Landesarbeitsgericht Hamm

Beschluss vom - Az: 12 Ta 475/16

Arbeitszeugnis: Ein "extrem freundlicher" Mitarbeiter

1. Haben die Parteien im Vergleich im Zusammenhang mit der Zeugniserteilung vereinbart, dass der Arbeitnehmer ein Vorschlagsrecht hat, von dem Arbeitgeber nur aus wichtigem Grund abweichen darf, haben sie zulässigerweise die Formulierungshoheit auf den Arbeitnehmer übertragen.

2. Weicht der Arbeitgeber vom Entwurf durch Steigerungen nach „oben“ ab, ist der titulierte Zeugnisanspruch nicht erfüllt, wenn sich aus dem Gesamteindruck des Zeugnisses ergibt, dass die Bewertungen durch ihren ironisierenden Charakter nicht ernstlich gemeint sind.
(Leitsätze des Gerichts)

Zu denen vom beklagten Arbeitgeber verwendeten Formulierungen zählen etwa folgende:
- "seine extrem gut entwickelte Fähigkeit"
- "haben sich äußerst erfreulich entwickelt"
- "Wenn es bessere Note als „sehr gut“ geben würde, würden wir ihn damit beurteilen"
- "Wegen seines extrem freundlichen"
- "für die stets hervorragende Zusammenarbeit"
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 04.08.2016 – 3 Ca 1338/15 – wird zurückgewiesen.

Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Verfahrenswert wird auf 5.200,- € festgesetzt.

Gründe

I. Die Parteien streiten im Zwangsvollstreckungsverfahren darum, ob die Schuldnerin ihrer Verpflichtung aus einem Vergleich, ein Zeugnis nach einem Entwurf des Gläubigers zu erteilen, nachgekommen ist.

Der Gläubiger stand bei der Schuldnerin in der Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.07.2015 als Verkehrsfachwirt in einem befristeten Arbeitsverhältnis.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit, in dem es um Vergütungsansprüche sowie um Arbeitspapiere und das Zeugnis ging, schlossen die Parteien am 28.10.2015 einen gerichtlichen Vergleich, indem es u. a. in Ziffer 3 heißt:

 „Die Beklagte erteilt dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis. Dem Kläger bleibt nachgelassen, der Beklagten einen Zeugnisentwurf vorzulegen. Diese darf hiervon nur aus wichtigem Grund abweichen.“

Am 17.12.2015 übermittelte der Gläubiger der Schuldnerin einen Zeugnisentwurf. Mit Schreiben vom 18.01.2016 übersandte die Schuldnerin dem Gläubiger ein unter dem 31.07.2015 gefertigtes Zeugnis, welches von dem übermittelten Entwurf in einigen Punkten sprachlich durch Synonyme oder Steigerungen  abweicht:

Entwurf des Gläubigers

Zeugnis der Schuldnerin

stets sicher und

zu jeder Zeit sicher und

seiner sehr guten Auffassungsgabe

seiner extrem guten Auffassungsgabe

war Herr F immer

war Herr F selbstverständlich immer

Aufgaben mit beispielhaftem Engagement

Aufgaben mit äußerst beispielhaftem Engagement

auf ausgeprägte wirtschaftliche Kenntnisse

auf sehr ausgeprägte wirtschaftliche Kenntnisse

seine sehr gut entwickelte Fähigkeit

seine extrem gut entwickelte Fähigkeit

haben sich erfreulich entwickelt

haben sich äußerst erfreulich entwickelt

Herr F stets ein kompetenter

Herr F zu jeder Zeit ein äußerst kompetenter

bei wechselnden Anforderungen immer ausgezeichnet

bei wechselnden Anforderungen immer hervorragend

Wir bewerten ihn mit „sehr gut“.       

Wenn es bessere Note als „sehr gut“ geben würde, würden wir ihn damit beurteilen.

Wegen seines freundlichen

Wegen seines extrem freundlichen

und Kunden war immer vorbildlich.

und Kunden war zu jeder Zeit vorbildlich.

für die stets sehr gute Zusammenarbeit

für die stets hervorragende Zusammenarbeit“

Zudem heißt es im Zeugnisentwurf:

 „Herr F verlässt unser Unternehmen zum 31.07.2015 auf eigenen Wunsch, was wir sehr bedauern.“

Im erteilten Zeugnis heißt es demgegenüber:

 „Herr F verlässt unser Unternehmen zum 31.07.2015 auf eigenen Wunsch, was wir zur Kenntnis nehmen.“

Nach Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs von Anwalt zu Anwalt beantragte der Gläubiger am 20.06.2016 beim Arbeitsgericht die Festsetzung eines Zwangsgeldes, weil er der Auffassung war, die Schuldnerin habe ihrer Pflicht zu Erstellung eines Zeugnisses nicht genügt. Die geänderten Formulierungen seien erheblich und dazu geeignet, das gesamte Zeugnis wertlos zu machen. Die Änderungen dienten nicht dem Grundsatz der Zeugniswahrheit, sondern zögen vielmehr den Zeugnistext ins Lächerliche.

Die Schuldnerin hat um Zurückweisung des Antrags gebeten.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Zeugnis sei ordnungsgemäß erteilt. Es weiche nur in wenigen Punkten aus wichtigem Grund ab. Das begehrte Zeugnis entspreche nicht dem Grundsatz der Zeugniswahrheit, da sie das Verlassen des Betriebes durch den Gläubiger nicht bedauere. Die weiteren Abweichungen beschränkten sich lediglich auf eine alternative Wortwahl ohne Auswirkung auf den Gesamteindruck und die Gesamtbewertung der Arbeitsleitung. Letztlich sei die Frage, ob die Abweichungen im Entwurf gerechtfertigt seien, nicht im Zwangsvollstreckungsverfahren zu klären, sondern im Wege des Erkenntnisverfahrens auf Zeugnisberichtigung.

Mit Beschluss vom 04.08.2016, der der Schuldnerin am 09.08.2016 zugestellt worden ist und wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- € und im Falle der Uneinbringlichkeit für je 250,- € durch einen Tag Zwangshaft zu vollstrecken an dem Geschäftsführer festgesetzt.

Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der Regelung im Vergleich hätten die Parteien das Ziel verfolgt, einen weiteren Streit über Zeugnisformulierungen zu vermeiden. Damit sei die Formulierungshoheit des Arbeitgebers maßgeblich eingeschränkt worden und auf den Arbeitnehmer übertragen worden. Die allerdings einzuhaltende Grenze der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit sei hier eingehalten. Das erteilte Zeugnis erwecke beim neutralen Leser einen spöttisch ironischen Gesamteindruck und ziehe den Zeugnistext ins lächerliche. Die Formulierung, man nehme sein Ausscheiden zur Kenntnis, sei für den neutralen Leser ein deutlich negativer Hinweis darauf, dass die Parteien nicht im Einvernehmen auseinander gegangen seien.

Gegen den ihr am 09.08.2016 zugegangenen Beschluss hat die Schuldnerin am 15.08.2016 sofortige Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ihre Einwände wiederholt. Bei den Ersetzungen im erteilten Zeugnis handle es sich um sinnverwandte Ausdrücke, sodass schon keine Abweichungen vorlägen, zudem seien die Begriffe positiv.

Der Gläubiger hat die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde unter Vertiefung seines Vorbringens beantragt.

Mit Beschluss vom 06.09.2016 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Prozessakte verwiesen.

II. Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Schuldnerin (§§ 62 Abs. 2, 78 ArbGG, 567, 569, 793, 888 ZPO) ist zulässig, jedoch unbegründet.

Bislang ist die Schuldnerin ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich vom 28.10.2015 nicht nachgekommen, sodass das Arbeitsgericht zu Recht ein Zwangsgeld und ersatzweise Zwangshaft gemäß § 888 ZPO festgesetzt hat.

1. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung liegen vor. Der gerichtliche Vergleich vom 28.10.2015 ist als Titel gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zur Zwangsvollstreckung geeignet. Die vollstreckbare Ausfertigung wurde erteilt und der Schuldnerin zugestellt (§§ 724 Abs. 1, 750 Abs. 1 ZPO).

2. Die im Vergleich unter Ziffer 3 titulierte Pflicht zur Zeugniserteilung hat die Schuldnerin nicht erfüllt.

a) Gemäß § 109 GewO hat der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis, das sich nach seinem Verlangen auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt (§ 109 Abs. 1 GewO). Nach Absatz 2 dieser Vorschrift muss das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein und darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.

b) Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitgebers, dass Zeugnis zu formulieren. Er hat insoweit über den Wortlaut und den Duktus des Zeugnisses die Formulierungshoheit, der er sich aber begeben kann.

aa) Hier haben die Parteien im Vergleich zulässigerweise eine abweichende Vereinbarung getroffen, die den Spielraum des Arbeitgebers einschränkt und die Formulierungshoheit dem Arbeitnehmer überträgt (vgl. vgl. BAG, Beschluss v. 09.09.2011 – 3 AZB 35/11, AP-Nr. 53 zu § 794 ZPO LAG Hamm, Urteil v. 18.02.2016 – 18 Sa 1577/15, juris; LAG Hamm, Beschluss v. 04.08.2010 – 1 Ta 196/10, juris). Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass dem Gläubiger nachgelassen bleibt, der Schuldnerin einen Zeugnisentwurf vorzulegen, von dem sie nur aus wichtigem Grund abweichen darf. Damit hat sich allerdings die Schuldnerin nicht verpflichtet, den Entwurf des Schuldners ohne weitere Prüfung und ohne jede Änderung zu übernehmen (vgl. BAG, Beschluss v. 09.09.2011 – 3 AZB 35/11, AP-Nr. 53 zu § 794 ZPO). In dem der Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Fall hatte sich der Schuldner verpflichtet „ein pflichtgemäßes qualifiziertes Zeugnis“ zu erteilen. Demgegenüber hat sich die Schuldnerin hier noch weiter gebunden, indem sie mit dem Gläubiger im Vergleich vereinbart hat, nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abzuweichen. Mit der Anforderung des „wichtigen Grundes“ wird allerdings ausgeschlossen, dass die Schuldnerin nach dem Vergleich verpflichtet wäre, inhaltlich Unwahres in den Zeugnistext zu übernehmen. Denn der – in einer Vielzahl von Fällen – vereinbarte Passus ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Zeugniswahrheit auszulegen (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 18.02.2016 – 18 Sa 1577/15, juris). Dieser Grundsatz und der der Zeugnisklarheit, wie er in § 109 Abs. 2 GewO zum Ausdruck kommt, werden als wesentliche Prinzipien des Zeugnisrechts verstanden (vgl. Erfk-Müller-Glöge, 17. Aufl 2017, § 109 GewO Rn. 22; BAG, Urt.v. 18.11.2014– 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435, 437). Vor diesem Hintergrund kann die Schuldnerin auch im Wege der Zwangsvollstreckung nicht angehalten werden, ein Zeugnis zu erteilen, das gegen die Zeugniswahrheit verstößt (vgl. BAG, 09.09.2011 – 3 AZB 35/11 a.a.O.).

bb) Entgegen der Ansicht der Schuldnerin ist das Zeugnisbegehren des Gläubigers nicht zunächst im Erkenntnisverfahren zu klären. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte berufen, im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu klären, ob das erteilte Zeugnis dem eingereichten Entwurf entspricht. Deswegen kann die Schuldnerin im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO angehalten werden, ein dem Entwurf des Gläubigers entsprechendes Zeugnis zu erteilen. Im Vollstreckungsverfahren kann allerdings nach der Rechtsprechung des BAG nicht geklärt werden, ob das begehrte Zeugnis dem Grundsatz der Zeugniswahrheit entspricht oder nicht (vgl. BAG, 09.09.2011 – 3 AZB 35/11 a.a.O.).

c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt, dass die im Vergleich vom 28.10.2015 titulierte Verpflichtung von der Schuldnerin bislang nicht erfüllt worden ist.

Bis auf die „Bedauernsformel“ befassen sich die Änderungen und Abweichungen vom Entwurf des Gläubigers mit Wertungen, nicht aber mit Tatsachen. Abgesehen von einigen Wendungen, die möglicherweise synonym sind („stets“ bzw. „immer“ ersetzt durch „zu jeder Zeit“), zeichnet sich das erteilte Zeugnis dadurch aus, dass die Schuldnerin die Begriffe gesteigert hat („selbstverständlich“, „äußerst“, „sehr“, „extrem“, „hervorragend“). Sinn und Zweck des Zeugnisses ist es, einem potentiellen Arbeitgeber ein möglichst wahres Urteil über die Leistung und das Verhalten im Arbeitsverhältnis zu geben (BAG, Urt.v. 18.11.2014– 9 AZR 584/13, NZA 2015, 435, 437). Insofern leistet das erteilte Zeugnis nichts. Denn aufgrund der an vielen Stellen gesteigerten Formulierungen wird jeder unbefangene Leser des Zeugnisses erkennen, dass diese Formulierungen nicht ernstlich gemeint sind. Es handelt sich um Formulierungen, die den Zweck haben, eine andere als aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Gläubiger zu treffen (vgl. § 109 Abs. 2 S 2 GewO). Dies wird nicht nur durch die Steigerungen deutlich, sondern aus der abschließenden Leistungsbeurteilung "wenn es bessere Note als sehr gut geben würde, würden wir ihn damit beurteilen“. Abgesehen davon, dass dieser Satz grammatikalisch misslungen ist (zum Anspruch auf ein „gehöriges“ Zeugnis vgl. BAG im Urteil v. 3. 3. 1993, AP Nr. 20 zu § 630 BGB), wird dadurch der ironisierende Charakter des Gesamtzeugnisses deutlich, nämlich dass sie ihre Beurteilungen nicht ernst meint. Dies wird auch im Vorbringen der Schuldnerin erkennbar, wenn sie in Bezug auf die „Bedauernsformel“, ausdrücklich mitteilt, dass das Ausscheiden des Gläubigers für sie keinen Verlust bedeute. Wäre der Gläubiger tatsächlich ein Mitarbeiter gewesen, der nach Einschätzung der Schuldnerin noch besser als „sehr gut“ war, wäre sein Ausscheiden – für jeden Arbeitgeber – ein Verlust.

d) Der Schuldnerin ist es auch nicht gelungen, einen „wichtigen Grund“ - wie zwischen den Parteien vereinbart – darzulegen (zur Darlegungs- und Beweislast im Erkenntnisverfahren vgl. LAG Hamm, Urteil v. 18.02.2016 – 18 Sa 1577/15, juris) Ihrer eigenen Auffassung nach sind die gewählten Formulierungen allesamt „Synonyme“ oder allenfalls „Ergänzungen ohne Veränderung des Sinngehaltes“. Warum deswegen Änderungen vorgenommen werden mussten, erschließt sich deswegen nicht.

3. Danach hat das Arbeitsgericht zu Recht Zwangsmittel gegen die Schuldnerin festgesetzt. Die Höhe der Zwangsmittel wurde von dieser nicht angegriffen. Sie bewegt sich im gesetzlichen Rahmen und liegt eher im unteren Bereich des Angemessenen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891, 97 ZPO. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach den §§ 72, 78 ArbGG besteht kein Grund.



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