Landesarbeitsgericht Niedersachsen

Urteil vom - Az: 5 Sa 1292/20

Arbeitszeiterfassung: Wen trifft die Beweislast bei Vergütung von Überstunden?"

Im vorliegenden Fall klagte ein Leiharbeitnehmer gegen eine Regelung im Manteltarifvertrag für Zeitarbeit. Nach dem Manteltarifvertrag für Zeitarbeit wird für Zeiten, die in Monaten mit 23 Arbeitstagen über 184 geleistete Stunden hinausgehen, ein Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 25% gezahlt. Unter die geleisteten Stunden fallen jedoch nur tatsächlich erbrachte Stunden; Urlaubszeiten sind davon nicht erfasst. Der Kläger arbeitete im August 2017 an 13 Tagen und nahm für die verbleibenden zehn Arbeitstage bezahlten Urlaub. Trotz Mehrarbeit bekam der Kläger keinen Zuschlag, da durch die Urlaubstage die Schwelle dafür nicht überschritten wurde. Die Stunden des Urlaubs zog der beklagte Arbeitgeber tarifgemäß ab. Dagegen klagte der Leiharbeitnehmer. Mit seiner Klage hatte der Kläger vor den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hatte Zweifel, ob das mit dem Manteltarifvertrag eingerichtete System mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar sei, nach der die Arbeitnehmer nicht davon abgehalten werden dürfen, ihren Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub geltend zu machen. Diese Frage legte das Bundesarbeitsgericht dem europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Der EuGH stellte sich nun auf die Seite des Klägers – auch, wenn im konkreten Fall noch das Bundesarbeitsgericht entscheiden muss. Laut EuGH verstoße eine tarifvertragliche Regelung, die genommenen bezahlten Urlaub bei der Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, nicht berücksichtigt, gegen Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Die Schaffung eines Anreizes, auf den Erholungsurlaub zu verzichten oder den Arbeitnehmer dazu anzuhalten, darauf zu verzichten, sei mit den Zielen unvereinbar, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgt werden und u. a. darin bestehen, zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt. Demnach verstoße auch jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem Recht auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Ziel.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Emden vom 09.11.2020 -2 Ca 399/18- in Ziffer 1 des Urteilstenors wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.579,00 € brutto und weitere 1.165,14 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2018 und weitere 2.876,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2019 abzüglich am 07.02.2019 gezahlter 4.041,65 € netto zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufung haben die Beklagte 15% und der Kläger 85% zu tragen.

Für den Kläger wird die Revision zugelassen, für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich ausschließlich um Überstundenvergütung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 00.00.0000 als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen. Die Arbeitsvergütung des Klägers betrug 14,89 EUR pro Stunde bei einer monatlichen Sollarbeitszeit von 173,20 Stunden. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien nimmt keinerlei Tarifverträge in Bezug. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch eine Eigenkündigung des Klägers zum 30.06.2019.

Die Beklagte erfasste die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter mittels einer technischen Aufzeichnung in dem M. N. Die Mitarbeiter erfassten Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit, wobei die vor Ort tätigen Mitarbeiter auch ihre Pausen mittels der Zeiterfassung registriert haben. Der Kläger und andere Fahrer hatten keine Möglichkeit, eventuell geleistete Pausen zu erfassen.

In dem Zeitraum vom 04.01.2016 bis 12.10.2016 fuhr der Kläger zunächst zum M. S. und holte dort das von ihm geführte Fahrzeug ab. Mit diesem Fahrzeug begab er sich zum M. N., betätigte die Zeiterfassung und startete seine Touren.

Die Auswertung der technischen Aufzeichnung wies für den Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 16.07.2018 bezogen auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden einen positiven Saldo von weiteren 348 Stunden zugunsten des Klägers aus.

Mit Lohn- und Gehaltsabrechnung für Juni 2019 rechnete die Beklagte zugunsten des Klägers einen Gesamtbruttobetrag in Höhe von 4.041,65 EUR ab, dieser enthielt unter anderem einen Teilbetrag in Höhe von 1.165,14 EUR brutto für 78,25 Überstunden zu je 14,89 EUR brutto. Die Beklagte zahlte indes den Gesamtbruttobetrag in Höhe von 4.041,65 EUR als Nettobetrag vollständig an den Kläger aus.

Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – 6.392,10 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 01.11.2018 abzüglich am 02.07.2019 hierauf geleisteter Nettozahlungen geltend gemacht. Er hat behauptet, insgesamt in dem Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 16.07.2018 429 Überstunden geleistet zu haben. Hierauf entfielen 348 Überstunden, die sich aus dem positiven Saldo laut Arbeitszeitaufzeichnung ergäben und weitere 81 Stunden für die Abholung des Fahrzeuges vom M. S. zum M. N. in dem Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 12.10.2016 (162 Arbeitstage zu je 30 Minuten pro Arbeitstag). Der Kläger hat behauptet, die gesamte Zeit gearbeitet zu haben, Pausen habe er nicht gemacht. Eine Anweisung, Pausen zu nehmen, sei ihm nicht erteilt worden. Zusätzliche Raucherpausen habe er auch nicht gemacht, vielmehr habe er nebenbei geraucht und nebenbei gegessen. Die Arbeit sei so beschaffen gewesen, dass eine Pausennahme nicht möglich gewesen sei.

Die Beklagte hat die vom Kläger behaupteten 429 Mehrarbeitsstunden bestritten. Der Kläger sei angewiesen worden, Pausen zu nehmen und habe solche gemacht. Darüber hinaus habe er regelmäßig zusätzliche Raucherpausen genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Teilurteils vom 09.11.2020 (Bl. 2 – 10 desselben, Bl. 253 – 261 der Gerichtsakte) verwiesen.

Mit diesem Teilurteil hat das Arbeitsgericht der Überstundenklage des Klägers in Höhe von 6.387,81 EUR brutto nebst geltend gemachter Zinsen abzüglich erhaltener Nettozahlungen entsprochen. Zur Begründung hat das Urteil angeführt, die Beklagte sei zur Erfassung der Arbeitszeit gemäß § 618 BGB in europarechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Vorgaben des EUGH verpflichtet gewesen. Sollte man mit der Beklagten der Auffassung sein, die Erfassung der Ankunfts- und Verlassenszeit im M. N. sei keine Arbeitszeiterfassung, dann stelle die Nichterfassung der Arbeitszeiten des Klägers eine Beweisvereitelung durch die Beklagte dar. Diese Beweisvereitelung müsse zur Beweislastumkehr führen. Die Beklagte habe den Indiz-Wert der Erfassungsbögen mit einem Saldo von 348 Stunden nicht entkräftet. Ihr Vorbringen zu den Pausenzeiten und den Raucherpausen sei unsubstantiiert. Zusätzlich seien auch noch die vom Kläger geltend gemachten 81 Mehrarbeitsstunden zu berücksichtigten, die er für die Fahrten vom M. S. zum M. N. in dem Zeitraum vom 04.01. bis zum 12.10.12016 berücksichtigt habe, wobei er sich die auf die Überstunden entfallenden Nettozahlungen anrechnen lassen müsse.

Wegen weiterer Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (dort Bl. 10 – 18, Bl. 261 – 269 der Gerichtsakte) verwiesen.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 16.11.2020 zugestellt worden. Mit einem am 15.12.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und diese mit einem am 12.01.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung der Mehrarbeitsvergütung weiter und wendet sich gegen die Zuerkennung der ausgeurteilten Überstundenvergütung, wobei sie sich allerdings die gesamte Nettozahlung aus Juni 2019 auch hinsichtlich der 78,25 Überstunden auf andere Vergütungsbestandteile, die rechtskräftig zugunsten des Klägers ausgeurteilt worden waren, anrechnen lassen will.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Auffassung, die technische Aufzeichnung dokumentiere die Arbeitszeit des Klägers nicht maßgebend, es handele sich um eine sogenannte „Kommt- und Geht-Zeit“. Sie bestreitet weiterhin die vom Kläger behaupteten Arbeitszeiten, die über das vertragliche Maß hinausgingen. Zulasten des Klägers seien in dem geltend gemachten Zeitraum bei 522 Arbeitstagen 391 Stunden und 30 Minuten an Pausenzeit zu berücksichtigen. Auch müsse von weiteren 130 Stunden und 30 Minuten zusätzlicher Raucherpause ausgegangen sein. Das angefochtene Urteil habe zu Unrecht die traditionelle Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess unter Hinweis auf die EUGH-Entscheidung vom 14.05.2019 verkannt. Der EUGH habe keine Kompetenz, über vergütungsrechtliche Aspekte zu entscheiden. Die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung habe allein Aspekte des Arbeitsschutzes betroffen.

Die Beklagte beantragt,

das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 09.11.2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.579,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2019 sowie weitere 2.876,51 EUR brutto abzüglich bereits gezahlter 4.041,65 EUR netto zu zahlen und die Klage im Übrigen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 12.01. und 12.02.2021 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 06.05.2021 verwiesen.

 

Gründe

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66ArbGG, 519, 520 ZPO). Insbesondere liegt auch eine hinreichende Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen gemäß § 520 Abs. 3 ZPO vor. Zwar geht die Beklagte nicht gesondert auf die zugesprochenen 81 Überstunden, gestützt auf die Fahrten vom M. S. zum M. N. in dem Zeitraum vom 04.01. bis zum 12.10.2016, ein. Jedoch berücksichtigt die Darstellung der insgesamt geleisteten Pausen auch diesen Zeitraum. Indem die Beklagten nicht nur die gesetzlich vorgesehenen Pausen als Argument ins Feld führt sondern auch die aus ihrer Sicht geleisteten zusätzlichen Raucherpausen, bestreitet sie in einer Art und Weise, die für das Berufungsgericht nachvollziehbar ist, die gesamten vom Kläger behaupteten 429 Überstunden.

B.

Die Berufung hat weit überwiegend Erfolg und führt zur Abänderung und Korrektur des angefochtenen Teil-Urteils sowie zur Abweisung der Klage bezüglich der streitgegenständlichen Mehrarbeitsvergütung, mit Ausnahme der abgerechneten 78,25 Überstunden. Insoweit war die Berufung der Beklagten im Übrigen zurückzuweisen.

I.

Soweit die Beklagte zugunsten des Klägers 78,25 Überstunden abgerechnet hat, musste ihre Berufung erfolglos bleiben. Insoweit trifft die Beklagte eindeutig die Darlegungs- und Beweislast, dass dieser Abrechnungsbetrag zu Unrecht ausgewiesen und die hieraus resultierende Zahlung zu Unrecht erfolgt ist. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen.

Es ist fehlerhaft, die auf die abgerechneten Überstunden geleisteten 1.165,14 EUR brutto auf andere Vergütungsbestandteile, die rechtskräftig in dem angefochtenen Teil-Urteil zugunsten des Klägers festgestellt worden waren, anzurechnen. Dem Kläger stehen für 78,25 Überstunden 1.165,14 EUR brutto nebst geltend gemachter Zinsen abzüglich der hierauf geleisteten Nettozahlungen zu.

II.

Einen weitergehenden Anspruch auf Mehrarbeits- bzw. Überstundenvergütung hat der Kläger unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere auch nicht gemäß § 612Abs. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag der Parteien. Das Berufungsgericht teilt nicht den Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Emden. Die vom Arbeitsgericht Emden zitierte Entscheidung des EUGH vom 14.05.2019 – C 55/18 – vermag die traditionellen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess nicht zu modifizieren. Es fehlt dem EUGH insoweit die Kompetenz, die nationale Rechtsordnung zu ändern. Es gelten weiterhin die bekannten und tradierten Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellt hat.

1.

Für eine erfolgreiche Überstundenklage ist nicht nur Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer Mehrarbeit geleistet hat, die über seine vertraglich vorgesehene Arbeitszeit hinausgeht, vielmehr muss diese Mehrarbeit auch in irgendeiner Weise dem Arbeitgeber zurechnet werden können. Überstunden müssen vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig sein. Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast. Soweit es um die Anordnung geht, hat er vorzutragen, wer wann und auf welche Weise Überstunden angeordnet hat. Allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsort begründet nicht die Vermutung, die Überstunden seien notwendig gewesen. Die Billigung beinhaltet die Anerkennung vorher geleisteter Überstunden, der Arbeitgeber muss zu erkennen geben, er sei mit diesen Überstunden einverstanden gewesen. Unter Duldung ist zu verstehen, dass der Arbeitgeber von den Überstunden weiß und keine Vorkehrungen trifft, sie zu unterbinden. Die betriebliche Notwendigkeit setzt voraus, dass die Arbeit nur unter Ableistung der Überstunden zu bewältigen ist (grundlegend BAG vom 10. April 2013 – 5 AZR 122/12 – Rn. 14 – 21).

Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist in späteren Entscheidungen trotz der Entscheidung des EUGH vom 14.05.2019 erkennbar nicht aufgegeben worden. Die abgestufte Darlegungs- und Beweislast wird beispielsweise von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 26. Juni 2019 – 5 AZR 452/18 – Rn. 39, 40 und 44) bestätigt. Lediglich dann, wenn der Arbeitgeber Zeiterfassungsbögen abzeichnet, stellt er Überstunden streitlos, unabhängig davon, welchen Zweck diese Zeiterfassungsbögen dienen (BAG a. a. O. Rn. 40). Schließlich hat sich auch das Bundesarbeitsgericht in einer späteren Entscheidung (BAG 18. März 2020 – 5 AZR 36/19 – Rn. 18) mit der Problematik auseinandergesetzt, ob und in wieweit die Richtlinie 2003/88/EG zu Fragen des Arbeitsentgeltes Stellung nimmt. Dies hat das BAG verneint. Die Richtlinie 2003/88/EG regelt mit Ausnahme des bezahlten Jahresurlaubs nicht Fragen des Arbeitsentgelts. Die Mitgliedsstaaten sind nicht verpflichtet, Entgeltansprüche entsprechend den Definitionen der Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ in Art. 2 der Richtlinie festzulegen (so auch EUGH, 21. Februar 2018 – C – 518/15 – Rn. 49 ff.).

Das Berufungsgericht folgt diesem Ansatz uneingeschränkt. Die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung des EUGH (EUGH vom 14.05.2019 – C – 55/18 –) befasst allein mit Fragen des Arbeitsschutzes und der effektiven Begrenzung der Höchstarbeitszeit im Sinne eines Gesundheitsschutzes. Es kann an dieser Stelle ausdrücklich auf sich beruhen, ob der EUGH mit seinen Kernaussagen, die Mitgliedsstaaten seien verpflichtet, ein objektives verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die für jeden Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann und es obliege auch den Gerichten, das durchzusetzen, über das Ziel hinausgeschossen ist, angesichts des Umstandes, dass es Sache der Mitgliedsstaaten ist, eine Richtlinie umzusetzen. Bislang ist eine derartige Richtlinie noch nicht in die nationale Rechtsordnung umgesetzt worden.

Jedenfalls folgt die fehlende Kompetenz des EUGH zu Fragen der Arbeitsvergütung unmittelbar aus Art. 153 AEUV Abs. 5, der wörtlich lautet: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streitrecht sowie das Aussperrungsrecht.“ Aus dem bereits zitierten Urteil des EUGH lässt sich nichts für die Darlegungs- und Beweislast in einen Überstundenprozess ableiten.

2.

Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze lässt sich folgendes feststellen:

a)

Eine Abzeichnung eines Zeiterfassungsbogens im Sinne der BAG-Rechtsprechung vom 26.06.2019 (a. a. O.) lässt sich vorliegend nicht feststellen, mit Ausnahme der bereits abgehandelten 78,25 Überstunden.

b)

Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er habe die von ihm behauptete Arbeitszeit tatsächlich geleistet, fehlt es jedoch an einer Anordnung, betrieblicher Notwendigkeit, Billigung oder Duldung.

aa)

Einen substantiierten Vortrag zur Anordnung hat der Kläger in dem Überstundenprozess nicht geleistet.

bb)

Es ist nicht erkennbar, dass seine Arbeit nur unter Ableistung von Überstunden zu bewältigen gewesen wäre. Hierzu fehlt die Beschreibung der Arbeit im Detail. Es ist nicht erkennbar, welche Tätigkeit der Kläger an jedem einzelnen Arbeitstag zu verrichten hatte und aus welchen Gründen diese nur unter Ableistung von Überstunden hätte erfolgen können. Im Übrigen halten sämtliche Mitglieder der Berufungskammer die Argumentation des Klägers für lebensfern, er habe überhaupt keine Pausen gemacht.

Auch eine Billigung oder eine Duldung der (behaupteten) Mehrarbeit liegt nicht vor. Der unstreitige Umstand, dass der Kläger keinerlei Pausen erfassen konnte, führt nachvollziehbar dazu, dass die Beklagte nicht davon ausgehen durfte, sämtliche Zeiten, die zwischen dem Beginn und dem Ende der Arbeitszeit des Klägers, so wie von der technischen Aufzeichnung dokumentiert, gelegen habe, seien auch Arbeitszeiten.

Nach alledem hatte die Berufung in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Ausmaß Erfolg.

C.

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten der Berufung waren entsprechend dem gegenseitigen des Obsiegens und Unterliegens zu quotieren. Eine Kostenentscheidung enthält das angefochtene Teilurteil nicht. Die Kostenentscheidung des Schlussurteils ist von der Beklagten nicht angegriffen und damit rechtskräftig geworden. Zu den erstinstanzlichen Kosten verhält sich dieses Urteil nicht.

Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache (Einfluss des Europarechts, Folgen aus dem EUGH-Urteil vom 14.05.2019) die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen, allerdings nur soweit der Kläger unterlegen war. Soweit die Beklagte im Berufungsrechtszug unterlegen war, besteht keinerlei Veranlassung für die Revisionszulassung.



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