Arbeitsgericht Mainz

Urteil vom - Az: 7 Ca 168/97

Zur Konstituierung des Betriebsrates; Beweislast im Kündigungsschutzprozess

Die Anhörung des Betriebsrates zu einer Kündigung ist nur möglich, wenn ein handlungsfähiger Betriebsrat besteht. Die Handlungsfähigkeit setzt voraus, dass ein Betriebsratsvorsitzender sowie dessen Stellvertreter gewählt wurde. Der Kläger hat die Handlungsfähigkeit im Streitfall darzulegen.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 9.771,- DM festgesetzt.

Tatbestand  

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung.

Der am 08.08.1952 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1979 zunächst bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma ... dann bei der Beklagten als Kraftfahrer zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. DM 3.257,00 beschäftigt gewesen. Die Beklagte hat den Betrieb etwa Mitte Mai 1995 von der Firma ... übernommen. Die letzte Betriebsratswahl hat noch bei der Rechtsvorgängerin am 17.05.1994 stattgefunden. Das Wahlergebnis wurde am 30.05.1994 ausgehängt. Auf das Bekanntmachungsschreiben vom 30.05.1994 wird Bezug genommen (vgl. Bl. 38 d.A.). Hieraus ergibt sich, dass 60 gültige Stimmen abgegeben wurden sowie fünf Betriebsratsmitglieder (davon 1 Arbeiter und 4 Angestellte) zu wählen waren. Bei den gewählten Mitgliedern handelt es sich um die Herren ... sowie ... Es ist streitig zwischen den Parteien, ob sich nach der Wahl ein funktionsfähiger Betriebsrat gebildet hat. Mit Schreiben vom 06.12.1996 hat die Beklagte die ordentliche Kündigung zum 31.07.1997 ausgesprochen. Auf den Inhalt des Kündigungsschreibens wird Bezug genommen (vgl. Bl. 5 d.A.).

Mit Klageschrift vom 14.01.1997, eingegangen bei Gericht am 15.01.1997, wendet sich der Kläger gegen die ordentliche Kündigung. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 22.01.1997 zugestellt. 

Der Kläger trägt vor, die Kündigung sei gem. § 102 BetrVG unwirksam, weil sie ohne Anhörung des Betriebsrates erfolgt sei. Im Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten habe ein Betriebsrat existiert. Der am 17.05.1994 gewählte Betriebsrat habe sich auch konstituiert (Beweis: Zeugnis des Herrn ... etc.). Der konstituierte Betriebsrat habe auch mit dem Vorstand der ... AG nach Konstituierung und Wahl verhandelt, was sich aus dem Schreiben der ... AG gerichtet an den gewählten Betriebsrat vom 13.06.1994 (vgl. Bl. 51 d.A.) ergebe. Hierin wünschte der Vorstandsvorsitzende der ... AG, dass zukünftig auf die Mitwirkung des Betriebsrates verzichtet werde. Mehr sei jedoch nicht geschehen, schließlich habe der Betriebsrat seine Tätigkeit nicht niedergelegt. Dieser seinerzeit gewählte Betriebsrat bestehe fort.  Der Kläger hat zuletzt beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 06.12.1996 zum 31.07.1997 aufgelöst worden ist. 

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. 

Sie trägt vor, nach der Betriebsratswahl am 17.05.1994 habe sich kein funktionsfähiger Betriebsrat mehr gebildet. Auch im Zeitpunkt der Übernahme durch die Beklagte habe kein funktionsfähiger Betriebsrat existiert. So habe der Kläger weder eine konstituierende Sitzung des Betriebsrats schlüssig vorgetragen noch habe er einen Betriebsratsvorsitzenden genannt. Die Anhörungspflicht bestehe jedoch erst dann, wenn die Amtszeit des Betriebsrates begonnen habe und sich der Betriebsrat gem. § 29 Abs. 1 BetrVG gebildet habe, d.h. einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter nach § 26 BetrVG gewählt habe. Das Schreiben vom 13.06.1994 belege nicht mehr, als das nach den Betriebsratswahlen und der Bekanntmachung des Wahlergebnisses am 30.05.1994 die „... AG“ sich an die gewählten Betriebsratsmitglieder gewandt habe, mit der Bitte, auf einen Betriebsrat zu verzichten. Noch vor einer konstituierenden Sitzung hätten daraufhin sämtliche gewählte Betriebsratsmitglieder ihr Amt niedergelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle verwiesen.

 

Entscheidungsgründe  

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kündigung ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers nicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG wegen Nichtanhörung des Betriebsrates unwirksam. Gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Dieser Unwirksamkeitsgrund kann noch außerhalb der dreiwöchigen Ausschlussfrist des § 4 KSchG geltend gemacht werden. Die Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG setzt jedoch voraus, dass im Betrieb überhaupt ein handlungsfähiger Betriebsrat existiert. Dies setzt voraus, dass sich spätestens im Zeitpunkt der Kündigungserklärung gegenüber dem Arbeitnehmer ein Betriebsrat konstituiert hat, also die nach § 29 Abs. 1 S. 1 BetrVG vom Wahlvorstand einzuberufende Sitzung sowie die dort nach § 26 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorzunehmende Wahl des Vorsitzenden und dessen Stellvertreters stattgefunden hat (BAG, Urt.v. 23.08.1984, AP Nr. 36 zu § 102 BetrVG 1972). Erst durch die Konstituierung des Betriebsrats wird dessen Geschäftsführung ermöglicht. Ein Arbeitgeber kann mit einem Betriebsrat, der noch nicht handlungsfähig ist, also keine Amtsausübungsbefugnis hat, nicht verhandeln, und ihn folglich auch nicht rechtswirksam zu einer Kündigung anhören (Busemann in NZA 1986, S. 581, 583). Den Arbeitgeber trifft auch grundsätzlich keine Pflicht, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme zu warten bis sich ein Betriebsrat konstituiert hat. Die Existenz eines handlungsfähigen Betriebsrates hat der Arbeitnehmer als Voraussetzung seines betriebsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutzanspruches darzulegen und im Streitfall zu beweisen (Busemann, a.a.O.). Vorliegend hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt, dass sich bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein handlungsfähiger Betriebsrat konstituiert hat. Entsprechendes läßt sich nicht aus der lediglich pauschalen Behauptung des Klägers, der Betriebsrat habe sich bei der Firma ... konstituiert, entnehmen. Diese Behauptung stellt lediglich eine rechtliche Wertung dar.

Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Gegebenheiten, nämlich Zeitpunkt der Einberufung der konstituierenden Sitzung nach § 29 Abs. 1 S. 1 BetrVG sowie welche Person zum Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter gewählt worden ist, hat der darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht dargelegt. Mithin war das Beweisangebot des Klägers als unzulässiger Ausforschungsbeweis zurückzuweisen. Dass ein funktionsfähiger Betriebsrat bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten existiert hat, kann auch nicht dem Schreiben der ... AG „An den Betriebsrat Herren ... und ...“ vom 13.06.1994 entnommen werden. Zwar heißt es dort u.a.: „Unter diesen Umständen bitten wir um Ihr Einverständnis, dass wir ab sofort auf den Betriebsrat verzichten.“ Auch diesem Schreiben ist nicht zu entnehmen, dass eine Konstituierung des Betriebsrats stattgefunden hat. Die Konstituierung des Betriebsrates könnte sogar die ... AG durch diese Zeilen verhindert sehen wollen. Auf jeden Fall drängt sich im Hinblick darauf, dass auch in diesem Schreiben kein Betriebsratsvorsitzender benannt ist, sondern alle gewählten Mitglieder namentlich bezeichnet werden, die Vermutung auf, dass eine konstituierende Sitzung auch zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden hat. Da der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger die Existenz eines handlungsfähigen Betriebsrates nicht schlüssig dargelegt hat, konnte auch die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Nichtanhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 BetrVG nicht festgestellt werden.

Die Klage war daher abzuweisen.  



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