Sächsisches Landesarbeitsgericht

Urteil vom - Az: 2 Sa 156/15

Unwirksame Kündigung nach abgelehntem Verzicht auf Mindestlohn

Eine Kündigung verstößt gegen das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) und ist damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Kündigung vor allem deswegen ausspricht, weil die betreffende Arbeitnehmerin einen Änderungsvertrag, der einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindestlohn enthält, nicht annimmt.
(Orientierungssatz)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 11.02.2015 – 8 Ca 1307/14 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Revision ist nicht zugelassen.

Tatbestand

Im zweiten Rechtszug streiten die Parteien nur noch darüber, ob dass sie verbindende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung der Beklagten mit Schreiben vom 08.08.2014, der Klägerin zugegangen am 12.08.2014, mit Ablaufe des 31.01.2015 sein Ende gefunden hat.

Die 1956 geborene verheiratete Klägerin ist seit 10.01.2000 bei der Beklagten in deren Funkzentrale als Disponentin beschäftigt.

Bis zu einer im Rahmen in dieser Rechtssache verabredeten Prozessbeschäftigung war die Klägerin bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 40 Stunden rollierend in einem Drei-Schicht-System tätig.

Sie erzielte einen durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst in Höhe von 1.273,47 €, entsprechend einem Bruttostundenverdienst in Höhe von ca. 7,35 €.

Über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus erbrachte die Klägerin auch kontinuierlich Mehrarbeit in Form von Überstunden.

Am 29.07.2014 trat der  Geschäftsführer … der Beklagten  an die Klägerin heran und bat diese nach ihrer regulären Arbeitszeit in sein Büro. Hier übergab er ihr den Entwurf eines Änderungsvertrages auszugsweise folgenden Inhalts:

"...

1. Dieser Änderungsvertrag wird wegen der beabsichtigten Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes ab dem 01.01.2015 geschlossen. Er gilt ausschließlich für den Fall, dass ein allgemeiner Mindestlohn auch tatsächlich flächendeckend eingeführt wird und dass dieser Mindestlohn nicht höher als 8,50 € brutto pro Stunde liegt.

Verzichtet der Gesetzgeber auf die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns oder liegt dieser höher als 8,50 € brutto pro Stunde oder tritt anstelle des Mindestlohns oder in Verbindung mit dem Gesetz zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns ein beide Parteien bindendes Tarifwerk (Tarifvertrag/Tarifverträge) in Kraft, gilt dieser Änderungsvertrag als von Anfang an nicht geschlossen (aufschiebende und/oder auflösende Bedingungen).

2. Ab dem 01.01.2015 erhält die Arbeitnehmerin ein Gehalt in Höhe von 1.475,00 € brutto pro Monat (8 x 5 x 13 : 3 x 8,50). Liegt der gesetzliche Mindestlohn unterhalb 8,50 € brutto pro Stunde, ergibt sich das ab dem 01.01.2015 zu zahlende Gehalt analog zu vorgenannter Berechnung aus diesem Mindestlohn.

Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, Gehaltsüberzahlungen ohne Rücksicht auf eine noch vorhandene Bereicherung zurückzuzahlen.

3. Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, Mehrarbeit zu leisten und im durchgängigen 3-Schicht-System auch in der Nacht und an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. Mit dem Gehalt sind 10 Stunden Mehrarbeit pro Monat abgegolten. Zuschläge zum Gehalt werden nur gezahlt, wenn einschlägige Vorschriften der Arbeitnehmerin hierauf einen Rechtsanspruch gewähren.

Ist die Höhe der Zuschläge nicht vorgeschrieben, bestimmt diese der Arbeitgeber nach billigem Ermessen. Die Ermessensausübung ist auch noch dann fehlerfrei, wenn die Zuschläge 10 % unterhalb der branchenüblichen durchschnittlichen Zuschläge, die in Mitteldeutschland (Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt) gezahlt werden, liegen.

4. Jede vom Arbeitgeber über die gesetzlichen Ansprüche hinaus gewährten Leistungen erbringt dieser freiwillig, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, so dass auch bei wiederholter Zahlung dadurch kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird.

..."

Beigefügt war eine Proberechnung für die zukünftige Vergütung für Januar 2015, die einen Bruttoverdienst in Höhe von 975,20 € und einen Nettoverdienst in Höhe von 940,29 € auswies. Ferner übergeben wurde der Klägerin eine geplante "Kostenrechnung".

Die Beklagte begehrte die sofortige Gegenzeichnung. Die Klägerin erbat sich Bedenkzeit. Im Rahmen eines Telefonats am 05.08.2015 bat die Klägerin die Beklagte hinsichtlich des unterbreiteten Vertragsvorschlags um weitere Gespräche und Verhandlungen.

Dazu kam es nicht mehr. Vielmehr erfolgte die streitgegenständliche Kündigung.

Zum Zeitpunkt der Kündigung fiel der Beschäftigungsbetrieb selbst – die Disposition mithin – mit Blick auf die Zahl der Beschäftigten nicht in den Geltungsbereich der Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes.

Die Klägerin hat sich gegen die Kündigung mit ihrer bei dem Arbeitsgericht Zwickau am 19.08.2014 eingegangenen und der Beklagten am 23.08.2014 zugestellten Klage gewandt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die ca. 100 Fahrer der Mitglieds (....)Unternehmen der Beklagten bei der Bestimmung der Betriebsgröße mit zu berechnen seien.

Man habe ihr mitgeteilt, man werde sie sich bei Einführung des geplanten Mindestlohns nicht mehr leisten können. Die Kündigung sei lediglich ausgesprochen worden, weil sich sie – die Klägerin – mit einer Unterschreitung des ihr zustehenden Mindestlohnanspruchs nicht habe einverstanden erklären wollen.

Die Klägerin hat – soweit für das Berufungsverfahren noch von Relevanz – die Feststellung beantragt,

dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ihr am 12.08.2014 zugegangene Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 08.08.2014 zum 31.01.2015 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat

Klageabweisung beantragt.

Allgemeinen Kündigungsschutz genieße die Klägerin mit Blick auf die Betriebsgröße nicht.

Wegen Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ab 01.01.2015 habe sie sich zu wirtschaftlichen Veränderungen in ihrem Betrieb gezwungen gesehen.

Ihre Mitgliedsunternehmen müssten Mehrkosten in Höhe von ca. 27.000 € p. a. erwirtschaften.

Die Anzahl der Mitgliedsunternehmen werde sich verringern, weil einzelne ...Betriebe aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben würden.

Ausschlaggebender Grund auch hierfür sei ebenfalls die Einführung des Mindestlohns.

Nachdem die Klägerin die ihr angebotene Vertragsänderung abgelehnt habe, habe sich sie – die Beklagte – personell anderweit orientieren müssen.

Das Arbeitsgericht hat – soweit noch von Relevanz – der Kündigungsschutzklage entsprochen.

Die Beklagte hat gegen das darüber ergangene und ihr am 20.02.2015 zugestellte Urteil am 18.03.2015 Berufung eingelegt und begründet.

Die Beklagte wehrt sich gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, wonach sie zur Wahrung des Grundsatzes von Treu und Glauben als milderes Mittel zum Ausspruch einer Änderungskündigung hätte greifen müssen.

Es sei nicht etwa der Änderungsvertrag an sich und dessen Ablehnung durch die Klägerin der Grund für ihren Kündigungsentschluss gewesen, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie – die Beklagte – zu einer Zeit noch ungeklärter Details im Zusammenhang mit der Einführung des Mindestlohns ab dem 01.01.2015 unternehmerische Entscheidungen – auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Kündigungsfristen im Einzelfall – habe treffen müssen.

Den anderen mit der Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmern sei ebenfalls der Abschluss von Änderungsverträgen angeboten und von diesen angenommen worden, nach denen sie seit 01.01.2015 auch arbeiteten.

Zum Kündigungsentschluss habe nicht die Ablehnung des Änderungsvertrages, sondern das verlorengegangene Vertrauen in die Klägerin geführt, auch unter den ab 01.01.2015 neu eingetretenen Rahmenbedingungen am Geschäftserfolg mitwirken zu wollen. Es fehle in diesem Zusammenhang am Vertrauen in die Leistungsbereitschaft, am Vertrauen auf eine kollegiale Zusammenarbeit mit allen anderen Arbeitnehmern und am Vertrauen in ein auch weiterhin günstiges Betriebsklima.

Die Beklagte beantragt

die teilweise Abänderung des Ausgangsurteils des Arbeitsgerichts Zwickau vom 11.02.2015 – 8 Ca 1307/14 – unter Abweisung der auf die Kündigung bezogenen Feststellungsklage.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Die Klägerin bleibt bei ihrem erstinstanzlichen Vorbringen zu Betriebsgröße und Kündigungsgrund und verteidigt das Ausgangsurteil.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der von ihnen geäußerten Rechtsansichten wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die – ihrerseits zulässige – Klage ist begründet.

Es ist festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der streitgegenständlichen Kündigung zum 31.01.2015 nicht aufgelöst worden ist, weil diese Kündigung rechtsunwirksam ist.

Bei ihr handelt es sich i. S. d. Regelung des § 612 a (Maßregelungsverbot) BGB um eine die Klägerin benachteiligende Maßnahme, weil diese in zulässiger Weise ein ihr zustehendes Recht ausgeübt hat.

Dahinstehen kann damit, ob die Klägerin mit Blick auf die Zahl der im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer Kündigungsschutz nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzes genießt und ein danach rechtlich anerkennenswerter Kündigungsgrund vorliegt.

1. Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Als "Maßnahme" i. S. d. § 612 a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht. Auch die auf die Ablehnung eines Änderungsangebots gestützte Kündigung kann eine Maßregelung i. S. d. § 612 a BGB darstellen (BAG vom 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 – Juris).

Dies kann jedoch vor dem Hintergrund, dass – wie etwa § 2 KSchG zeigt – eine Auflösungskündigung wegen der Ablehnung eines Änderungsangebots sogar gerechtfertigt sein kann, nicht schlechthin, sondern nur unter besonderen Voraussetzungen gelten. Denn die Abgabe eines Änderungsangebots durch den Arbeitgeber ist ebenso wie die Ablehnung dieses Angebots durch den Arbeitnehmer Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertragsfreiheit (BAG vom 22.05.2003 a. a. O.).

Entscheidend ist daher die Ausgestaltung des Änderungsangebots. Dies muss sich selbst als unerlaubte Maßregelung für eine zulässige Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer darstellen (vgl. BAG vom 22.05.2003 a. a. O.).

2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Beklagte hat die Kündigung damit begründet, die Klägerin habe – anders als andere Beschäftigte – den ihr angebotenen Änderungsvertrag nicht angenommen.

Die Klägerin war zur Annahme dieses Angebots nicht verpflichtet. Sie hat also in zulässiger Weise von ihren Rechten Gebrauch gemacht, indem sie das Angebot ablehnte.

Bei dem Änderungsangebot blieb die Beklagte auch gegen den ihr erklärten Willen der Klägerin, sich für die Zeit ab 01.01.2015 nicht auf eine den Mindestlohn nach dem zum Zeitpunkt der Kündigung soeben (am 11.08.2014) beschlossenen und wenige Tage vor der Verkündung (am 15.08.2014) stehenden Mindestlohngesetz unterschreitenden Mindestlohn einlassen zu wollen.

Auf nichts anderes zielte der Änderungsvertrag ausweislich seiner Ziffer 1 ausdrücklich.

Vordergründig stellt Ziffer 2 des vorgeschlagenen Änderungsvertrags zwar die Mindestentlohnung von 8,50 € brutto pro Zeitstunde sicher. Ausweislich Ziffer 3 des Änderungsangebots wird dies allerdings mit einer entgeltfreien Arbeitsverpflichtung in nicht unerheblichem Umfang erkauft und damit im Ergebnis wieder zurückgenommen.

Oder anders: Durch das Vertragswerk wäre ein der Klägerin zustehender gesetzlicher Anspruch schon vor seiner Entstehung und schon vor seiner ersten Fälligkeit mit dem Ziel beschnitten worden, es bei dem bisherigen Vergütungsvolumen – erkennbar und ausweislich des Vertrages auch erkannt – gesetzeswidrig bewenden zu lassen.

Dieses Änderungsangebot hat die Beklagte ungeachtet der von der Klägerin erbetenen Bedenkzeit aufrechterhalten und dann nach nicht erfolgter Gegenzeichnung durch die Klägerin die Kündigung erklärt.

An einem die Maßregelung tragenden Motiv fehlt es hier nicht deshalb, weil die Beklagte nunmehr und spezifisch im zweiten Rechtszug fehlendes Vertrauen in die Klägerin vorbringt. Denn auch dieses Vorbringen ist getragen von dem Hinweis darauf, dass sich die Klägerin – anders als andere Beschäftigte – auf die ihr angesonnene Änderung nicht eingelassen habe, dadurch nicht am wirtschaftlichen Erfolg zeige teilnehmen zu wollen und den Betriebsfrieden störe.

Auch insoweit stehen auf die Ablehnung des Änderungsangebots bezogene Umstände in Rede, die also am Kern das die Kündigung tragenden Motivs nichts ändern.

II.

Die Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an Gründen hierfür fehlt.



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