Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 2 Sa 523/13

Bankangestellte missbraucht Mitarbeiterkonto - Arbeitgeber muss zuerst Konto kündigen

Verwendet eine Bankangestellte ihr Mitarbeiterkonto gleich mehrfach entgegen den betrieblichen Vorschriften indem sie dort Drittgelder (hier: eines Ortsvereins) sammelt, so stellt dies eine schwere Vertragsverletzung dar.
Eine Kündigung ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn sie ein verhältnismäßiges Mittel ist. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Kündigung des Kontos als milderes Mittel zumutbar sein kann.

Vorliegend hat die klagende Arbeitnehmerin mehrfach Gelder von Vereinsmitgliedern auf ihrem Mitarbeiterkonto zur Weiterleitung gesammelt, obwohl ihr dies durch Betriebsvereinbarung sowie zwei individuellen Vereinbarungen untersagt worden ist. Ein Schaden ist nicht entstanden. Das Gericht hat die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung jedoch verneint, da zugunsten der klagenden Arbeitnehmerin insbesondere ein 30-jähriges beanstandungsfreies Beschäftigungsverhältnis, deren Schwerbehinderung, das Fehlen eines Schadens sowie die -oben genannte- Möglichkeit des Arbeitgebers zur Kündigung des Mitarbeiterkontos spreche.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22. Oktober 2013 - 3 Ca 545/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Die 1963 geborene, verheiratete Klägerin war bei der Beklagten seit dem 29. April 1983 aufgrund Arbeitsvertrages vom gleichen Tag (Bl. 65, 66 d. A.) zuletzt als Sachbearbeiterin im Funktionsbereich Zahlungsverkehr gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.312,60 EUR beschäftigt. Sie ist taubstumm und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie und ihr Ehemann, der ebenfalls taubstumm ist, unterhalten bei der Beklagten jeweils ein eigenes Konto sowie ein gemeinsames Konto und haben zudem gemeinsam eine Immobilie über die Beklagte finanziert.

Die bei der Beklagten geltende Arbeitsordnung (Bl. 70, 71 d.A.), bei der es sich um eine Betriebsvereinbarung handelt, enthält u. a. folgende Regelungen:

"(...)

5. Mitarbeiterkonten

Der Mitarbeiter soll seine Konten bei der Bank unterhalten. Soweit die Bank dafür Vorzugsbedingungen gewährt, entfallen diese mit dem Ausscheiden aus den Diensten der Bank. Fremde Geschäfte dürfen über Mitarbeiterkonten nicht abgewickelt werden; die Aufnahme von Geld für Dritte auf solchen Konten ist unzulässig.

(...)

10. Verschuldung

Der Mitarbeiter darf sich nicht über den Rahmen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus verschulden. Dies gilt auch für die Eingehung von Wechselverbindlichkeiten und die Übernahme von Bürgschaften oder Haftungen, gleich welcher Art.

(...)"

Am 01. Dezember 2010 trat die Klägerin an die Beklagte heran, weil ihr Konto nicht mehr genügend Deckung (einschließlich des ihr eingeräumten Dispositionskredits) aufwies, um eine Überweisung in Höhe von 4.300,-- EUR an den Reiseveranstalter einer Gruppenreise des Gehörlosenortsvereins nach R. ausführen zu können. Da sie keine Rücklagen gebildet hatte und die von den Reiseteilnehmern eingezahlten Beträge auf ihrem Konto "untergegangen" waren, bat sie darum, gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Kredit aufnehmen zu können. Im Rahmen der daraufhin durchgeführten Kontoüberprüfung stellte der für die Klägerin und ihren Ehemann zuständige Baufinanzierer, Herr D., fest, dass Gelder von Mitgliedern des Gehörlosenortsvereins in B-Stadt zu Reisezwecken auf das Konto der Klägerin überwiesen worden waren und das Konto aufgrund der privaten Verfügungen der Klägerin nicht mehr genügend Deckung aufgewiesen hatte, so dass die vom Reiseveranstalter angeforderte Zahlung nicht abgewickelt werden konnte. Auf Veranlassung von Herrn D. unterzeichneten die Klägerin und ihr Ehemann folgende Erklärung (Bl. 69 d. A.):

" D. und  M.D.                                                                     06.01.2011

Y-Straße

 D-Stadt

Kunden-Nr. xxxxxxx, ccccccc und vvvvvvv

Wir verpflichten uns bei Konten unter den vorgenannten Kunden-Nummern keine fremden Gelder für Gemeinschafts- und Vereinsaktivitäten zu sammeln bzw. zu verwahren.

Wir versichern, dass nur eigene Gelder auf den entsprechenden Konten verwahrt wird."

Am 24. Januar 2011 führten die Klägerin und ihr Ehemann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten der Klägerin, Herrn M., sowie dem Vorstand der Beklagten, Herrn B.. Ein Dolmetscher für die Gebärdensprache war bei diesem Gespräch nicht zugegen. Im Verlaufe des Gespräches unterzeichneten die Klägerin und ihr Ehemann folgende Vereinbarung vom 24. Januar 2011 (Bl. 13, 14 d. A.):

"Vereinbarung

zwischen der B., B-Straße, B-Stadt, vertreten durch den Vorstand P. B.,

- im Folgenden "Bank" genannt -

und

Frau D., wohnhaft D-Straße, D-Stadt,

und

Herrn M. D., wohnhaft eben da,

- im Folgenden "Kunden" genannt -

über die künftige Kontoführung bei der Bank.

Die Kunden werden bei der Bank unterhaltene Konten nur für eigene Rechnung führen.

Die Kunden verpflichten sich, es künftig zu unterlassen, Geldbeträge von dritten Personen zur Weiterleitung an bestimmte Empfänger - treuhänderisch - entgegenzunehmen und zu diesem Zweck bei der Bank unterhaltene Konten zu nutzen oder dritten Personen die Nutzung dieser Konten zu den betreffenden Zwecken zu gestatten. Diese Unterlassungserklärung betrifft insbesondere das Sammeln und Weiterleiten von Geldern für Vereins- oder Gemeinschaftsaktivitäten der jeweiligen Zahler.

Dieser Unterlassungsverpflichtung gilt für alle bestehenden und künftigen Einzel- und Gemeinschaftskonten der Kunden, namentlich die Konten unter den Kundenstämmen

xxxxxxx D. D.

ccccccc M. D.

vvvvvvv D. und M. D.

Die Bank weist darauf hin, dass sie mit der Erhöhung des bestehenden Darlehens über einen Betrag von TEUR 4 zugunsten der Kunden - gemäß Antrag der Kunden aus Dezember 2010 - einen möglichen (Image-)Schaden von der Bank abzuwenden beabsichtigt.

Den Kunden ist bekannt, dass die Verletzung dieser Vereinbarung und der Verstoß gegen die hierin übernommene Unterlassungsverpflichtung rechtliche Konsequenzen, insbesondere auch arbeitsrechtliche Folgen für Frau D. haben kann.

Durch nachfolgende Unterschrift erklären sich die Kunden mit dem Inhalt der vorstehenden Regelung einverstanden."

Am 25. Februar 2013 stellte die interne Revision der Beklagten fest, dass das Privatkonto der Klägerin Gutschriften von Dritten aufwies, die die Verwendungszwecke "Silvester 2012", "Silvester in Schweden 2012", "UUUU Sommerparty Sylt", "LLLL 2013" etc. anführten. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Verrechnung der Ein- und Ausgänge von/für Dritte eine offene Forderung gegen die Klägerin in Höhe von 4.617,-- EUR ergab und 1.377,75 EUR bzw. 64,10 EUR auf den bestehenden Konten verfügbar waren. In dem daraufhin von der Beklagten anberaumten Gespräch am 05. März 2013, zu dem eine Gebärdensprachdolmetscherin hinzugezogen wurde, bestätigte die Klägerin die ihr vorgehaltenen Feststellungen der Innenrevision.

Mit Bescheid vom 22. März 2013 (Bl. 72 - 81 d. A.) erteilte das Integrationsamt auf den am 08. März 2013 eingegangenen Antrag der Beklagten die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Daraufhin kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. März 2013 (Bl. 8 d. A.) außerordentlich fristlos. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 15. April 2013 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Kündigungsschutzklage. Mit Bescheid vom 23. Mai 2013 erteilte das Integrationsamt auf den am 08. März 2013 eingegangenen Antrag der Beklagten die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Mit Schreiben vom 29. Mai 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 2013. Diese Kündigung hat die Klägerin mit ihrer am 13. Juni 2013 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Kündigungsschutzklage ebenfalls angegriffen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die fristlose Kündigung und die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung seien unwirksam. Mangels Anwesenheit eines Dolmetschers für die Gebärdensprache hätten sie und ihr Ehemann bei Abschluss der Vereinbarung vom 24. Januar 2011 den Inhalt der Vereinbarung nicht mit der Beklagten besprechen können und die Vereinbarung unterzeichnet, ohne sich über die rechtliche Tragweite bewusst zu sein. Die Beklagte habe bei Abschluss der Vereinbarung mit keinem Hinweis deutlich gemacht, welche arbeitsrechtlichen Folgen für sie aus einer Verletzung erwachsen könnten. Insbesondere sei an keiner Stelle erwähnt gewesen, dass sie mit einer Kündigung oder gar fristlosen Kündigung belegt werden könne. Sie könne Texte nicht so ohne weiteres verstehen und bedürfe auch diesbezüglich einer besonderen Erläuterung und in vielen Fällen der Hilfe eines Dolmetschers für die Gebärdensprache. Das von ihr geführte Konto habe seit Jahren bekanntermaßen für Einnahmen und Ausgaben gedient, die ihr Ehemann im Rahmen seiner Aktivitäten für den Gehörlosenortsverein B-Stadt e.V. unternommen habe. Jedenfalls hätte der Kündigung eine Abmahnung vorausgehen müssen. Die vorgehaltene Vertragsverletzung stelle keine originäre Verletzung des Arbeitsvertrages oder gar des Vertrauensverhältnisses dar. Es sei der Beklagten unbenommen gewesen, das Kundenverhältnis mit ihr zu kündigen. Die ihr vorgeworfene Vornahme von Fremdbuchungen für Vereinsmitglieder auf einem Privatkonto stelle keinen ausreichenden Kündigungsgrund dar, zumal zu berücksichtigen sei, dass ihr Arbeitsverhältnis seit 30 Jahren beanstandungsfrei bestehe und ein besonderer Kündigungsschutz vorliege.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 27. März 2013, zugegangen am 28. März 2013, beendet ist, sondern zu den bisherigen Arbeitsbedingungen fortbesteht,

die Beklagte zu verurteilen, sie bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Sachbearbeiterin im Bereich Buchhaltung und Zahlungsverkehr weiter zu beschäftigen,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 29. Mai 2013, zugegangen am 29. Mai 2013, beendet wird, sondern zu den bisherigen Arbeitsbedingungen über den 31. Dezember 2013 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, die außerordentliche Kündigung sei gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Mit dem Ansammeln von Geldern Dritter auf ihrem Konto habe die Klägerin fortgesetzt sowohl gegen die Ziffern 5 und 10 der Arbeitsordnung als auch gegen die in der Erklärung vom 06. Januar 2011 und in der Vereinbarung vom 24. Januar 2011 eingegangenen Verpflichtungen verstoßen. Nach der Kreditanfrage habe Herr D. die Klägerin angewiesen, ab sofort keine fremden Gelder mehr auf den bei ihr eingerichteten Konten für Gemeinschafts- oder Vereinsaktivitäten zu sammeln. In dem Gespräch vom 24. Januar 2011 habe Herr B. der Klägerin erklärt, dass sie mit ihrem Verhalten gegen die für sie verbindliche Arbeitsordnung verstoßen habe und es nicht geduldet werden könne, dass sie Geldbeträge von dritten Personen zur Weiterleitung an bestimmte Empfänger entgegennehme und zu diesem Zweck bei ihr unterhaltene Konten nutze oder dritten Personen die Nutzung dieser Konten zu den betreffenden Zwecken gestatte. Herr B. habe die Klägerin aufgefordert, auf den bei ihr eingerichteten Konten keinerlei fremde Gelder für Gemeinschafts- oder Vereinsaktivitäten mehr anzusammeln und sie darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen diese Anweisung zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen werde. Auf seine Nachfrage, ob sie seine Ausführungen verstanden habe, habe die Klägerin dies bestätigt. Den Inhalt der danach vorgelegten Vereinbarung habe Herr B. der Klägerin und ihrem Ehemann Satz für Satz eingehend erläutert und sie dann mehrfach gefragt, ob sie den Inhalt der Vereinbarung verstanden hätten, was beide bejaht hätten. Im Hinblick darauf, dass der Klägerin bei Abschluss der Vereinbarung vom 24. Januar 2011 unmissverständlich klargemacht worden sei, dass das erneute Ansammeln von Geldern Dritter auf ihrem Konto zum Zwecke der Weiterleitung zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses führen würde, hätte es vor Kündigungsausspruch auch nicht des Ausspruches einer Abmahnung bedurft. Die beharrliche Fortsetzung des ihr zuvor untersagten Verhaltens belege, dass die Klägerin völlig uneinsichtig sei und eine Abmahnung sie zu einer Änderung ihres Fehlverhaltens auch nicht hätte bewegen können. Darüber hinaus sei ihr Vertrauen in die Redlichkeit, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit der Klägerin unwiederbringlich zerstört, nachdem die Klägerin ihr pflichtwidriges Verhalten trotz der Anweisung von Herrn D., der Erklärung vom 06. Januar 2011 und der Vereinbarung vom 24. Januar 2011 über zwei Jahre fortgesetzt habe.

Mit Urteil vom 22. Oktober 2013 - 3 Ca 545/13 - hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils (S. 6 - 13 = Bl. 100 - 107 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 12. November 2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. November 2013, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 18. November 2013 eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Februar 2014 mit Schriftsatz vom 12. Februar 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tage eingegangen, begründet.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe zunächst die von ihr im Einzelnen dargelegten Kündigungsgründe unzutreffend auf den Verstoß der Klägerin gegen Ziffer 10 der Arbeitsordnung beschränkt und diesbezüglich zu Unrecht angenommen, dass die außerordentliche Kündigung bereits an der Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB scheitere. Sie habe unmissverständlich dargelegt, dass nicht das im Dezember 2010 bekannt gewordene Fehlverhalten der Klägerin Anlass für die Kündigung gewesen sei, sondern vielmehr die fortgesetzte Wiederholung des Fehlverhaltens, welches ihr durch eine Prüfung der internen Revision am 25. Februar 2013 bekannt geworden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sie nämlich erfahren, dass die Klägerin entgegen den verbindlichen Anweisungen in der Arbeitsordnung, der bereits im Dezember 2010 erfolgten Anweisung von Herrn D. sowie den eingegangenen schriftlichen Verpflichtungen vom 06. Januar 2011 und 24. Januar 2011 auch in der Folgezeit fortgesetzt Gelder Dritter auf ihrem Konto zur Weiterleitung angesammelt habe. Darüber hinaus habe die interne Revision in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Klägerin - wie bereits im Dezember 2010 - die auf ihrem Konto angesammelten Gutschriften von Dritten zur Begleichung privater Verbindlichkeiten eingesetzt habe, so dass eine Weiterleitung der Gelder entsprechend ihrem Bestimmungszweck aus den vorhandenen Kontosalden zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen wäre. Damit habe festgestanden, dass die Klägerin nicht nur die von ihr eingegangenen Vereinbarungen nicht eingehalten, sondern fortlaufend auch gegen diese verstoßen habe. Vorliegend sei insbesondere zu beachten, dass die Klägerin als Sachbearbeiterin im Funktionsbereich Zahlungsverkehr für die Buchung von Datenträgern, Überweisungen und Schecks zuständig gewesen sei und es sich bei dieser Stelle um eine absolute Vertrauensposition handele. In dieser Position wäre die Klägerin in der Lage gewesen, zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse Buchungen zu ihren Gunsten zu manipulieren und sich dadurch zur Lösung ihrer Zahlungsverpflichtung einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Da es ihr nicht möglich sei, ihre Mitarbeiter und auch die Klägerin unablässig zu überwachen bzw. zu überprüfen, sehe die Arbeitsordnung vor, dass Mitarbeiter sich nicht über ihre finanziellen Verhältnisse hinaus verschulden und auch Gelder Dritter nicht auf ihren Konten ansammeln dürften. Hierdurch solle gewährleistet werden, dass Mitarbeiter ihre wirtschaftlichen Verhältnisse geordnet hielten und überhaupt nicht erst in die Versuchung gerieten, ihre Möglichkeiten des Zugriffs auf das Vermögen Dritter für eigene Zwecke zu missbrauchen. Auch wenn es tatsächlich nicht zu einer Rufschädigung gekommen sei, hätte ihr Ruf im Falle einer öffentlichen Bekanntmachung des Verhaltens der Klägerin selbstverständlich gelitten. Soweit das Arbeitsgericht sie darauf verwiesen habe, dass sie als milderes Mittel das Kundenverhältnis mit der Klägerin hätte beenden können, habe das Arbeitsgericht übersehen, dass die Klägerin zwar fremde Gelder auf dem Konto einer anderen Bank hätte ansammeln können, im Falle einer erneuten zweckentfremdeten Verwendung dieser Gelder aber ebenfalls gegen ihre Arbeitsordnung verstoßen und sich in die Gefahr begeben hätte, zur Regelung ihrer finanziellen Verhältnisse die bei ihr eingeräumte Vertrauensposition zu missbrauchen. Vor Ausspruch der Kündigung sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen, weil der Klägerin nach dem mit ihr am 24. Januar 2011 geführten Gespräch sowie nach Unterzeichnung der Vereinbarung vom selben Tag klar gewesen sei, dass jede erneute bzw. weitere Ansammlung von Fremdgeldern auf ihrem Konto zum Zwecke der Weiterleitung die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zur Folge haben würde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22. Oktober 2013 - 3 Ca 545/13 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das Arbeitsgericht habe zu Recht angenommen, dass keine ausreichenden Kündigungsgründe vorgelegen hätten. Ihr könne kein Verstoß gegen die Arbeitsordnung unterstellt werden. Das von ihr und ihrem Ehemann beanspruchte Kleindarlehen zur Deckung des Girokontos stelle entgegen der Darstellung der Beklagten keine Privatverschuldung dar. Eine schwerwiegende Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag liege ebenfalls nicht vor. Die Sanktionen stünden in keinem Verhältnis zu den ihr vorgehaltenen Verhaltensweisen und könnten daher keine Kündigung rechtfertigen. Die fehlende Abmahnung stelle einen weiteren Grund für die Unwirksamkeit der Kündigungen dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung und die hilfsweise ordentliche Kündigung sind unwirksam. Die Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 2 KSchG liegen nicht vor, weil jedenfalls die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausgeht.

I. Die außerordentliche Kündigung ist nicht nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

1. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung lässt sich nicht aus einem Verstoß gegen Ziffer 10 der Arbeitsordnung herleiten, wonach sich der Mitarbeiter nicht über den Rahmen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus verschulden darf.

Schulden des Arbeitnehmers gehören zur privaten Lebensführung und sind für sich kein Kündigungsgrund. Dies gilt selbst für Arbeitnehmer, denen Vermögenswerte anvertraut sind. Die Überschuldung eines in einer Vertrauensstellung beschäftigten Arbeitnehmers kann unter Umständen aber dessen persönliche Ungeeignetheit begründen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen (KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 459).

Vorliegend lässt sich eine Überschuldung bzw. eine Verschuldung der Klägerin "über den Rahmen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus" im Sinne von Ziffer 10 der Arbeitsordnung nicht feststellen. Allein der Umstand, dass nach den am 25. Februar 2013 getroffenen Feststellungen der internen Revision der Beklagten die Verrechnung der Ein- und Ausgänge von/für Dritte auf dem Privatkonto der Klägerin eine offene Forderung gegen die Klägerin in Höhe von 4.617,-- EUR ergab und nur 1.377,75 EUR bzw. 64,10 EUR auf bestehenden Konten verfügbar waren, lässt noch nicht den Schluss auf eine Verschuldung der Klägerin über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus zu, zumal die Klägerin die Beklagte nach dem im Dezember 2010 erbetenen Kredit um keinen weiteren Kredit gebeten hatte und auch nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin im Zeitpunkt der durchgeführten Überprüfung derart überschuldet gewesen wäre, dass sie fällige Verbindlichkeiten nicht mehr hätte erfüllen können.

2. Soweit die Beklagte die außerordentliche Kündigung darauf gestützt hat, dass die Klägerin gegen Ziffer 5 der Arbeitsordnung, die ihr im Dezember 2010 von Herrn D. erteilte Anweisung und gegen die in der Erklärung vom 06. Januar 2011 sowie in der Vereinbarung vom 24. Januar 2011 eingegangenen Verpflichtungen verstoßen habe, indem sie in der Folgezeit fortgesetzt Fremdgelder auf ihrem Konto zur Weiterleitung angesammelt habe, scheitert die ausgesprochene außerordentliche Kündigung jedenfalls an der vorzunehmenden Interessenabwägung.

Selbst wenn man im Streitfall davon ausgeht, dass dieser von der Beklagten als Kündigungsgrund herangezogene Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände an sich als wichtiger Grund geeignet ist, so kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung gleichwohl das Arbeitsverhältnis nur wirksam beenden, wenn bei der umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 18, NZA 2006, 1033). Das ist hier nicht der Fall.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, NZA-RR 2012, 567).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint im Streitfall eine außerordentliche Kündigung wegen des der Klägerin vorgeworfenen Fehlverhaltens bei Abwägung der beiderseitigen Interessen als unverhältnismäßige Reaktion der Beklagten.

Zugunsten der Klägerin fällt insbesondere erheblich ins Gewicht, dass sie bereits seit dem 29. April 1983 bei der Beklagten beschäftigt und ihr Arbeitsverhältnis mit Ausnahme der beanstandeten Führung ihres privaten Kontos bei der Beklagten ungestört verlaufen war. Die zum Zeitpunkt der Kündigung 49 Jahre alte Klägerin (geb. 1963) ist taubstumm und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie ist in besonderem Maße sozial schutzbedürftig und auf ihren Arbeitsplatz bei der Beklagten angewiesen. Das der Klägerin vorgeworfene Verhalten hat unstreitig weder zu einem Schaden noch zu einer Rufschädigung zum Nachteil der Beklagten geführt. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass sie als milderes Mittel das Kundenverhältnis mit der Klägerin hätte beenden können, so dass diese über kein Konto mehr verfügt, von dem aus sie oder ihr Ehemann Fremdgelder für Reiseveranstaltungen hätten ansammeln bzw. weiterleiten können. Im Streitfall lässt sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin derart überschuldet gewesen sein könnte, dass sie die von Dritten eingesammelten Gelder nicht mehr - ggf. anderweitig - hätte aufbringen können, und deshalb die Möglichkeit einer Rufschädigung bestand. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Kündigung im Hinblick auf den von der Beklagten dargestellten Verlauf des Gesprächs vom 24. Januar 2011 und die von der Klägerin unterzeichnete Vereinbarung vom gleichen Tag nicht am Abmahnungserfordernis scheitert und gemäß der Darstellung der Beklagten ein fortgesetztes Fehlverhalten mit Wiederholungsgefahr vorliegt, überwiegt gleichwohl das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung ihres ansonsten seit nahezu 30 Jahren beanstandungsfrei verlaufenen Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung. In Anbetracht der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit der Klägerin erscheint eine außerordentliche Kündigung auch und gerade unter Berücksichtigung des Gewichts und der - fehlenden - Auswirkungen der angeführten Pflichtverletzungen als unverhältnismäßig.

II. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, weil auch eine ordentliche Kündigung nach der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (st. Rspr., vgl. z. B. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine erhebliche, kündigungsrelevante Pflichtverletzung vorliegt, scheitert auch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung jedenfalls an der vorzunehmenden Interessenabwägung.

Wie bereits oben ausgeführt, fällt zugunsten der Klägerin insbesondere ins Gewicht, dass sie - mit Ausnahme der beanstandeten Führung ihres privaten Kontos - bei der Beklagten seit nahezu 30 Jahren beanstandungsfrei tätig und aufgrund ihrer Schwerbehinderung in besonderem Maße sozial schutzbedürftig ist. Die ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen haben weder zu einem Schaden noch zu einer Rufschädigung zum Nachteil der Beklagten geführt. Auch wenn man zugunsten der Beklagten berücksichtigt, dass die Klägerin entgegen den von ihr eingegangenen Verpflichtungen und trotz der nach Darstellung der Beklagten mündlich ausgesprochenen Abmahnung fortgesetzt ihr privates Konto pflichtwidrig geführt hat, indem sie auch in der Folgezeit Fremdgelder angesammelt hat, erscheint bei Abwägung der beiderseitigen Interessen auch eine ordentliche Kündigung nicht als billigenswerte und angemessene Reaktion der Beklagten. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass sie als milderes Mittel das Kundenverhältnis mit der Klägerin hätte beenden können, so dass diese über kein Konto mehr verfügt, von dem aus sie oder ihr Ehemann Fremdgelder für Reiseveranstaltungen hätten ansammeln bzw. weiterleiten können. Wie bereits oben ausgeführt, lässt sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin derart überschuldet gewesen sein könnte, dass sie die von Dritten eingesammelten Gelder nicht mehr - ggf. anderweitig - hätte aufbringen können, und deshalb die Möglichkeit einer Rufschädigung bestand. Für die von der Beklagten zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, dass die Klägerin in Anbetracht ihrer finanziellen Verhältnisse versucht sein könnte, Buchungen zu ihren Gunsten zu manipulieren und sich dadurch zur Lösung ihrer Zahlungsprobleme einen finanziellen Vorteil zu verschaffen, gibt es ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte. Das Interesse der Beklagten an der (ordentlichen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen des der Klägerin vorgeworfenen Fehlverhaltens vermag mithin nach der vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse der sozial besonders schutzbedürftigen Klägerin an der Fortsetzung ihres ansonsten seit nahezu 30 Jahren beanstandungsfrei verlaufenen Arbeitsverhältnisses nicht zu überwiegen.

III. Die Beklagte ist nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG GS 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122) verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.



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