Landesarbeitsgericht Hamm

Urteil vom - Az: 15 Sa 803/15

Bewerbungsgespräch ohne Schwerbehindertenvertretung

1. Die über den Termin eines Vorstellungsgesprächs rechtzeitig in Kenntnis gesetzte Schwerbehindertenvertretung entscheidet autonom, ob und auf welche Art und Weise sie sich in das Bewerbungsverfahren einschaltet. Der Arbeitgeber hat im Rahmen des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nicht eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an Vorstellungsgesprächen zu erwirken.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Nimmt die rechtzeitig in Kenntnis gesetzte Schwerbehindertenvertretung nicht an dem Bewerbungsgespräch teil, so folgt daraus nicht die Vermutung der Benachteiligung der Bewerberin aufgrund ihrer (Schwer-)Behinderung.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 13.05.2015 – 3 Ca 2778/14 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Die Klägerin, die die Erste und Zweite juristische Staatsprüfung abgelegt hat, war bei der Beklagten über sieben Jahre im sog. Examinatoriumsbüro beschäftigt, bis ihre Stelle aufgrund einer Umstrukturierung zum 30.06.2014 entfiel.

Am 24.04.2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit – Agentur Braunschweig-Goslar – einen Antrag auf Gleichstellung einem schwerbehinderten Menschen. Diesem wurde durch Bescheid vom 29.08.2014 rückwirkend ab dem 24.04.2014 stattgegeben (Bl. 7 d. A.).

Mit Schreiben vom 24.04.2014 bewarb sich die Klägerin bei der Beklagten, Dekanat Fakultät für Rechtswissenschaft, auf die Stelle „RICHTIG EINSTEIGEN für bessere Studienbedingungen und Qualität in der Lehre“ (Kennziffer: wiss2161). Für die Einzelheiten des Bewerbungsschreibens der Klägerin wird auf Bl. 5 d. A., für die Einzelheiten der entsprechenden Stellenausschreibung auf Bl. 19 f. d. A. verwiesen.

Über die Absicht der Ausschreibung der Stelle mit der Kennziffer: wiss2161 informierte die Beklagte unter dem 14.03.2014 den bei ihr gebildeten Personalrat der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter, die Gleichstellungsbeauftragte sowie die Schwerbehindertenvertretung mit der Bitte bzw. Gelegenheit um/zur Stellungnahme. Der Personalrat teilte unter dem 27.03.2014 mit, dass Einwendungen gegen das Ausschreiben der Stelle nicht erhoben werden. Für die Einzelheiten dieses Informationsschreibens bzw. der Stellungnahme des Personalrats wird verwiesen auf Bl. 16, 17 d. A.

Durch E-Mail vom 31.03.2014 informierte die Beklagte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur Bielefeld, über die Stellenausschreibung mit dem weiteren Hinweis, dass sie davon ausgehe, dass keine geeigneten Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen vorliegen, wenn sie innerhalb von vier Wochen keine Rückmeldung erhalte (für die Einzelheiten: Bl. 18 d. A.).

Die Beklagte informierte die Schwerbehindertenvertretung vom Eingang der Bewerbung der Klägerin und teilte der Vertretung den Termin für ein Vorstellungsgespräch mit. An dem Vorstellungsgespräch nahmen teil Prof. Dr. H, Frau C, Frau L, Dr. S sowie Prof. Dr. C. Die Schwerbehindertenvertretung nahm an dem Vorstellungsgespräch nicht teil.

Mit Schreiben vom 09.07.2014 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Absage mit dem Hinweis, sie sei nicht in den engeren Kreis der für die genannte Position infrage kommenden Kandidaten aufgenommen worden. Für die Einzelheiten des Schreibens wird verwiesen auf Bl. 6 d. A.

Die Klägerin beanspruchte mit Schreiben vom 20.08.2014 von der Beklagten eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren aufgrund einer Behinderung. Für die Einzelheiten des Geltendmachungsschreibens wird auf Bl. 8 f. d. A. verwiesen.

Nach Verstreichen der in dem Schreiben der Klägerin vom 20.08.2014 gesetzten Zahlungsfrist hat die Klägerin mit ihrer am 18.11.2014 eingereichten Zahlungsklage den Entschädigungsanspruch, den sie in Höhe eines dreifachen monatlichen Bruttoentgelts, nämlich mit 6.453,00 Euro beziffert, weiter verfolgt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie sei wegen ihrer Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt worden. Eine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes sei zu vermuten, weil die Schwerbehindertenvertretung ohne ihre – der Klägerin – Kenntnis an dem Vorstellungsgespräch nicht teilgenommen habe. Die Klägerin hat behauptet, sie habe nicht gewusst, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht unter den Teilnehmern des Vorstellungsgesprächs gewesen sei. Hierüber sei sie nicht informiert worden. Die Teilnehmer des Vorstellungsgesprächs hätten sich nicht in ihrer jeweiligen Funktion vorgestellt. Des Weiteren hat die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten, ihre Ablehnung als Bewerberin auf die Stelle sei auch inhaltlich ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Aufgrund ihrer Erfahrung sei sie bereits bestens für die Stelle qualifiziert gewesen. Sie habe sich gut präsentiert, da durch eine entsprechende Recherche im Internet gut vorbereitet gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.453,00 Euro brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Nichtberücksichtigung der Bewerbung der Klägerin stelle in keinem Fall einen Verstoß gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot des AGG wegen einer Behinderung dar. Ein Vermutungstatbestand greife nicht; insbesondere habe sie ihre Verpflichtung zur Information und Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nicht verletzt. Die Schwerbehindertenvertretung habe aufgrund Urlaubsabwesenheit und eigener Entscheidung auf die Teilnahme an dem Vorstellungsgespräch verzichtet, so die Behauptung der Beklagten. Darüber hinaus sei die Klägerin auch in dem Vorstellungsgespräch über die Teilnehmer des Gesprächs und deren Funktionen durch Vorstellung seitens Prof. Dr. Hs informiert worden. Die Ablehnung der Bewerbung der Klägerin habe auf sachlichen Erwägungen beruht. Die Klägerin sei nicht hinreichend über das Programm RICHTIG EINSTEIGEN informiert gewesen. In dem Vorstellungsgespräch habe die Klägerin den Fokus auf die Vermittlung von Klausurtechniken gelegt, sich hingegen auf die Betreuung der Studierenden, insbesondere der Studienanfänger in der Studieneingangsphase, nicht eingelassen.

Durch Urteil vom 13.05.2015 hat das Arbeitsgericht Bielefeld die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 i. V. m. § 1 AGG. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 1 AGG wegen einer Behinderung habe nicht vorgelegen. Ein Vermutungstatbestand im Sinne des § 22 AGG sei nicht gegeben. Er liege insbesondere nicht darin, dass die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung nicht hinreichend in das Bewerbungsverfahren einbezogen hätte. Der Schwerbehindertenvertretung seien die Bewerbungsunterlagen der Klägerin übermittelt, zudem sei die Vertretung von dem Termin des Vorstellungsgesprächs unterrichtet worden. Es habe dahinstehen können, ob die Klägerin in dem Vorstellungsgespräch darüber informiert worden sei, dass die Schwerbehindertenvertretung ihre Teilnahme abgesagt hätte. Die Beklagte habe den Termin für das Vorstellungsgespräch wegen der Verhinderung der Schwerbehindertenvertretung nicht verschieben müssen. Es sei Sache der Schwerbehindertenvertretung selbst zu entscheiden und zu prüfen, in welcher Weise sie sich aufgrund der ihr erteilten Informationen in das Bewerbungsverfahren einschalte. Die Vertretung habe das Recht, nicht jedoch die Pflicht, an dem Bewerbungsgespräch mit einer schwerbehinderten Person teilzunehmen. Der vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Fall zu dem Az. 8 AZR 574/12 sei mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar. Ein weiterer Vermutungstatbestand sei nicht ersichtlich. Die Klägerin habe in der Sache nicht substantiiert vorgetragen, dass der mitgeteilte Antrag auf Gleichstellung ein entscheidendes Motiv für die Absage auf ihre Bewerbung gewesen sei.

Gegen das der Klägerin am 18.05.2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat diese am 10.06.2015 Berufung eingelegt und sie – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.08.2015 – mit einem am 18.08.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin tritt der Entscheidung des Arbeitsgerichts entgegen und ist weiterhin der Auffassung, dass die mangelnde Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsgespräch ein Indiz für das Vorliegen einer Benachteiligung wegen einer Behinderung sei. Die Beklagte habe sicherstellen müssen, dass die Schwerbehindertenvertretung von ihrem Teilnahmerecht auch Gebrauch mache. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne nur der schwerbehinderte Bewerber auf die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung verzichten. Die Beklagte habe den Pflichtverstoß der Schwerbehindertenvertretung auch nicht einfach hinnehmen dürfen. Der Streit, so die Klägerin, gehe auch darüber, dass sie nicht informiert gewesen sei, dass die Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsgespräch nicht teilnehmen würde. In dem Bewerbungsgespräch habe die Beklagte zudem nicht sämtliche Teilnehmer unter Nennung ihrer Funktion vorgestellt. Schließlich verweist die Klägerin darauf, dass sie nach einem erfolgten Hinweis zu der Nichtteilnahme der Schwerbehindertenvertretung bei dieser durch entsprechende Intervention deren Teilnahme doch noch hätte erwirken können.

Zum Inhalt des Bewerbungsgesprächs sei der Vortrag der Beklagten wenig substantiiert. Es bleibe dunkel, auf welche Fragen der Beratung und der besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit Studieninteressierten und Studienanfängern sie überhaupt nicht eingegangen sein solle.

Die Klägerin beantragt,

das am 13.05.2015 verkündete Urteil des Arbeitsgerichtes Bielefeld  aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.453,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass sie alle Obliegenheiten der §§ 81, 82 i. V. m. § 95 Abs. 2 SGB IX eingehalten habe. Insbesondere habe sie die Schwerbehindertenvertretung von der Bewerbung der Klägerin und über den Termin des Vorstellungsgesprächs vom 27.05.2014 rechtzeitig informiert. Die Schwerbehindertenvertretung habe aus „terminlichen Gründen“ auf eine Teilnahme an der Unterredung verzichtet; eine Verschiebung des Gesprächstermins sei nicht erbeten worden. Das Rektorat sei in dieser Situation nicht gehalten gewesen sicherzustellen, dass die Schwerbehindertenvertretung dennoch von ihrem Recht auf Teilnahme an dem Vorstellungsgespräch Gebrauch machte. Dies gelte umso mehr, als § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX lediglich ein Teilnahmerecht, nicht aber eine Teilnahmepflicht der Schwerbehindertenvertretung an Vorstellungsgesprächen vorsehe. Die Entscheidung des BAG vom 25.08.2013 – 8 AZR 574/12 – sei nicht einschlägig. Die Schwerbehindertenvertretung habe auch auf ihr Mitwirkungsrecht nicht verzichtet, sondern lediglich darüber entschieden, in welcher Form und in welchem Umfang sie von den ihr eingeräumten Teilnahme-, Einsichts- und Informationsrechten Gebrauch mache. Den ihr insofern eingeräumten Beurteilungsspielraum nehme die Schwerbehindertenvertretung in eigener Verantwortung war. Die Klägerin sei auch in dem Personalgespräch vom 27.05.2014 darauf hingewiesen worden, dass ein Vertrauensmann oder eine Vertrauensfrau an dem Gespräch nicht teilnehmen würde; sie habe seinerzeit keine Einwände erhoben. Ins-besondere habe sie nicht darauf bestanden, den Gesprächstermin zu verlegen, um der Schwerbehindertenvertretung doch noch eine Teilnahme am Vorstellungsgespräch zu ermöglichen. Die Klägerin verhalte sich im Ergebnis widersprüchlich, wenn sie zunächst stillschweigend auf eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsgespräch verzichte, anschließend aber aus der Zusammensetzung der Gesprächsrunde die Vermutung herleite, ihren Gesprächspartnern sei es darum gegangen, sie zu diskriminieren oder sonst wie zu benachteiligen.

Hierauf erwidert die Klägerin, sie habe nicht stillschweigend auf eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsgespräch verzichtet.

Im Sitzungstermin der Berufungsverhandlung vom 26.11.2015 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, er bestreite nicht, dass die Schwerbehindertenvertretung über den Termin des Vorstellungsgesprächs informiert gewesen sei.

Die Berufungskammer hat im Verhandlungstermin vom 26.11.2015 die vorsorglich geladene Zeugin C im Einverständnis der Prozessbevollmächtigten der Parteien informatorisch befragt. Für die Einzelheiten der Befragung wird verwiesen auf das Sitzungsprotokoll vom 26.11.2015, Bl. 122, 123 d. A.

Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen in erster und zweiter Instanz, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

I.   Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.   In der Sache musste das Rechtsmittel erfolglos bleiben. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 6.453,00 Euro hat. Die Klägerin hat keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung wegen ihrer Behinderung vorgetragen; die behauptete Vermutungswirkung im Sinne des § 22 AGG ergibt sich nicht.

1.   Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist als Bewerberin Beschäftigte (§ 6 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. AGG) und die Beklagte Arbeitgeberin (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG) im Sinne des AGG (vgl. etwa BAG, 23.01.2014 – 8 AZR 118/13, BB 2014, 1534).

2.   Die zweimonatige Geltendmachungs- und die im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch maßgebende dreimonatige Klagefrist (§ 15 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AGG, § 61 b Abs. 1 ArbGG) sind eingehalten.

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 20.08.2014 einen Anspruch auf Entschädigung wegen einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren wegen einer Behinderung geltend, nachdem ihr die Beklagte mit Schreiben vom 09.07.2014 eine Absage erteilt hatte mit dem Hinweis, dass sie nicht in den engeren Kreis der für die genannte Position infrage kommenden Kandidaten aufgenommen worden sei. Die am 18.11.2014 eingereichte Klage wahrt die Klagefrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG.

3.   Die Klägerin hat keine weniger günstige Behandlung wegen ihrer Behinderung erfahren.

a)   Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund – vorliegend wegen einer Behinderung – sind in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich der Auswahlkriterien und der Einstellungsbedingungen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und von der beruflichen Position unzulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG).

Eine im Sinne des § 7 AGG verbotene unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Dabei kommt es bei einer Behinderung nicht an auf einen bestimmten GdB (BAG, 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 m.w.N., NZA 2012, 667). Voraussetzung ist also nicht, wie bei der Klägerin jedoch gegeben, eine Schwerbehinderung im Sinne von § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX.

b)   Der Nachteil der Klägerin im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 AGG beim Zugang zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) besteht in der Nichteinstellung.

c)   Die Klägerin hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer „vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG).

Es ist vorliegend nicht erforderlich, die Voraussetzungen der „vergleichbaren Situation“ bezogen auf das Bewerbungsverfahren und die Auswahlentscheidung im Hin-blick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG näher zu benennen. Die Beklagte hat die Klägerin in die engere Wahl einbezogen und sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Damit ist sie davon ausgegangen, dass die Klägerin die in der Stellenbeschreibung formulierten Anforderungen erfüllt.

d)   Die Klägerin ist nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden.

aa)   Nach § 22 Halbs. 1 AGG i. V. m. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt, die ihre Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen (u. a. BAG, 26.09.2013 – 8 AZR 650/12; gleichbedeutend EuGH, 12.04.2012 – C-415/10 – [Meister]). Es sind im Hinblick auf diesen Kausalzusammenhang alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG, 26.06.2014 – 8 AZR 547/13, EzA § 22 AGG Nr. 12 m.w.N.).

bb)   Für die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund (oder mehrere) ein „Bestandteil des Motivbündels“ ist (sind), das die Entscheidung beeinflusst hat. Es darf somit bei einer Entscheidung über eine Stellenbesetzung kein in § 1 AGG genannter Grund zu Lasten der Bewerberin berücksichtigt werden (BAG, 26.06.2014 a.a.O.).

cc)   Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises (BAG, 26.06.2014 a.a.O.).

dd)   Die Klägerin vermochte die ihr obliegende erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG nicht zu erfüllen.

Grundsätzlich kann zwar aus der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG abgeleitet werden (u. a. BAG, 26.09.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258; BAG, 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, juris; BAG, 17.08.2010 – 9 AZR 839/08, NZA 2011, 153). Unter Berücksichtigung aller Umstände liegen jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht genügend Indizien vor, um eine Benachteiligung im Sinne des AGG vermuten zu lassen.

 (1)   Die vorliegende Nichtteilnahme der Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsgespräch vom 27.05.2014 stellt kein im Rahmen des § 22 AGG zu berücksichtigendes Indiz für ein diskriminierendes Verhalten der Beklagten dar. Unstreitig hatte die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung über den Termin des Vorstellungsgesprächs rechtzeitig in Kenntnis gesetzt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin selbst hat insoweit im Sitzungstermin der Berufungsverhandlung eingeräumt, dass die Schwerbehindertenvertretung über den Termin des Vorstellungsgesprächs informiert war. Die Beklagte war darüber hinaus nicht gehalten sicher zu stellen, dass die Schwerbehindertenvertretung von ihrem Teilnahmerecht gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 81 Abs. 1 SGB IX tatsächlich Gebrauch macht. Die Schwerbehindertenvertretung entscheidet vielmehr autonom, ob und auf welche Art und Weise sie sich in das Bewerbungsverfahren einschaltet. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin hat die Beklagte eben nicht eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an Vorstellungsgesprächen zu erwirken. Die insoweit gegebene Eigenständigkeit der Schwerbehindertenvertretung erschließt sich zudem aus § 99 SGB IX, der die enge Zusammenarbeit und Unterstützung der dort genannten Personen und Vertretungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben bezweckt.

Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.08.2013 (8 AZR 574/12) ist nicht zielführend. Soweit in dieser Entscheidung judiziert ist, dass allein ein schwerbehinderter Bewerber auf eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung verzichten kann, nicht aber die Schwerbehindertenvertretung selbst bzw. dass dem Arbeitgeber kein Recht zustehe, die Schwerbehindertenvertretung als befangen abzulehnen und damit im Ergebnis nicht zu beteiligen, steht diese Rechtsprechung nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung. Denn die Beklagte hatte die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligt nach den Vorgaben der §§ 81 Abs. 1, 95 Abs. 2 SGB IX. Auch verzichtete insoweit die Schwerbehindertenvertretung nicht auf ihre Beteiligung. Allein in der Tatsache, dass sie den Termin des Vorstellungsgesprächs, über den sie ordnungsgemäß in Kenntnis gesetzt war, aus welchen Gründen auch immer nicht wahrnahm, stellt keinen Verzicht im Sinne der angezogenen BAG-Entscheidung dar. Die Schwerbehindertenvertretung hätte durchaus und ohne Weiteres um eine Verlegung des Termins des Vorstellungsgesprächs bitten können, sofern es in ihrem Interesse gelegen hätte, an dem Gespräch teilzunehmen. Aus welchen Gründen dies nicht geschehen ist, wurde nicht transparent, konnte indes dahinstehen. Denn § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX sieht lediglich ein Teilnahmerecht, keine Teilnahmepflicht der Schwerbehindertenvertretung an Vorstellungsgesprächen schwerbehinderter Bewerber vor. Eine Indizwirkung lässt sich der Nichtteilnahme der Schwerbehindertenvertretung am Vorstellungsgespräch der Klägerin vom 27.05.2014 daher nicht beimessen (vgl. auch LAG Köln, 21.01.2009 – 3 Sa 1369/08, juris).

Unerheblich bleibt der Einwand der Klägerin, sie sei mangels Vorstellung der an ihrem Bewerbungsgespräch teilnehmenden Personen nicht darüber informiert worden, dass die Schwerbehindertenvertretung an dem Gespräch nicht teilnahm, ansonsten sie die Teilnahme der Vertretung noch hätte erwirken können; deswegen habe sie nicht (stillschweigend) auf eine Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung verzichtet. Die Klägerin verkennt insoweit die Zielrichtung der Entscheidung des BAG 8 AZR 574/12. Es gilt auch insoweit, dass die Schwerbehindertenvertretung an dem Bewerbungsverfahren der Klägerin ordnungsgemäß beteiligt wurde, jedoch in eigener Kompetenz auf ihre Teilnahme an dem streitigen Vorstellungsgespräch verzichtete.

 (2)   In der Sache fehlt auch in der Berufungsinstanz ein substantiiertes Vorbringen der Klägerin dazu, dass der der Beklagten mitgeteilte Antrag auf Gleichstellung ausschließliches Motiv oder Bestandteil eines Motivbündels war, welches die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin für die ausgeschriebene Stelle nicht zu berücksichtigen, beeinflusst hat.

III.   Die Kostenentscheidung zu Lasten der mit dem Rechtsmittel unterlegenen Klägerin beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht gegeben.



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