Arbeitsgericht Koblenz

Urteil vom - Az: 1 Ca 1336/99

Kein arbeitsrechtlicher Lohnanspruch wegen Zwangsarbeit

Zwangsarbeiter haben keinen Dienst-/Arbeitsvertrag mit dem anderen Teil geschlossen, aus dem sie zur Dienstleistung und dieser zur Vergütungsgewährung verpflichtet wurden.

Tatbestand

Der nach dem eingereichten Ausweis mit Lichtbild und Stempel einer bei Hamburg am 20. 2. 1920 in ... geborene Kläger wurde nach den (dürftigen) Angaben in der Klageschrift 1941 in einer Straßenrazzia festgenommen und ins Reich gebracht, wo er ab Mai 1943 bis Kriegsende im Betrieb der Beklagten als Zwangsarbeiter eingesetzt gewesen sei. Für den Kläger als polnischer Staatsangehöriger, der in eine Razzia geraten ist, ist glaubhaft, dass er nach seinem Vorbringen in Deutschland Zwangsarbeit verrichtet hat und sich nicht hat anwerben lassen, um aus freien Stücken in Deutschland zu arbeiten, seit 1943 angeblich bei der Beklagten Von ihr dafür nach mehr als 5 Jahrzehnten in Höhe von 30841,92 DM entschädigt zu werden, weil er keinen Lohn erhalten habe, und wegen Misshandlungen durch Mitarbeiter der Beklagten, wodurch er fast völlig sein Gehör verloren habe, und wegen seines Hungers infolge unzureichender Ernährung ein Schmerzensgeld von 10000 DM, zu erlangen, ist Gegenstand ArbG Koblenz: Kein arbeitsrechtlicher Lohnanspruch wegen Zwangsarbeit (NZA-RR 1999, 496) seiner am 7. 5. 1999 erhobenen Klage, für die es aber offenbar an einer vorherigen Geltendmachung seiner Zahlungsforderung fehlt. Denn auf die dem Kläger erteilte Auflage, auch den vorprozessualen Schriftwechsel einzureichen, erfolgte keine Reaktion.

Das ArbG hat die nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert.

Entscheidungsgründe

Als Rechtsgrundlage für die verrichtete Zwangsarbeit nimmt der Kläger ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten an. Diese Rechtsansicht reicht zur Begründung der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen aus, weil die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten gewesen war (BAG, NZA 1996, 1005 = NJW 1996, 2948 = EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 31 = DB 1996, 1578). Somit ist die Klage zulässig, ohne dass es einer „Eröffnung“ des Rechtswegs bedarf, wie die 4. Kammer des ArbG Nürnberg am 19. 5. 1999 (4 Ca 2111/99) fälschlich tenoriert hat, worauf die Pressemitteilung darüber (FAZ v. 27. 5. 1999) die Überschrift erhielt: Gericht nimmt Klage von Zwangsarbeitern an. Nach dem Gesetz (§ 17aI, III GVG) wird im Falle einer Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs vielmehr vom Gericht allein erklärt, dass der zu ihm beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Bei der Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs durch den dort verklagten Arbeitgeber mit der Notwendigkeit zur gerichtlichen Vorabentscheidung hat dieser offenbar übersehen, dass die Frage, ob die dort klagende frühere Zwangsarbeiterin aus der Ukraine tatsächlich in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, nicht die Zulässigkeit ihrer Klage betrifft, sondern ihre Begründetheit. Dass ein solcher Prozess nicht vor die allgemeinen Zivilgerichte gehört, versteht sich eigentlich von selbst.

Der Zulässigkeit der Klage kann aber noch der Mangel der Ernstlichkeit entgegenstehen (§ 138 BGB), sofern davon auszugehen ist, dass mit ihr und den anderen bundesweit erhobenen Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“ (vgl. FAZ v. 26. 5. 1999: Vor Arbeitsgerichten gegen NS-Zwangsarbeit; NZZ v. 29. 5. 1999: Mit prozessieren den Holocaust bewältigen? Eine Diskussion an der Havard Law School) im Ergebnis nur die Bundesregierung dazu genötigt werden soll, zusammen mit deutschen Unternehmen einen Entschädigungsfond zu errichten, dies also der eigentliche Zweck der vorliegenden Klage ist, womit erklärlich würde, weshalb die Klageforderung nicht zulässig erst vorprozessual gegenüber der Beklagten erhoben wurde, nichts davon in der Klageschrift steht, was der Aussteller des eingereichten Ausweises von der Unterelbe überhaupt mit der Beklagten am Mittelrhein zu tun hat und dass zur am 14. 6. 1999 eingereichten Formularerklärung für die Prozesskostenhilfe die vorgeschriebenen Belege fehlen.

Die vom Gesetz (§ 114 ZPO) für die begehrte Prozesskostenhilfe verlangte hinreichende Aussicht auf Erfolg fehlt aber auf jeden Fall deswegen, weil Zwangsarbeiter nicht einen Dienst-/Arbeitsvertrag mit dem anderen Teil geschlossen haben, aus dem sie zur Dienstleistung und dieser zur Vergütungsgewährung verpflichtet wurden (§ 611 BGB). Ein Dienst-/Arbeitsvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag. Nur durch ihn, also durch ein Rechtsgeschäft, kommt ein Arbeitsverhältnis zustande (Richardi, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 40 Rdnr. 3). Die demgegenüber in der NS-Zeit vorherrschende Auffassung, das Arbeitsverhältnis entstehe nicht durch Vertrag, sondern durch Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb, ist mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren (Richardi, in: Münchener Hdb. d. ArbeitsR, § 40 Rdnrn. 4ff.). Sie hatte ihren Grund in der nationalsozialistischen Ideologie (Richardi, in: Münchener Hdb. d. ArbeitsR, § 4 Rdnrn. 7ff.; Rüthers, in: Festschr. zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands, 1994, S. 39 [43ff.]; vgl. auch ders.: Ideologie und Recht im Systemwechsel, 1992, S. 105ff.).

Ein bürgerlich rechtlicher Zahlungsanspruch kann auf sie über ein halbes Jahrhundert nach dem Zusammenbruch des deutschen NS-Staates nicht gestützt, damaliges Unrecht nicht zu heutigem Recht werden. Daher besitzen auch die früheren deutschen Zwangsarbeiter heute keinen Lohnanspruch z.B. gegen die Nachfolgestaaten der einstigen UdSSR, gegen die Städte Volgograd und Warschau, gegen die Betreiber französischer, russischer, ukrainischer oder polnischer (oberschlesischer) Berg- und Stahlwerke, gegen französische oder polnische Bauern. Gleiches gilt für Rückgabeansprüche der Unternehmen und der 119249000 Deutschen Ende 1944 in den Gebieten östlich der Oder und Neiße (Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene I, Bd. 1, 1984, S. 78 E), der damals rund 1,6 Mio. Deutschen im alten polnischen Staatsgebiet (Dokumentation I, Bd. 1, S. 123 E), den 220000 ausgewiesenen Ungarndeutschen (Ginder, FAZ v. 19. 7. 1997, S. 13), der - nach der Volkszählung vom 1. 12. 1930 - vertriebenen 3?231?688 Sudeten- und Slowakaideutschen (Dokumentation IV, Bd. 1, S. 7) und der - nach der Volkszählung vom 31. 3. 1931 - 499969 Jugoslawiendeutschen (Dokumentation V, S. 11 E). Dem Ergebnis, ein arbeitsrechtlicher Lohnanspruch wegen Zwangsarbeit, steht nicht entgegen, dass in der Klageschrift unter Hinweis auf das - am 3. 12. 1998 vom BerGer. (OLG Köln, NJW 1999, 1555) freilich abgeänderte - Urteil des LG Bonn vom 5. 11. 1997 gegen die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs wegen Amtshaftung von einem entgangenen Gewinn statt von einem dort zugrunde gelegten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und einem bürgerlich rechtlichen Bereicherungsanspruch die Rede ist. Denn dem Kläger geht es entsprechend seiner Annahme eines Arbeitsverhältnisses in Wahrheit nicht um Schadensersatz wegen Verletzung einer Vertragspflicht (§§ 249, 252 BGB), sondern um eine Entlohnung. Der von ihm ferner genannte Beschwerdebeschluss des LG München vom 9. 2. 1999 (5 Ta 408/98), mit dem einer urkainischen Zwangsarbeiterin abweichend vom ArbG Augsburg (6 Ha 5/98 N) Prozesskostenhilfe gewährt wurde, ist unbrauchbar, da er keinerlei defintive Begründung aufweist.

Für das geforderte Schmerzensgeld (§ 852 BGB) wird auf die bereits getroffene Feststellung von der unzureichenden Klagebegründung Bezug genommen. Abschließend ist zu bemerken, dass weder auf die millionenfache Zwangsarbeit in diesem Jahrhundert noch auf die Enteignungen, Vertreibungen und auf die sonstigen Massenverbrechen gegen Leib und Leben mit Hilfe des Zivilrechts reagiert werden kann.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen