Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 10 Sa 381/12

Außerordentliche Verdachtskündigung im Werttransportgewerbe

Wer sich als Sicherheitsmitarbeiter im Geld- und Werttransportgewerbe Geldscheine der Kundschaft seines Arbeitgebers in die Hosentasche steckt, zerstört durch sein Verhalten regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit. In solchem Falle besteht ein dringender Verdacht der Begehung einer schweren Pflichtverletzung, sodass eine außerordentliche Verdachtskündigung gerechtfertigt ist.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Koblenz vom 28. Juni 2012, Az.: 10 Ca 4661/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 10.12.2011.

Der Kläger (geb. 14.09.1972, verheiratet, ein Kind) ist seit dem 17.10.2005 bei der Beklagten als Mitarbeiter im Sicherheitsdienst zu einem Monatslohn von ca. € 2.000,00 brutto beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt bundesweit 4.000 Arbeitnehmer; in ihrer Niederlassung in A. ca. 65, die einen Betriebsrat gewählt haben.

Der Kläger wurde im Geld- und Werttransport eingesetzt. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehörte es u.a. in der Filiale M.-K. der Sparkasse K. die dort installierten Geldrollenwechselautomaten mit Hartgeldrollen zu befüllen und die im Automaten aufbewahrten Banknoten zu entnehmen. Die entnommenen Banknoten waren in Safebags zu füllen, die zu verschließen und abzutransportieren waren.

Am 07.10.2011 hatte der Kläger gemeinsam mit einem Arbeitskollegen in der Sparkassenfiliale den Rollenwechselautomaten zu befüllen. Der Kläger steckte aus dem Bündel Banknoten, den er dem Automaten entnommen hatte, zunächst seinem Arbeitskollegen einen 100-Euro-Schein und im Anschluss sich selbst einen 100-Euro-Schein in die Beintasche der Cargohosen. Die übrigen Banknoten verstaute er in einem Safebag. Beide Mitarbeiter verließen die Filiale mit den Geldscheinen in ihren Hosentaschen.

Die Sparkasse K., die in dem Kassenraum eine Videoüberwachung mit Tonspur durchführte, erstattete Strafanzeige. Am 11.10.2011 wurden der Kläger und sein Kollege von Beamten der Kriminalpolizei vernommen. Am 12.10.2011 erfolgte eine erste Befragung durch die Beklagte. Am 28.11.2011 wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf ihren Antrag vom 19.10.2011 Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt. Daraufhin gab die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 01.12.2011 Gelegenheit, sich zu dem dringenden Tatverdacht der Zueignung von Geldbeständen der Sparkasse Koblenz zu äußern. Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 06.12.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.12.2011 fristlos und mit Schreiben vom 16.12.2011 ordentlich zum 29.02.2012. Der Kläger wehrt sich gegen beide Kündigungen mit seiner am 28.12.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage und verlangt seine Weiterbeschäftigung.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28.06.2012 (dort Seite 2-9 = Bl. 176-184 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Klage mit Urteil vom 28.06.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.12.2011 sei nach § 626 BGB rechtswirksam. Der Kläger habe am 07.10.2011 sich und seinem Arbeitskollegen jeweils einen 100-Euro-Schein zugesteckt und die Sparkassenfiliale mit den in der Kleidung versteckten Geldscheinen verlassen. Dieses Verhalten rechtfertige zumindest den dringenden Verdacht einer Straftat. Der Kläger könne sich nicht damit entlasten, dass er seinem Arbeitskollegen gesagt haben will, sie müssten die zwei 100-Euro-Scheine unbedingt noch in einen Safebag stecken, denn er habe das Geld in der Sparkassenfiliale nicht in einen zweiten Safebag verpackt. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 10 bis 19 des erstinstanzlichen Urteils vom 28.06.2012 (Bl. 184-193 d.A.) Bezug genommen.
Das genannte Urteil ist dem Kläger am 24.07.2012 zugestellt worden. Er hat mit am 24.08.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 24.10.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 24.10.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er macht geltend, die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung lägen nicht vor. Das Arbeitsgericht habe ihn entlastende Umstände nicht ansatzweise gewürdigt. Er habe erstinstanzlich vorgetragen, dass er sich, nachdem er seine Tätigkeit am Automaten beendet hatte, zu seinem Arbeitskollegen umgedreht und ihn gefragt habe, wo der Safebag sei, da sie ja noch die in den Taschen befindlichen 200 Euro einfüllen müssten. Die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, aus dem Umstand, dass er schon in der Vergangenheit „Unfug“ getrieben habe, dränge sich erst recht ein Verdacht auf, sei logisch nicht nachvollziehbar. Die Aussage bereits in der Vergangenheit seien bereits mehrfach derartige „Scherze“ gemacht worden, sei allenfalls ein Beleg dafür, dass auch diesmal nichts anderes als ein „Scherz“ geplant gewesen sei.

Die Beklagte habe weitergehende Kenntnisse über den Vorfall, die sie sowohl im vorliegenden Kündigungsschutzprozess als auch gegenüber dem Betriebsrat zurückgehalten habe, die geeignet seien, den Verdacht zu entkräften. Sie verfüge nicht nur über eine kurze Videosequenz der Überwachungskamera, die ihr bei Einsichtnahme in die Ermittlungsakten am 28.11.2011 überlassen worden sei. Dem Niederlassungsleiter der Beklagten sei bereits im Oktober 2011 das gesamte Videomaterial zur Verfügung gestellt worden. Aus der vollständigen Videoaufnahme ergebe sich, dass er bereits vor Entdeckung der Kamera erklärt habe, dass die Geldscheine in den Safebag zu legen seien.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 24.10.2012 (Bl. 237-239 d.A.) Bezug genommen.

Die Kläger beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28.06.2012, Az. 10 Ca 4661/11, abzuändern und
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.12.2011 nicht aufgelöst worden ist,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2011 nicht aufgelöst worden ist,
die Beklagte zu verurteilen, ihn als Mitarbeiter im Sicherheitsdienst bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 05.11.2012 (Bl. 248-252 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Berufung sei bereits unzulässig, weil es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen fehle. Die Berufung sei jedenfalls unbegründet. Die Angriffe der Berufung seien unter Beachtung der Ausführungen des Arbeitsgerichts inhaltlich nicht nachvollziehbar. Gegenüber dem Kläger bestehe auch dann der dringende Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung, wenn er tatsächlich gegenüber seinem Arbeitskollegen noch in der Sparkassenfiliale erklärt haben sollte, dass sie die 200 Euro unbedingt noch in einen Safebag legen müssten. Es führe auch nicht zur Entlastung des Klägers, dass er bereits früher „Spaßhandlungen“ praktiziert habe. Der Vorwurf, sie habe den Betriebsrat unvollständig unterrichtet, sei unzutreffend. Sie habe dem Betriebsrat, obwohl sie hierzu nicht verpflichtet sei, sämtliches Videomaterial zur Verfügung gestellt, das ihr die Staatsanwaltschaft Koblenz bei Akteneinsicht (auf CD-ROM) zugänglich gemacht habe. Weitere Videoaufzeichnungen besitze sie nicht. Ihrem Niederlassungsleiter sei während des laufenden Ermittlungsverfahrens auf der Polizeidienststelle die maßgebliche Videosequenz nur vorgespielt worden.

Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schrift-sätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Gemessen an den Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) erweist sich das Vorbringen des Klägers vorliegend als gerade noch ausreichend. Die Berufung ist somit zulässig.

II.  In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.12.2011 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Damit bleiben auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 16.12.2011 und der Weiterbeschäftigungsantrag erfolglos.

Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und überzeugend begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer umfassenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Das Vorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Auch aus Sicht der Berufungskammer liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vom 10.12.2011 vor. Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 29.02.2012 nicht zuzumuten.

Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung sowohl als Tatkündigung als auch als Verdachtskündigung ausgesprochen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden kann. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr. BAG 24.05.2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16-18, Juris, mzN).

Die Würdigung des Arbeitsgerichts, der Kläger sei einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig, ist nicht zu beanstanden. Der dringende Verdacht besteht bereits aufgrund unstreitiger Umstände. Der Kläger hat am 07.10.2011 aus einem Bündel Banknoten, den er bei Verrichtung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung als Sicherheitsmitarbeiter dem Geldautomaten der Sparkassenfiliale entnommen hatte, zunächst seinem Arbeitskollegen einen 100-Euro-Schein und im Anschluss sich selbst einen 100-Euro-Schein in die Beintasche der Cargohosen gesteckt. Der Kläger und sein Kollege verließen die Filiale mit den Geldscheinen in ihren Hosentaschen. Wer sich als Sicherheitsmitarbeiter im Geld- und Werttransportgewerbe Geldscheine der Kundschaft seines Arbeitgebers in die Hosentasche steckt, zerstört durch sein Verhalten regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit.

Es ist auch aus Sicht der Berufungskammer unerheblich, ob der Kläger in der Sparkassenfiliale seinen Arbeitskollegen gefragt hat, wo der Safebag sei, da „sie ja noch die in den Taschen befindlichen 200 Euro einfüllen müssten“. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, entlastet dieses Vorbringen den Kläger nicht, denn er hat gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen die Filiale verlassen, ohne die Geldscheine aus der Hosentasche zu nehmen und in ein Safebag zu stecken.

Die Versuche des Klägers, sein Verhalten damit zu erklären, er habe auch in der Vergangenheit mit Geldscheinen „Unfug“ getrieben und auch diesmal nur einen „Scherz“ gemacht, sind zu seiner Entlastung untauglich. Der Beklagten ist es unzumutbar einen Sicherheitsmitarbeiter weiter zu beschäftigen, der sich Geldscheine ihrer Kundschaft aus „Jux und Dollerei“ in die eigene Hosentasche steckt.

Die Beklagte hat den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt. Sie hat den Kläger vor Ausspruch der Kündigung ausreichend angehört. Die erhobenen Vorwürfe waren ihm bekannt.

Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Sie fällt zu Lasten des Klägers aus. Die Berufungskammer teilt die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass der Beklagten nicht zuzumuten war, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 29.02.2012 fortzusetzen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Kläger als Sicherheitsmitarbeiter den Kernbereich seiner arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Er hat das für eine weitere Zusammenarbeit im Geld- und Werttransport notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Demgegenüber hat das Lebensalter des Klägers von 39 Jahren, seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und einem Kind sowie die Dauer der Beschäftigung von sechs Jahren kein besonderes Gewicht.

2. Nicht zu beanstanden ist schließlich die Würdigung des Arbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Berufung erhebt insoweit auch keine Einwände.

3. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam, § 102 Abs. 1 BetrVG. Es ist unerheblich, ob die Beklagte dem Betriebsrat das vollständige Videomaterial zugänglich gemacht hat, dass ihr von den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt worden ist.

Unabhängig davon, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, dem Betriebsrat die Beweismittel für den Kündigungssachverhalt vorzulegen (BAG 26.01.1995 - 2 AZR 386/94 - NZA 1995, 672, mwN), entlastet es den Kläger nicht, dass er seinem Arbeitskollegen - noch vor Entdeckung der Videokamera - gesagt haben will, dass die zwei 100-Euro-Scheine in einen Safebag zu legen seien. Er und sein Kollegen haben die Sparkassenfiliale mit den 100-Euro-Scheinen in ihren Hosentaschen verlassen.

III.  Nach alledem ist die Berufung des Klägers ist mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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