Landesarbeitsgericht Thüringen

Urteil vom - Az: 1 Sa 158/21

Betriebsbedingte Kündigung: Hinweis auf Abbau einer Hierarchieebene reicht zur Rechtfertigung nicht aus

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 25.06.2021 - Az. 7 Ca 2129/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung vom 29.10.2020.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.11.2012 auf Basis des Arbeitsvertrages vom 07.09.2012 (Bl. 28 ff. d.A.) sowie des Änderungsvertrags vom 20.04.2015 (Bl. 41-43 d.A) in Vollzeit beschäftigt. Vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung war sie als Teamleiterin Qualitätssicherung am Standort E... gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.144,33 € tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Die Beklagte führt für die V... GmbH deren Kundenbetreuung in den sogenannten Kundenservicecentern (KSC) durch. Diese KSC waren ursprünglich in ihrer Führungsstruktur so organisiert, dass unter dem "Leiter OCK" drei Führungsebenen angesiedelt waren: der Standortleiter, darunter der Abteilungsleiter und auf unterster Hierarchieebene der Teamleiter.

Nachdem die V... GmbH im Jahr 2019 Anteile an den U.... M... Gesellschaften erworben hatte, plante sie im Jahr 2019 eine Organisationsänderung ihrer Unternehmen.

Nach dem Interessenausgleich der Beklagten mit dem Betriebsrat der KSC "IA/SP Änderung der Führungsstruktur im KSC" vom 02.07.2019 gültig ab 12.07.2019 (Bl. 77 ff. d.A., im Folgenden "Interessenausgleich vom 02.07.2019") sollten unterhalb des Leiters OCK zukünftig nur noch zwei statt drei Führungsebenen existieren. Zukünftig sollten die Mitarbeiter an einen Gruppenleiter und diese an einen Leiter berichten. Wegen der alten und der neuen Führungsstruktur wird auf die Darstellung auf den Seiten 1 und 2 des Interessenausgleichs vom 02.07.2019 Bezug genommen. Nach dem in Ziffer 3 des Interessenausgleichs vom 02.07.2019 geregelten Besetzungsverfahren sollten die Positionen Leiter und Gruppenleiter im Wege eines Ausschreibungsverfahren neu besetzt werden. Ausweislich der Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 02.07.2019 "Tätigkeitsbeschreibung" (Bl. 84 d.A.) umfasst die Rolle des Gruppenleiters folgende Aufgaben:

- Verantwortlich für die fachliche und disziplinarische Führung der MA, dies beinhaltet

- Zielvereinbarungsgespräche inkl. Vereinbarung von Maßnahmen um die Zielerreichung zu ermöglichen

- Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenz der MA durch Coaching

- Verantwortung für die Kommunikation im Team

- Verantwortung für die Mitarbeiterzufriedenheit (People Survey Ergebnisse auf Teamebene)

- Sicherstellung von Know-How Transfer

- siehe Liste Personalprozesse

- Berichtet an den Leiter

- Teamstärke 20 MA

Die Klägerin bewarb sich nach den Regelungen des Interessenausgleichs vom 02.07.2019 auf eine der Gruppenleiterstellen in E.... Sie nahm im August 2020 an einem Auswahlverfahren in Form eines Assessment Centers teil, wurde jedoch nicht ausgewählt.

In einem mit dem Konzernbetriebsrat der V... GmbH am 01.07.2020 geschlossenen (Teil) Interessenausgleich für den Geschäftsführungsbereich Commercial Operations vom 01.07.2020 (Bl. 119 ff. d.A.) ist auf Seite 9 das Nachfolgende geregelt:

"c) Abteilung OPK (Contact Center Operations 2)

...

In der Einheit OPK fallen insgesamt Aufgaben mit einem Volumen von 60 Stellen weg. Diese entfallen da sich das Volumen im Frontlinebereich reduziert u.a. durch Steigerung des Self-Services...

...

Aus der heutigen Abteilung DPQ werden die beiden Qualitätsteam (DPQQ) aus B... und E... OPK organisatorisch zugeordnet. Die Tätigkeiten und Standorte der Stellen bleiben unverändert. Die Führungsstruktur wird angepasst. D.h. die vorhandenen beiden Teamleiter-Positionen entfallen. Dafür werden zwei Gruppenleiter Stellen aufgebaut."

Mit Schreiben vom 20.10.2020 (Bl. 169 ff. d.A.) teilte die Beklagte dem bei ihr bestehenden Betriebsrat mit, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.12.2020 zu beenden. Zugleich sei beabsichtigt, der Klägerin mit Wirkung ab 01.01.2021 eine Stelle als Kundenbetreuerin am Standort E.... anzubieten. Auf den weiteren Inhalt des Anhörungsschreibens wird Bezug genommen. Der Betriebsrat stimmte der Änderungskündigung zu (vgl. Bl. 175 d.A.).

Mit Schreiben vom 29.10.2020 (Bl. 44 d.A.), der Klägerin am 30.10.2020 zugegangen, sprach die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung zum 31.12.2020 aus und unterbreitete der Klägerin das Änderungsangebot, ab dem 01.01.2021 als Kundenbetreuerin mit einem Monatsgrundgehalt von 2.998,00 € brutto nebst einer gestaffelten Zulage weiterbeschäftigt zu werden. Dieses Angebot nahm die Klägerin mit Schreiben vom 10.11.2020 (Bl. 48 d.A.) unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Bereits ab dem 01.10.2020 wurde die Klägerin freigestellt.

Mit ihrer 13.11.2020 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Änderungskündigung geltend gemacht. Sie hat das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe und die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl bestritten. Die Anhörung des Betriebsrats hat sie mit Nichtwissen bestritten. Sie hat vorgebracht, das Beschäftigungsbedürfnis für die Klägerin sei nicht entfallen. Dem Sachvortrag der Beklagten sei lediglich zu entnehmen, dass die zwei Teamleiterpositionen entfallen und dafür zwei Gruppenleiterstellen neu geschaffen worden seien. Die Position als Gruppenleiter unterscheide sich jedoch nicht von ihrer vorherigen Tätigkeit als Teamleiterin. Die Gruppenleiterstelle sei auch keine Beförderungsstelle, da sie auf der gleichen Ebene angesiedelt sei. Die Tätigkeit sei lediglich umbenannt worden. Zur Begründung hat sie sich unter anderem auf das ihr erteilte Zwischenzeugnis vom 24.06.2020 (Bl. 203 d.A.) berufen. Dieses bestätige, dass die Klägerin als Teamleiterin ein Team von bis zu 15 Mitarbeitern fachlich und disziplinarisch geführt habe. Entgegen der Darstellung der Beklagten sei die Tätigkeit der Klägerin ausweislich § 2 des Änderungsvertrages vom 20.04.2015 dem Gehaltsband 4, nicht dem Gehaltsband 3 zugeordnet gewesen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß Änderungskündigung der Beklagten vom 29.10.2020 sozial ungerechtfertigt ist und die Änderungskündigung der Beklagten vom 29.10.2020 unwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich angeführt, die Stelle der Klägerin als Teamleiterin sei aufgrund der im Interessenausgleich hinterlegten unternehmerischen Entscheidung mit Wirkung zum 30.09.2020 vollständig und dauerhaft entfallen. Bei der Gruppenleiterstelle, die dem Gehaltsband 5 der Beklagten zugeordnet sei, handle es sich um eine wesentlich anspruchsvollere Beförderungsstelle. Die Stelle als Teamleiterin sei dem Gehaltsband 3 zugeordnet gewesen. Ein Gruppenleiter sei für bis zu 20 Mitarbeiter verantwortlich und habe - anders als der Teamleiter - disziplinarische Befugnisse und erweiterte Systemzugriffe. Die Führungsarbeit werde voraussichtlich 60 % der Tätigkeit umfassen. Hinzu trete die fachliche Führung der Mitarbeiter. Nur diese fachliche Führung habe bislang den Teamleitern oblegen. Im Rahmen der Sozialauswahl sei nur die Mitarbeiterin W... einzubeziehen gewesen, die sozial schutzbedürftiger sei als die Klägerin.

Mit Urteil vom 25.06.2021 (Bl. 215 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht Erfurt der Änderungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Anforderungen an die Darlegung betriebsbedingter Gründe bei Abbau einer Hierarchieebene ausgeführt, die Beklagte habe nicht in ausreichender Weise dargelegt, in welchem Umfang die bisher von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten künftig entfallen. Daher könne dahinstehen, ob die von der Beklagten neu geschaffene Gruppenleiterstelle inhaltlich identisch sei mit einer Teamleiterstelle.

Gegen das ihr am 01.07.2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit beim Landesarbeitsgericht am 12.07.2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 27.09.2021 mit am 27.09.2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Die Beklagte führt an, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Klägerin die organisatorische Durchführbarkeit der seitens der Beklagten getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs geführt habe, nicht mit einem Wort bestritten habe. Es bleibe dabei, dass die Beklagte die unternehmerische Entscheidung zur Änderung der Führungsstruktur getroffen habe. Nach der vorherigen Struktur seien die Kundenbetreuer von der Teamleitung, mithin der Klägerin, ausschließlich fachlich/inhaltlich geführt worden. Die über den Teamleitern angeordneten Abteilungsleiter hätten mit einem Anteil von 50 % fachlich/inhaltlich und zu 50 % in disziplinarischer Hinsicht sowohl die Führung der Teamleiter als auch der Kundenbetreuer übernommen. Die doppelte fachliche Führung durch die Teamleiter einerseits und die Abteilungsleiter andererseits sei jedoch ineffizient gewesen und habe zu Reibungsverlusten geführt. Durch eine Stärkung der Eigenverantwortung der Kundenbetreuer habe man auf eine rein fachlich arbeitende Führungsebene in Gestalt der Teamleitung zukünftig komplett verzichten können. Die Stelle der Klägerin am Standort E.... sei daher zum 30.09.2020 ersatzlos entfallen.

Die Gruppenleitung sei vom Stellenprofil gänzlich anders aufgestellt als die Teamleitung. Der Gruppenleiter sei nicht nur in fachlicher, sondern auch in disziplinarischer Hinsicht für bis zu 20 Kundenbetreuer verantwortlich. Er führe unter anderem Zielvereinbarungsgespräche, entwickle die fachliche Kompetenz der Kundenbetreuer durch Coachings weiter, verantworte die Kommunikation und den Know-how Transfer. Auch aus der unterschiedlichen Zuordnung der Vergütung zu den Gehaltsbändern ergebe sich, dass die Stelle des Gruppenleiters höherwertig sei. Der Gruppenleiter habe mit einem Anteil von ca. 60 % des wöchentlichen Arbeitsvolumens disziplinarische Führungsaufgaben wahrzunehmen. So müsse er über die Ent- und Befristung von Verträgen maßgeblich entscheiden, Abmahnungen aussprechen, im Rahmen vorgegebener Bandbreiten Sonderprämien gewähren, den konkreten Arbeitsplatz zuweisen, Eskalationsgespräche zu Krankheit führen sowie über Dienstreisen und den Auf- und Abbau von Gleitzeitguthaben entscheiden. Der Gruppenleiter verfüge auch über erweiterte Zugriffsrechte im Hinblick auf den Regelurlaub und das ETWeb Ziel Prozess. Demgegenüber habe die Klägerin zu jeweils gleichen Anteilen an der wöchentlichen Arbeitszeit (38,5 Stunden) zum einen fachliche Kontrolltätigkeiten erbracht und zum anderen als fachlicher Ansprechpartner für aufgabenbezogene Fragen der Kundenbetreuer fungiert. Ca. vier Stunden wöchentlich habe die Abstimmung mit der Abteilungsleitung in Anspruch genommen. Aufgrund der Entscheidung zur Stärkung der Eigenverantwortung der Kundenbetreuer falle die Aufgabe als Ansprechpartner für aufgabenbezogene Fragen zukünftig nicht mehr an. Auch die Abstimmung mit der Abteilungsleitung entfalle. Lediglich fachliche Kontrolltätigkeiten blieben übrig. Auf der Stelle der Gruppenleiter entstehe durch den Entfall der rein fachlich arbeitenden Teamleiterstelle kein zusätzliches Arbeitsvolumen. Zu berücksichtigen sei, dass auf der vormaligen, oberhalb der Teamleitung angesiedelten Abteilungsleitung ebenfalls fachliche Kontrolltätigkeiten (bezogen auf die Teamleitung) sowie disziplinarische Führungsaufgaben (in Bezug auf die Kundenbetreuer und die Teamleiter) erbracht wurden und damit bereits eine Ebene existierte, auf der die nunmehr durch die Gruppenleitung ausgeführten Aufgaben wahrgenommen wurden. Durch den Wegfall der Teamleitung komme es daher nicht zu einem Mehr an Kontrolltätigkeiten auf der Ebene oberhalb der Kundenbetreuer.

Die zum Wegfall des klägerischen Arbeitsplatzes führende unternehmerische Entscheidung unterliege lediglich einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle. Die Beklagte habe sich von der Umstrukturierung eine Qualitäts- und Effizienzsteigerung versprochen. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin habe es nur in Gestalt des ihr mit der Änderungskündigung angebotenen Arbeitsplatzes gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 25.06.2021, Az. 7 Ca 2129/20, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie bestreitet weiter, dass durch die unternehmerische Entscheidung der Beschäftigungsbedarf für sie weggefallen sei. Die Umstrukturierung habe lediglich auf einen Personalaustausch gezielt. Die untere Führungsebene sei beibehalten worden. Lediglich die Abteilungsleiterstellen seien entfallen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts treffe den Arbeitgeber bei einem Abbau von Stellen eine erweiterte Vortragslast.

Eine inhaltliche Veränderung auf der untersten Führungsebene sei nicht erfolgt. Auch ausweislich des (Teil-) Interessenausgleichs vom 01.07.2020 würden die "Tätigkeiten unverändert" bleiben. Eine Gegenüberstellung der Tätigkeiten des Teamleiters und des Gruppenleiters zeige, dass ein wesentlicher Unterschied nicht bestehe. Hierzu verweist die Klägerin auf zwei ihr erteilte Zwischenzeugnisse vom 24.06.2020 (Bl. 203 d.A.) und vom 29.08.2019 (Bl. 373 d.A.). Aus den Zwischenzeugnissen sei ersichtlich, dass die Klägerin als Teamleiterin ihr Team auch disziplinarisch/personell geführt habe. Weiter zeige ein Vergleich der Aufgaben des neuen Gruppenleiters laut Ausschreibung (Bl. 352 d.A.) sowie laut Anlage zum Interessenausgleich vom 02.07.2019 (Bl. 84 d.A.) mit den in den Zwischenzeugnissen aufgeführten Aufgaben, dass sich die Aufgaben im Wesentlichen deckten. Unter Vorlage diverser E-Mail-Korrespondenz (Bl. 353 ff. d.A.) führt die Klägerin zudem an, auch sie habe Mitarbeitergespräche zur Zielerreichung geführt, Ermahnungen ausgesprochen, den Abschluss von Entwicklungsplänen angewiesen sowie Bewerbungsgespräche geführt.

Im Termin zur zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat die Beklagte mit Blick auf die Zwischenzeugnisse eingeräumt, dass die Klägerin auch als Teamleiterin disziplinarische Führungsaufgaben wahrgenommen hat. Allerdings - so die Beklagte - habe es sich hierbei nur um geringfügige disziplinarische Aufgaben von untergeordneter Bedeutung gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 27.09.2022 (Bl. 387 d.A.) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 64Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO.

II. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht die Änderungskündigung der Beklagten vom 29.10.2020 als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 KSchG angesehen.

1. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist dann sozial gerechtfertigt ist i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 KSchG, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und der Arbeitgeber sich darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (BAG 18.05.2017 - 2 AZR 606/16, Juris Leitsatz).

Zutreffend hat das Erstgericht darauf verwiesen, dass sich die Beklagte zum Beleg eines Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs auf die unternehmerische Entscheidung zur Änderung ihrer Führungsstruktur und die in diesem Zusammenhang beschlossene Streichung der Teamleiterposition berufen hat.

2. Der bloße Hinweis auf eine erfolgte Stellenstreichung reicht zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung nicht aus. Wie das Erstgericht ausführt, trifft die Beklagte als Arbeitgeberin im Falle der Stellenstreichung bzw. bei Abbau einer Hierarchieebene durch eine unternehmerische Entscheidung eine erhöhte Vortragslast mit Blick auf den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs. Dieser erhöhten Vortragslast ist die Beklagte auch mit ihrem Berufungsvorbringen nicht ausreichend nachgekommen.

a) Zwar können innerbetriebliche Gründe den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingen. Solche innerbetrieblichen Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (BAG 24.05.2012 - 2 AZR 124/11, Rn. 21). Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass eine solche unternehmerische Entscheidung gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen ist, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. BAG 24.05.2012 - 2 AZR 124/11, Rn. 21; BAG 23.02.2012 - 2 AZR 548/10, Rn. 17).

Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Vielmehr hat der Arbeitgeber konkret darzulegen, in welchem Umfang die bisher von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Daran fehlt es etwa, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen (BAG 24.05.2012 - 2 AZR 124/11, Rn. 21; BAG 23.02.2012 - 2 AZR 548/10, Rn. 18). Im Falle des Abbaus einer Hierarchieebene hat der Arbeitgeber daher auf Grund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darzustellen und anzugeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können (BAG 24.05.2012 - 2 AZR 124/11, Rn. 23; BAG 13.02.2008 - 2 AZR 1041/06, Rn. 16).

b) Die Beklagte beruft sich auf die getroffene Entscheidung zur Streichung der Teamleiterposition. Nach eigenem Vortrag der Beklagten führt jedoch die Umstrukturierung der Führungsstruktur von drei auf zwei Hierarchieebenen nicht dazu, dass die vormaligen Aufgaben der Klägerin als Teamleiterin gänzlich wegfallen. Vielmehr werden die Aufgaben der Teamleitung jedenfalls teilweise durch die neu geschaffene Gruppenleitung fortgesetzt. Die Beklagte führt selbst aus, dass die neu eingesetzten Gruppenleiter die Kundenbetreuer weiter fachlich/inhaltlich führen. Selbst wenn die entsprechende fachliche Führung nach Vortrag der Beklagten durch eine Stärkung der Eigenverantwortung der Kundenbetreuer in geringerem Maße anfiele, ändert dies nichts daran, dass die der Klägerin als Teamleiterin zuvor obliegenden Aufgaben in nicht unwesentlichem Umfang weiter zu erfüllen sind. Die Beklagte selbst gibt den Anteil der fachlichen Führung mit 40 % der Arbeitszeit eines Gruppenleiters an.

c) Auf den neuen Zuschnitt der Gruppenleiterposition kann sich die Beklagte zum Beleg eines Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs für die Klägerin nicht berufen. Hierbei kann unterstellt werden, dass der Gruppenleitung zukünftig mehr Führungsaufgaben in disziplinarischer Hinsicht zu kommen als der Teamleitung.

aa) Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der von einem Arbeitsplatzwegfall betroffene Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung auf einer sogenannten "Beförderungsstelle" grundsätzlich nicht beanspruchen kann (BAG 23.02.2010 - 2 AZR 656/08, Rn. 36; BAG 21.09.2000 - 2 AZR 385/99, Rn. 39, zu B IV 2 a) der Gründe). Dieser Grundsatz, wonach "Beförderungsstellen" bei der Prüfung von Umsetzungsmöglichkeiten unberücksichtigt bleiben, gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Fallen die bisherigen Arbeitsabläufe nicht weg, sondern gestaltet der Arbeitgeber sie lediglich um, so dass auf dem neuen Arbeitsplatz im Wesentlichen nach wie vor die gleichen Tätigkeiten zu verrichten sind, rechtfertigt dies eine betriebsbedingte Kündigung auch dann nicht, wenn die neuen Stellen als Beförderungsstellen ausgestaltet sind (BAG 30.08.1995 - 1 ABR 11/95, zu II. 3. b) aa) der Gründe; BAG 10.11.1994 - 2 AZR 242/94, Rn. 20). Anderenfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, einem missliebigen Arbeitnehmer betriebsbedingt mit der Begründung zu kündigen, auf eine Beförderung auf seinen inzwischen aufgewerteten Arbeitsplatz habe er keinen Anspruch und andere Arbeitsmöglichkeiten seien nicht vorhanden. Das Arbeitsverhältnis des bisherigen Arbeitsplatzinhabers genießt insoweit Bestandsschutz. Da die Arbeitskapazität nach wie vor vorhanden ist, kann der Arbeitgeber die Kündigung dadurch vermeiden, dass er dem Arbeitnehmer die nunmehr höher zu bewertenden Arbeiten zuweist. Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung besteht deshalb nicht (BAG 30.08.1995 - 1 ABR 11/95, zu II. 3. b) aa); BAG 10.11.1994 - 2 AZR 242/94, Rn. 20).

Ändert sich bei Umgestaltung von Arbeitsabläufen die Tätigkeit inhaltlich nicht und ist der bisherige Stelleninhaber aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung in der Lage, die künftig anfallenden Arbeiten zu verrichten, so ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Änderungen zum Anlass nimmt, die Stelle in eine "Beförderungsstelle" umzuwandeln. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber die auf dem Arbeitsplatz bislang zu verrichtende Tätigkeit um zusätzliche Aufgaben erweitert, der dadurch veränderte Arbeitsplatz aber nach Bedeutung und Verantwortung nicht um so viel anspruchsvoller ist, dass insgesamt ein anderer Arbeitsbereich entstanden wäre (BAG 24.05.2012 - 2 AZR 124/11, Rn. 26; BAG 30.08.1995 - 1 ABR 11/95, zu II. 3. b) bb) der Gründe).

bb) Im vorliegenden Fall lässt sich nicht feststellen, dass die Gruppenleiterposition im Vergleich zur vorherigen Teamleitung einen anderen, wesentlich anspruchsvolleren Arbeitsbereich im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung darstellt.

(1) Sowohl der Teamleiter als auch der neue Gruppenleiter sind auf der untersten Hierarchieebene angesiedelt. Beide haben Teams von bis zu 15 (Teamleiter) bzw. 20 (Gruppenleiter) Kundenbetreuern unter anderem fachlich zu führen.

Beide berichten an die nächsthöhere Hierarchieebene. An dieser Berichtspflicht zeigt sich auch, dass der Vortrag der Beklagten, der vormals mit vier Stunden anzusetzende Abstimmungsaufwand der Teamleitung mit der Abteilungsleitung fiele ersatzlos weg, nicht nachvollziehbar ist. Denn auch die Gruppenleitung hat an den Leiter zu berichten, so dass dort ebenfalls ein entsprechender Abstimmungsaufwand anfallen wird.

Neben den fachlichen Führungsaufgaben fallen auch die weiteren Aufgaben des Mitarbeitercoachings und des Führens von Mitarbeitergesprächen ausweislich des Stellenprofils des Gruppenleiters sowie ausweislich der der Klägerin erteilten Zwischenzeugnisse (Bl. 203 und 373 d.A.) auf beiden Positionen an.

(2) Mit ihrem Vorbringen, die Klägerin habe als Teamleiterin keine disziplinarischen Führungsaufgaben gehabt, kann die Beklagte nicht gehört werden.

Die zur Akte gereichten Zwischenzeugnisse (Bl. 203 und 373 d.A.) sprechen eine andere Sprache. Dort ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Klägerin als Teamleiterin die "personelle und fachliche Führung des Teams Qualitätssicherung" bzw. das "Performance Management fachlich und disziplinarisch" zu erfüllen hatte. Auch die Beklagte hat im Termin zur zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung mit Blick auf die erteilten Zwischenzeugnisse zugestanden, dass der Klägerin als Teamleiterin auch disziplinarische Führungsaufgaben zufielen. Ihre hierzu gemachte Einschränkung, dabei habe es sich lediglich um untergeordnete Aufgabenstellungen gehandelt, blieb ohne Substanz.

Die von der Beklagten angeführten disziplinarischen Führungsaufgaben der Gruppenleitung (über Ent- und Befristung von Verträgen maßgeblich entscheiden, Abmahnungen aussprechen, im Rahmen vorgegebener Bandbreiten Sonderprämien gewähren, den konkreten Arbeitsplatz zuweisen, Eskalationsgespräche zu Krankheit führen, über Dienstreisen und den Auf- und Abbau von Gleitzeitguthaben entscheiden) haben nach Auffassung der Kammer kein solches Gewicht, dass von erheblich ausgeweiteten Leitungsbefugnissen ausgegangen werden kann. Auch die Klägerin hat ausweislich der Zwischenzeugnisse Mitarbeiter-, Beurteilungs- und Leistungsgespräche geführt. Zudem hat sie Ermahnungen ausgesprochen. Auch war sie ausweislich des Zwischenzeugnisses vom 24. Juni 2020 (Bl. 203 d.A.) mit Personalmanagement und Personalrecruiting befasst.

Hieraus ergibt sich, dass die Gruppenleiterposition - auch angesichts der identischen hierarchischen Stellung gleich über den Kundenbetreuern - nach Bedeutung und Verantwortung nicht mit erheblich erweiterten Leitungsbefugnissen ausgestattet ist. Vielmehr ist die Kammer der Auffassung, dass vorliegend bereits vorhandene Kompetenzen ohne nennenswerte Anhebung der Qualifikationsanforderungen allenfalls geringfügig erweitert wurden.

Auch wenn es hierauf letztlich nicht mehr ankommt, lässt sich auch aus dem von der Beklagten angeführten zeitlichen Umfang der disziplinarischen Aufgabenerfüllung mit 60 % eine rechtlich erhebliche Ausweitung der disziplinarischen Leitungsbefugnissen nicht ableiten. Denn die diesbezügliche zeitliche Angabe hat die Beklagte nicht weiter substantiiert. Die Beklagte hat nicht erklärt, welche fachlichen Führungsaufgaben im Einzelnen 40 % des Arbeitsumfangs und welche disziplinarischer Natur 60 % ausmachen.

(3) Auch das Argument der Beklagten, auf der Stelle der Gruppenleiter entstehe durch den Entfall der rein fachlich arbeitenden Teamleiterstelle kein zusätzliches Arbeitsvolumen, da auf der vormaligen, oberhalb der Teamleitung angesiedelten Abteilungsleitung ebenfalls fachliche Kontrolltätigkeiten erbracht wurden, greift nicht. Denn fachliche Führungsaufgaben hat die vormalige Abteilungsleitung auch nach eigenem Vortrag der Beklagten allenfalls bezogen auf die Teamleitung wahrgenommen. Eine fachliche Führung der Kundenbetreuer hat nach der alten Struktur alleine der Teamleitung oblegen. Entscheidend ist, dass die fachlichen Führungsaufgaben auf der untersten Hierarchieebene bezogen auf die Kundenbetreuer durch die Umstrukturierung der Führungsstruktur gar nicht entfallen sind, sondern unverändert - wenn auch womöglich reduziert - weiterhin anfallen.

(4) Auf die Zuordnung des Gehalts des Gruppenleiters zum Gehaltsband 5 kann sich die Beklagte zum Beleg einer von der Klägerin nicht zu beanspruchenden erheblich anspruchsvolleren Beförderungsstelle schließlich auch nicht berufen.

Dies folgt bereits daraus, dass es für die Frage, ob nach Umgestaltung eine nach Bedeutung und Verantwortung wesentlich anspruchsvollere Tätigkeit entstanden ist, nicht entscheidend auf die Bezeichnung der Stelle im Stellenplan oder die Vergütungsgruppe ankommt. Entscheidend ist vielmehr die Tätigkeit als solche und die für deren Ausfüllung geforderte Qualifikation (vgl. BAG 30.08.1995 - 1 ABR 11/95, zu II. 3. b) bb) der Gründe). Hinzu kommt, dass die Klägerin ausweislich des Änderungsvertrags vom 20.04.2015 als Teamleiterin dem Gehaltsband 4 zugeordnet war und nicht - wie die Beklagte behauptet - dem Gehaltsband 3. Davon abgesehen sind die Übergänge zwischen den Gehaltsbändern - wie die Klägerin anführt - offenbar fließend und überlappend. So stoßen nach eigenem Vortrag der Beklagten (s. Seite 3 des Schriftsatzes vom 17.05.2021, Bl. 185 d.A.) die Gehaltsbänder 5 (51.000,- € bis 77.000,- €) und 3 (33.500,- € bis 50.000,- €) direkt aneinander. Ein dazwischenliegendes Gehaltsband 4 - mit dem von der Beklagten angegebenen Jahreszielentgelt der Klägerin von 46.364,99 € - muss daher überlappen.

cc) Die Klägerin war nach dem Anforderungsprofil für die Position der Gruppenleitung auch geeignet.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin das Anforderungsprofil für die Gruppenleitung laut Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 02.07.2019 (Bl. 84 d.A.) - u.a. Erfahrungen in der Kundenbetreuung, 5 Jahre Berufserfahrung, Führungserfahrung - nicht erfüllen würde. Die Klägerin war seit 2012 bei der Beklagten als Kundenbetreuerin beschäftigt und seit Mai 2015 als Teamleiterin mit Führungsaufgaben betraut. Auch die Beklagte ging offenbar davon aus, dass die Klägerin das Anforderungsprofil für eine Gruppenleitung erfüllt. Denn sie hat die Klägerin auf ihre Bewerbung hin im Rahmen des Besetzungsverfahrens auf die neuen Gruppenleiterstellen zu einem Assessment-Center eingeladen. Dass die Klägerin im Ergebnis des Assessment-Centers bei der Stellenbesetzung nicht zum Zuge kam, spielt für die Frage, ob sie das Anforderungsprofil erfüllt, keine Rolle.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

IV. Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.



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