Bundesverfassungsgericht

Urteil vom - Az: 2 C 24/21

Pausenzeiten von Beamten können Arbeitszeit sein

Ruhepausen, in denen der Beamte Einsatzkleidung tragen, die Dienstwaffe mit sich führen und seine ständige Erreichbarkeit sicherstellen muss, sind als Arbeitszeit zu bewerten.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 105 Minuten zu gewähren. Die Urteile des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. November 2020 und des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 3. Juli 2019 sowie der Bescheid der Bundespolizeidirektion P. vom 5. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2015 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Kläger zu zwei Fünftel und die Beklagte zu drei Fünftel, die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu einem Viertel und die Beklagte zu drei Viertel, die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu vier Fünftel und die Beklagte zu einem Fünftel.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Freizeitausgleich für Ruhepausen mit Bereithaltungspflicht.

Der Kläger steht als Bundespolizeibeamter im Dienst der Beklagten und wurde im Jahr 2013 bei einer Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit verwendet. Er beantragte unter dem 28. Juli 2013 rückwirkend zum 1. Januar 2013 die Anrechnung von Pausenzeiten in "Bereithaltung". Der zeitliche Umfang der Pausen, deren Dauer sich auf jeweils 30 bis 45 Minuten erstreckte, beläuft sich auf insgesamt 1 020 Minuten.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Anordnung einer Bereithaltungspflicht der Einordnung als Ruhepause nicht entgegenstehe. Auch der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Pausenzeiten im Umfang von 195 Minuten als Arbeitszeit gutzuschreiben, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger weitere Pausenzeiten im Umfang von 315 Minuten auf die Arbeitszeit anzurechnen. Für die vor dem 28. Juli 2013 liegenden Pausenzeiten hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil es bereits an einer zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs fehle. Ein solcher stehe dem Kläger aber für den Zeitraum ab August 2013 zu. Insoweit habe der Charakter von Arbeitszeit überwogen. Sämtliche Pausen seien dadurch gekennzeichnet gewesen, dass der Kläger Einsatzkleidung, teilweise besondere Schutzbekleidung und Helm getragen sowie Dienstwaffe und Dienstfahrzeug mitgeführt habe und seine ständige Erreichbarkeit habe sicherstellen müssen. Dies habe die freie Gestaltung der Pause eingeschränkt. Dies gelte nicht für die am 20. August, 22. Oktober und 28. November 2013 gewährten Pausenzeiten im Umfang von insgesamt 105 Minuten, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme während der Pause eher gering gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. November 2020, soweit es die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 3. Juli 2019, soweit es die Klage abgewiesen hat, zu ändern, den Bescheid der Bundespolizeidirektion P. vom 5. September 2014 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 11. November 2015 aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 510 Minuten zu gewähren.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Gründe

Die Revision hat nur zum Teil Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es seine Prüfung auf eine unzutreffende Anspruchsgrundlage und ein fehlerhaftes Verständnis von Ruhezeit gestützt hat (1.). Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von weiterem Freizeitausgleich für die im Revisionsverfahren noch streitigen Pausenzeiten nach Geltendmachung (2.). Die Annahme, für den Zeitraum bis Ende Juli 2013 stehe dem Anspruch des Klägers die fehlende vorherige Geltendmachung entgegen, erweist sich dagegen als im Ergebnis (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO) richtig (3.).

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sei § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung vom 23. Februar 2006 (BGBl. I S. 427 - AZV a. F. -), verletzt revisibles Bundesrecht (§ 137Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

a) Nach § 5 Abs. 1 AZV a. F. werden Ruhepausen außer bei Wechselschichtdienst (den der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht geleistet hat) nicht auf die Arbeitszeit angerechnet. Schon ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift keine Rechtsfolge, die das Begehren des Klägers erfasst. Aus der Zielrichtung der Verordnung ergibt sich nichts anderes. Denn der Verordnungsgeber wollte mit der Neuordnung der Arbeitszeit der Beamten des Bundes (lediglich) ein einheitliches Regelwerk zur Arbeitszeit schaffen, ohne dass sich Anhaltspunkte dafür ergeben, er habe § 5 Abs. 1 AZV a. F. eine anspruchsbegründende Wirkung geben wollen (vgl. Entwurf einer Verordnung zur Neuordnung der Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes und zur Änderung anderer Verordnungen, Begründung S. 1, 7).

Darüber hinaus erfasst die in § 5 Abs. 1 AZV a. F. geregelte "Anrechnung" das Begehren des Klägers nicht. Denn nach Ablauf der Bezugszeiträume ist die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit des Klägers nicht mehr möglich. Die Vorschrift regelt indes nicht, wie im Fall der fehlerhaften Nichtanrechnung zu verfahren ist. Der vom Kläger begehrte Ausgleich für geleistete Arbeitszeit im Umfang der benannten Ruhepausen kann daher nur auf einen Sekundäranspruch gestützt sein. Mögliche Rechtsgrundlage hierfür ist der in der Senatsrechtsprechung für Pflichtverletzungen des Dienstherrn anerkannte beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 Rn. 19).

b) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeit hält auch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil sie auf einem nicht richtlinienkonformen Verständnis der Art. 2 Nr. 1 und 2 sowie Art. 4 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, ABl. L 299 S. 9) beruht.

Danach ist eine "Ruhepause" als Arbeitszeit einzustufen, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeiten beschränken, die Zeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 - C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 sowie das Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage - 2 C 7.21 -).

Der vom Berufungsgericht zur Ablehnung der Pausenzeiten vom 20. August, 22. Oktober und 28. November 2013 maßgeblich herangezogene Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme während dieser Pausen eher gering gewesen sei, entspricht diesen Vorgaben nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Umstand, dass eine Inanspruchnahme während der Bereitschaftszeit im Durchschnitt nur selten vorkommt, nicht zur Einstufung als Ruhezeit führen, wenn die Wiederaufnahmefrist die private Gestaltungsmöglichkeit der Ruhepause objektiv gesehen ganz erheblich einzuschränken vermag (EuGH, Urteile vom 9. September 2021 - C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 Rn. 40 und vom 9. März 2021 - C-344/19 - Rn. 54).

2. Das bezogen auf die am 20. August, 22. Oktober sowie 28. November 2013 gewährten Pausenzeiten abweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dem Kläger ist auf der Grundlage des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs weiterer Freizeitausgleich im Umfang von 105 Minuten zu gewähren.

Der auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gestützte beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch setzt als Billigkeitsanspruch eine rechtswidrige Inanspruchnahme des Beamten über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus voraus (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38, vom 29. September 2011 - 2 C 32.10 - BVerwGE 140, 351 Rn. 8, vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 26 und vom 17. Februar 2022 - 2 C 5.21 - juris Rn. 23). Dies ist der Fall, wenn der Dienstherr einen Beamten auf der Grundlage einer rechtswidrig zu hoch festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit zum Dienst heranzieht oder ihn über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch nimmt, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind.

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Pausenzeiten am 20. August, 22. Oktober sowie 28. November 2013 erfüllt.

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese Pausenzeiten als Arbeitszeit zu bewerten.

Die einem Beamten während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause ist als "Arbeitszeit" im Sinne dieser Bestimmung einzustufen, wenn sich aus einer Würdigung der Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 - C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy - NZA 2021, 1395 Rn. 43).

Der Kläger unterlag im Rahmen der ihm am 20. August, 22. Oktober und 28. November 2013 gewährten Pausenzeiten objektiv gesehen ganz erheblichen Beschränkungen. Aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass sämtliche Pausen dadurch gekennzeichnet waren, dass der Kläger Einsatzkleidung (teilweise besondere Schutzbekleidung sowie Helm) trug, Dienstwaffe und Dienstfahrzeug mitführte und seine ständige Erreichbarkeit sicherstellen musste.

Zwar ist in der Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug für sich genommen keine Einschränkung von solcher Art zu sehen, die objektiv gesehen ganz erheblich die Möglichkeit des Klägers beschränkt hat, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen wurden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. Denn mit einer Ruhepause von 30 bis 45 Minuten - zudem an einem Einsatzort außerhalb der Dienststelle - geht unvermeidlich einher, dass sich die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung vor dem Hintergrund der absehbaren Wiederaufnahme des Dienstes anders darstellen als bei Ruhezeiten nach Beendigung der Arbeit.

Hingegen unterwarf die den Kläger zusätzlich treffende Verpflichtung, während der gewährten Pausenzeiten seine ständige Erreichbarkeit sicherzustellen, seine freie Pausengestaltung objektiv gesehen ganz erheblichen Einschränkungen, die dem mit der Gewährung einer Ruhepause verfolgten Erholungszweck zuwiderläuft und den Betroffenen aufgrund der Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen in eine "Daueralarmbereitschaft" versetzt. Dies gilt jedenfalls bei Maßnahmen der unmittelbaren präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr, bei denen es in der Sachgesetzlichkeit der übertragenen Aufgabe liegt, dass die dienstliche Tätigkeit alsbald bzw. unverzüglich wieder aufzunehmen ist und ihr folglich ein Gepräge des "Sich-Bereit-Haltens" innewohnt.

Die den Kläger treffenden ganz erheblichen Einschränkungen sind auch nicht dadurch aufgewogen worden, dass er sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht an einem vom Dienstherrn (explizit) bestimmten Ort bereitzuhalten hatte. Denn dieser war durch die Festlegung des Einsatzortes seitens des Dienstherrn, die Verpflichtung zur Sicherstellung der ständigen Erreichbarkeit sowie aufgrund der kurzen Dauer der Ruhezeit in tatsächlicher Hinsicht räumlich eng umrissen und somit nicht frei wählbar.

b) Bei Berücksichtigung dieser Zeiten ist der Kläger über die festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen worden.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AZV a. F. betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, die der Kläger innerhalb von zwölf Monaten durchschnittlich zu erbringen hatte (vgl. § 2 Nr. 1 AZV a. F.), 41 Stunden.

Die dienstliche Inanspruchnahme des Klägers ging im Jahr 2013 über diese Arbeitszeit hinaus. Dies kann ohne Weiteres den in der Verwaltungsakte befindlichen monatsweisen Stundenabrechnungen entnommen werden und ist in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten auch nicht bestritten worden. Der Senat ist daher nicht gehindert, die dahingehenden tatsächlichen Feststellungen im Revisionsverfahren zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 3 C 2.19 - VRS 139, 94 Rn. 68).

c) Der Kläger hat seine Ansprüche auch zeitnah, nämlich durch Schreiben vom 28. Juli 2013, geltend gemacht.

Zwar hat der Kläger darin ausdrücklich nur "rückwirkend" um eine Neubewertung der Pausenzeiten gebeten. Die Vorinstanzen haben dem Schreiben aber nicht nur einen auf die Vergangenheit bezogenen Erklärungsinhalt beigemessen und es - im Hinblick auf das zum Ausdruck kommende generelle Begehren, Pausen unter Bereithaltung als Arbeitszeit anerkannt zu bekommen - auch als Geltendmachung für die Zukunft gewertet. Diese Würdigung entspricht den auch im öffentlichen Recht heranzuziehenden Auslegungsgrundsätzen des § 133 BGB und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

3. Soweit das Berufungsurteil einen Anspruch des Klägers für den Zeitraum bis Ende Juli 2013 wegen der fehlenden vorherigen Geltendmachung verneint hat, erweist sich die Entscheidung als im Ergebnis (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO) richtig. Zwar wäre der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung auf den vom Berufungsgericht herangezogenen gesetzlichen Anspruch aus § 5 Abs. 1 AZV a. F. nicht anwendbar; für die allein in Betracht kommenden Ansprüche aus dem beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch indes ist er anwendbar (a). Unionsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht (b).

a) Besoldungsansprüche von Beamten und Soldaten ergeben sich unmittelbar aus Gesetz (§ 2 Abs. 1 BBesG), eines Antrags bedarf es daher nicht (BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 2 C 26.14 - Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 26). Dies gälte auch, wenn die vom Berufungsgericht herangezogene Regelung aus § 5 Abs. 1 AZV a. F. als gesetzliche Anspruchsgrundlage dienen würde.

Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, bedürfen dagegen einer vorherigen Geltendmachung (BVerfG, Beschluss vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 - BVerfGE 81, 363 <384 f.>; BVerwG, Urteile vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 27 und vom 29. September 2011 - 2 C 32.10 - BVerwGE 140, 351 Rn. 19 und vom 17. Februar 2022 - 2 C 5.21 - juris Rn. 24). Denn hier ist eine vorgängige Entscheidung über Grund und Höhe der begehrten Zahlung erforderlich. Für Ansprüche wegen rechtswidriger Zuvielarbeit gilt dies in besonderer Weise. Diese sind nicht primär auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs gerichtet, sondern auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Für den Beamten folgt aus der beamtenrechtlichen Treuepflicht die Obliegenheit, seinen Dienstherrn mit einem auf eine solche Behauptung gestützten Anspruch alsbald zu konfrontieren, um ihm die Möglichkeit zu geben zu reagieren (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 2008 - 2 C 16.07 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 101 Rn. 21 und vom 17. Februar 2022 - 2 C 5.21 - juris Rn. 24). Dadurch ist zunächst eine Prüfung seines Dienstherrn veranlasst, ob eine Änderung der Arbeitszeitgestaltung erforderlich ist und ob eine rechtswidrige Zuvielarbeit - etwa durch Anpassung der maßgeblichen Dienstpläne - vermieden oder durch die Gewährung von Freizeitausgleich kompensiert werden kann. Auch hinsichtlich der möglichen finanziellen Ausgleichspflicht hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit unvorhersehbaren Zahlungsbegehren konfrontiert zu werden (BVerwG, Urteile vom 21. September 2006 - 2 C 5.06 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 38 Rn. 15 und vom 17. Februar 2022 - 2 C 5.21 - juris Rn. 24).

Der Beamte wird durch das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs gegenüber seinem Dienstherrn nicht unzumutbar belastet. Denn an die Rüge des Berechtigten sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn sich aus der schriftlichen Äußerung ergibt, dass der Beamte mit der jeweiligen Situation - hier dem Umfang der Arbeitszeit - nicht einverstanden ist. Weder ist ein Antrag im rechtstechnischen Sinne erforderlich noch muss Freizeitausgleich, hilfsweise finanzieller Ausgleich, beantragt oder der finanzielle Ausgleich konkret berechnet werden. Der Beamte kann dem Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung in jeder beliebigen Textform gerecht werden, etwa auch per E-Mail (BVerwG, Urteile vom 27. Mai 2010 - 2 C 33.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 117 Rn. 15, vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 Rn. 27, vom 17. September 2015 - 2 C 26.14 - Buchholz 232.0 § 87 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 29, vom 19. April 2018 - 2 C 40.17 - BVerwGE 161, 377 Rn. 29 und vom 17. Februar 2022 - 2 C 5.21 - juris Rn. 25).

b) Unionsrechtlich begründete Zweifel hieran bestehen nicht.

Dies folgt bereits daraus, dass der streitgegenständliche Anspruch nicht auf eine Überschreitung der unionsrechtlich geregelten Höchstarbeitszeit aus Art. 6 Buchst. b der RL 2003/88/EG von durchschnittlich 48 Stunden pro Siebentageszeitraum zurückgeht, sondern seinen Rechtsgrund allein in einer Überschreitung der national angeordneten durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit - von hier 41 Stunden - findet.

Unabhängig hiervon begegnet der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung auch keinen unionsrechtlichen Bedenken.

Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union für die Verpflichtung auf Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit aus Art. 6 Buchst. b der RL 2003/88/EG im Urteil vom 25. November 2010 (- C-429/09, Fuß - Rn. 86) ausgeführt, dass einem Arbeitnehmer, dem - wie demjenigen des dortigen Ausgangsverfahrens - durch den Verstoß seines Arbeitgebers ein Schaden entstanden ist, nicht zugemutet werden kann, zuvor einen Antrag bei diesem Arbeitgeber zu stellen, um einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens geltend zu machen. Denn die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zuvor die Einhaltung dieser Bestimmungen beantragt hat. Diese Ausführungen waren indes auf den dortigen Fall bezogen, in dem bereits die Einforderung der Rechte unmittelbar Nachteile auf das Arbeitsverhältnis bewirkt hat. Denn der Arbeitgeber des dortigen Ausgangsverfahrens hatte vorab angekündigt und nachfolgend auch ins Werk gesetzt, jeden Arbeitnehmer, der die Einhaltung seiner Rechte geltend mache, in eine andere Dienststelle umzusetzen. In einer derartigen Situation, in der mit der Geltendmachung der bestehenden Rechte eine Sanktion des Arbeitgebers verbunden ist, verstößt es gegen den Effektivitätsgrundsatz, nachträgliche Schadensersatzforderungen von einem vorherigen Antrag abhängig zu machen.

Abgesehen von dieser Sondersituation ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung für Ansprüche von Beamten auf Geldleistungen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, weder gegen den Äquivalenzgrundsatz noch gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt (EuGH, Urteile vom 19. Juni 2014 - C-501/12 u. a., Specht - Rn. 115 und vom 9. September 2015 - C-20/13, Unland - Rn. 72). Es ist vielmehr Sache der Mitgliedstaaten, für nationale Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, Fristen festzulegen, die insbesondere der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprechen (EuGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - C-246/09, Bulicke - Rn. 36 m. w. N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.



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