Landesarbeitsgericht Nürnberg

Urteil vom - Az: 5 Sa 468/15

Abmahnung wegen Bibeltexten im Sportunterricht

Eine Sportlehrerin verstößt gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn sie im Rahmen des Sportunterrichts Texte mit Bibelstellen an die Schülerinnen und Schüler austeilt. Dieses Verhalten rechtfertigt eine Abmahnung. Kein Pflichtverletzung hingegen stellt es dar, wenn sie lediglich auf Fragen der Schüler antwortet und für eine weitere Vertiefung auf den (hier:) Religionsunterricht verweist.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.11.2015, Aktenzeichen: 3 Ca 3699/15, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte.

Die am ... 1952 geborene, ledige Klägerin ist seit dem 15.09.1980 zunächst in Teilzeit und ab dem 12.10.1981 in Vollzeit als Lehrkraft bei der Beklagten beschäftigt. Das monatliche Bruttogehalt betrug zuletzt ca. EUR 5.300,--. Die Klägerin ist Lehrkraft für Biologie und Sport und hat zuletzt ausschließlich Sportunterricht erteilt.

Mit Schreiben vom 20.01.2015 (Bl. 10 ff. d.A.) hat die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung erteilt. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2014 zu den ihr gegenüber erhobenen Vorwürfen Stellung genommen hatte, ist zwischen den Parteien im Kern unstreitig, dass die Klägerin im Rahmen einer Sportstunde am 17.10.2014 sowie in weiteren Sportstunden zu einem späteren Zeitpunkt mehrfach religiöse Inhalte in ihren Unterricht aufgenommen hat. Auf Nachfrage von Schülern hat die Klägerin am 17.10.2014 unter anderem gegenüber den Schülern erklärt, dass Homosexualität eine Sünde sei, dass sie die Sünde verurteile, aber nicht den Sünder. Um die Schüler von der Richtigkeit der benannten Aussage zu überzeugen, hat die Klägerin in der folgenden Sportunterrichtsstunde mehrere Schriftstellen der Bibel den Schülern ausgehändigt.

Mit ihrer am 10.07.2015 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin nunmehr gegen die Abmahnung und begehrt, dass diese aus der Personalakte zu entfernen ist.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass ihr Verhalten von ihrer Glaubensfreiheit gedeckt sei. Sie sei ihrem Glauben verpflichtet und habe daher nicht anders handeln können. Die Beklagte verkenne insbesondere, dass sie von den Schülern gefragt worden sei, darauf habe sie antworten dürfen. Ihr Verhalten stünde im Einklang mit ihrem auf die Verfassung geleisteten Eid. Die Gendermainstreaming-Politik sei abzulehnen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 20.01.2015 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass keine Zweifel daran bestehen würden, dass die Klägerin entgegen ihrer Dienstverpflichtung Schülerinnen des L…-Gymnasiums mit Texten der Religionsgemeinschaft, der sie angehört, konfrontiert zu haben und versucht hat, Schülerinnen von der Richtigkeit ihres Glaubens zu überzeugen. Damit habe die Klägerin gegen ihre Verpflichtung verstoßen, sich weltanschaulich neutral zu verhalten. Die Klägerin halte trotz Abmahnung an ihrer Auffassung fest, als Lehrkraft für Biologie und Sport im Schulbetrieb religiöse Inhalte ihrer Kirche vermitteln zu dürfen. Obwohl die Klägerin schon mit Schreiben vom 10.04.2013, 12.05.2014 sowie in den geführten Gesprächen am 11.04.2013 und 20.02.2014 darauf hingewiesen worden sei, dass sie als Lehrerin die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu achten hätte, hätte die Klägerin ihre Pflicht zur religiöser und weltanschaulicher Neutralität im öffentlichen Schulwesen wiederholt verletzt. Soweit hierdurch die Klägerin in ihrer positiven Bekenntnisfreiheit eingeschränkt sei, habe sie dies hinzunehmen, um einen Schulunterricht in einem Umfeld religiöser Neutralität sicherzustellen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den erstinstanzlichen Sachvortrag der Parteien verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 23.11.2015 abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung bestünde nicht, weil die Abmahnung weder unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte noch auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Klägerin beruhe. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht auf den Schutz ihres Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit berufen. Das Erstgericht habe daher keinen Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Verhalten der Klägerin eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstelle und nicht durch eigene grundgesetzlich geschützte Positionen gedeckt sei. Durch dieses Verhalten habe die Klägerin erheblich gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, so dass die Abmahnung der Beklagten nicht zu beanstanden sei und hat die Klage abgewiesen.

Das Ersturteil wurde der Klägerin am 17.12.2015 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 10.12.2015, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 11.12.2015, ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Berufung einlegen. Die Berufungsbegründungsschrift vom 23.02.2016 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 07.03.2016 eingegangen. Die Berufungsbegründungsfrist war bis zum 07.03.2016 verlängert worden.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das erstgerichtliche Urteil aufzuheben sei, da sich in den Entscheidungsgründen nicht wiederspiegeln würde, dass die Klägerin erst auf Nachfrage von Schülern sich zu religiösen Inhalten geäußert habe. Dieser Umstand führe zu einer deutlichen Verschiebung im Abwägungsprozess, der abzuwägenden Grundrechte, da die Schüler durch ihre religiöse Frage zu erkennen gegeben hätten, dass sie über diese religiöse Frage von der Klägerin informiert werden wollten. Bei der Grundrechtsabwägung sei demnach auch zu berücksichtigen, dass die Schulkinder einen Anspruch auf Auskunft hätten, der möglicherweise in anderen Unterrichtseinheiten nicht befriedigt/beachtet und erfüllt werde. Das Arbeitsgericht Nürnberg hätte damit auch den zugrunde liegenden Sachverhalt weiter aufklären müssen, etwa dergestalt, dass das Gericht hätte herausfinden müssen, ob sich die Klägerin auf Anfrage der Schulkinder vielleicht auch nur einiger Schulkinder gegenüber sämtlichen Kindern der Klasse geäußert habe, oder nur gegenüber den fragenden Kindern. Es sei auch die rechtliche Frage zu stellen, ob ein Lehrer auf Fragen von Kindern nicht antworten dürfe, wenn diese Fragen religiösen Inhalts hätten und nicht alle Kinder der Klasse die Frage gestellt hätten. Darüber hinaus verkenne das Arbeitsgericht Nürnberg auch, dass die Bayerische Verfassung und auch das Grundgesetz von den Lehrern staatlicher Institutionen verlange, die Initiative zur Werteerziehung und zur Persönlichkeitsbildung bei den Schulkindern zu fördern. Dabei sei beispielhaft auf ein Lehrerinfo des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus verwiesen. Zur Werteerziehung gehöre für die Klägerin auch zwingend die Vermittlung religiöser Inhalte, auch christlicher Inhalte. Denn sowohl das Grundgesetz als auch die Bayerische Verfassung würden einen Gottesbezug in ihren Präambeln enthalten. Für die Klägerin gehöre damit auch zum Erziehungsauftrag und zur Förderung der Schüler zur Initiative der Werteerziehung auch, bei Fragen der Schüler über christliche Werte zu sprechen.

Die Klägerin stellt daher in der Berufungsinstanz folgende Anträge:

1. Unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23. November 2015 (3 Ca 3699/15) wird die Beklagte verurteilt, die Abmahnung der Beklagten vom 20. Januar 2015 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Beklagte verteidigt das Ersturteil und ist der Auffassung, dass das Erstgericht den zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend gewürdigt habe. Selbst wenn man davon ausgehen wolle, dass aufgrund der Nachfrage durch die Schülerinnen eine etwaige Aufgabe der negativen Religionsfreiheit zu sehen sei und damit eine andere Abwägung hätte vorgenommen werden müssen, so ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Die Berufungsklägerin berücksichtige insbesondere nicht, dass sie nicht nur auf die Nachfrage der Schülerinnen geantwortet habe, sondern - und dies sei entscheidend - auch die Erstellung sowie Austeilung eines Schriftstücks mit Bibelstellen vorgenommen habe, um die Schüler von den Ausführungen der Klägerin zu überzeugen. Die Klägerin verkenne, dass gerade durch diesen zweiten Schritt der aktiven Handlungsnahme auf die Schulkinder der Boden für die von der Klägerin vorgetragene Abwägungsverschiebung zugunsten der positiven Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin verlassen werde. Auch soweit die Klägerin rüge, das Ausgangsgericht habe einen den Schulkindern zustehenden Informationsanspruch verkannt, führe nicht zu einem anderen Ergebnis, da ein solcher Informationsanspruch zugunsten der Klägerin nicht zur Anwendung komme. Aufgrund der schulischen Neutralitätsverpflichtung in religiösen-weltanschaulichen Bereichen sei anerkannt, dass ein solcher Auskunftsanspruch der Schüler ausschließlich durch die Schulleitung, den Religions- oder Ethikunterricht sowie in eingeschränktem Maße durch den Deutschunterricht nachzukommen sei. Jedenfalls sei es nicht Aufgabe einer Sportlehrerin gewesen, eigenhändig und ersichtlich gegen den Willen ihres Arbeitgebers im Rahmen ihres Unterrichts die nach ihrer eigenen Auffassung bestehenden Mängel des Religions- oder Ethikunterrichts im Hinblick auf Aufklärung der Schüler in religiösen-weltanschaulichen Dingen eigenmächtig auszugleichen. Soweit sich die Klägerin auf die Bayerische Verfassung berufe, sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass Lehrkräften im Rahmen ihres Erziehungsauftrages auch eine Pflicht der Werteerziehung und Persönlichkeitsbildung zukomme. Gleichwohl sei auch an dieser Stelle die negative Glaubensfreiheit der Schüler und Schülerinnen sowie der Erziehungsauftrag der Eltern zu respektieren. Die Wertevermittlung sowie die Persönlichkeitsbildung habe daher innerhalb der Grenzen der weltanschaulichen religiösen Neutralitätsverpflichtung stattzufinden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2b, c ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung erweist sich als unbegründet. Die erkennende Kammer folgt der umfassenden und ausführlichen Begründung des Erstgerichts und macht sich dessen Ausführungen zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Parteien sind lediglich noch folgende Ausführungen veranlasst:

1. Soweit die Klagepartei beanstandet, das Ersturteil habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, dass die Klägerin erst auf Nachfrage von Schülern zu religiösen Fragen sich geäußert habe und nicht initiativ tätig geworden sei, ergibt sich keine andere Bewertung des Sachverhaltes. Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Rahmen des Sportunterrichts und damit außerhalb jeglicher Verpflichtung zur Erteilung des Lehrplanes versucht hat, die betroffenen Schüler von der Richtigkeit ihres Glaubens zu überzeugen. Der Klägerin kann aufgrund des unstreitigen Sachvortrages zwar zugestanden werden, dass eine spontane Reaktion bzw. Beantwortung der von den Schülern aufgeworfenen Fragen arbeitsvertraglich noch keine Pflichtverletzung darstellen würde, da ein Überschreiten der grundgesetzlich geschützten Position der Klägerin wohl noch nicht erfolgt ist. Hierum geht es allerdings auch nicht, wie die Beklagte herausgestellt hat, denn die Klägerin hat es bei einer spontanen Beantwortung und Fragen mit religiösem Inhalt der Schülerinnen nicht belassen, sondern hat in den nächsten Unterrichtsstunden vertiefend auch unter Erstellung sowie Austeilung eines Schriftstücks mit Bibelstellen die Schüler von ihren Ausführungen überzeugen wollen. Dies erfolgte mehr oder weniger aus eigenem Antrieb mit der Motivation, die Schüler von ihren Äußerungen zu überzeugen. Insbesondere ist auch festzuhalten, dass es die Klägerin nicht lediglich mit einer schlichten Beantwortung dieser Frage belassen hat, sondern intensiv die von den Schülerinnen aufgeworfene Frage diskutiert, und zwar in einer solchen Intensität bzw. einem solchen Umfang, der - und das war der Klägerin bewusst - dem Religionsunterricht vorbehalten ist. Dadurch hat die Klägerin mit einer aktiven Einflussmaßnahme auf die Schulkinder den Boden für die von der Klägerin vorgetragene Abwägungsverschiebung zu Gunsten der positiven Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin verlassen. Dies gilt auch wenn man von der Behauptung der Klägerin ausgeht, die habe sich nur gegenüber den Fragen der Schülerin geäußert.

2. Die Klägerin ist als Lehrkraft einer öffentlichen Schule verpflichtet umfassend den rechtmäßigen staatlichen Vorgaben aus dem Grundgesetz, der Bayerischen Verfassung und dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) Folge zu leisten. Die Klägerin ist dabei eine erfahrene Unterrichtskraft, der bewusst gewesen ist, dass sie ihren Unterricht weltanschaulich neutral zu gestalten hat. Von der Klägerin hätte erwartet werden dürfen, dass sie, wenn sie die Fragen nicht abschließend beantworten kann, die Schülerinnen entweder an die Schulleitung bzw. an den betreffenden Religionslehrer zu verweisen hat.

3. Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass der staatliche Erziehungsauftrag auch die Vermittlung von Werten sowie die Persönlichkeitsbildung beinhalten würden, so ist dies zunächst unproblematisch. Doch auch hier gilt, dass sich der staatliche Erziehungsauftrag lediglich innerhalb der Grenzen der weltanschaulich-religiösen Neutralitätsverpflichtung bewegen darf. Der staatliche Erziehungsauftrag muss auch im Hinblick auf die Vermittlung von Werten sowie der Persönlichkeitsbildung dort seine Grenzen finden, wo die negative Religionsfreiheit der Schulkinder sowie der Erziehungsauftrag der Eltern beeinträchtigt werden. Auch hier ist nochmals zu erwähnen, dass von entscheidender Bedeutung nicht die Frage der Äußerung überhaupt zu beanstanden ist, sondern letztendlich die Intensität, mit der die Klägerin auf die Nachfrage der Schülerin reagiert hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Klägerin hat als unterlegene Rechtsmitteführerin die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).



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