Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 9 TaBV 14/23

Betriebsrat: Unzulässige Wahlwerbung über WhatsApp

Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber ist verletzt, wenn sich Wahlbewerber gegenüber Mitbewerben unzulässige Vorteile verschaffen, etwa das Betreiben von Wahlwerbung über ein Instant-Messaging-Dienst.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Im vorliegenden Streitfall führte der Wahlvorstandsvorsitzende eine WhatsApp-Broadcast-Liste mit etwa 80 % der Beschäftigten. Diese Liste nutzte der Wahlvorstandsvorsitzende, um u.a. Gewerkschaftsinformationen zu verteilen. Unmittelbar vor der bevorstehenden Betriebsratswahl nutzte der Kläger die WhatsApp-Broadcast-Liste, um andere Listen zu kritisieren sowie für seine eigene Liste zu werben. Dies wurde von den Antragstellern als Verstoß gegen die Chancengleichheit gewertet, da der Wahlvorstandsvorsitzende die Kontaktdaten teilweise durch seine Rolle als Disponent erhalten hatte.
Das Arbeitsgericht Köln erklärte die Wahl für ungültig. Diese Auffassung vertrat auch das LAG Köln. Das Gericht stellte fest, dass die Nutzung der WhatsApp-Broadcast-Liste durch den Wahlvorstandsvorsitzenden den Grundsatz der Chancengleichheit verletze und somit zur Ungültigkeit der Wahl führe. Dieser Grundsatz sei zwar nicht explizit im BetrVG oder in der Wahlordnung zum BetrVG verankert, stelle aber einen wesentlichen Wahlgrundsatz nach § 19 Abs. 1 BetrVG dar. Der Wahlvorstandsvorsitzende habe seine Position ausgenutzt, um an die Kontaktdaten zu gelangen und die Broadcast-Liste zu erstellen. Diese Liste stand den anderen Wahlbewerbern nicht zur Verfügung, wodurch ihnen ein unzulässiger Nachteil entstanden sei.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

I. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 26.01.2023- 11 BV 101/22 - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 23.05.2022.

Die Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs S der Arbeitgeberin, die vom Flughafen K mit Wirkung ab dem 01.04.2022 an Stelle der bis dahin eingesetzten F GmbH den Zuschlag für Los 1 der Flughafensicherheitskontrollen erhalten hatte. In der S wurden zu diesem Zeitpunkt 170 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt.

Wahlvorstandsvorsitzender war Herr T D , der neben seiner Tätigkeit als Luftsicherheitskontrollkraft (LSKK) und Vorsitzender des bei der F GmbH gebildeten Betriebsrats auch als Disponent und Tagesdienstplaner eingesetzt ist.

Zum Betriebsrat kandidierten insgesamt 37 Kandidatinnen und Kandidaten auf fünf Vorschlagslisten. Auf der Bekanntmachung der Vorschlagslisten war bei sämtlichen 37 Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern unter "Art der Beschäftigung im Betrieb" vermerkt "LSKK" (Luftsicherheitskontrollkraft).

Herr D , der auch Listenführer der Vorschlagsliste Nr. 2 war, verschickte am Sonntag, dem 22.05.2022, dem Tag vor der Betriebsratswahl, eine WhatsApp- Nachricht in eine Broadcast-Gruppe, in der ca. 80 % der Arbeitnehmer Mitglied sind. In dieser Nachricht, wegen deren näheren Inhalts auf Blatt 112 bis 119 der Akte Bezug genommen wird, setzte sich Herr D kritisch mit der Wahlwerbung der anderen Listen auseinander.

Gemäß der Wahlniederschrift vom 23.05.2023 wurden 149 gültige Stimmen abgegeben. Die Vorschlagslisten erhielten dabei folgende Stimmen:

Vorschlagsliste 1- Kennwort Geradeaus 153

Vorschlagsliste 2- Kennwort CGN Airport 84

Vorschlagsliste 3- Kennwort Neustart 28

Vorschlagsliste 4- Kennwort Die Aufrechten 16

Vorschlagsliste 5—Kennwort Bermuda 7

Die zuletzt zu berücksichtigende Höchstzahl (14) fiel auf drei Wahlvorschlagslisten. Der Wahlvorstand führte daraufhin ein Losverfahren durch, um zu bestimmen, welche Wahlbewerber den achten und neunten Betriebsratssitz erhielten. Der Wahlvorstand gab das Ergebnis der Wahl nicht noch am selben Tag, sondern in einem späteren Termin bekannt.

Mit ihrer am 07.06.2023 bei dem Arbeitsgericht eingereichten Antragsschrift haben die Antragsteller die Ansicht vertreten, dass die Betriebsratswahl unwirksam sei.

Sie haben behauptet, bei den Angaben auf den Vorschlagslisten habe es sich nicht bei allen Kandidatinnen und Kandidaten um "einfache" Luftsicherheitskontrollkräfte gehandelt. So habe es sich bei den auf der Vorschlagsliste Nr. 2 mit dem Kennwort "CGN Airport" an erster und zweiter Stelle aufgeführten Wahlbewerbern tatsächlich um Objektleiter gehandelt.

Die Objektleiterin Sa , die auf Listenplatz 2 der Vorschlagsliste Nr. 2 kandidiert habe und zu diesem Zeitpunkt stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gewesen sei, habe einen Wahlbewerber der Vorschlagsliste Nr. 5 aufgefordert, seine Bewerbung zurückzuziehen, da er im Hinblick auf die Berufstätigkeit seiner Ehefrau auf eine Dienstplanung angewiesen sei, die ihm und seiner Frau die Kinderbetreuung ermögliche. Zudem habe Frau Sa gegenüber einem Kandidaten von der Vorschlagsliste Nr. 4 geäußert, er werde seine Kandidatur auf dieser Liste an den Dienstplänen sehen; diese würden schlechter für ihn ausfallen.

Am 09.05.2022 seien die von der Vorschlagsliste Nr. 4 im Bereich der Personalkontrollstelle mit ausdrücklicher Zustimmung des Flughafens angebrachten Wahlplakate von Dritten entfernt worden. Kurze Zeit später, am 13.05.2022, sei eine Kandidatin der Vorschlagsliste Nr. 4, Frau D , auf Anweisung des Objektleiters und Listenführers der Vorschlagsliste Nr. 2, Herrn D , aufgefordert worden, auch die übrigen Plakate der Vorschlagsliste Nr. 4 an der Personalkontrollstelle abzuhängen. Anderen Wahlvorschlagslisten seien hingegen keine Vorgaben hinsichtlich des Auf- bzw. Abhängens von Wahlplakaten gemacht worden.

Zudem habe die WhatsApp-Nachricht des Herrn D den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Denn die Handynummern seien Herrn D - so die Behauptung der Antragsteller - in seiner Funktion als Dienstplaner bekannt geworden.

Schließlich seien fehlerhaft neun Betriebsratsmitglieder gewählt worden. Weder vor der Wahl noch im Zeitpunkt des Aushangs des Wahlausschreibens seien mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Eine Erhöhung der Arbeitnehmerzahl auf über 200 habe sich auch nicht abgezeichnet.

Die Antragsteller haben beantragt,

die am 23.05.2022 im Betrieb S der I SE & Co. KG durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.

Die weiteren Beteiligten haben beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Der Betriebsrat hat behauptet, die durch die Ausbildung erworbene Berufsbezeichnung LSKK (Luftsicherheitskontrollkraft) sei die korrekte Tätigkeitsbeschreibung sowohl für Herrn D als auch für Frau Sa . Die Funktion der Dienstplanerin werde schwerpunktmäßig von Frau R ausgeübt.

Frau D habe Herrn D im Vorfeld des Wahltages angerufen und ihn gefragt, wo sie weitere Wahlplakate anbringen könne. Herr D habe Frau D darauffolgend erklärt, dies im Bereich der zentralen Kontrollstelle aufhängen zu können, da dort alle Arbeitnehmer vorbeikämen und diese Wahlplakate wahrnehmen können. Dort gebe es zudem genug Platz. Frau D habe sich daraufhin bei Herrn D bedankt und das Telefonat beendet.

Herr D habe die WhatsApp-Gruppe bereits seit 2013 privat aufgebaut. Dies sei auch anderen Wahlbewerbern möglich gewesen. Über diese Gruppe erhielten alle Arbeitnehmer, die dieses wünschen, beispielsweise Informationen der Gewerkschaft ver.di sowie den Stand aus aktuellen Tarifverhandlungen mitgeteilt. Außerdem solle die Broadcast-Gruppe als direkten Draht zum Betriebsrat dienen, um Probleme und Fragen der Arbeitnehmer schnell entgegen zu nehmen.

Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl mit einem am 26.01.2023 verkündeten Beschluss für unwirksam erklärt und dies mit einem Verstoß des Wahlvorstandsvorsitzenden D gegen den ungeschriebenen Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber begründet. Denn einen Zugang zu der Broadcast-Gruppe und den Telefonnummern hätten die weiteren Listen nicht gehabt. Auf Grund der zeitlichen Nähe zur Betriebsratswahl hätten diese sich die Kontaktdaten der Gruppenmitglieder auch nicht verschaffen können. Zudem habe die Nachricht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Amt als Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung gestanden. Da die Telefonnummern nicht zu Wahlwerbezwecken zur Verfügung gestellt worden seien, habe Herr D gezielt die Möglichkeiten des Betriebsrats und seinen Amtsbonus ausgenutzt, um bei den Wählern um Stimmen zu werben.

Gegen diesen ihm am 15.02.2023 zugestellten Beschluss richtet sich die am 09.03.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangene Beschwerde des Betriebsrats, die er nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 17.05.2023 mit einem am diesen Tag eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Er meint, der Grundsatz der Chancengleichheit der Vorschlagslisten bei der Betriebsratswahl sei zunächst schon deshalb nicht verletzt worden, da für alle Kandidaten die Möglichkeit bestanden habe, zur Wahlwerbung eine Broadcast-Gruppe auf WhatsApp zu erstellen. Herr D habe die Arbeitnehmer ausschließlich in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer "in mühevoller Kleinarbeit" persönlich angesprochen und darum gebeten, ihre Mobilfunknummer in seinen Verteiler aufnehmen zu dürfen, wenn Interesse bestehe. Herr D habe dabei angegeben, dass er über den Verteiler allerlei betriebliche Informationen von Interesse und Informationen der Gewerkschaft ver.di bekannt machen wolle.

Der Betriebsrat behauptet, dem Wahlvorstand sei schon zum Zeitpunkt der Wahlvorbereitung bekannt gewesen, dass die Mitarbeiterzahl zeitnah auf 240 Mitarbeiter erhöht werden müsse, um den Auftrag des Flughafens erfüllen zu können. Eine derartige Erhöhung zum 01.04.2023 sei mit dem Flughafen bereits fest vereinbart gewesen. Der Wahlvorstand habe dies zulässigerweise bei seiner Zukunftsprognose berücksichtigt. Derzeit würden tatsächlich 242 Mitarbeiter beschäftigt.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 26.01.2023 abzuändern und gemäß den Schlussanträgen des Beschwerdeführers der I. Instanz zu entscheiden.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie behaupten, Herr D sei auf Grund seiner betrieblichen Stellung als Disponent/Dienstplaner für die Tagesdienstplanung an die privaten Handynummern gelangt. Neuen Arbeitnehmern habe er seine Kontaktdaten mit dem Hinweis gegeben, sich an ihn zu wenden, wenn sie Fragen zum Dienstplan hätten oder einen freien Tag benötigten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auf die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl erkannt.

1.) Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.

2.) Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind hier erfüllt. Die Antragsteller zu 1 bis 4 sind als wahlberechtigte Arbeitnehmer gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung befugt. Der Wahlanfechtungsantrag ist am 07.06.2022 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der erst nach dem 23.05.2022 erfolgten Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht Köln eingegangen.

3.) Auch die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19Abs. 1 BetrVG sind erfüllt.

a) Jedoch lässt sich die Wahlanfechtung nicht darauf stützen, entgegen der Angabe "LSKK" auf den Vorschlagslisten habe es sich nicht bei allen Kandidatinnen und Kandidaten um "einfache" Luftsicherheitskontrollkräfte gehandelt. Denn dabei handelt es sich schon deswegen um keinen Verstoß gegen § 6 Abs. 3 WO, der die Wahl beeinflusst haben kann, weil im vorliegenden Fall die eindeutige Zuordnung und Individualisierung der Wahlbewerber möglich blieb (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 6 WO,Rn. 9). Insbesondere ist davon auszugehen, dass auch die (erweiterten) Aufgaben von Herrn D und von Frau Sa den Wahlberechtigten bekannt waren.

b) Ebenso wenig ist die Wahlanfechtung deswegen berechtigt, weil Frau Sa nach der Behauptung der Antragsteller Wahlbewerber anderer Vorschlagslisten von ihrer Kandidatur abhalten wollte. Denn ein möglicher Verstoß gegen das Wahlbeeinflussungsverbot des § 20 Abs. 2 BetrVG hat das Wahlergebnis zumindest nicht iSd. § 19Abs. 1 BetrVG beeinflusst, da die betreffenden Wahlbewerber ihre Kandidatur aufrecht hielten.

c) Die Betriebsratswahl ist jedoch deswegen unwirksam, weil der Wahlvorstandsvorsitzende mit seiner WhatsApp-Nachricht vom 22.05.2023 gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen hat.

aa) Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber ist ein wesentlicher Grundsatz des Wahlrechts iSd. § 19 Abs. 1 BetrVG. Er dient der Integrität einer demokratischen Wahl. Seine Verletzung ist geeignet, eine Wahlanfechtung zu rechtfertigen (BAG, Beschluss vom 6. Dezember 2000 - 7 ABR 34/99 -, BAGE 96, 326-336, Rn. 30; Hessisches LAG, Beschluss vom 25. Mai 2020 - 16 TaBV 147/19-, Rn. 31, juris).

bb) Nach dem Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber soll jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen haben. Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn einzelne Wahlbewerber sich selbst Vorrechte gegenüber Mitbewerbern herausnehmen (Hessisches LAG, Beschluss vom 25. Mai 2020 - 16 TaBV 147/19 -, Rn. 32, juris). Insbesondere Mitglieder des Wahlvorstands haben das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber zu beachten und zu sichern. Sie sind verpflichtet, Wahlvorschläge und konkurrierende Bewerber gleich zu behandeln (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2019 - 4 TaBV 2/19 -, Rn. 21, juris; LAG Nürnberg, Beschluss vom 20. September 2011 - 6 TaBV 9/11 -, Rn. 109, juris).

cc) Herr D hat jedoch als Wahlbewerber, Betriebsratsvorsitzender und Vorsitzender des Wahlvorstands mit seiner WhatsApp-Nachricht Wahlwerbung für seine Liste gemacht, ohne dass andere Wahlbewerber die Möglichkeit gehabt hätten, für ihre Kandidatur in vergleichbarer Weise zu werben. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt (vgl. auch Hessisches LAG, Beschluss vom 25. Mai 2020 - 16 TaBV 147/19 -, Rn. 34, juris).

(1) Die WhatsApp-Nachricht war Wahlwerbung. Die Nachricht wurde zu Werbezwecken versandt und enthielt Vorwürfe gegen die weiteren Listen, etwa, dass deren "Antworten auf Fragen erschreckend gewesen seien" und dass "diese sich nicht mit den Themen auseinander gesetzt" hätten. Auch ist von "leeren Wahlversprechen" die Rede und einem "unfairen Wahlkampf".

(2) Wahlwerbung ist zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie ist bei Betriebsratswahlen nicht nur durch Art. 5 Abs. 1 GG, sondern für Koalitionen auch durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Zu einer zulässigen Wahlwerbung gehört es auch, wenn Wahlberechtigte generell oder auch individuell dazu aufgefordert werden, ihr Wahlrecht auszuüben. Die hiermit verbundene Ansprache und Beeinflussung des Wahlberechtigten ist, solange keine unzulässigen Mittel verwandt werden, Bestandteil eines demokratischen Wahlverfahrens (BAG, Beschluss vom 6. Dezember 2000 - 7 ABR 34/99 -, BAGE 96, 326-336, Rn. 25).

(3) Die Nutzung der Broadcastliste zu Wahlzwecken war jedoch unzulässig. Herr D hatte eine Broadcastliste zur Werbung für seine Liste genutzt, die anderen Wahlbewerbern nicht zur Verfügung stand und die er nur auf Grund seiner Stellung als Disponent und Betriebsratsvorsitzender hatte erstellen können. Unerheblich ist, ob Herr D Zugang zu Mitarbeiterdaten hatte oder ob er die Telefonnummern freiwillig von den Arbeitnehmern erhielt.

(3.1) Herr D war zumindest teilweise auf Grund seiner betrieblichen Stellung als Disponent für die Tagesdienstplanung an die privaten Handynummern gelangt. So hat der Betriebsrat selbst eine WhatsApp-Nachricht der Frau K vorgelegt, in der es um die Diensteinteilung geht. Hinzu kommt, dass Herr D Betriebsratsvorsitzender war. Er war damit eine der wichtigsten Personen im Betrieb. Es war daher aus Sicht der Arbeitnehmer in ihrem Interesse, ihm ihre Telefonnummern zur Verfügung zu stellen.

(3.2) Insoweit kann der Betriebsrat nicht mit dem Argument durchdringen, dass Herr D die Arbeitnehmer "in mühevoller Kleinarbeit" über Jahre angesprochen und gebeten habe, sie in seinen privaten Verteiler aufnehmen zu dürfen. Entscheidend ist, dass andere Wahlbewerber demgegenüber keine vergleichbare Stellung im Betrieb hatten, um an solche Kontaktdaten gelangen zu können. Damit hat Herr D gezielt die Möglichkeiten als Disponent und Betriebsratsvorsitzender ausgenutzt, um bei den Wählern um Stimmen zu werben.

(3.3) Diese Broadcastliste hatte er anderen Wahlbewerbern zuvor nicht zur Verfügung gestellt. Es war für sie nicht einmal sofort erkennbar, dass Herr D die Broadcastfunktion nutzte. Denn Broadcastnachrichten erscheinen wie normale Nachrichten. Sie bieten lediglich einen einseitigen Kommunikationsweg von einer Person an mehrere. Eine Gruppenunterhaltung ist nicht möglich. Für andere Wahlbewerber bestand auf Grund der zeitlichen Nähe zur Betriebsratswahl ohnehin keine Möglichkeit mehr, rechtzeitig vor der Wahl die Liste von Herrn D heraus zu verlangen, um sie ihrerseits nutzen zu können. Anders als die Arbeitgeberin meint, ging es daher bei der Nutzung der Broadcast-Gruppe nicht lediglich um eine "ungleiche Chancennutzung.

dd) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber war geeignet iSd. § 19 Abs. 1 BetrVG, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass ohne die WhatsApp-Nachricht kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Denn die Betriebsratssitze 8 und 9 wurden durch das Losverfahren bestimmt, so dass bereits die Beeinflussung eines Wählers durch die Nachricht zu einer Änderung der Sitzverteilung hätte führen können. Auch dies hat das Arbeitsgericht überzeugend dargelegt.

d) Ist die Betriebsratswahl somit wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber unwirksam, bedarf es keiner weiteren Aufklärung, ob Herr D Frau D aufgefordert hatte, Wahlplakate der Vorschlagsliste 4 zu entfernen, oder ob er, wie er im Anhörungstermin vom 06.10.2023 näher erläuterte, Frau D nur einen Hinweis gegeben habe, wo sie Plakate aufhängen könne, damit sie nicht wieder von Dritten abgehängt würden.

e) Ebenfalls kann dahinstehen, ob die Betriebsratswahl auch deswegen unwirksam ist, weil entgegen § 9 Satz 1 BetrVG ein neunköpfiger Betriebsrat gewählt wurde, obwohl im Betrieb bei Erlass des Wahlausschreibens nur 170 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren, oder ob der Wahlvorstand für die Feststellung der Arbeitnehmerzahl die zu erwartende Entwicklung des Beschäftigungsstandes einbeziehen durfte (dazu BAG, Beschluss vom 7. Mai 2008 - 7 ABR 17/07 -, Rn. 17, juris; BAG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 7 ABR 60/15 -, BAGE 158, 19-30, Rn. 34; Hessisches LAG, Beschluss vom 24. Februar 2020 - 16 TaBV 20/19 -, Rn. 26, juris).

III.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf§ 92a ArbGG verwiesen.



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