Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 63/14

LKW-Fahrer verschweigt bei Einstellung dissoziale Störung - keine Anfechtung wegen Täuschung

(1.) Ein Arbeitsvertrag - genauer: eine Willenserklärung - kann rückwirkend angefochten werden, wenn der Erklärende zur Abgabe seiner Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt wurde (§ 123 Abs. 1 BGB).

(2.) In einem Vorstellungsgespräch darf ein Arbeitnehmer solche Erkrankungen verschweigen, die seine Eignung für die vorgesehene Tätigkeit nicht ausschließen.

(3.) Legt ein Bewerber, der sich für eine Stelle als LKW-Fahrer bewirbt, dem Arbeitgeber eine gültige Fahrerlaubnis vor, so kann der Arbeitgeber den Vertragsschluss nicht wegen solcher Vorerkrankungen des Bewerbers anfechten, welche von der Fahrerlaubnisbehörde bei der Erteilung berücksichtigt wurden.

Hier: Vorliegend ist dem Bewerber eine Fahrerlaubnis der Klasse CE erteilt worden, wobei die Fahrerlaubnisbehörde den Bewerber nach Erstellung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für fahrtauglich erachtet hat. Der Bewerber leidet unter einer dissozialen Störung, weswegen er bereits zahlreiche Straftaten im Zusammenhang mit dem Verkehr verübte. Insbesondere ist er trockener Alkoholiker. Er hat bereits einen fünfjährigen Aufenthalt in einer psychatrischen Klinik hinter sich. Dies wusste die Fahrerlaubnisbehörde als sie die Fahrerlabnis erteilte. Das medizinisch-psychologische Gutachten kam insbesondere zu dem Schluss "es sei nicht zu erwarten, dass Herr C. auch künftig erheblich gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen verstoßen wird".
Nach Ansicht des Gerichts kann der Arbeitgeber den Vertragsschluss nicht mit der Begründung anfechten, der Bewerber habe ihn mit dem Verschweigen seiner dissozialen Störung arglistig getäuscht. Denn es liege keine die Eignung ausschließende Erkrankung vor; die Fahrerlaubnisbehörde gehe nämlich von der Fahrtauglichkeit des Bewerbers aus.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14. Januar 2014, Az. 9 Ca 2853/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Beklagten vom 29.07.2013.

Der 1964 geborene Kläger war seit 19.11.2012 bei dem Beklagten, der ca. 90 Arbeitnehmer beschäftigt, als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatslohn von € 1.800,- zzgl. Spesen angestellt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag wurde ua. eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 18.11.2013 sowie eine ordentliche Kündbarkeit unter Einhaltung der Kündigungsfristen des MTV Transport- und Verkehrsgewerbe vereinbart.

Dem Kläger ist am 31.01.2012 die Fahrerlaubnis der Klasse CE erteilt worden, die er dem Beklagten vor Vertragsschluss vorlegte. Er gab im Einstellungsgespräch an, dass er seit fünf Jahren trockener Alkoholiker sei. Ob er dem Beklagten auch mitgeteilt hat, dass er eine dissozialen Persönlichkeitsstörung habe und wegen verübter Straftaten fünf Jahre in der Klinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie untergebracht war, ist streitig. Im formularmäßigen Personalfragebogen vom 16.11.2012 füllte er die Rubrik: "Weitere Angaben" nicht aus. Ob die handschriftliche Ergänzung "zB. Vorerkrankungen" ursprünglich bereits eingefügt war, ist streitig.

Mit Schreiben vom 18.07.2013 erteilte der Beklagte dem Kläger folgende Abmahnung:

"Betreff: 1. Abmahnung

Sehr geehrter Herr C.!

Wir hatten Sie bereits darauf hingewiesen, dass die Krankschreibung am 1. Krankheitstag zu erfolgen hat und uns unverzüglich vorzulegen ist. Sie haben sich am Montag, den 15.07.2013 per SMS krankgemeldet, die Krankmeldung hat uns heute, am 18.07.2013 erreicht, erfolgte jedoch erst am 16.07.2013, obwohl Sie in Ihrer SMS angegeben haben, dass Sie sich beim Arzt befinden.

Wir mahnen Sie ab, da die Krankmeldung uns am ersten Tag der Krankheit vorzulegen und zu erfolgen hat. Des weiteren müssen wir Sie dazu anhalten, Ihr Verhalten in dieser Sache zu ändern, da es ansonsten zu Kündigung führen kann."

Am 22.07.2013 kündigte der Kläger per SMS das Arbeitsverhältnis mit folgendem Wortlaut:

"Hiermit kündige ich Ihnen das Arbeitsverhältnis, da Sie hinter meinem Rücken üble Nachrede betreiben und versuchen meine Arbeitskollegen unter Druck zu setzen. Die Kündigungsfrist bestreite ich mit meinem Resturlaub. Hoffentlich bekomme ich meinen restlichen Lohn und Spesen ohne Probleme."

Am 25.07.2013 fand ein Gespräch zwischen den Parteien statt. Sie vereinbarten, dass der Kläger am folgenden Montag, dem 29.07.2013, weiter für den Beklagten Lkw fahren sollte. Der Kläger erschien am 29.07.2013 jedoch nicht zur Arbeit. Er meldete sich zunächst nicht und teilte dem Beklagten auf dessen SMS-Nachfrage per SMS um 9:50 Uhr mit:

"Hallo, Krankmeldung ist per Kurier unterwegs, sitze beim Therapeuten."

Auf eine weitere SMS des Beklagten vom 29.07.2013, dass er ein solches Verhalten nicht akzeptiere und ihn für Schäden haftbar machen werde, erwiderte der Kläger:

"Liebe Frau B., wie bei meiner Einstellung erwähnt, gibt es in meinem Krankheitsbild der desozialen Persönlichkeitsstörung sowie des fünfjährigen Aufenthaltes in der Psychiatrie die Möglichkeit des Zusammenbruches, der mir heute Morgen passiert ist und somit gestern nicht voraussehbar war. Für mein Krankheitsbild und psychische Störung, die ich ausgiebig mit Herrn A. bei meiner Einstellung besprochen habe, kann man mich nicht haftbar machen."

Der Kläger war sechs Wochen vom 29.07. bis 08.09.2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Nach seinen Angaben habe sich unerwartet eine massive Depression mit einem schweren psychischen Zusammenbruch eingestellt. Seit dem 16.09.2013 hat er eine neue Arbeitsstelle als Lkw-Fahrer.

Mit Schreiben vom 29.07.2013, zugegangen am 30.07.2013, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen "massiven Vertrauensmissbrauchs" fristlos, hilfsweise fristgerecht. Außerdem focht er den Abschluss des Arbeitsvertrages an, weil ihn der Kläger im Vorfeld nicht ausreichend über seine psychischen Probleme informiert habe. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 01.08.2013 erhobenen Klage.

Im Rechtsstreit legte der Kläger ein Gutachten der Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 12.04.2011 vor. Das medizinisch-psychologische Gutachten, das auf Veranlassung der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde erstellt worden ist, beantwortet die von der Behörde gestellten Fragen zusammenfassend wie folgt:

"Es ist nicht zu erwarten sei, dass Herr C. auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss auf öffentlichen Straßen führen wird, und es liegen aufgrund vorausgegangenen Alkoholkonsums keine Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage stellen.

Es sei nicht zu erwarten, dass Herr C. auch künftig erheblich gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen verstoßen wird."

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.01.2014 Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 29.07.2013, zugegangen am 30.07.2013, noch durch die vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 29.07.2013, zugegangen am 30.07.2013, aufgelöst wird, sondern bis zum 18.11.2013 fortbestanden hat.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 14.01.2014 stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die fristlose Kündigung vom 29.07.2013 sei unwirksam, weil kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliege. Der Beklagte habe die Kündigung zunächst auf die Verletzung der Anzeigepflicht des § 5 EntgFG aus Anlass der Erkrankung des Klägers ab 29.07.2013 gestützt mit dem weiteren Vorwurf, dass er "Krankschreibungen immer verspätet" vorgelegt und sich "wenn überhaupt" jeweils nur per SMS krankgemeldet habe, wodurch ihm "erheblicher Schaden" entstanden sei und der Kläger diesbezüglich "bereits mündliche sowie schriftliche Abmahnungen erhalten" habe. Dieses Vorbringen sei unsubstantiiert. Die Beweisangebote seien auf Ausforschung gerichtet und damit unzulässig.

Der Kläger habe am 29.07.2013 seine Arbeitsunfähigkeit zunächst nicht, dann per SMS um 9:50 Uhr verspätet angezeigt. Darin liege ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht des § 5 Abs. 1 EntgFG. Vor Ausspruch der Kündigung sei eine Abmahnung erforderlich gewesen. Der Vortrag des Beklagten, der Kläger habe "wiederholt mündliche sowie schriftliche Abmahnungen erhalten" sei unsubstantiiert. Im Übrigen spreche die schriftliche Abmahnung vom 18.07.2013, die der Beklagte als "1. Abmahnung" bezeichnet habe, gegen seinen Vortrag, dass bereits zuvor weitere Abmahnungen erfolgt seien.

Mit der Abmahnung vom 18.07.2013 habe der Beklagte die Nichtvorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am "1. Tag der Krankheit" sowie die um einen Tag rückwirkend erfolgte Krankschreibung durch den behandelnden Arzt gerügt. Diese Abmahnung sei unberechtigt, denn im schriftlichen Arbeitsvertrag sei vereinbart worden, dass der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertags nach deren Beginn vorzulegen sei. Diese Frist habe der Kläger gewahrt.

Der Beklagte könne die fristlose Kündigung und zugleich die Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht darauf stützen, dass ihn der Kläger über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen getäuscht habe, denn der Kläger habe durch Vorlage des Gutachtens vom 12.04.2011 nachgewiesen, dass aus fachkundiger Sicht keine Bedenken an seiner Eignung bestanden haben. Damit liege keine arglistige Täuschung vor. Die Alkoholerkrankung des Klägers sei unstreitig Gegenstand der Erörterungen bei der Einstellung gewesen. Soweit der Beklagte beanstande, dass der Kläger im Einstellungsfragebogen unter der Rubrik "weitere Angaben" mit dem handschriftlichen Zusatz "z.B. Vorerkrankungen" nichts eingetragen habe, sei er dem Vorbringen des Klägers, dass dieser Zusatz bei Unterzeichnung des Fragebogens noch nicht enthalten gewesen sei, nicht entgegengetreten.

Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 29.07.2013 sei iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil es genügt hätte, das Fehlverhalten des Klägers abzumahnen. Eine einschlägige Abmahnung liege nicht vor. Das Arbeitsverhältnis habe deshalb erst mit Ablauf der vereinbarten Befristung am 18.11.2013 geendet. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 18 des erstinstanzlichen Urteils vom 14.01.2014 Bezug genommen.

Gegen das am 13.03.2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte bereits mit am 05.02.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 16.04.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Beklagte macht zur Begründung der Berufung im Wesentlichen geltend, die fristlose Kündigung vom 29.07.2013 sei wirksam. Es liege auch ein Anfechtungsgrund vor. Das Arbeitsgericht hätte eine Beweisaufnahme durchführen müssen, denn er habe den Ausspruch der entscheidungserheblichen Abmahnungen unter Zeitangaben, die permanent bestehende Erkrankung des Klägers sowie den Vortrag, dass der Kläger, sich stets krank gemeldet habe, wenn ihm Urlaub verweigert worden sei, unter Beweis gestellt. Er habe auch unter Beweis gestellt, dass der Kläger im Vorstellungsgespräch nicht offenbart habe, dass er an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erkrankt und in der Psychiatrie gewesen sei. Dies werde auch durch die Krankheitstage und das Sachverständigengutachten belegt. Des Weiteren habe er unter Beweis gestellt, dass sich der Kläger verspätet krank gemeldet habe. Er sei ohne weiteres in der Lage, konkret vorzutragen, wann er gegenüber dem Kläger durch wen welche Abmahnung unter Kündigungsandrohung mit welchem Inhalt ausgesprochen habe. Auch im Hinblick auf den eingetretenen Schaden, der dem Schriftverkehr immanent sei, hätte es eines richterlichen Hinweises bedurft.

Entscheidend sei, dass ein Lkw-Fahrer mit Depressionen und psychischen Schäden kein Kraftfahrzeug führen dürfe, weil er andere Verkehrsteilnehmer gefährde, wenn er während der Fahrt bspw. eine Panikattacke erleide. Dem Kläger hätte keine Fahrerlaubnis erteilt werden dürfen. Er hätte auch im Arbeitsvertrag nicht unterschreiben dürfen, dass er voll arbeitsfähig sei. Der Kläger habe den Personalfragebogen unvollständig ausgefüllt, denn er habe die Frage nach den Vorerkrankungen nicht beantwortet.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Beklagten vom 15.04.2014, 05.05.2014 und 02.06.2014 Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.01.2014, Az. 9 Ca 2853/13, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 19.05.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.   Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. c ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.   In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Anfechtung noch durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 29.07.2013 aufgelöst worden ist. Auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 29.07.2013 ist unwirksam. Das Arbeitsverhältnis bestand deshalb bis zum vereinbarten Befristungsende am 18.11.2013 fort.

Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen des Beklagten veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Die vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten erklärte Anfechtung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Der Beklagte vermag die Anfechtung nicht auf § 123 Abs. 1 BGB zu stützen. Es liegt keine arglistige Täuschung im Sinne dieser Bestimmung vor. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Dem Kläger ist von der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde am 31.01.2012 eine Fahrerlaubnis der Klasse CE erteilt worden, die er dem Beklagten vorgelegt hat. Er hat dem Beklagten im Einstellungsgespräch auch mitgeteilt, dass er seit fünf Jahren trockener Alkoholiker sei. Im Rechtsstreit legte der Kläger ein Gutachten der Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 12.04.2011 vor. Das medizinisch-psychologische Gutachten, das auf Veranlassung der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde erstellt worden ist, kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss auf öffentlichen Straßen führen werde. Aufgrund vorausgegangenen Alkoholkonsums lägen keine Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage stellten. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger auch künftig erheblich gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.

Der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde war nach dem Inhalt des Gutachtens vom 12.04.2011 die Vorgeschichte des Klägers (Vielzahl von Verkehrsverstößen und Straftaten) bekannt. Der Behörde war auch bekannt, dass der Kläger mehrere Jahre in der Klinik Netto-Gut für Forensische Psychiatrie untergebracht war. Gleichwohl hat sie dem Kläger am 31.01.2012 eine Fahrerlaubnis zum Führen von Lkw erteilt.

Unter diesen Umständen verhielt sich der Kläger aus objektiver Sicht nicht arglistig iSv. § 123 Abs. 1 BGB, wenn er sich bei Vertragsschluss mit dem Beklagten am 19.11.2012 für arbeitsfähig, dh. für gesundheitlich uneingeschränkt in der Lage hielt, einen Lkw zu führen. Er ist in diesem Sinne von einer Begutachterstelle für Fahreignung medizinisch-psychologisch begutachtet worden. Es kann deshalb zu Gunsten des Beklagten unterstellt werden, dass ihm der Kläger im Einstellungsgespräch verschwieg, dass er eine dissoziale Persönlichkeitsstörung hat und wegen verübter Straftaten fünf Jahre in der Klinik Nette-Gut untergebracht war. Es ist auch unerheblich, ob im formularmäßigen Personalfragebogen bereits bei der Unterzeichnung durch den Kläger die Frage nach "Vorerkrankungen" enthalten oder ob sie erst nachträglich eingefügt worden ist. Der Kläger hatte aus objektiver Sicht bei seiner Einstellung keine Vorerkrankungen, die seine Eignung für die vorgesehene Tätigkeit eines Berufskraftfahrers ausschlossen. Es mag zwar für den Beklagten in nachvollziehbarere Weise unverständlich sein, dass die zuständige Behörde dem Kläger eine Fahrerlaubnis der Klasse CE erteilt hat. Die Frage, ob der Kläger in der Lage ist, einen Lkw sicher zu führen, richtet sich jedoch nicht nach der subjektiven Meinung des Beklagten.

2. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 29.07.2013 aufgelöst worden.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Danach fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne der Bestimmung. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Der Kläger hat am 29.07.2013 seine Anzeigepflicht im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit verletzt. Er meldete sich erst um 9:50 Uhr - und damit verspätet - per SMS bei dem Beklagten, um ihm mitzuteilen, dass eine Krankmeldung unterwegs sei, er sitze beim Therapeuten. Gemäß § 5 Abs. 1 EntgFG ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Verletzung dieser Anzeigepflicht kann die außerordentlich Kündigung rechtfertigen, wenn die Krankmeldung wiederholt und trotz einer Abmahnung unterlassen worden ist, wenn sich ausnahmsweise aus der einmaligen Unterlassung der Wille des Arbeitnehmers ergibt, auch in Zukunft so zu verfahren (ErfK/ Müller-Glöge 14. Aufl. BGB § 626 Rn. 121 mwN).

Das Arbeitsgericht hat das Vorbringen des Beklagten zum Vorliegen von wiederholten Pflichtverletzungen des Klägers im Zusammenhang mit Krankmeldungen und zum Vorliegen mehrerer Abmahnungen zu Recht als unsubstantiiert angesehen. Das Arbeitsgericht hat weder das rechtliche Gehör noch die richterliche Hinweispflicht verletzt. Es war Sache des Beklagten seine Behauptungen im Hinblick auf beanstandete Krankmeldungen und vermeintliche Abmahnungen so zu konkretisieren, dass es keiner Ausforschung der von ihm benannten Zeugen bedurft hätte. Der Beklagte hat erstinstanzlich weder konkrete Vorfälle vorgetragen noch Daten mitgeteilt oder genaue Termine benannt, wann der Kläger vor dem Kündigungsvorfall am 29.07.2013 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und wann er seine Arbeitsunfähigkeit verspätet angezeigt haben soll. Gleiches gilt für die behaupteten und dem Kläger bestrittenen Abmahnungen. Der Beklagte hat auch nicht ansatzweise vorgetragen, wann er dem Kläger die Gewährung von Urlaub verweigert und wann der Kläger im Anschluss an die Nichtgewährung erkrankt sein soll. Es fehlt auch jedweder Sachvortrag dazu, welcher Schaden dem Beklagten durch die verspätete Krankmeldung am 29.07.2013 entstanden sein soll.

Der Beklagte hat auch zweitinstanzlich keinerlei Tatsachen vorgetragen. Die Vernehmung der benannten Zeugen durch die Berufungskammer würde damit ebenfalls auf die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises hinausgelaufen. Ein Beweisantritt kann nicht den Vortrag von Tatsachen ersetzen oder ergänzen. Gemäß § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände. Entsprechen die unter Beweis gestellten Behauptungen nicht diesen Anforderungen, hat die Beweiserhebung zu unterbleiben (BAG 13.11.2012 - 3 AZR 557/10 - Rn. 32 mwN, Juris).

Selbst in Kenntnis der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts hat sich der Beklagte darauf beschränkt, pauschal zu behaupten, er habe die Kündigung nicht nur auf die Verletzung der Anzeigepflicht gestützt, sondern auch auf "verspätete Krankschreibungen", auf "nicht formgerechte Krankschreibungen", auf "Eintritt einer Krankheit, wenn Urlaub nicht bewilligt wurde". Er hat weiter behauptet, dass "jeweils, wenn ein derartiger Fall eingetreten" sei, "eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung" erfolgt sei. Diese nicht durch Einzeltatsachen belegten allgemeinen Behauptungen werden nicht durch einen Beweisantritt zu einem schlüssigen Vortrag.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte in der Berufungsbegründung angibt, er sei ohne weiteres in der Lage, konkret vorzutragen, wann gegenüber dem Kläger durch wen welche Abmahnung unter Kündigungsandrohung mit welchem Inhalt ausgesprochen worden sei, hierzu aber gleichwohl keinerlei Ausführungen macht.

Die schriftliche Abmahnung vom 18.07.2013, die der Beklagte im Betreff als "1. Abmahnung" bezeichnet hat, ist nicht einschlägig. Sie rügt nicht die verspätete Anzeige der Arbeitsunfähigkeit, sondern die verspätete Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die in der Abmahnung gerügte Pflichtverletzung lag im Übrigen nicht vor, denn im schriftlichen Arbeitsvertrag ist ausdrücklich vereinbart worden, dass der Nachweis spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber vorliegen muss. Das Arbeitsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Frist vom Kläger gewahrt worden ist.

3. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 29.07.2013 ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Sie scheitert ebenfalls am Fehlen einer einschlägigen Abmahnung.

III.   Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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