Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom - Az: 1 BvR 2130/98

Verfassungsrechtliche Anforderungen an ein Unterschriftenquorum bei Wahlen von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat

Die Anforderungen des §12 Abs.1 S.2 MitBestG (vom 4. Mai 1976 in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 und des Gesetzes vom 23. Juli 2001) an ein Unterschriftenquorum bei der Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat sind mit dem Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl aus Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2005 eine Neuregelung zu treffen.

Die Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat wird üblicherweise von Delegierten durchgeführt. Diese müssen wiederum zunächst selbst durch die Arbeitnehmer gewählt werden. Dazu werden Listen mit Wahlvoschlägen in den zugehörigen Betrieben ausgelegt, wobei sich diese Vorschläge regelmäßig an den vertretenen Gewerkschaften orientieren. Gem. §12 Abs.1 S.2 MitBestG (in obiger Fassung) erfordert jeder Wahlvorschlag ein Unterschriftenquorum von 10% oder 100 der jeweils gruppenangehörigen Arbeitnehmer/Arbeiter/leitenden Angestellten. Eine Gewerkschaft der Deutschen Bahn AG hat eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geltend gemacht. Obwohl sie in meheren Betrieben vertreten sei, wurden ihre Wahlvorschläge nicht angenommen. Dies liege an der unangemessen hohen Anzahl an benötigten Unterschriften.

Die Norm verletzt in ungerechtfertiger Weise die Chancengleichheit der Koalitionen, so das Bundesverfassungsgericht. Das in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vorgesehene Unterschriftenquorum sei unangemessen hoch. Es sei nicht erforderlich, um einer Stimmenzersplitterung entgegenzuwirken. Vielmehr würden „mittelgroße“ Gewerkschaften durch das Quorum ungerechtfertigt benachteiligt. Denn die Zahl der für eine Wahlteilnahme benötigten Unterschriften stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur Zahl der für einen Wahlerfolg erforderlichen Stimmen.

Tenor

1. § 12 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juni 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 1206) und des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (Bundesgesetzblatt I Seite 1852) ist nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar.

2. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2005 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

4. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes über das Vorschlagsrecht zur Wahl der Delegierten im Rahmen der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer in Unternehmen.

I.

1. Nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz - MitbestG) ist der Aufsichtsrat eines Unternehmens paritätisch zu besetzen, das heißt mit einer gleichen Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer (§ 7 Abs. 1 MitbestG). Beschäftigt ein Unternehmen in der Regel mehr als 20.000 Arbeitnehmer, setzt sich der Aufsichtsrat aus je zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MitbestG). Unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer müssen sich sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Vertreter von Gewerkschaften befinden (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 MitbestG).

In Unternehmen mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern werden die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer mittelbar durch Delegierte gewählt, sofern nicht die wahlberechtigten Arbeitnehmer die unmittelbare Wahl beschließen (§ 9 MitbestG). Die Einzelheiten über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder ergeben sich aus den §§ 10 ff. MitbestG und den Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz.

Bei der mittelbaren Wahl der Aufsichtsratsmitglieder wählen zunächst die Arbeitnehmer die Delegierten. Diese Wahl erfolgt geheim und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl (§ 10 Abs. 1 MitbestG). Die Zahl der Delegierten errechnet sich nach § 11 MitbestG. Nach der hier maßgeblichen Rechtslage des Jahres 1995 waren die Delegiertensitze auf die Arbeiter, die in § 3 Abs. 3 Nr. 1 MitbestG bezeichneten Angestellten und die leitenden Angestellten entsprechend ihrem Zahlenverhältnis unter Berücksichtigung eines Minderheitenschutzes zu verteilen.

Zur Wahl der Delegierten können die wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs Wahlvorschläge machen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 MitbestG). Die Wahlvorschläge werden in Form von Vorschlagslisten eingereicht. Hierbei orientieren sich die vorschlagsberechtigten Arbeitnehmer regelmäßig an ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit. Für die Wahlvorschläge sind gruppenweise bestimmte Unterschriftenquoren einzuhalten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG). Nach der Rechtslage im Jahr 1995 mussten Wahlvorschläge der Arbeiter, der in § 3 Abs. 3 Nr. 1 MitbestG bezeichneten Angestellten und der leitenden Angestellten jeweils von einem Zehntel oder 100 der wahlberechtigten Gruppenangehörigen unterzeichnet sein.

Die Delegierten wählen die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer (§ 15 MitbestG) und die Vertreter von Gewerkschaften (§ 16 MitbestG) in den Aufsichtsrat. Das Wahlvorschlagsrecht für die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder stand 1995 gruppenweise den wahlberechtigten Arbeitern, den in § 3 Abs. 3 Nr. 1 MitbestG bezeichneten Angestellten und den leitenden Angestellten zu. Das Vorschlagsrecht für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, die Vertreter von Gewerkschaften sind, liegt bei den Gewerkschaften (§ 16 MitbestG).

2. Das Mitbestimmungsgesetz vom 4. Mai 1976 (BGBl I S. 1153) galt im Jahr 1995, in dem die angegriffene Aufsichtsratswahl bei der Deutschen Bahn AG durchgeführt wurde, in der Fassung des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl I S. 3210). Die einschlägigen Vorschriften hatten folgenden Wortlaut:

㤠10

Wahl der Delegierten

 (1) In jedem Betrieb des Unternehmens wählen die Arbeiter (§ 3 Abs. 2) und die Angestellten (§ 3 Abs. 3) in getrennter Wahl, geheim und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl Delegierte. ...

(2) ...

 (3) Wahlberechtigt für die Wahl von Delegierten sind die Arbeitnehmer des Unternehmens, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.

 (4) Zu Delegierten wählbar sind die in Absatz 3 bezeichneten Arbeitnehmer, die die weiteren Wählbarkeitsvoraussetzungen des § 8 des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllen.

 (5) Wird für einen Wahlgang nur ein Wahlvorschlag gemacht, so gelten die darin aufgeführten Arbeitnehmer in der angegebenen Reihenfolge als gewählt. § 11 Abs. 2 ist anzuwenden.

§ 11

Errechnung der Zahl der Delegierten

 (1) In jedem Betrieb entfällt auf je 60 wahlberechtigte Arbeitnehmer ein Delegierter. Ergibt die Errechnung nach Satz 1 in einem Betrieb für eine Gruppe mehr als

1. 30 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf die Hälfte; diese Delegierten erhalten je zwei Stimmen;

2. 90 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Drittel; diese Delegierten erhalten je drei Stimmen;

3. 150 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Viertel; diese Delegierten erhalten je vier Stimmen.

Bei der Errechnung der Zahl der Delegierten werden Teilzahlen voll gezählt, wenn sie mindestens die Hälfte der vollen Zahl betragen.

 (2) Die Arbeiter und die Angestellten müssen unter den Delegierten in jedem Betrieb entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein. Unter den Delegierten der Angestellten müssen die in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichneten Angestellten und die leitenden Angestellten entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein. Sind in einem Betrieb mindestens neun Delegierte zu wählen, so entfällt auf die Arbeiter, die in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichneten Angestellten und die leitenden Angestellten mindestens je ein Delegierter; dies gilt nicht, soweit in dem Betrieb nicht mehr als fünf Arbeiter, in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Angestellte oder leitende Angestellte wahlberechtigt sind. Soweit auf die Arbeiter, die in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichneten Angestellten und die leitenden Angestellten lediglich nach Satz 3 Delegierte entfallen, vermehrt sich die nach Absatz 1 errechnete Zahl der Delegierten des Betriebs entsprechend.

 (3) bis (5) ...

§ 12

Wahlvorschläge für Delegierte

 (1) Zur Wahl der Delegierten können die wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs Wahlvorschläge machen. Jeder Wahlvorschlag für Delegierte

1. der Arbeiter muß von einem Zehntel oder 100 der wahlberechtigten Arbeiter,

2. der Angestellten, die auf die in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichneten Angestellten entfallen, muß von einem Zehntel oder 100 der wahlberechtigten in § 3 Abs. 3 Nr. 1 bezeichneten Angestellten,

3. der Angestellten, die auf die leitenden Angestellten entfallen, muß von einem Zehntel oder 100 der wahlberechtigten leitenden Angestellten

des Betriebs unterzeichnet sein.

(2) ...“

Diese Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes wurden durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl I S. 1852) und das Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 23. März 2002 (BGBl I S. 1130) teilweise geändert. Seitdem haben die §§ 10 bis 12 folgenden Wortlaut:

㤠10

Wahl der Delegierten

 (1) In jedem Betrieb des Unternehmens wählen die Arbeitnehmer in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl Delegierte.

 (2) Wahlberechtigt für die Wahl von Delegierten sind die Arbeitnehmer des Unternehmens, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. ...

 (3) Zu Delegierten wählbar sind die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Arbeitnehmer, die die weiteren Wählbarkeitsvoraussetzungen des § 8 des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllen.

 (4) Wird für einen Wahlgang nur ein Wahlvorschlag gemacht, so gelten die darin aufgeführten Arbeitnehmer in der angegebenen Reihenfolge als gewählt. § 11 Abs. 2 ist anzuwenden.

§ 11

Errechnung der Zahl der Delegierten

 (1) In jedem Betrieb entfällt auf je 90 wahlberechtigte Arbeitnehmer ein Delegierter. Ergibt die Errechnung nach Satz 1 in einem Betrieb mehr als

1. 25 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf die Hälfte; diese Delegierten erhalten je zwei Stimmen;

2. 50 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Drittel; diese Delegierten erhalten je drei Stimmen;

3. 75 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Viertel; diese Delegierten erhalten je vier Stimmen;

4. 100 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Fünftel; diese Delegierten erhalten je fünf Stimmen;

5. 125 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Sechstel; diese Delegierten erhalten je sechs Stimmen;

6. 150 Delegierte, so vermindert sich die Zahl der zu wählenden Delegierten auf ein Siebtel; diese Delegierten erhalten je sieben Stimmen.

Bei der Errechnung der Zahl der Delegierten werden Teilzahlen voll gezählt, wenn sie mindestens die Hälfte der vollen Zahl betragen.

 (2) Unter den Delegierten müssen in jedem Betrieb die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Arbeitnehmer und die leitenden Angestellten entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein. Sind in einem Betrieb mindestens neun Delegierte zu wählen, so entfällt auf die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Arbeitnehmer und die leitenden Angestellten mindestens je ein Delegierter; dies gilt nicht, soweit in dem Betrieb nicht mehr als fünf in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichnete Arbeitnehmer oder leitende Angestellte wahlberechtigt sind. Soweit auf die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Arbeitnehmer und die leitenden Angestellten lediglich nach Satz 2 Delegierte entfallen, vermehrt sich die nach Absatz 1 errechnete Zahl der Delegierten des Betriebs entsprechend.

 (3) bis (5) ...

§ 12

Wahlvorschläge für Delegierte

 (1) Zur Wahl der Delegierten können die wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs Wahlvorschläge machen. Jeder Wahlvorschlag muss von einem Zehntel oder 100 der jeweils wahlberechtigten in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Arbeitnehmer oder der leitenden Angestellten des Betriebs unterzeichnet sein.

(2) ...“

II.

Beschwerdeführerin zu 1) ist die Verkehrsgewerkschaft GDBA im Deutschen Beamtenbund; die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer aus dem Angestellten- und Arbeiterbereich der Deutschen Bahn AG und Mitglieder der Beschwerdeführerin zu 1).

1. Nach der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn war auf die neu gegründete Deutsche Bahn AG das Mitbestimmungsgesetz anzuwenden. Die erste Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer fand 1995 statt. In den Aufsichtsrat waren zehn Arbeitnehmervertreter zu wählen. Die Wahl erfolgte mittelbar als Delegiertenwahl. Die Beschwerdeführerin zu 1) reichte hierzu in mehreren Betrieben Wahlvorschläge ein, die nicht die gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG erforderliche Zahl von Unterschriften erreichten und deshalb von den Wahlvorständen zurückgewiesen wurden. In weiteren Betrieben hatte die Beschwerdeführerin zu 1) nach ihren Angaben auf die Einreichung von Wahlvorschlägen verzichtet, weil absehbar gewesen sei, dass nicht genügend Stützunterschriften zu erlangen gewesen seien. Die Delegiertenwahlen wurden von den Beschwerdeführern in acht Betrieben gemäß § 21 MitbestG beim Arbeitsgericht angefochten. Hiervon betroffen waren 52 Delegierte bei 2.119 gewählten Delegierten der Arbeiter und 3.026 gewählten Delegierten der Angestellten. Die Verfahren wurden zunächst ausgesetzt.

Die Delegierten wählten die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer mit folgendem Wahlergebnis: In der Gruppe der Arbeiter fielen beide Aufsichtsratssitze dem Vorschlag der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) zu. In der Gruppe der in § 3 Abs. 3 Nr. 1 MitbestG bezeichneten Angestellten entfielen drei Aufsichtsratssitze auf den Vorschlag der GdED und ein Sitz auf den gemeinsamen Vorschlag der Beschwerdeführerin zu 1) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). In der Gruppe der leitenden Angestellten wurde die von der GdED vorgeschlagene Vertreterin gewählt. Bei der Wahl der Vertreter der Gewerkschaften fielen alle drei Aufsichtsratssitze der Liste der GdED zu.

2. Die Beschwerdeführer fochten auch diese Wahl an (§ 22 MitbestG). Die Wahlanfechtung blieb vor den Gerichten für Arbeitssachen in allen drei Instanzen erfolglos. Die Gerichte hielten die Wahlvorschlagsregelung in § 12 Abs. 1 MitbestG für verfassungsgemäß. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gingen überdies davon aus, das Stimmverhalten von nur 52 Delegierten, deren Delegiertenwahlen angefochten worden seien, hätte das Ergebnis der Aufsichtsratswahl rechnerisch nicht beeinflussen können.

Auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAGE 89, 15) verstößt § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG weder gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der formalen Wahlgleichheit noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG oder gegen Art. 9 Abs. 3 GG.

Die Grundsätze der formalen Wahlgleichheit seien auf § 12 MitbestG nicht anwendbar. Dem Gesetzgeber sei es bei der Regelung des Wahlverfahrens ein Anliegen gewesen, die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats zu gewährleisten. Er habe eine im Verhältnis zur Kapitaleignerseite möglichst paritätische Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen erreichen wollen. Darum sei es auch bei der Wahlvorschlagsregelung in § 12 Abs. 1 MitbestG gegangen. Da auf Anteilseignerseite regelmäßig ein "extremes" Mehrheitswahlsystem gelte, habe der Gesetzgeber die Geschlossenheit der Arbeitnehmerseite stärken wollen. Durch die Entscheidung für die Verhältniswahl habe sich der Gesetzgeber nicht dem stärker formalisierten Gleichheitsgebot im Wahlrecht unterworfen. Denn der Aufsichtsrat sei kein Repräsentationsorgan, das seinen Willen nach demokratischen Regeln mit Mehrheit bilde. Außerdem hätte sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat für andere Modelle als die Wahl durch unternehmensangehörige Arbeitnehmer entscheiden können. In diesem Fall hätte er auf die formale Gleichheit keine Rücksicht zu nehmen brauchen.

§ 12 Abs. 1 MitbestG sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar, der dem Gesetzgeber die Normierung sachlich begründeter, differenzierender Wahlbestimmungen gestatte. Das Unterschriftenquorum sei erforderlich, um die angestrebte Geschlossenheit der Arbeitnehmervertreter zu gewährleisten. Ein deutlich niedrigeres Quorum würde bei den meisten Delegiertenwahlen dazu führen, dass zahlreiche Arbeitnehmerstimmen auf Listen entfielen, die nicht einmal einen Delegiertensitz erreichten; sie wären von vornherein "weggeworfen". Selbst wenn kleinere Gruppierungen einzelne Delegiertensitze erringen, sei hiermit angesichts der geringen Zahl der zur Verfügung stehenden Aufsichtsratssitze keine realistische Chance auf Erlangung eines Aufsichtsratssitzes verbunden. Die Zulassung von Wahlvorschlägen mit geringer Unterschriftenzahl würde nur zu einer Zersplitterung der Stimmen der Arbeitnehmerschaft führen.

Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) werde durch § 12 Abs. 1 MitbestG nicht verletzt. Der Gesetzgeber habe das Recht der Gewerkschaften und der einzelnen Arbeitnehmer, sich bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat werbend einzuschalten und im Rahmen der Delegiertenwahlen von den wahlberechtigten Arbeitnehmern einzureichende Wahlvorschläge zu unterbreiten, überhaupt erst ausgestaltend geschaffen. Wenn er dabei Unterschriftenquoren normiert habe, sei das sachlich geboten und verhältnismäßig gewesen.

III.

Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Beschlüsse des Arbeitsgerichts, des Landesarbeitsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts sowie mittelbar gegen § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG. Das in dieser Vorschrift festgelegte Unterschriftenquorum stelle eine verfassungswidrige Benachteiligung kleinerer Gewerkschaften dar. Es verstoße gegen den Grundsatz der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl des Art. 3 Abs. 1 GG und die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG.

Der Gesetzgeber habe sich dem Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit unterworfen, indem er die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern unter Mitwirkung von Delegierten als Verhältniswahl ausgestaltet habe. Hierdurch sei zum Ausdruck gebracht worden, dass auch Minderheiten die Möglichkeit der Repräsentanz in der Delegiertenversammlung und im Aufsichtsrat haben sollen.

Das Unterschriftenquorum habe zur Folge, dass für die Einreichung von Wahlvorschlägen in zahlreichen Fällen eine höhere Unterschriftenzahl verlangt werde, als später Stimmen für die Erlangung eines Delegiertenmandats nötig seien. Dementsprechend sei das Quorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht erforderlich, um ein "Wegwerfen" von Stimmen an aussichtslose Kandidaten zu vermeiden.

Die Höhe des Quorums lasse sich auch nicht damit rechtfertigen, dass bei einer Verringerung die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats beeinträchtigt werde. Dem Gesetzgeber sei es bei der Wahlvorschlagsregelung nicht darum gegangen, eine möglichst hohe Parität zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseignerseite zu erzielen. Der mitbestimmte Aufsichtsrat sei kein Konfrontationsorgan; das Mitbestimmungsgesetz sei vielmehr auf einen gemeinsamen Interessenausgleich angelegt.

Zudem sei das Unterschriftenquorum nicht gerechtfertigt, um eine Zersplitterung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu verhindern. Über deren mehr oder minder starke Geschlossenheit werde erst bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder entschieden. Die Funktionsfähigkeit der Delegiertenversammlung sei von einer Beschränkung der Delegierten auf wenige Richtungen nicht abhängig. Kleinere Gruppierungen übten auch in der Delegiertenversammlung eine legitime Funktion aus, da sie sich an größeren Gruppierungen orientieren, zwischen diesen den Ausschlag geben und durch Absprachen auf das Wahlverhalten anderer Delegierter Einfluss nehmen könnten.

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Delegiertenwahl typischerweise in mehreren Betrieben eines Unternehmens stattfinde, in denen die Gewerkschaften unterschiedlich stark vertreten seien. Das Gewicht der einzelnen Delegierten könne erst beurteilt werden, wenn man die Gesamtzahl der Delegierten innerhalb der Delegiertenversammlung betrachte und nicht nur auf das Ergebnis der Wahl im jeweiligen Betrieb schaue.

Aus Art. 9 Abs. 3 GG folge das Recht der Koalitionen, auf die Wahlen von Repräsentanten der Arbeitnehmer Einfluss zu nehmen. Wesentliches Element des Betätigungsrechts im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung sei die Chancengleichheit der verschiedenen Koalitionen. Das Unterschriftenquorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG beschränke dieses Recht unzulässig.

Die Beschwerdeführer haben zwei Rechtsgutachten vorgelegt, in denen § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG ebenfalls für verfassungswidrig gehalten wird.

IV.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (nunmehr mit anderen Gewerkschaften zusammengeschlossen zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft e.V.), der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Transnet Gewerkschaft GdED (früher: Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands GdED), Mitglieder des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Stellung genommen. Sämtliche Stellungnahmen gehen davon aus, dass § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG verfassungsmäßig ist.

1. Das Bundesministerium trägt vor, der Gesetzgeber habe zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite das nötige Gleichgewicht schaffen müssen. Da die Seite der Anteilseigner durch Mehrheitswahl besetzt werde, habe er auch eine starke, in sich weitgehend geschlossene Arbeitnehmerseite ermöglichen müssen. Ein niedrigeres Quorum würde neben der Gefahr einer Stimmenzersplitterung auch das Risiko, dass Wähler für eine aussichtslose Liste votierten, in sich bergen. § 12 Abs. 1 MitbestG verletze auch nicht die Rechte der Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG. Den Gewerkschaften sei schon durch § 16 MitbestG eine starke Position eingeräumt worden.

2. Die Gewerkschaften und die von der Arbeitnehmerseite gewählten Mitglieder des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG, die nicht der Beschwerdeführerin zu 1) angehören, sind der Ansicht, bei der Wahl zum Aufsichtsrat komme es in besonderem Maße auf die Geschlossenheit der Arbeitnehmerseite an. Der Gesetzgeber habe sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auf eine möglichst paritätische Interessenwahrnehmung im Aufsichtsrat konzentriert. Da jedes Abweichen eines Arbeitnehmervertreters direkt der Anteilseignerseite zugute komme, müsse durch das Quorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG eine Stimmenzersplitterung vermieden werden. Bei einer Herabsetzung des Quorums für die Delegiertenwahl bestünde eine erhöhte Gefahr, dass viele Stimmen "weggeworfen" würden.

3. Auch nach Auffassung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist das Unterschriftenquorum verfassungsrechtlich vertretbar, weil es darauf abziele, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken und einer Stimmenzersplitterung vorzubeugen.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Da die Beschwerdeführer auch in Zukunft an Wahlen nach dem Mitbestimmungsgesetz teilnehmen wollen, ist ihr Rechtsschutzinteresse nicht mit dem Ablauf der Wahlperiode des Aufsichtsrats entfallen, dessen Wahl Gegenstand der Wahlanfechtung in dem Ausgangsverfahren war.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit sie sich mittelbar gegen das in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vorgeschriebene Unterschriftenquorum für Vorschläge zur Wahl der Delegierten im Rahmen des Verfahrens zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer von Unternehmen richtet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

§ 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln.

Für den Bereich allgemeinpolitischer Wahlen hat das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen des Gleichheitssatzes durch die Formalisierung des Gebots der Gleichheit der Wahl verschärft (vgl. BVerfGE 14, 121 <132 f.>; 34, 81 <98 f.>; 41, 1 <11 f.>; 71, 81 <94> m.w.N.).

Diese Grundsätze lassen sich nicht schematisch auf Wahlen in anderen Bereichen übertragen. Sie haben ihren tragenden Grund in der absoluten Gleichheit aller Bürger bei der staatlichen Willensbildung (vgl. BVerfGE 8, 51 <69>; 11, 351 <360>; 14, 121 <132>). Bei Wahlen in anderen Bereichen kann der Grundsatz der formalen Wahlgleichheit gewissen Einschränkungen unterliegen (vgl. BVerfGE 39, 247 <254>; 54, 363 <388 f.> für die Wahlen der Selbstverwaltungsorgane der Hochschule; BVerfGE 41, 1 <12> für die Wahlen der Richtervertretungen). Insbesondere hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, bei der Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf das Gewicht bestimmter Gruppen innerhalb der Wählerschaft Rücksicht zu nehmen, und er kann Zweckmäßigkeitsüberlegungen größeren Raum einräumen. Bei der Regelung der Besetzung des Aufsichtsrats von Unternehmen hat der Gesetzgeber unter anderem auf die Funktionsfähigkeit des Unternehmens Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerfGE 50, 290 <339 ff.>) und darf daher auch Praktikabilitätsgesichtspunkte berücksichtigen.

Allerdings legt sich der Gesetzgeber auch bei Wahlen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich in einem gewissen Umfang auf die Grundsätze eines Wahlverfahrens fest (vgl. BVerfGE 60, 162 <171>; 71, 81 <95 f.>). Wenn ein Gremium durch Wahlen der Belegschaft und auf der Grundlage von Wahlvorschlägen, die an der Gewerkschaftszugehörigkeit orientiert sein dürfen, besetzt werden soll, hat eine in sich folgerichtige Regelung die Chancengleichheit der bei den Wahlen antretenden Gruppen zu beachten. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei den Wahlen im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung die Wahlbewerber in der Praxis regelmäßig auf Listen kandidieren, die vielfach als Listen einer bestimmten Gewerkschaft gekennzeichnet sind. Da das Recht der Koalitionen, an vom Gesetzgeber zur Vertretung von Arbeitnehmern geschaffenen Einrichtungen mitzuwirken, unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG fällt, ist mit dieser verfassungsrechtlich gesicherten Freiheit auch die Chancengleichheit der Koalitionen bei der Wahl verbunden (vgl. BVerfGE 60, 162 <170> für Personalvertretungswahlen; BVerfGE 71, 81 <95> für die Wahlen zu den Vollversammlungen der Arbeitnehmerkammern). Dem Gesetzgeber ist daher, wenn er in den Bereich der Willensbildung bei Wahlen in einer Weise eingreift, die die Chancengleichheit beeinträchtigen kann, auch hier jede ungleiche Behandlung versagt, die sich nicht durch einen besonderen, zwingenden Grund rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 60, 162 <170 f.>; 71, 81 <95>).

2. Das Erfordernis einer gewissen Zahl von Unterschriften für die Einreichung gültiger Wahlvorschläge führt zu einer Beschränkung der Gleichheit des Wahlvorschlagsrechts (vgl. BVerfGE 60, 162 <167 f.>). Das Unterschriftenquorum hat die Nichtberücksichtigung der Wahlvorschläge aller derjenigen zur Folge, die nicht die erforderliche Unterschriftenzahl aufgebracht haben. In dieser Einschränkung der Möglichkeit der Teilnahme an Wahlen liegt eine Ungleichbehandlung.

Wird das Quorum bei einer mittelbaren Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bereits auf der Eingangsstufe eingesetzt, kann dies zu einer Benachteiligung von Wahlvorschlägen und der sie tragenden Gruppen führen. Dies gilt insbesondere für Gewerkschaften wie die Beschwerdeführerin zu 1), die das Quorum in einigen Betrieben erreichen, also groß genug für eine realistische Wahlchance sind, aber in anderen Betrieben wegen der Höhe des Quorums nicht antreten und damit ihr Wählerpotential nicht ausschöpfen können.

3. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

a) Es fehlt an einer sachlichen Rechtfertigung des Unterschriftenquorums.

aa) Das Erfordernis einer bestimmten Unterschriftenzahl für Wahlvorschläge ist hinreichend sachlich gerechtfertigt, wenn und soweit es dazu dient, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken, dadurch das Stimmgewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so indirekt der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen (vgl. BVerfGE 60, 162 <168> m.w.N.; 71, 81 <96 f.>). Unterschriftenquoren können auch das Ziel verfolgen, die Wähler davor zu bewahren, ihre Stimmen an aussichtslose Kandidaten zu vergeben (vgl. BVerfGE 60, 162 <172>).

bb) Das Unterschriftenquorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG lässt sich hingegen nicht damit rechtfertigen, die Arbeitnehmerseite solle möglichst nur von einer Gewerkschaft repräsentiert werden, um ein Gegengewicht zur geschlossenen Arbeitgeberseite zu erzeugen.

Der Gesetzgeber hat für die Besetzung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat ein Verhältniswahlverfahren vorgesehen (§ 10 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 MitbestG), um auch Minderheiten die Möglichkeit zu einer Vertretung einzuräumen. Entsprechende Hinweise ergeben sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch Wahlmänner (Delegierte) gemäß § 15 Abs. 1 MitbestG. Insoweit sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 7/2172, S. 8) zunächst eine Mehrheitswahl vor, die dafür sorgen sollte, dass alle Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vom Vertrauen der Mehrheit der Belegschaft getragen werden (siehe hierzu die Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 7/2172, S. 24 f., und die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 7/2172, S. 32). Gegen ein Mehrheitswahlrecht wurde im Gesetzgebungsverfahren jedoch eingewandt, der Minderheitenschutz sei unzulänglich und unausgewogen. Durch die Wahl der unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder durch Wahlmänner nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl werde die Eigenständigkeit konkurrierender Gewerkschaften und Gruppen gefährdet (vgl. z.B. die Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 7/2172, S. 31). Aufgrund dieser Kritik wurde auch für die Wahl nach § 15 Abs. 1 MitbestG das Verhältniswahlrecht eingeführt.

Der in der Natur des Systems der Verhältniswahl verankerte Minderheitenschutz ist darauf angelegt, ein Vertretungsorgan zu schaffen, in dem der Sitzanteil in möglichst genauer Übereinstimmung mit dem Stimmenanteil der verschiedenen Gruppierungen sowie der von ihnen vertretenen Auffassungen steht. Dies schließt eine Einbuße an Geschlossenheit des Vertretungsorgans im Interesse einer Repräsentanz auch von Minderheiten ein (vgl. BVerfGE 60, 162 <171>; 71, 81 <97>).

Da sich der Gesetzgeber gegen eine Ausgestaltung des Wahlverfahrens entschieden hat, die eine einheitliche Besetzung der Arbeitnehmerbank sichert, ist es ausgeschlossen, in der Behinderung konkurrierender Gewerkschaften durch ein besonders hohes Quorum auf der Eingangsstufe einer indirekten Wahl ein zulässiges Ziel der Ungleichbehandlung zu sehen.

b) Die Festschreibung eines Unterschriftenquorums für die Einreichung von Vorschlagslisten in der in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vorgesehenen Höhe ist auch kein angemessener Weg zur Erreichung der zulässigen Ziele eines Unterschriftenquorums.

Bei einem Unterschriftenquorum darf die Zahl der Unterschriften grundsätzlich nur so hoch festgesetzt werden, wie es für die Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks erforderlich ist. Sie darf der Wählerentscheidung möglichst wenig vorgreifen und nicht so hoch sein, dass Wahlbewerbern die Teilnahme an der Wahl praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (vgl. BVerfGE 60, 162 <168 f.> m.w.N.; 71, 81 <97>).

aa) Das in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vorgesehene Quorum ist nicht erforderlich, um einer Stimmenzersplitterung entgegenzuwirken. Die geringe Zahl der zu besetzenden Aufsichtsratssitze schließt eine zu große Zersplitterung von vornherein aus (vgl. BVerfGE 60, 162 <172> für Personalvertretungswahlen). Eine Zersplitterung wird außerdem dadurch verhindert, dass bei der Wahl der unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch die Delegierten ein Quorum für die Wahlvorschläge besteht (§ 15 Abs. 4 MitbestG in der Ursprungsfassung vom 4. Mai 1976 sowie § 15 Abs. 2 MitbestG in der Fassung der Gesetze vom 23. Juli 2001 und vom 23. März 2002). Splittergruppen haben daher in der Regel keine Chance auf einen Sitz im Aufsichtsrat. Eine Herabsetzung des in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vorgeschriebenen Quorums dürfte daher auf ihre Repräsentanz im Aufsichtsrat kaum Einfluss haben.

bb) "Mittelgroße" Gewerkschaften, die einen nicht unerheblichen Teil der Belegschaft vertreten, werden demgegenüber durch das Unterschriftenquorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG ungerechtfertigt benachteiligt. Denn die Zahl der für eine Wahlteilnahme benötigten Unterschriften steht in keinem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Stimmen, die für einen Wahlerfolg erforderlich sind.

Dem Zweck von Quoren, aussichtslose Kandidaten fern zu halten, ohne dabei die Teilnahme an Wahlen unnötig zu erschweren, wird grundsätzlich nur ein deutlicher Abstand zwischen Quorum und Wahlerfolg gerecht (vgl. dazu BVerfGE 60, 162 <174 f.>; 67, 369 <378 f.>). Die Zahl derjenigen, die sich öffentlich durch Unterschrift bereit erklären, eine Liste zu unterstützen, ist regelmäßig erheblich kleiner als die der potentiellen Wähler der Liste. Auch das Prinzip der Geheimhaltung der Wahl schließt es aus, die Zahl der für eine Wahlteilnahme notwendigen Unterschriften in der Nähe der für einen Wahlerfolg nötigen Stimmen festzulegen.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG in der im Jahr 1995 gültigen, zuletzt durch Gesetz vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1206 <1209>) geänderten Fassung war die Zahl der benötigten Unterschriften bei einer Gruppengröße von 600 bis zu 1.829 wahlberechtigten Arbeitnehmern im Betrieb mit 60 bis 100 genauso hoch wie oder höher als die Zahl der Stimmen, mit der auf jeden Fall ein Delegiertensitz erreicht wurde (60).

Daran hat sich auch nach den Änderungen des Mitbestimmungsgesetzes durch die Gesetze vom 23. Juli 2001 und vom 23. März 2002 nichts Wesentliches geändert. Das Unterschriftenquorum des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG liegt nach wie vor bei 10 % oder 100 Unterschriften. Bei einer Gruppengröße von 900 bis zu 2.294 wahlberechtigten Arbeitnehmern im Betrieb ist die Zahl der Unterschriften, die für eine Wahlteilnahme erforderlich sind (90 bis 100), genauso hoch wie oder höher als die Zahl der Stimmen, mit der auf jeden Fall ein Delegiertensitz erlangt wird (90).

cc) Die Höhe des Quorums lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass angesichts der großen Zahl der für einen einzigen Aufsichtsratssitz notwendigen Delegiertenstimmen die Stimmenzahl, die für eine erfolgreiche Teilnahme an der Delegiertenwahl im Betrieb nötig ist, noch keinen Aufschluss über die Ernsthaftigkeit der Listenbewerbung auf Unternehmensebene gibt. Wenn der Gesetzgeber eine indirekte Wahl über die Wahl von Delegierten im Betrieb vorsieht und ein betriebsbezogenes Quorum aufstellt, kann folgerichtig auch nur die Wahl im Betrieb Maßstab für die verfassungsrechtliche Angemessenheit des Quorums sein. Ein Unterschriftenquorum, das in vielen Fällen die Zahl der Stimmen übersteigt, die für einen Wahlerfolg im Betrieb nötig sind, ist nicht mehr angemessen.

Ein auf den Betrieb bezogen unverhältnismäßig hohes Quorum führt auch deshalb zu einer Verzerrung der Chancengleichheit der konkurrierenden Listen, weil es verhindert, dass Gruppen, die unternehmensweit mit hinreichendem Gewicht vertreten sind, aber in einzelnen Betrieben das Quorum nicht erreichen, ihr Wählerpotential ausschöpfen können. In Großunternehmen ist eine unterschiedliche organisatorische Verankerung der Gewerkschaften in den Betrieben nicht ausgeschlossen, so dass die Nichterreichung eines hohen Quorums in einigen Betrieben nicht unbedingt Aufschluss über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung auf Unternehmensebene gibt.

Der Gefahr, dass auf diese Weise zu viele unterschiedlich organisierte Delegierte gewählt werden und die Stimmenbündelung für die für den Wahlerfolg erforderliche Stimmenzahl bei der endgültigen Wahl erschwert wird, ist der Gesetzgeber durch das Quorum für die Wahlvorschläge zur Aufsichtsratswahl selbst (vgl. § 15 Abs. 4 MitbestG in der Ursprungsfassung vom 4. Mai 1976 und § 15 Abs. 2 MitbestG in der Fassung der Gesetze vom 23. Juli 2001 und vom 23. März 2002) begegnet. Somit ist das zulässige Quorum auf der Betriebsebene auf die hier erfolgende Delegiertenwahl zu beziehen.

II.

Die Unvereinbarkeit des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG sowohl in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 als auch in der Fassung des Gesetzes vom 23. Juli 2001 mit Art. 3 Abs. 1 GG führt nicht gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG zur Nichtigkeit der Regelung.

Steht eine gesetzliche Vorschrift - wie hier - mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Einklang, hat der Gesetzgeber im Allgemeinen mehrere Möglichkeiten, den Verstoß zu beseitigen. Dem trägt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig in der Weise Rechnung, dass es die gleichheitswidrige Norm nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 104, 74 <91>; 105, 73 <133>). Gesichtspunkte, die im vorliegenden Fall eine andere Entscheidung gebieten könnten, sind nicht erkennbar.

Die angegriffene Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG kann bis zum In-Kraft-Treten einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 2005, weiter angewendet werden. Bei einer Neuregelung darf der Gesetzgeber auf unmittelbar bevorstehende oder bereits begonnene Aufsichtsratswahlverfahren Rücksicht nehmen und - soweit dies für einen geordneten Ablauf dieser Verfahren erforderlich ist - Übergangsfristen für die Anwendung des neuen Rechts vorsehen.

III.

Der Umstand, dass die Regelung trotz der Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG weiter anzuwenden ist, hat zugleich zur Folge, dass Entscheidungen, die - wie die angegriffenen Beschlüsse - in der zurückliegenden Zeit auf diese Regelung gestützt worden sind, verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden können (vgl. BVerfGE 103, 1 <20>). Die Verfassungsbeschwerde ist deshalb, soweit sie sich gegen die angegriffenen Beschlüsse richtet, zurückzuweisen.

IV.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

D.

Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

 



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