Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Urteil vom - Az: 10 Sa 96/18

Betriebsvereinbarung über Fahrzeiten im Außendienst

1. Ist der Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet - was regelmäßig angenommen werden darf, wenn der Vertragsgegenstand durch AGB geregelt ist und einen kollektiven Bezug hat (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 -, juris, Rn. 52, m.w.N.) -, so verdrängt eine Betriebsvereinbarung, nach deren Bestimmungen, die ersten und letzten 20 Minuten der Reisezeit eines Außendienstmitarbeiters von der Wohnstätte zum ersten Kunden und die ersten 20 Minuten der Rückfahrt vom letzten Kunden nach Hause, nicht zur Arbeitszeit gehören, den ansonsten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anzunehmenden Grundsatz (vgl. dazu BAG, Urteil vom 22. April 2009 - 5 AZR 292/08 -, Rn. 15, juris), dass die gesamte Fahrzeit des Außendienstmitarbeiters Arbeitszeit darstellt, für die er von der ersten bis zur letzten Minute Vergütung beanspruchen kann.

2. Wo eine ausdrückliche tarifliche Bestimmung fehlt, verstößt eine solche Betriebsvereinbarung nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Denn sie regelt weder, wie die Arbeitszeit zu vergüten ist, noch trifft sie eine Aussage über die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Sie bestimmt vielmehr ausschließlich, welche Fahrzeiten des Außendienstmitarbeiters als Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht gelten (vgl. BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 -, Rn. 28, juris).
(Leitsätze des Gerichts)

Vorliegend streiten die Parteien darüber, ob die Reisezeiten vergütungspflichtig sind oder diese aufgrund einer Betriebsvereinbarung als nicht vergütungspflichtige Arbeitszeiten erachtet werden. Die Beklagte ist aufgrund der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels gebunden. Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst tätig. Der Kläger fuhr regelmäßig von seinem Wohnsitz direkt zum ersten Kunden und kehrte abends vom letzten Kunden unmittelbar nach Hause zurück. In der Betriebsverordnung wurde geregelt, dass An- und Abfahrzeiten zum ersten und letzten Kunden nur dann zur Arbeitszeit zählen, wenn sie 20 Minuten überschreiten. Auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers wurden nur die gekürzten Reisezeiten als Arbeitszeit berücksichtigt. Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen. Ungeachtet dessen, ob der Fahrtantritt ab der Betriebsstätte oder ab der eigenen Wohnung erfolge, stelle die Hinfahrt zum ersten Kunden und die Abfahrt vom letzten Kunden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit dar, wofür der Kläger grundsätzlich Vergütung beanspruchen könne. Jedoch verdränge die hier vorliegende Betriebsvereinbarung die grundsätzlich gegebene Vergütungspflicht. Die Betriebsvereinbarung stehe in Einklang mit dem Betriebsverfassungsgesetz und auch sei die Regelungssperre des §§ 77 Abs. 3 BetrVG nicht verletzt. Des Weiteren verstoße die Betriebsvereinbarung nicht gegen die zwingenden Vorgaben des europäischen Rechts (Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003). Ferner seien die Parteien durch die über 15 Jahre angewandte, entsprechende Regelung von einer Betriebsvereinbarungsoffenheit des Arbeitsvertrages ausgegangen. Erst durch die nicht einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sei der Kläger dazu veranlasst worden, von der langjährigen Praxis abzurücken.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.12.2017 - 9 Ca 5485/17 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob es sich bei der Anfahrtszeit zum ersten und der Abfahrtszeit vom letzten Kunden um uneingeschränkt vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt oder die jeweils ersten 20 Minuten dieser Fahrten aufgrund einer entsprechenden Betriebsvereinbarung nicht vergütungspflichtig sind.

Die Beklagte bietet Lösungen für digitale Bürokommunikation, Produktionsdruck sowie Druck- und Dokumentenmanagement an. Ihren juristischen Sitz und ihre Hauptverwaltung hat sie in I.. Aufgrund Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ist sie an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden. Verteilt über das Bundesgebiet unterhält sie insgesamt zehn sog. "Business & Service Center", eines davon am Standort E.. Die sog. BSC sind Service- und Direktvertriebsstandorte, die vorwiegend der Koordination der Außendienstmitarbeiter aus den Bereichen Vertrieb und Service dienen. Von den derzeit insgesamt rund 3.300 Mitarbeitern der Beklagten sind ca. 900 in den Business & Service Centern tätig.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst gegen ein monatliches Entgelt von zuletzt € 2.864,-- brutto tätig. Wegen der Einzelheiten der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen wird auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie des zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten unter dem 18./24.01.2001 geschlossenen Arbeitsvertrages Bezug genommen.

Das Einsatzgebiet des Klägers ist dem Business & Service Center E. zugeordnet. Da den Außendienstmitarbeitern die Aufträge jedoch in der Regel am Nachmittag des Vortages zentral über die sog. Abteilung "Dispatch" aus der Hauptverwaltung in I. zugewiesen werden und sie regemäßig auch kein Material am jeweiligen Betriebsstandort abholen müssen, fährt der Kläger ebenso wie alle übrigen Außendienstmitarbeiter regelmäßig von zuhause direkt zum ersten Kunden und kehrt abends vom letzten Kunden unmittelbar nach Hause zurück.

Für die bei der Beklagten beschäftigten Servicetechniker gilt die "Betriebsvereinbarung über Ein- und Durchführung von flexibler Arbeitszeit für Servicetechniker" vom 27. Juni 2001 (BV). In dieser BV, wegen deren Details auf die mit der Klageschrift vorgelegte Kopie verwiesen wird, findet sich u.a. folgende Regelung:

§ 8An- und Abfahrtszeiten

Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zählen nicht zur Arbeitszeit, wenn sie 20 Minuten nicht übersteigen. Sobald die An- oder Abreise länger als 20 Minuten dauert, zählt die 20 Minuten übersteigende Reisezeit zur Arbeitszeit. Insoweit sind für den Kundendiensttechniker jeweils 20 Minuten Fahrzeit für An- und Abreise zumutbar.

Die Beklagte führt für den Kläger ein Arbeitszeitkonto, in welchem die Arbeitszeit - ausschließlich das Zeitguthaben bzw. die Zeitschuld - erfasst wird. Gestützt auf § 8 BV verbucht die Beklagte die ersten bzw. letzten maximal 20 Minuten der Fahrtzeit zu bzw. von einem Kunden nicht als Arbeitszeit.

Im streitgegenständlichen Zeitraum März bis August 2017 ließ die Beklagte Fahrtzeiten des Klägers im Umfang von 68 Stunden und 40 Minuten unberücksichtigt.

Nach erfolgloser außergerichtlicher Aufforderung hat der Kläger mit der Klage die vollständige Gutschrift der für Kundenfahrten aufgewandten Fahrtzeit im Arbeitszeitkonto begehrt. Unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10.09.2015 - C-266/14 - hat er die Auffassung vertreten, auch die erste Fahrt von zuhause zum Kunden und die letzte Fahrt vom Kunden nach Hause stellten einen Teil seiner Hauptleistungspflicht und damit Arbeitszeit dar, die uneingeschränkt zu vergüten sei. Der von der Beklagten vorgenommene Abzug sei im Arbeitsvertrag nicht vorgesehen. Nach den dort getroffenen Vereinbarungen habe er mithin Anspruch auf Vergütung für sämtliche für die Beklagte aufgewandte Arbeitszeit. Da die arbeitsvertragliche Vereinbarung auch nicht unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung getroffen worden sei, verdränge sie nach dem Günstigkeitsprinzip die in der BV enthaltene Regelung.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1.die Beklagte zu verurteilen, ihm 68 Stunden und 40 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben,

2.hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 1.219,58 brutto zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, vor Geltung der BV seien jeweils 40 Minuten für die Anfahrt zum ersten Kunden und Abfahrt vom letzten Kunden abgezogen worden und die Auffassung vertreten, der nunmehrige Abzug auf Grundlage der BV sei rechtmäßig. Die BV sei wirksam und löse insoweit den Arbeitsvertrag ab, bei dem es sich um AGB mit kollektivem Bezug handele. Auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs könne sich der Kläger nicht berufen, da dort keine Aussage zur Vergütungspflicht der Fahrten getroffen worden sei.

Mit Urteil vom 18.12.2017, auf dessen Entscheidungsgründe wegen der im Einzelnen zugrundeliegenden Erwägungen verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, weil sie mit Haupt- und Hilfsantrag zwar zulässig aber unbegründet sei. Der Kläger habe weder Anspruch auf Gutschrift noch auf die hilfsweise begehrte Zahlung, weil die streitgegenständlichen Zeiten - 20 Minuten der Anfahrt zum ersten Kunden und 20 Minuten der Abfahrt vom letzten Kunden des Tages - nicht vergütungspflichtig seien. Ungeachtet der Frage, ob der Arbeitsvertrag eine Vergütung für diese Zeit vorsehe, enthalte § 8 BV eine davon abweichende Regelung, die als solche wirksam sei und gegenüber einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung Vorrang genieße.

Mit seiner form- und fristgemäß eingelegten Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, dessen rechtliche Wertungen er aus näher dargelegten Gründen, wegen deren Details auf die Berufungsbegründung verwiesen wird, für fehlerhaft hält.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.12.2017 - 9 Ca 5485/17 abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit ihrer Berufungsbeantwortung, auf die wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens verwiesen wird, verteidigt sie das Urteil des Arbeitsgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und wegen der übrigen Einzelheiten des zugrundeliegenden Sachverhalts sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Parteien gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG ergänzend auf den Akteninhalt, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen aus beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2, 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO genügende und deshalb zulässige Berufung konnte in der Sache keinen Erfolg haben.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit richtig entschieden, indem es die Klage sowohl mit dem Haupt- als auch dem Hilfsantrag abgewiesen hat. Es ist in zutreffender Darstellung und Anwendung der für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtsgrundsätze zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger weder Anspruch auf Gutschrift von Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto noch auf die hilfsweise begehrte Zahlung von Vergütung hat, weil die streitgegenständlichen Zeiten - 20 Minuten der Anfahrt zum ersten Kunden und 20 Minuten der Abfahrt vom letzten Kunden des Tages - nicht auf die vergütungspflichtige Hauptleistung des Klägers anzurechnen sind. Das Berufungsgericht teilt diese Auffassung und folgt den zugrundeliegenden Erwägungen des Arbeitsgerichts, die es sich unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zu eigen macht (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Berufungsverfahren sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Gesichtspunkte vorgebracht worden, die zu einer Abänderung der ausführlich und sorgfältig begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts Veranlassung geben könnten.

1. Wie das Arbeitsgericht geht auch das Berufungsgericht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Zeit, die er für die Fahrt von zuhause zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück aufwendet, Arbeitszeit darstellt, für die er als Außendienstmitarbeiter grundsätzlich von der ersten bis zur letzten Minute Vergütung beanspruchen kann. Denn nach der zutreffenden Erwägung des Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 22.04.2009 bilden die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück unabhängig davon, ob der Fahrtantritt ab der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder ab der Wohnung des Arbeitnehmers erfolgt, mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit, die nach der Verkehrsanschauung bei Außendienstmitarbeitern, Vertretern, "Reisenden" uä. die Dienstleistung iSd. §§ 611, 612 BGB - d.h. also die vertraglich geschuldete Hauptleistung - darstellt, für die der Arbeitnehmer seine Vergütung erhält. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - bei An- und Abreise selbst tätig werden muss und die Fahrt vom Arbeitgeber kraft Direktionsrechts bestimmt wird (vgl. BAG, Urteil vom 22. April 2009 - 5 AZR 292/08 -, Rn. 15, juris).

2. Gleichwohl hat der Kläger nach der für ihn maßgeblichen Rechtslage keinen Anspruch auf Vergütung für die ersten 20 Minuten der Anfahrt zum ersten Kunden und die ersten 20 Minuten der Abfahrt vom letzten Kunden. Denn in diesem zeitlichen Umfang bestimmt § 8 BV, dass Fahrzeit nicht auf die Hauptleistung des Klägers anzurechnen ist (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 - juris, Rn. 29). Mit diesem Inhalt ist § 8 BV nicht nur rechtswirksam, sondern verdrängt als betriebliche Norm auch die grundsätzlich gegebene Vergütungspflicht für die strittigen Zeiten.

a) § 8 BV ist wirksam.

aa) Die Regelung steht in Einklang mit dem Betriebsverfassungsgesetz.

(1) Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG ist nicht verletzt.

(a) Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder von den betreffenden Tarifparteien üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Arbeitsbedingungen sind durch Tarifvertrag geregelt, wenn über sie ein Tarifvertrag abgeschlossen worden ist und der Betrieb in den räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt. Dabei hängt die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht davon ab, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisten. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang bei der kollektiven Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen weder abweichende noch auch nur ergänzende Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung schließen können. Eine gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam (BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 -, Rn. 20 f., juris).

(b) Mit der in § 8 BV niedergelegten Bestimmung, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden erst insoweit zur Arbeitszeit zählen, als die An- oder Abreise länger als 20 Minuten dauert, haben die Parteien der BV keine Bestimmungen über tariflich geregelte Arbeitsbedingungen im vorgenannten Sinne getroffen.

(aa) Dass tarifliche Regelungen über die Behandlung von Wegezeiten als Arbeitszeit bestehen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

(bb) § 8 BV beinhaltet keine Regelung über die tariflich festgelegte Höhe der Vergütung.

Wie das Bundesarbeitsgericht in der vorstehend zitierten Entscheidung vom 10. Oktober 2006 zu einer vergleichbaren Regelung und das LAG Rheinland-Pfalz mit seinem zu der auch hier streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung ergangenen Urteil vom 25.09.2017 zutreffend erkannt haben, bestimmt eine betriebliche Norm mit dem hier gegebenen Regelungsinhalt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen eine Fahrtätigkeit des Außendienstmitarbeiters als Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht gilt und deshalb die dafür aufgewendete Zeit als zu vergütende Arbeitszeit anzusehen ist. Sie regelt hingegen nicht, wie die Arbeitgeberin die Arbeitsleistungen des Außendienstmitarbeiters zu vergüten hat (vgl. BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 -, Rn. 28, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.09.2017 - 3 Sa 185/17 - juris, Rn. 78). Hier wie dort sieht die Bestimmung auch nicht etwa vor, dass die Arbeitgeberin bestimmte Fahrtzeiten zusätzlich zur Arbeitszeit als weitere Arbeitszeiten zu vergüten hätte. Die reguläre Vergütung der Außendienstmitarbeiter bemisst sich allein nach der tariflichen Arbeitszeit.

(cc) § 8 BV enthält keine Bestimmungen über die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Deren tariflich festgelegter Umfang bleibt unberührt. Die Regelungen führen nicht zu einer Erhöhung oder Verringerung des geschuldeten Arbeitszeitvolumens. Sie legen lediglich fest, welche Leistungen des Arbeitnehmers darauf angerechnet werden (vgl. BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 -, Rn. 29, juris).

(2) Sonstige dem Betriebsverfassungsgesetz entspringende Unwirksamkeitsgründe sind nicht gegeben. Die betriebliche Regelung hält sich im Rahmen der Regelungskompetenz der Betriebsparteien gem. § 88 BetrVG. Sie verstößt auch weder gegen § 75 Abs. 1 BetrVG noch gegen sonstiges Gesetzesrecht (BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 ABR 59/05 -, Rn. 30, juris zu einer vergleichbaren Regelung).

bb) Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 8 BV nicht gegen zwingende Vorgaben des europäischen Rechts.

(1) Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, spricht einiges dafür, dass die vom Kläger aufzuwendende Fahrtzeit in vollem Umfang als Arbeitszeit i.S.d. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung anzusehen ist. Immerhin hat der Europäische Gerichtshof das mit seinem Urteil vom 10.09.2015 in einem ähnlich gelagerten Fall festgestellt (vgl. EuGH, Urteil vom 10. September 2015 - C-266/14 - juris).

(2) Dem Arbeitsgericht ist allerdings auch darin zuzustimmen, dass diese rechtliche Klassifizierung der Fahrzeiten für die hier strittige Frage, ob sie zu vergüten sind, nicht von Belang ist. Denn die Richtlinie hat nicht die Vergütung von Arbeitszeit zum Gegenstand, sondern enthält ausdrücklich (nur) Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung (also z.B. bezüglich Mindestruhezeiten, Mindestjahresurlaub, Ruhepausen und Höchstarbeitszeiten).

Aus diesem Grunde trifft die zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch keineswegs eine Aussage über die Vergütung der Arbeitszeit (vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. September 2017 - 3 Sa 185/17 -, Rn. 87, juris). In seinem Urteil konstatiert der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf vergütungsrechtliche Folgen vielmehr ausdrücklich, insoweit "genüge der Hinweis", dass sich die Richtlinie 2003/88 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit Ausnahme des in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie geregelten besonderen Falles des bezahlten Jahresurlaubs darauf beschränke, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, so dass sie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer finde und folglich die Art und Weise der Vergütung der Arbeitnehmer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht unter die genannte Richtlinie, sondern unter die einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts falle (EuGH, Urteil vom 10. September 2015 - C-266/14 -, Rn. 48 f., juris). Dem lässt sich nichts hinzufügen.

b) Indem § 8 BV als wirksame betriebliche Norm bestimmt, dass Fahrzeiten im strittigen Umfang nicht als Erfüllung der Hauptleistungspflicht des Außendienstmitarbeiters gelten, verhindert er die Entstehung eines nach den oben dargestellten Rechtsgrundsätzen ansonsten aus dem Arbeitsvertrag erwachsenden Anspruchs auf Vergütung für solche Zeiten. Darin liegt kein Widerspruch zur oben zitierten Entscheidung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichtes vom 22.04.2009. Anders als in dem der Entscheidung des 5. Senats zugrundliegenden Fall (vgl. BAG, Urteil vom 22. April 2009 - 5 AZR 292/08 -, Rn. 23, juris) greift hier nicht das sog. Günstigkeitsprinzip. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Arbeitsvertrag des Klägers als Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. § 305 ff. BGB betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet ist und aus diesem Grunde eine ansonsten greifende arbeitsvertragliche Vereinbarung von der betrieblichen Regelung verdrängt wird.

aa) Auf den Arbeitsvertrag der Parteien vom 18./24.01.2001 ist das AGB-Recht der §§ 305 ff. BGB seit dem 01.01.2003 anwendbar. Dies folgt für Dauerschuldverhältnisse wie dem vorliegenden aus Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB.

bb) Nach der zutreffenden Würdigung des Arbeitsgerichtes, die weder mit der Berufung angegriffen wurde noch sonst Fehler erkennen lässt, handelt es sich bei dem Arbeitsvertrag um Allgemeine Geschäftsbedingungen.

cc) Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind jedenfalls im Hinblick auf die hier strittige Frage, ob und in welchem Umfang Fahrzeiten des Klägers auf die Hauptleistungspflicht anzurechnen sind, betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Das ergibt ihre Auslegung.

(1) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 -, juris, Rn. 51, m.w.N.).

(2) Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Das kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und ist nicht nur bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich, sondern auch bei einzelvertraglichen Abreden. Eine konkludente Vereinbarung darf angenommen werden, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat. Mit der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen macht der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Eine betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen stünde dem entgegen. Da Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet sind, kann aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollen (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 -, juris, Rn. 52, m.w.N.).

(3) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze stellt sich der Arbeitsvertrag im Hinblick auf die hier strittige Frage, ob und in welchem Umfang Fahrzeiten des Klägers auf die Hauptleistungspflicht anzurechnen sind, als betriebsvereinbarungsoffen dar.

Nach der zutreffenden Feststellung des Arbeitsgerichtes liegt der erforderliche kollektive Bezug darin, dass die Anrechnung der Fahrtzeiten auf die Hauptleistungspflicht eine alle Kundendiensttechniker im Außendienst betreffende Frage ist, bei der - wie die BV vor Augen führt - ein Bedürfnis nach einheitlicher Regelung besteht. Das Arbeitsgericht geht des Weiteren ohne erkennbaren Fehler davon aus, dass sich weder im Sachvortrag des Klägers noch im Arbeitsvertrag Hinweise darauf finden, dass die Parteien die Vergütung der täglichen Fahrtzeiten ab der ersten und bis zur letzten Minute speziell ausgehandelt hätten oder dies bei den Verhandlungen auch nur angesprochen worden wäre. Zustimmung verdient schließlich auch die Erwägung des Arbeitsgerichtes, dass auch die Parteien von einer Betriebsvereinbarungsoffenheit des Arbeitsvertrages ausgegangen seien, da sie etwa 15 Jahre lang die Vorgaben aus § 8 der Betriebsvereinbarung angewandt hätten und der Kläger offenbar erst durch die nicht einschlägige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs veranlasst worden sei, von der langjährigen Praxis abzurücken.

3. Da es sich nach alledem bei dem strittigen Anteil der Fahrtzeiten des Klägers nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt, wurde er von der Beklagten zu Recht nicht im Arbeitszeitkonto verbucht. Folglich hat der Kläger weder Anspruch auf Korrektur des Arbeitszeitkontos noch auf die hilfsweise begehrte Zahlung.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

 



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