Mitglied des Integrationsteam im BEM-Verfahren abgelehnt. Trotz Weigerung der Klägerin zur Unterzeichnung einer Schweigepflichtsentbindungserklärung habe sie die Beklagte vom Ergebnis der Untersuchung unterrichtet. Sie habe verschwiegen, dass die Klägerin unstreitig seit dem Frühjahr 2011 an einem Kurs berufsbegleitender Konfliktberatung mit psychosozialer Sprachförderung und Supervision (Bl. 174 d. A.) teilgenommen habe. Der Auflösungsantrag sei unbegründet, die Klägerin habe in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, indem sie im Prozess auf die Missstände hingewiesen habe.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Klön vom 17.04.2014 - 10 Ca 6204/13 - der Klage stattzugeben;

2. den Hilfsantrag der Beklagten, wonach das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 18.000,-- € aufzulösen sei, zurückzuweisen;

3. hilfsweise das vorliegende Kündigungs-schutzverfahren 11 Sa 493/14 (ArbG Köln 10 Ca 6204/13) auszusetzen und zwar zumindest bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln im Klageverfahren 7 K 2148/14 gegen den LV Rheinland wegen Erteilung der Zustimmung zur Kündigung nach § 85 SGB X.

Die Beklagte beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen;

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des gestellt wird, jedoch 18.000,-- € nicht überschreiten soll, aufzulösen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme und Vertiefung ihres Vortrags erster Instanz. Die negative Gesundheitsprognose sei begründet, da die Klägerin unter chronischen Rückenbeschwerden und psychosomatischen Störungen leide. Ein Einsatz in der Kita Hans-Schulten-Straße sei nicht mehr möglich gewesen. Der Wiedereingliederungsmaßnahme im April 2010 habe zum einen entgegen gestanden, dass ein Teilzeiteinsatz im Rahmen der pädagogischen Betreuung von Kindern nicht sinnvoll sei. Zum anderen sei aus Fürsorgegesichtspunkten ein Einsatz erst möglich, wenn die Befähigung zum Heben ab 15 Kg wieder hergestellt sei. Die Beklagte behauptet, der Klägerin sei nach dem Scheitern des Einsatzes in der Kita H -A -S mitgeteilt worden, dass sie künftig nicht mehr außerhalb der Kita A eingesetzt werde. Der Beklagten sei die angebliche Unterhaltspflicht für den Sohn unbekannt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 10.08.2014, 21.10.2014 und 07.11.2014, die Sitzungsniederschrift vom 12.11.2014 und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist auch begründet, denn die Beklagte hat den Betriebsrat zu der Kündigung vom 29.07.2013 nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG angehört. Die Kündigung ist daher in entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

1. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat. Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände (BAG, Urt. 16.09.2004 - 2 AZR 511/03 - m.w.N.). Der Grundsatz der subjektiven Determinierung des Anhörungsverfahrens entbindet den Arbeitgeber nicht von seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht, den Betriebsrat zutreffend über die von ihm herangezogenen Kündigungsgründe zu unterrichten. Der Arbeitgeber muss seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Ein aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung stellt keine ordnungsgemäße Anhörung dar (BAG, Urt. v. 24.11.2005 - 2 AZR 514/04 - m.w.N.).

2. Die Beklagte hat den Betriebsrat entgegen dem eigenen Kenntnisstand und damit bewusst unzutreffend über den Gesundheitszustand der Klägerin unterrichtet. Sie hat dadurch ein falsches Bild der gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin gezeichnet. Die Beklagte hat in dem Anhörungsschreiben vom 18.07.2013 die Kündigung nicht nur damit begründet, dass keine positive Prognose über den Gesundheitszustand der Klägerin vorgelegen habe. Sie hat darüber hinaus ausdrücklich betont, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im letzten halben Jahr spürbar verschlechtert habe. Sie hat diesen Umstand zum Gegenstand ihres Kündigungsbegehrens gemacht. Diese Mitteilung gegenüber dem Betriebsrat lässt sich aber unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen. Die Beklagte hatte weder aufgrund von Äußerungen der Klägerin im ersten Halbjahr 2013 noch aus sonstigen Gründen einen nachvollziehbaren Anlass, diese inhaltlich unzutreffende Behauptung gegenüber dem Betriebsrat aufzustellen und damit die gesundheitliche Entwicklung im Falle der Klägerin zu überzeichnen und zu dramatisieren. Die Entwicklung der Fehlzeiten der Klägerin im ersten Halbjahr 2013 deutete nicht auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin hin. Im Gegenteil wies die Fehzeitenquote - trotz der ungelösten Arbeitsplatzkonflikte - eine spürbare Besserung auf. Die Fehlzeitenquote - gemessen an Arbeitstagen, bereinigt um Feiertage - der Klägerin lag im Jahr 2013 bis zum 12.07.2013 bei 12,8 % gegenüber 32,3 % im Jahre 2012, 21,8 % im Jahre 2011 und 74,8 % im Jahre 2010.

3. Aufgrund der festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.07.2013 ist die Beklagte nach den Grundsätzen in der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - auch verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Überwiegende schutzwerte Interessen der Beklagten, die trotz Obsiegens der Klägerin im Kündigungsschutzprozess ausnahmsweise einer auch nur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

III. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist schon aufgrund der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 29.07.2013 wegen der dargelegten nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG unbegründet. Ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien zu erwarten ist, bedurfte keiner Entscheidung.

Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur verlangen, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung allein auf der Sozialwidrigkeit, nicht jedoch auf anderen Gründen im Sinne des § 13 Abs. 3 KSchG beruht. Lediglich in Fällen, in denen die Norm, aus der der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung neben der Sozialwidrigkeit herleitet, nicht den Zweck verfolgt, dem Arbeitnehmer einen zusätzlichen Schutz zu verschaffen, sondern allein der Wahrung der Interessen Dritter dient, steht die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Kündigung einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht entgegen (BAG, Urt. v. 28.05.2009 - 2 AZR 949/07 - m.w.N.). Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats handelt es sich um einen dem Schutz des Arbeitnehmers dienenden Grund, bei dessen Eingreifen dem Arbeitgeber der Auflösungsantrag verwehrt ist (BAG, Urt. v. 10.11.2005 - 2 AZR 623/04 -; vgl. auch: BAG Urt. v. 28.08.2008 - 2 AZR 63/07 - m.w.N.).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

V. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Entscheidung auf den Besonderheiten des Einzelfalles beruht und eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht Gegenstand der Entscheidung war.



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