Landesarbeitsgericht Hamburg

Beschluss vom - Az: 5 SA 79/14

Arbeitgeber dürfen sehr gute Englischkenntnisse verlangen

(1.) Die Annahme einer Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG setzt voraus, dass sich die vermeintlich benachteiligten und die begünstigten Personen in einer vergleichbaren Situation befinden.

(2.) Eine vergleichbare Situation liegt nur vor, wenn der vermeintlich benachteiligte Bewerber objektiv für die Stelle geeignet gewesen wäre.

(3.) Die Forderung nach bestimmten Fähigkeiten in einer Stellenausschreibung stellt dann keine Benachteiligung dar, wenn diese sachlich gerechtfertigt ist.

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. November 2014 – 9 Ca 112/14 – wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines Notanwaltes für die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. November 2014 – 9 Ca 112/14 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht gemäß § 114 ZPO zurückzuweisen.

1. Die 1961 geborene Klägerin russischer Herkunft stützt ihre Entschädigungsansprüche u.a. darauf, dass die Beklagte, die Online Computerspiele vertreibt, in zwei Stellenanzeigen vom 7. Juni 2013 und 26. September 2013 „sehr gute Englisch- und Deutschkenntnisse“ bzw. „sehr gute Englischkenntnisse in Wort und Schrift“ forderte. Die Klägerin spricht gut Deutsch und hat vorgetragen, auch Englisch spreche sie gut. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.

2. Das Verlangen nach sehr guten Deutsch- und Englischkenntnissen ist im vorliegenden Zusammenhang kein Indiz für eine Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft.

Gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 S. 1 AGG kann ein Beschäftigter, der z. B. bei einer Einstellungsentscheidung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt wird, wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Auch die ethnische Herkunft gehört zu den in § 1 AGG genannten Gründen. Nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG ist die Höhe der Entschädigung auf drei Monatsgehälter beschränkt, wenn der benachteiligte Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchssteller Indizien vorträgt und im Streitfalle beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. An diese Vermutungsvoraussetzungen ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Hat der Antragssteller ein Indiz vorgetragen, welches die überwiegende Wahrscheinlichkeit begründet, dass er wegen eines verpönten Merkmals benachteiligt worden ist, muss nunmehr der Arbeitgeber seinerseits den vollen Beweis führen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (BAG vom 22.07.2010 - 8 AZR 1012/08, zitiert nach juris).

Die Klägerin hat keine hinreichenden Indizien für eine Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft vorgetragen. In einer vernetzten Welt ist die Forderung nach sehr guten Englischkenntnissen in einer Stellenausschreibung für Java Entwickler, also Spezialisten in der IT-Branche, in der Regel sachlich gerechtfertigt. Englisch ist jedenfalls in dieser Branche die vorherrschende Kommunikationssprache. Ein Unternehmen, das von Bewerbern für Programmieraufgaben sehr gute Englischkenntnisse verlangt, bleibt innerhalb der Grenzen eines legitimen unternehmerischen Ziels und verlangt nichts Unverhältnismäßiges. Zu Recht betont das Arbeitsgericht, dass die Beklagte eine der führenden Publisher und Betreiber von Onlinespielen ist. Zu den geforderten Aufgaben gehöre nicht nur die Programmiertätigkeit, sondern u.a. das Arbeiten im Team, Coaching und Wissensweitergabe. Es ist grundsätzlich ein rechtmäßiges Ziel, an einen Arbeitnehmer bestimmte Anforderungen in der Sprachbeherrschung zu stellen (BAG, 28.01.2010 – 2 AZR 764/08 – juris). Das Verlangen nach sehr guten Englischkenntnissen stellt vorliegend kein Indiz iSd. § 22 AGG dar.

3. Ist die sehr gute Beherrschung der englischen Sprache legitime Eignungsvoraussetzung für die genannten Stellen, ist die Klägerin schon deshalb objektiv nicht für die ausgeschriebenen Stellen geeignet. Auf weitere Zweifel an ihrer objektiven Eignung, auf die Frage von Indizien für eine Diskriminierung wegen des Alters („junges Team“), des Geschlechts oder anderer von den Parteien erörterter Fragen kommt es dann nicht mehr an.

Für eine Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 und 2 AGG ist nämlich stets Voraussetzung, dass sich die vermeintlich benachteiligten und begünstigten Personen in einer vergleichbaren Situation befinden.

Das Vorliegen einer „vergleichbaren Situation“ setzt zunächst voraus, dass die Klägerin objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (BAG vom 26.09.2013, aaO.; BAG vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (BAG vom 26.09.2013, aaO.). Jenes Gesetz will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht aber eine unredliche Gesinnung des Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist somit keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der "vergleichbaren Situation" (BAG vom 26.09.2013, aaO.).

Für die Beurteilung der objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar vermag der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers grundsätzlich frei zu entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen (BAG, NZA 2012, 667).

Die objektive Eignung ist zu trennen von der individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt. Damit ist gewährleistet, dass der Arbeitgeber über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich frei zu entscheiden hat, wie Art. 12 Abs. 1 GG es gebietet, aber nicht durch das Stellen hierfür nicht erforderlicher Anforderungen an Bewerber die Vergleichbarkeit der Situation selbst gestalten und den Schutz des AGG de facto beseitigen kann. Bewerber, die die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten können, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, bedürfen des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind (BAG vom 19.08.2010, 8 AZR 466/09).

Die von der Beklagten in ihrer Anzeige geforderten sehr guten Englischkenntnisse bilden – wie dargelegt - eine redliche und angemessene Bedingung für eine Tätigkeit bei ihr. Das Verlangen nach sehr guten Englischkenntnissen ist damit nicht eine Frage der fachlichen und persönlichen Qualifikation, sondern der objektiven Eignung. Sehr gutes, also verhandlungssicheres Englisch in Wort und Schrift zu fordern, ist angesichts der internationalen Ausrichtung der Beklagten und ihrer Unternehmensziele im Online Spielebereich nicht überzogen, sondern selbstverständlich und von der Rechtsordnung zu akzeptieren.

Fehlt es im Ergebnis an einer objektiven Eignung für die ausgeschriebenen Stellen, ist der Entschädigungsanspruch der Klägerin unbegründet. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen.

II.

Der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines Notanwaltes war abzulehnen. Scheitert die Vertretungsbereitschaft eines Rechtsanwalts – wie vorliegend - an der Nichtzahlung des Vorschusses durch den Mandanten, so kommt die Bestellung eines Notanwalts nach dem Sinn und Zweck des § 78b ZPO nicht in Betracht. Für Parteien, die selbst zur Honorierung eines Rechtsanwaltes nicht in der Lage sind, sieht das Gesetz die Möglichkeit der Anwaltsbeiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe vor, stellt dazu allerdings auch die Voraussetzung hinreichender Erfolgsaussicht auf. Ist diese Voraussetzung zu verneinen, so entfällt eine Anwaltsbeiordnung auch bei mangelnder Zahlungsfähigkeit der Partei; sie kann sie dann nicht auf dem Umweg über § 78b ZPO herbeiführen (BGH 07.12.1999 – VI ZR 219/99 mwN., juris). Im Übrigen könnte ein in diesem Wege beigeordneter Anwalt gemäß § 78c Abs. 2 ZPO die Zahlung eines Vorschusses verlangen und wäre im Falle der Nichtzahlung zu entbinden.



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