Arbeitsgericht Frankfurt

Urteil vom - Az: 15 Ca 1744/16

Wiederholte Bestellung eines "Negerkusses" als Kündigungsgrund

Äußert ein Mitarbeiter in der Betriebskantine gegenüber einer Bedienung, welche aus Kamerun stammt, als Bestellungswunsch wiederholt einen "Negerkuss" und - darauf angesprochen - er sei Rassist und stehe dazu, so stellt dies einen außerordentlichen Kündungsgrund dar.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.02.2016 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Deputy Finance Director Business Development and Transformation Manager weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 31.954,44 ,EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen  außerordentlichen,  hilfsweise  ordentlichen  Kündigung  des  Arbeitsverhältnisses.

Der bei Klageeingang 44-jährige, ledige Kläger ist seit September 2005 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 26. Juli 2005 (BI. 10 if. d. A.) als Deputy Finance  Director  Business  Development  and  Transformation  Manager  bei  der Beklagten   zu   einem   durchschnittlichen  Bruttomonatsgehalt  von  zuletzt  € 7.988,60 beschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist vorhanden.

Bei der Beklagten gilt ein „Code of Conduct". In diesem ist die unternehmensinterne Werteordnung   der   Beklagten   festgehalten.   Ein   diskriminierendes Verhalten    wird    den    Mitarbeitern    untersagt.    Die    Mitarbeiter    bestätigen halbjährlich  ausdrücklich im dokumentierten Mitarbeitergespräch den „Code of Conduct" gelesen und verstanden zu haben.

Die  Beklagte  sprach  gegenüber  dem  Kläger  während  des  Bestandes  des  Arbeitsverhältnisses keine Abmahnung oder Ermahnung aus.

Von  den  Mitarbeitern  der  Beklagten  wird  überwiegend  in  den  Pausenzeiten eine Kaffeebar namens „Cooks Corner" genutzt. Diese Kaffeebar wird nicht von der Beklagten selbst, sondern von einem Caterer, der Firma A, betrieben. Diese  Firma  beschäftigt  in  der  Kaffeebar  u.  a.  eine  Mitarbeiterin  namens  Frau B, die gebürtig aus Kamerun stammt.

Der Kläger suchte am 12. Februar 2016 in seiner Pause die genannte Kaffeebar auf. Zu dieser Zeit war Frau B dort tätig. Nach Angaben der Beklagten soll der Kläger bei Frau B einen Schaumkuss, den er als „Negerkuss" bezeichnete, bestellt haben. Daraufhin soll der Kläger nach Angaben der Beklagten von einem Mitarbeiter der Beklagten, der in der Schlange vor der Kasse , anstand, darauf angesprochen worden sein, dass er die Verwendung des Wortes „Negerkuss" für nicht politisch korrekt halte; Der gesamte Vorfall am 12. Februar 2016 in der Kaffeebar sowie insbesondere die Reaktion des Klägers auf die Bemerkung des Kollegen sind zwischen den Parteien streitig.

Der  Betriebsleiter  der  Firma A richtete  am  15.  Februar  2016  anlässlich  des Vorfalls vom 12. Februar 2016 eine E-Mail an den Kantinenausschuss des Betriebsrates der Beklagten. Darin erklärte er, dass der Kläger mehrfach Anspielungen  auf  die  Hautfarbe  der  Frau B gemacht  haben  soll.  Bezüglich  des

genauen Inhalts der E-Mail vom 15. Februar 2016 wird Bezug genommen auf Anlage B 3 bzw. auf BI. 83 f. d. A.

Der Betriebsrat  informierte  den  HR  Director  der  Beklagten  am  19.  Februar 2016 über die E-Mail der Firma A.

Am  23.  Februar  2016  holte  die  Beklagte  eine  Stellungnahme  von  Frau B ein und  befragte  an  demselben  Tag  den  Kläger  durch  zwei  Mitarbeiter,  Herrn C und Herrn Dr. D, zu dem genannten Vorgang und bat ihn um Stellungnahme.

Mit E-Mail vorn 23. Februar 2016 äußerte sich der Kläger im Anschluss an das vorgenannte  Gespräch  nochmals  gegenüber  Herrn C,  Herrn  Dr. D und  einem Betriebsratsmitglied. In der E-Mail heißt es u.a.

»(•-•) Ich  möchte  mich  an  dieser  Stelle  ausdrücklich  von  allen  rassistischen Absichten in jeglicher Form distanzieren. Ich bin kein Rassist.

Selbstverständlich  ist  es  für  mich,  dass  ich  mich  bei  jeder  Person  entschuldige, die ich unabsichtlich persönlich verletzt habe.

Bezüglich  des  weiteren  Inhalts  der  E-Mail  vom  23.  Februar  2016  wird  Bezug genommen auf Anlage K 3 bzw. auf Bl. 165 d. A.

Mit  Anhörungsschreiben  vom  25.  Februar  2016  hörte  die  Beklagte  den  Betriebsrat  zur  beabsichtigten  außerordentlichen,  hilfsweise  ordentlichen  Kündigung des Klägers an. Bezüglich des genauen Inhalts des Anhörungsschreibens wird Bezug genommen auf Anlage B 2 bzw. auf Bl. 54 if. d. A.

Der  Betriebsrat  stimmte  der  beabsichtigten  Kündigung  des  Klägers  unter  dem 29. Februar 2016 zu. Insoweit wird auf Bl. 82 d. A. Bezug genommen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 29. Februar 2016 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016. Bezüglich des genauen Inhalts des Kündigungsschreibens wird Bezug genommen auf Anlage K 2 bzw. auf Bl. 27 d. A.

Der  Kläger  hat  gegen  die  Kündigung  vom  29.  Februar  2016  mit  seiner  Klageschrift vom 11. März 2016, bei Gericht eingegangen an demselben Tag und der Beklagten zugestellt am 22. März 2016, Kündigungsschutzklage erhoben.

Der Kläger ist der Auffassung, sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die  hilfsweise  ausgesprochene  ordentliche  Kündigung  seien  unwirksam.  Dies stützt  er  insbesondere  auf  die  nachfolgenden  Ausführungen:  Er  behauptet,  er könne sich zwar an den Vorfall vom 12. Februar 2016 konkret nicht erinnern. Er räumt  aber  ein,  dass  er  bei  der  Bestellung  eines  Schaumkusses  üblicherweise „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" den Begriff „Negerkuss" oder „Mohrenkopf" verwende, bei denen es sich um wertfreie Produktbezeichnungen  handele,  die  er  seit  seiner Kindheit,  ohne  auch  nur  den  Ansatz eines rassistischen Hintergrundes, benutze. Er könne nicht ausschließen, dass er auf den Hinweis eines Kollegen, dass die Bezeichnung „Negerkuss" rassistisch sei, etwas genervt und flapsig geantwortet habe, dass er dazu stehe. Dies habe er jedoch nicht ernst gemeint. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe hingegen geäußert, Rassist zu sein und hierzu zu stehen, so sei dies unzutreffend. Der Kläger behauptet weiter, er habe die Produktbezeichnung „Negerkuss" bis zum 23. Februar 2016 bei jeder Bestellung — unabhängig davon, wer  ihn  bedient  habe — verwendet  und  keine  Anspielungen  auf  die  Hautfarbe von  Frau B getätigt.  Hätte  ihn  Frau B tatsächlich  gebeten,  eine  andere Produktbezeichnung zu wählen, so hätte er sicherlich Rücksicht genommen, da es ihm fernliege, irgendjemanden zu beleidigen. Soweit die Beklagte nachträglich schriftsätzlich behauptet habe, der Kläger solle am 12. Februar 2016 direkt an Frau B gerichtet gesagt haben, er sei Rassist und hierbei nochmals leise das Wort „Neger" geflüstert haben, treffe dies nicht zu. Hierauf und auch auf eine im Nachhinein  behauptete  Verletzung  des  Code  of  Conduct  durch  den  Kläger könne die Beklagte die Kündigung im Übrigen schon deshalb nicht stützen, weil sich  die  Betriebsratsanhörung — was  insoweit  unstreitig  ist — hierauf  nicht beziehe.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 29.02.2016 nicht aufgelöst worden ist;

2. die  Beklagte  zu  verurteilen,  den  Kläger  bis  zum  rechtskräftigen  Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Deputy Finance Director Business Development and Transformation Manager weiter zu beschäftigen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die streitgegenständlichen Kündigungen seien wegen des systematischen rassistischen und sexistischen Verhaltens des Klägers gerechtfertigt. Dies stützt sie insbesondere auf die nachfolgenden Ausführungen: Sie behauptet, der Kläger habe am 12. Februar 2016 bei Frau B einen Schaumkuss  als  „Negerkuss"  bestellt,  hierauf  angesprochen  habe  er gegenüber  einem  Kollegen  erklärt,  er  sei  Rassist  und  stehe  dazu,  anschließend habe  er  ausdrücklich  gegenüber  Frau B wiederholt,  er  sei  Rassist  und  stehe dazu und sehr leise das Wort „Neger" hinzugefügt. Die Beklagte behauptet weiter,  Frau B habe  sich  seit  etwa  fünf  Monaten  von  dem  Kläger  durch  die Verwendung des Begriffes „Negerkuss" gestört gefühlt und ihn erfolglos darum gebeten,  einen  anderen  Begriff  zu  benutzen.  Zudem  habe  sich  Frau B im Anschluss  an  den  Vorfall  vom  12.  Februar  2016  nicht  mehr  in  der Lage  gesehen,  den  Kläger  zu  bedienen.  Der  Kläger  habe  bei  anderen  Mitarbeitern  stets einen „Schaumkuss" oder „Dickmann" bestellt. Die Beklagte behauptet weiter, der Kläger habe den Begriff „Negerkuss" systematisch, wiederholt und zielgerichtet  benutzt, sich  gegenüber  Frau B diskriminierend  geäußert  und  ein wiederholtes  und  zielgerichtetes  Verhalten  an  den  Tag  gelegt.  Darüber  hinaus habe  der  Kläger  durch  sein  Verhalten  gegen  den  Code  of  Conduct  verstoßen, worin eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liege. In  Ergänzung  des  Sach- und  Streitstandes,  der  Beweisanträge  sowie  der Rechtsausführungen  der  Parteien  wird  Bezug  genommen  auf  das  weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften, soweit dies noch nicht ausdrücklich geschehen ist.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist begründet. Der Kläger obsiegt mit seinem Kündigungsschutzantrag (siehe 1.) und mit seinem Weiterbeschäftigungsantrag (siehe 2.).

1.     Weder     die     außerordentliche     Kündigung     noch     die     hilfsweise ausgesprochene  ordentliche  Kündigung  vom  29.  Februar  2016  beendet  das Arbeitsverhältnis der Parteien.

a. Die außerordentliche Kündigung vom 29. Februar 2016 ist gemessen an § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

Sie  gilt  nicht  gemäß  §  7  KSchG  als  wirksam.  Die  Klagefrist  ist  gemäß  §§  4 Satz  1,  13  Satz  2  KSchG  gewahrt.  Die  gegen  die  Kündigung  gerichtete Klage Ist bei Gericht am 11. März 2016 eingegangen und der Beklagten am 22.  März  2016,  mithin  demnächst  (§  167  ZPO)  und  fristgerecht  zugestellt worden.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung  einer  Kündigungsfrist  gekündigt  werden,  wenn  Tatsachen  vorliegen, auf  Grund  derer  dem Kündigenden  unter  Berücksichtigung  aller  Umstände  des Einzelfalls   und   unter   Abwägung   der   Interessen   beider   Vertragsteile   die Fortsetzung  des  Arbeitsverhältnisses  selbst  bis  zum  Ablauf  der  Kündigungsfrist nicht  zugemutet  werden  kann.  Dabei  ist  zunächst  zu prüfen, ob  der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich", d.h. typischerweise als wichtiger Grund  geeignet  ist.  Alsdann  bedarf  es  der  Prüfung,  ob  dem  Kündigenden  die Fortsetzung   des   Arbeitsverhältnisses   unter   Berücksichtigung   der   konkreten Umstände des Falls — jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist — zumutbar  ist  oder  nicht  (BAG  21.  11.  2013 — 2  AZR  797/11 TAP BGB  §  626  Verdacht strafbarer  Handlung  Nr:  53).  Als  wichtiger  Grund  kann  neben  der  Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten an sich" geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten  zählt  insbesondere  die  Pflicht  der  Arbeitsvertragsparteien  zur Rücksichtnahme  auf  die  berechtigten  Interessen  des  jeweils  anderen  Teils  (§ 241  Abs.  2  BGB).  Danach hat  der  Arbeitnehmer  seine  Arbeitspflichten  so  zu erfüllen  und  die  im  Zusammenhang  mit  dem  Arbeitsverhältnis  stehenden  Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner  Stellung  und  Tätigkeit  im  Betrieb,  seiner  eigenen  Interessen  und  der Interessen  der  anderen  Arbeitnehmer  des  Betriebs  nach  Treu  und  Glauben verlangt  werden  kann  (BAG  18.  12.  2014 — 2  AZR  265/14 — NZA  2015,  797).

Ein  diskriminierendes und  rassistisches Verhalten  eines  Arbeitnehmers  vermag grundsätzlich eine  außerordentliche  Kündigung  zu  rechtfertigen  (vgl.  BAG  1.  7. 1999 — 2 AZR 676/98 — NZA 1999, 1270).

Die Beklagte stützt die streitgegenständliche Kündigung — im Wesentlichen — darauf,  dass  der  Kläger  Frau B systematisch,  zuletzt  insbesondere  am  12. Februar 2016 durch die Bestellung eines „Negerkuss", diskriminiert und sich rassistisch und sexistisch verhalten haben soll.

Soweit die Beklagte in Bezug auf die vorgeworfene Pflichtverletzung behauptet, der  Kläger  hätte  ein  systematisches  diskriminierendes  Verhalten  gegenüber Frau B gezeigt, ist festzuhalten, dass die Kammer den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten nicht für hinreichend substantiiert erachtet. Es ist nicht ersichtlich, wann,  wo  und  durch  welches  konkrete  Verhalten  der  Kläger  Frau B wiederholt beleidigt  und  diskriminiert  haben  soll.  Ein  entsprechender  Vortrag  wäre  jedoch zwingend  notwendig  gewesen,  um  ein  systematisches  diskriminierendes  und rassistisches Verhalten darzulegen.

Soweit  die  Beklagte  überdies  in  ihrem  letzten  Schriftsatz  behauptet,  der  Kläger habe — neben der Bestellung des „Negerkuss" — zusätzlich  direkt  an  Frau B gerichtet  erklärt,  er  sei  Rassist  und  stehe  dazu,  und  habe  zudem  ebenfalls  an Frau B gerichtet „Neger" geflüstert, so ist die Beklagte mit diesem Vortrag zur  Begründung  der  Kündigung  ausgeschlossen,  weil  sich  die  Anhörung  des Betriebsrats gerade nicht auf diese Umstände erstreckt.

Legt man den sodann „verbleibenden" Vorwurf der Beklagten zugrunde, nämlich — vereinfacht  ausgedrückt — die  wiederholte  und  von  Frau B beanstandete Bestellung eines „Negerkuss" und die auf die Bemerkung eines Kollegen hin ergangene Erklärung, Rassist zu sein und dazu zu stehen, ist festzuhalten, dass das Verhalten des Klägers als rassistisch zu werten ist und von einer Pflichtverletzung   (§   241   Abs.   2   BGB),   die   dem   Grunde   nach   eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, auszugehen ist.

Die  Kammer  erachtet  die  Kündigung  jedoch  wegen eines  Verstoßes  gegen den  Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  für  unwirksam.  Gegenüber  dem  Kläger wurde   keine   Abmahnung   ausgesprochen   und   damit   der   Ultima-ratio-Grundsatz verletzt.

Eine   Abwägung   der   widerstreitenden   Interessen   des   Klägers   und   der Beklagten,    welche    im    Rahmen    der    außerordentlichen    Kündigung anzustellen   ist,   ergibt,   dass   gegenüber   dem   Kläger   zunächst   eine Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen.

Die   außerordentliche   Kündigung   kann   nur   auf   solche   Gründe   gestützt werden,   die   sich   zukünftig   konkret   nachteilig   auf   das   Arbeitsverhältnis auswirken würden (KR/Fischermeier 10. Aufl. BGB § 626 Rn. 110). Dabei ist zu   berücksichtigen,   dass   auch   in   Zukunft   mit   weiteren   gleichartigen Vertragspflichtverletzungen  des  Arbeitnehmers  zu  rechnen  sein  muss,  weil die außerordentliche Kündigung keine Sanktion des Arbeitgebers wegen des vertragswidrigen  Verhaltens  des  Arbeitnehmers  darstellt,  sondern  für  die Zukunft  die  Gefahr  eines  weiteren  derartigen  Verhaltens  ausschließen  soll.

Eine  außerordentliche  Kündigung als  schärfste  Sanktion  im  Arbeitsrecht  ist nur  dann  gerechtfertigt,  wenn  sie  unausweichlich  die  letzte  Maßnahme (Ultima-ratio) für den Kündigungsberechtigten ist,  wobei  ggf.  zuvor  vergeblich  von  dem  Mittel  der Abmahnung  Gebrauch  gemacht  werden  muss  (vgl.  BAG  19.4.  2012 — 2  AZR  258/11 — NZA-RR  2012, 567; KRIFischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 251, 252).

Im Streitfall geht die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände  des  Einzelfalls  zu Gunsten  des  Klägers  aus.  Dies  gilt  unabhängig davon, dass die Verwendung des Begriffs „Negerkuss" als politisch inkorrekt zu erachten und damit nicht hinzunehmen ist.

Das  Interesse  des  Klägers  an  der  Fortsetzung  des  Arbeitsverhältnisses  überwiegt  im  Ergebnis  das  Interesse  der  Beklagten  an  der  sofortigen  Beendigung des  Arbeitsverhältnisses.  Die  Beklagte  hätte  den  Kläger  zunächst  abmahnen müssen.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist  zu  Gunsten des Klägers festzuhalten, dass  das  Arbeitsverhältnis  mit  der  Beklagten  seit  über 10  Jahren  besteht  und durchweg beanstandungsfrei verlaufen ist. Dem Kläger wurden unstreitig weder Abmahnungen  noch  Ermahnungen  ausgesprochen.  Es  kam  zu  keinen  Beanstandungen hinsichtlich seines Verhaltens, insbesondere nicht in dem internationalen  Umfeld,  in  welchem  die  Beklagte  und  damit  auch  der  Kläger  in  seiner Position  tätig  sind.  Wie  bereits  zuvor  erläutert,  erachtet  die  Kammer  das  dem Kläger  vorgeworfene  Fehlverhalten  nicht  als  derart  schwerwiegenden  Pflichtverstoß,  dass  angesichts  der  vorgenannten  Umstände  auf  eine  vorherige  Abmahnung hätte verzichtet werden dürfen.

Eine  Abmahnung  des  Klägers  ist  im  Streitfall  auch  nicht  entbehrlich.  Das  dem Kläger  letztlich  vorgeworfene  Fehlverhalten  ist  angesichts  der  vorstehenden Erwägungen und der Umstände im Einzelfall nicht als derart schwerwiegend zu bewerten,  dass  seine  Rechtswidrigkeit  dem  Kläger  ohne  weiteres  erkennbar war  und  bei  dem  er  von  vorneherein  nicht  mit  einer  Hinnahme  durch  den  Arbeitgeber habe rechnen dürfen. Dies gilt wiederum unabhängig davon, dass es sich bei dem Begriff „Negerkuss" um eine politisch inkorrekte, nicht hinzunehmende Produktbezeichnung handelt. Die Abmahnung ist im Streitfall aber auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sie nicht erfolgversprechend gewesen wäre.

Nach  Auffassung  der  Kammer  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  Kläger angesichts einer konkreten Abmahnung und der hiermit verbundenen Warnung vor  dem  Verlust  seines  Arbeitsplatzes  im  Wiederholungsfalle  sein  Verhalten überdenken  und  entsprechend  der  Vorstellung  der  Beklagten  ändern  würde.

Dafür  dass  eine  Abmahnung  wohl  erfolgversprechend  gewesen  wäre,  spricht nach Auffassung der Kammer im Übrigen auch das vom Kläger gezeigte „Nachtatverhalten". Ein solches kann sich im Einzelfall im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken (vgl. BAG 20. 11. 2014 — 2 AZR  651/13 — NZA  2015,  294).  Der  Kläger  äußerte  sich  zum  einen  nochmals klarstellend nach seiner Anhörung am 23. Februar 2016 in einer E-Mail gegenüber  der  Beklagten,  dass  er  niemanden beleidigen  wollte  und  kein  Rassist  sei. Darüber hinaus stellte er auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klar, dass er weder rassistisch, noch beleidigend agieren wollte.

b.  Die hilfsweise  ausgesprochene  ordentliche  verhaltensbedingte  Kündigung ist unwirksam, da sie nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

Sie gilt nicht gemäß § 7 KSchG als wirksam. Die Klagefrist ist nach § 4 Satz 1 KSchG gewahrt. Die gegen die Kündigung gerichtete Klage ist bei Gericht am 11. März 2016 eingegangen und der Beklagten am 22. März 2016, mithin demnächst (§ 167 ZPO) und fristgerecht zugestellt worden.

Das  Kündigungsschutzgesetz  findet  gemäß  §§  1,23  KSchG  Anwendung,  da die Beklagte regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt und der Kläger länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt ist.

Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine  vertraglichen  Haupt- oder  Nebenpflichten  erheblich  und  in  der  Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft  nicht  mehr  zu erwarten  steht.  Auch  eine  erhebliche  Verletzung  der  den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf  die  Interessen  des  Arbeitgebers  kann  eine  Kündigung  rechtfertigen  (BAG 19.11. 2015 — 2 AZR 217/15 — NZA 2016, 540). Ein diskriminierendes und rassistisches  Verhalten  eines  Arbeitnehmers  vermag  grundsätzlich  eine  ordentliche  verhaltensbedingte  Kündigung  zu  rechtfertigen  (vgl.  z.B.  LAG  Schleswig-Holstein 6. 8. 2002 — 2 Sa 150/02 — NZA-RR 2004, 351).

Die  Kammer  bezieht  sich  auf  die  vorstehenden  Erwägungen  zu  der  außerordentlichen Kündigung und hält auch in Bezug auf die hilfsweise ausgesprochene  ordentliche  verhaltensbedingte.  Kündigung  fest,  dass  bei  Unterstellen  des „verbleibenden" Vorwurfs der Beklagten von einer Pflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 BGB), die eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann, auszugehen ist.

Die  Kammer  erachtet  jedoch  auch  die  ordentliche  verhaltensbedingte  Kündigung  wegen  eines  Verstoßes  gegen  den  Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für unwirksam.  Gegenüber  dem  Kläger  wurde  eine  nach  Auffassung  der  Kammer notwendige  vorherige  Abmahnung  nicht  ausgesprochen, weshalb  der  Ultima-Ratio - Grundsatz verletzt wurde.

Auch bei einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung ist eine Interessenabwägung  durchzuführen.  Im  Rahmen  derselben  ist  das  Prognoseprinzip  zu beachten.  Zweck  der  Kündigung  ist  wiederum  nicht  eine  Sanktion  für  eine  begangene  Vertragspflichtverletzung,  sondern  die  Vermeidung  des  Risikos  weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb  noch  in  der  Zukunft  belastend  auswirken  (BAG  12.  1.  2006 — 2  AZR 179/05 — AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54). Eine negative Prognose ist zu stellen, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag — auch nach einer Kündigungsandrohung — erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer seie vertraglichen Pflichten so muss regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Die Abmahnung ist insoweit notwendiger Bestandteil des Prognoseprinzips (BAG 31. 5. 2007 — 2 AZR 200/06 — AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 m. w. N.). Eine Abmahnung, ist  — wie  zuvor erläutert  — nur in Ausnahmefällen entbehrlich (vgl. BAG 19. 4. 2012  — 2 AZR 258/11 — NZA - RR 2012, 567; KE31Griebeling KSchG § 1 Rn. 402).

Nach  Auffassung  der  Kammer  überwiegt  das  Interesse  des  Klägers  an  der Fortsetzung  des  Arbeitsverhältnisses  auch  über  den  Ablauf  der  Kündigungsfrist hinaus das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die  Beklagte  hätte  den  Kläger — wie  bereits  im  Rahmen  der Erwägungen  zur außerordentlichen Kündigung erläutert — zunächst abmahnen müssen.

Aus den genannten Gründen ist die Kündigung, sowohl in ihrer außerordentlichen,  als  auch  in  ihrer  ordentlichen  Gestalt; nach  Durchführung  einer  Interessenabwägung  als  unverhältnismäßig  zu  erachten.  Die  Beklagte  wäre  in  ihrer Position  als  Arbeitgeberin  dazu  verpflichtet,  den  Kläger  angesichts  des  über zehnjährigen beanstandungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses zunächst abzumahnen und ihm damit die Chance zu geben, sein Verhalten zu überdenken  und  zu  ändern.  Dies  gilt  insbesondere  auch  vor  dem  Hintergrund,  dass dem Kläger letztlich ein außerdienstliches Verhalten vorgeworfen wird.

2.  Der  Weiterbeschäftigungsantrag  ist  begründet.  Der  Kläger  hat  einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Position als Deputy Finance Director  Business  Development  und  Transformation  Manager  aus  §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB.

Aus der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts folgt, dass der Arbeitnehmer nach Erlass eines der Kündigungsschutzklage  stattgebenden  Urteils  auf  den  entsprechenden  Antrag  hin zu  unveränderten  Bedingungen  weiterzubeschäftigen  ist.  Nach Obsiegen  des Arbeitnehmers  im  Kündigungsschutzverfahren  überwiegt  in  aller  Regel  das Interesse an einer Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens  das  Interesse  des  Arbeitgebers  an  der  Nichtbeschäftigung (BAG 27. 2. 1985 — GS 1/84 —NJW 1985, 2968).

II.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als unterlegene Partei zu tragen (§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO).

III.

Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf drei Bruttomonatsgehälter für den Kündigungsschutzantrag sowie auf ein weiteres Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag.



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