Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 4 SaGa 2/15

Zum einstweiligen Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung

(1.) Ein Arbeitnehmer kann von seinem Arbeitgeber nicht allein deswegen die einstweilige Beschäftigung in Vollzeit verlangen, weil aufgrund Zeitablaufs der Rechtsverlust des Beschäftigungsanspruchs droht. Aufgrund des Gebots der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechts ist vielmehr zu prüfen, ob das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers der Sicherung durch eine einstweilige Verfügung bedarf. Dies setzt ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse voraus.

(2.) Zur Begründung des besonderen Beschäftigungsinteresses für den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss der Arbeitnehmer daher darlegen und glaubhaft machen, dass er zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation oder zur Verwirklichung seines Persönlichkeitsrechts gerade auf die Beschäftigung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache angewiesen ist.

(3.) Das wirtschaftliche Interesse an der Erzielung von Lohneinkünften begründet keinen Verfügungsgrund. Ein entsprechender Beschäftigungstitel enthielte nämlich nicht zugleich eine Verurteilung zur Lohnzahlung und wäre daher ungeeignet, die wirtschaftliche Existenz der Verfügungsklägerin zu sichern.

(4.) Ein Verfügungsgrund kann auch aufgrund der offensichtlichen Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme gegeben sein. Eine offensichtliche Unwirksamkeit liegt nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Maßnahme geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage liegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn bei feststehendem Sachverhalt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit unzweifelhaft ohne jeden Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

Vorliegend kann die Klägerin vom beklagten Arbeitgeber keine Vollzeitbeschäftgung im Wege der einstweiligen Verfügung verlangen. Der Arbeitsvertrag der Parteien sieht ausdrücklich eine Beschäftigung der Verfügungsklägerin in Teilzeit (zwei Schichten pro Woche) vor. Ein Anspruch der Klägerin auf Vollzeitbeschäftigung kann sich daher nur aus einer unter Heranziehung der Entscheidung des BAG vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04 - ergebenden Unwirksamkeit der Bestimmung und einer danach erforderlichen ergänzenden Vertragsauslegung ergeben. Von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Maßnahme der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin nur noch in zwei Schichten pro Woche einzusetzen, kann daher keine Rede sein.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.03.2015, Az.: 12 Ga 11/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin begehrt von der Vergütungsbeklagten im Wege einer einstweiligen Verfügung ihre Beschäftigung auf der Grundlage einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden.

Der zwischen den Parteien unter dem 24.09.2002 geschlossene Arbeitsvertrag enthält u. a. folgende Bestimmungen:

"3. Arbeitszeit

Die jeweils gültige regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen sowie durch die entsprechenden betrieblichen Regelungen bzw. Betriebsvereinbarungen festgelegt.

……

7. Sonstige Vereinbarungen

Sie werden in Teilzeit eingesetzt. Ihre normale Arbeitszeit beträgt 2 Schichten je Woche. Die Arbeitszeit richtet sich nach den betriebsüblichen Schichten. Hiernach können Sie in Früh-, Spät-, Nachtschicht oder in den Wochenendschichten eingesetzt werden. Bei Bedarf kann die Arbeitszeit bis zur Vollzeit flexibilisiert werden.“

…."

Die Verfügungsklägerin war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses bis auf wenige Ausnahmen von der Verfügungsbeklagten in Vollzeit beschäftigt worden. Bei der Verfügungsbeklagten entsprechen seit dem 01.01.2015 zwei Schichten pro   Woche einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 15,2 Stunden, fünf Schichten pro Woche einer Vollzeitbeschäftigung von 38 Wochenstunden.

Seit dem 19.01.2015 wird die Verfügungsklägerin von der Verfügungsbeklagten nicht mehr in Vollzeit, sondern lediglich noch in zwei Schichten pro Woche in der Produktion eingesetzt.

Bereits im Sommer 2014 hat die Verfügungsklägerin vor dem Arbeitsgericht Koblenz eine Klage auf Beschäftigung in Vollzeit erhoben. Das Arbeitsgericht hat Kammertermin auf den 25.08.2015 anberaumt.

Die Verfügungsklägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, sie habe einen Anspruch auf Beschäftigung in Vollzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden, den sie im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend machen könne. Sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund seien gegeben. Der Verfügungsanspruch ergebe sich daraus, dass die Regelung in Ziffer 7 des Arbeitsvertrages offensichtlich unwirksam sei, da die einseitige variable Festlegung der abrufbaren Arbeitszeit von zwei Schichten pro Woche bis hin zur Vollzeit die von der Rechtsprechung festgelegte zulässige Grenze von 25 Prozent der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit überschreite. Die Unwirksamkeit dieser Regelung führe im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Vertragsdurchführung in der Vergangenheit zum Vorliegen einer Vollzeitbeschäftigung. Der erforderliche Verfügungsgrund ergebe sich daraus, dass der Verfügungsanspruch offensichtlich bestehe und ihr ein Abwarten auf eine Entscheidung der Hauptsache nicht zugemutet werden könne. Darüber hinaus sei sie aus finanziellen Gründen auf eine Vollzeitbeschäftigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache angewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat beantragt,

der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Verfügungsklägerin bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Rechtsstreites 12 Ca 2473/14 vor dem Arbeitsgericht Koblenz auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 24.09.2002 als Mitarbeiterin in der Abteilung Produktion in Vollzeit mit einer wöchent-lichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, weder bestehe ein Verfügungsanspruch noch sei ein Verfügungsgrund gegeben. Ziffer 7 des Arbeitsvertrages sei nicht unwirksam, sondern konkretisiere lediglich die allgemeinen Bestimmungen in Ziffer 3 des Arbeitsvertrages. Selbst im Falle der Unwirksamkeit der Regelung führe dies nicht zum Vorliegen eines Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses. Im Hinblick auf den derzeitigen Krankengeldbezug der Klägerin stehe auch fest, dass diese derzeit nicht aus finanziellen Gründen auf eine Vollzeitbeschäftigung angewiesen sei.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.03.2015 (Bl. 203 bis 205 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Urteil vom 10.03.2015 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 bis 9 dieses Urteils (= Bl. 206 bis 209 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 13.03.2015 zugestellte Urteil hat die Verfügungsklägerin am 10.04.2015 Berufung eingelegt und diese am 24.04.2015 begründet.

Die Verfügungsklägerin macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei der für den Erlass einer Einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund gegeben, da der Verfügungsanspruch zweifelsfrei bestehe und daher auch im Hauptsacheverfahren anerkannt werden müsse. Im Hinblick auf den vorliegend offensichtlich bestehenden Verfügungsanspruch bedürfe es keiner (weitergehenden) Beeinträchtigung ideeller Belange. Das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung auch verkannt, dass die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei nicht vertragsgemäßer Beschäftigung an jedem Tag erfolge, an dem der Arbeitnehmer nicht vertragsgemäß beschäftigt werde und dass dadurch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit jedem einzelnen Tag verstärkt werde. Im Übrigen entspreche die Reduzierung der Arbeitszeit auf zwei Schichten pro Woche keineswegs billigem Ermessen i. S. v. § 106 GewO.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Verfügungsklägerin wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 24.04.2015 (Bl. 234 bis 238 d. A.) Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, die Verfügungsklägerin bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren als Mitarbeiterin in der Abteilung Produktion in Vollzeit in einer wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 05.06.2015 (Bl. 267 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.  Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vielmehr zu Recht abgewiesen.

II.  Der Antrag ist unbegründet.

Dabei kann offen bleiben, ob der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsanspruch gegeben ist, denn es fehlt vorliegend jedenfalls an dem notwendigen Verfügungsgrund.

Allein der aufgrund Zeitablaufs drohende Rechtsverlust des von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Beschäftigungsanspruchs begründet nach überwiegender und zutreffender Auffassung noch nicht den für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Umstände, die zu der Erkenntnis führen, dass der Verfügungskläger auf den Erlass einer auf Beschäftigung gerichteten einstweiligen Verfügung angewiesen ist. Aufgrund des Gebots der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechts ist daher zu prüfen, ob das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers der Sicherung durch eine einstweilige Verfügung bedarf. Dies setzt ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse voraus (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 16.03.2011 - 4 SaGa 2600/11 - m. w. N.).

Zur Begründung des besonderen Beschäftigungsinteresses für den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss der Arbeitnehmer daher darlegen und glaubhaft   machen, dass er zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation oder zur Verwirklichung seines Persönlichkeitsrechts gerade auf die Beschäftigung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache angewiesen ist.

Derartiges hat die Verfügungsklägerin nicht vorgetragen. Hinzu kommt, dass die Verfügungsbeklagte eine Beschäftigung der Verfügungsklägerin keineswegs in Gänze, sondern lediglich deren Beschäftigung in Vollzeit ablehnt. Die Verfügungsklägerin ist daher nicht zur Untätigkeit gezwungen. Sie kann sich weiterhin durch ihre Arbeit bei der Verfügungsbeklagten verwirklichen und ihre soziale Stellung nach außen hinhalten. Der Verlust des Beschäftigungsanspruchs im Allgemeinen steht daher im Streitfall nicht zur Debatte.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verfügungsklägerin infolge der Beschäftigung in Teilzeit anstelle der begehrten Beschäftigung in Vollzeit ihre Fähigkeiten zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit verliert. Ebensowenig hat die Klägerin dargelegt, dass sie durch die Nichtbeschäftigung in ihrem Ansehen herabgewürdigt würde oder sonstwie mit Nachteilen rechnen müsste.

Auch das wirtschaftliche Interesse der Verfügungsklägerin an der Erzielung von Lohneinkünften begründet nicht den erforderlichen Verfügungsgrund. Ein entsprechender Beschäftigungstitel enthielte nämlich nicht zugleich eine Verurteilung zur Lohnzahlung und wäre daher ungeeignet, die wirtschaftliche Existenz der Verfügungsklägerin zu sichern (vgl. LAG Köln v. 10.09.2004 - 4 Ta 298/04 - zitiert nach juris).

Ein Verfügungsgrund ergibt sich vorliegend - entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin - auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unwirksamkeit der von der Verfügungsbeklagten veranlassten Arbeitszeitreduzierung.

Bei der Prüfung der Frage, ob eine arbeitgeberseitige Maßnahme bzw. Weisung als offensichtlich unwirksam anzusehen ist, können die zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch nach Kündigung entwickelten Grundsätze herangezogen werden (LAG Sachsen v. 08.02.1996 - 3 Sa 77/96 - zitiert nach juris). Eine offensichtliche Unwirksamkeit liegt danach nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Maßnahme geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage liegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn bei feststehendem Sachverhalt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit unzweifelhaft ohne jeden Beurteilungsspielraum der Tatsachenrichters sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt sich die Maßnahme der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin nur noch in Teilzeit zu beschäftigen, nicht als offensichtlich unwirksam dar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Arbeitsvertrag der Parteien in Ziffer 7 Satz 1 und 2 ausdrücklich eine Beschäftigung der Verfügungsklägerin in Teilzeit (zwei Schichten pro Woche) vorsieht. Ein Anspruch der Klägerin auf Vollzeitbeschäftigung kann sich daher nur aus einer unter Heranziehung der Entscheidung des BAG vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04 - ergebenden Unwirksamkeit der in Ziffer 7 Satz 4 des Arbeitsvertrages enthaltenen Bestimmung und einer danach erforderlichen ergänzenden Vertragsauslegung ergeben. Von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Maßnahme der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin nur noch in zwei Schichten pro Woche einzusetzen, kann daher keine Rede sein. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Ansicht der Verfügungsklägerin, die Maßnahme der Verfügungsbeklagten entspreche nicht billigem Ermessen im Sinne von § 106 GewO. Auch dies ergibt sich nämlich keineswegs bereits unmittelbar aus dem Gesetz. Vielmehr bedarf es insoweit (stets) einer Abwägung des wechselseitigen Interesses, wobei dem Tatsachenrichter ein gewisser Beurteilungsspielraum eröffnet ist.

III.  Die Berufung der Verfügungsklägerin war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 72 Abs. 4 ArbGG).



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