Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 5 Sa 280/13

Arbeitgeber gibt nach und muss Gratifikation zahlen

(1.) Eine Betriebsvereinbarung kann vorsehen, dass jedem Arbeitnehmer eine Jahressonderzahlung zusteht. Diese Sonderzahlung darf davon abhängig gemacht werden, dass dem Arbeitnehmer nicht vor dem 30.04. des Folgejahres aufgrund verhaltensbedingter Gründe gekündigt wurde oder aus diesen Gründen statt einer Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde.

(2.) Auf eine solche Ausnahmeregelung kann sich der Arbeitgeber jedoch nach Treu und Glauben dann nicht berufen, wenn er nach Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung mit der betroffenen Arbeitnehmerin innnerhalb eines Beendigungsvergleichs folgendes vereinbart:
"Im Hinblick auf die gütliche Einigung werden Vorwürfe gegen die Klägerin (gemeint ist die Arbeitnehmerin, Anm. d. Red.) nicht erhoben bzw. nicht aufrecht erhalten."

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 22. Mai 2013, Az. 10 Ca 306/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer variablen Vergütung.

Die Klägerin war seit 1985 bei der Beklagten zuletzt als Assistentin der Abteilungsleitung zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 4.600,00 beschäftigt. In einer Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) vom 20.08.2007 idF. vom 01.09.2011 ist die Zahlung einer variablen und leistungsbezogenen Vergütung (VPR) geregelt. Die KBV enthält - auszugsweise - folgende Regelung:

"7.5. Unterjähriger Austritt aus dem VPR-System

Bei Ausscheiden eines Mitarbeiters aus dem Unternehmensverband während des laufenden Jahres oder bis zum 30.04. des darauf folgenden Jahres, wird der Teilbetrag, der auf die unternehmensbezogenen Ziele entfällt, nicht gewährt.

...

Eine Auszahlung entfällt insgesamt, sofern einem Mitarbeiter vor dem 30.04. des Folgejahres aufgrund verhaltensbedingter Gründe gekündigt wurde oder aus diesen Gründen statt einer Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde.

..."

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 09.03.2012 außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2012. Im Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgerichts Mainz (Az. 1 Ca 559/12) schlossen die Parteien im Gütetermin vom 02.04.2012 folgenden

"Vergleich:

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, arbeitgeberseitiger Kündigung vom 09.03.2012 unter Einhaltung anwendbarer Kündigungsfristen mit Ablauf des 31.10.2012 sein Ende finden wird.

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass die Klägerin ab sofort freigestellt ist unter Anrechnung noch bestehenden und entstehenden Urlaubs und noch bestehenden Arbeitszeitguthabens aus dem Arbeitszeitkonto.

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2012 vertragsgemäß vollständig und ordnungsgemäß abgerechnet wird.

Die Beklagte erklärt, im Hinblick auf die gütliche Einigung würde Vorwürfe gegen die Klägerin nicht erhoben bzw. nicht aufrecht erhalten.

Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis auszustellen."

Die Beklagte weigert sich, der Klägerin die variable Vergütung für das Jahr 2011 in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 5.967,00 brutto zu zahlen, weil das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen geendet habe. Die Kündigung vom 09.03.2012 sei ausweislich des Inhalts der schriftlichen Anhörung des Betriebsrats vom 06.03.2012 als Tat- bzw. Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs erklärt worden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 5.967,00 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.04.2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat der Klage mit Urteil vom 22.05.2013 stattgegeben und zur Begründung der Entscheidung - zusammengefasst - ausgeführt, die Beklagte sei zur Zahlung der VPR-Vergütung für 2011 verpflichtet, denn die erste Alternative des Ausschlusstatbestands der Ziffer 7.5. Abs. 3 der KBV sei nicht erfüllt. Es könne dahinstehen, ob die Kündigung der Beklagten vom 09.03.2012 aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt gewesen wäre, denn die Parteien hätten im Vergleich vom 02.04.2012 die außerordentliche Kündigung als solche zwar zum Anlass der Beendigung genommen, diese jedoch in Ziff. 1) des Vergleichs in eine ordentliche Kündigung umgewandelt und in Ziff. 4) durch Erklärung der Beklagten klargestellt, dass Vorwürfe gegenüber der Klägerin nicht erhoben bzw. nicht aufrechterhalten würden. Damit habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, der Anlass der Beendigung liege in einer Kündigung vom 09.03.2012, die sowohl retrospektiv als auch im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs nicht auf verhaltensbedingten Gründen beruhe. Auch die zweite Alternative der Ziffer 7.5. Abs. 3 KBV sei nicht erfüllt, denn zwischen den Parteien sei nicht statt einer Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden. Der Beendigungstatbestand sei nach Ziff. 1) des Vergleichs weiterhin die Kündigung vom 09.03.2012 geblieben. Soweit die Beklagte vortrage, ihre Prozessvertreterin habe im Gütetermin vom 02.04.2012 im Kündigungsschutzverfahren darauf hingewiesen, dass aufgrund der Regelungen der KBV für das Jahr 2011 kein VPR-Anspruch bestehe, sei dies nicht Gegenstand des Vergleichs geworden. Eine ausdrückliche Vereinbarung, etwa durch eine Ausgleichsklausel, liege nicht vor. Dass die Klägerin mit einem Ausschluss des VPR-Anspruchs einverstanden gewesen sei, habe die Beklagte selbst nicht behauptet. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 7 des erstinstanzlichen Urteils vom 22.05.2013 Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 20.06.2013 zugestellt worden. Sie hat mit am 10.07.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 20.09.2013 verlängerten Begründungsfrist mit am 19.09.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin könne keine VPR-Vergütung für 2011 beanspruchen. Der gerichtliche Vergleich vom 02.04.2012 sei nicht dahin auszulegen, dass ihre außerordentliche Kündigung vom 09.03.2012 in eine ordentliche Kündigung umgewandelt worden sei, denn das vereinbarte Beendigungsdatum 31.10.2012 entspreche nicht dem Kündigungstermin 30.09.2012. Zudem sei geregelt worden, dass eine Bezahlung nur bis zum 30.06.2012 erfolge. Intention dieser Regelung sei gewesen, der Klägerin die berufliche Neuorientierung zu erleichtern, indem ihr mehr Zeit eingeräumt worden sei, sich aus einem (zumindest auf dem Papier) bestehenden Arbeitsverhältnis zu bewerben. Diesen Hintergrund habe auch Ziff. 4) des Vergleichs gehabt. Für die Außenwirkung, also das weitere berufliche Fortkommen, habe man der Klägerin nicht den Makel schwerwiegender Vertragsverstöße anhaften wollen. Es sei fehlerhaft, wenn das Arbeitsgericht daraus schließe, die Kündigung habe nicht auf verhaltensbedingten Gründen beruht. Da die Frage, welcher Kündigungsgrund vorgelegen habe, im Streitfall rechtserheblich sei, müsste diese beantwortet werden. Das Arbeitsgericht habe ihre Erklärung in Ziff. 4) des Vergleichs fehlerhaft ausgelegt. Sie habe nicht ausdrücklich erklärt, dass keine verhaltensbedingte Kündigung vorliege. Im Gegenteil: In Ziff. 1) sei gerade kein Kündigungsgrund genannt worden. Sie habe das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt, es habe sich um eine Tat- bzw. Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs gehandelt. Ihre Erklärung in Ziff. 4), dass Vorwürfe nicht aufrechterhalten würden, ändere an den objektiven Verhältnissen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nichts. Bei der Erklärung in Ziff. 4) handele es sich um eine bei Vergleichen nach Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung häufig verwendete Formulierung, die jedoch etwaige sozialversicherungsrechtliche Nachteile, wie die Verhinderung einer Sperrfrist, nicht abwenden könnte. Trotzdem werde dieser Satz von Arbeitnehmervertretern regelmäßig gefordert. Eine rechtserhebliche Erklärung des Arbeitgebers stelle er jedoch nicht dar.

Soweit das Arbeitsgericht annehme, dass auch der zweite Ausschlussgrund der Ziff. 7.5. KBV nicht vorliege, weil der gerichtliche Vergleich nicht mit einem Aufhebungsvertrag gleichzusetzen sei, werde verkannt, dass aufgrund der Modifikationen, die ggü. der hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung vorgenommen worden seien, insb. wegen der nur teilweisen Bezahlung der Zeiten bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der Vergleich als Abwicklungsvertrag auszulegen sei. Ziffer 7.5. KBV lasse auch beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags statt einer verhaltensbedingten Kündigung den Anspruch auf die VPR-Vergütung entfallen. Mit dieser Regelung solle die Möglichkeit erhalten bleiben, sich gütlich zu trennen. Andernfalls wäre der Arbeitgeber, um Bonuszahlungen zu vermeiden, zum Ausspruch einer Kündigung gezwungen. Aber auch dann, wenn der Arbeitgeber - wie hier - eine verhaltensbedingte Kündigung bereits erklärt habe und die Einigung erst danach erfolge, lebe der Anspruch auf die VPR-Vergütung nicht wieder auf. Das Arbeitsgericht nehme schließlich an, dass ihr Wille, keine VPR-Vergütung zu zahlen, im Vergleich keinen Niederschlag gefunden habe. Da jedoch nach dem Wortlaut der KBV der Anspruch durch den Ausspruch der Kündigung entfallen sei, hätte es einer positiven Aussage bedurft, dass sie die VPR-Vergütung für 2011 gleichwohl zahlen werde. Dagegen regele Ziff. 3) des Vergleichs nur, dass ordnungsgemäß abgerechnet werde. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beklagten vom 19.09.2013 und vom 22.01.2014 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.05.2013, Az. 10 Ca 306/13, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 07.10.2013 auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Auch im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 1 Ca 559/12 (ArbG Mainz).

Entscheidungsgründe

I.  Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.  In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) vom 20.08.2007 idF. vom 01.09.2011 einen Anspruch auf Zahlung einer variablen und leistungsbezogenen Vergütung (VPR) in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 5.967,00 brutto für das Jahr 2011.

Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1.         Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin aus der KBV für das Jahr 2011 einen Anspruch auf eine VPR-Vergütung iHv. € 5.967,00 brutto erworben hat. Dieser Anspruch ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht durch Ausspruch der Kündigung vom 09.03.2012 entfallen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein Ausschlusstatbestand nach Ziff. 7.5. der KBV nicht vorliegt. Nach dieser Regelung entfällt ein Anspruch auf Auszahlung der VPR-Vergütung insgesamt, sofern einem Mitarbeiter vor dem 30.04. des Folgejahres aufgrund verhaltensbedingter Gründe gekündigt wurde oder aus diesen Gründen statt einer Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin habe aus verhaltensbedingten Gründen geendet, steht dem die Regelung in Ziff. 4) des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 02.04.2012 im Kündigungsschutzverfahren (Az. 1 Ca 559/12) vor dem Arbeitsgericht Mainz entgegen. Die Beklagte hat in Ziff. 4) des Vergleichs ausdrücklich erklärt:

"Im Hinblick auf die gütliche Einigung würde Vorwürfe gegen die Klägerin nicht erhoben bzw. nicht aufrecht erhalten."

Aufgrund dieser Erklärung kann die Beklagte der Klägerin nunmehr im Folgeprozess auf Zahlung der VPR-Vergütung nicht mehr entgegenhalten, das Arbeitsverhältnis habe aus verhaltensbedingten Gründen wegen Arbeitszeitbetrugs bzw. eines diesbezüglichen dringenden Verdachts geendet. Entgegen der Ansicht der Berufung ist im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht zu prüfen, ob die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2012 aus verhaltensbedingten Gründen als Tat- oder Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs rechtswirksam gewesen wäre, wenn sich die Parteien im Gütetermin vom 02.04.2012 nicht vergleichsweise auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt hätten.

2.         Die Parteien haben einen Vergleich iSd. § 779 Abs. 1 BGB geschlossen. Nach dieser Vorschrift ist der Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Vorliegend bestand im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs im Kündigungsschutzverfahren zwischen den Parteien Streit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach über 25-jähriger Betriebszugehörigkeit, nachdem die Klägerin gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2012 innerhalb der Dreiwochenfrist gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG Klage erhoben hatte. Dieser Streit wurde durch gegenseitiges Nachgeben beendet: Die Klägerin willigte im Gütetermin vom 02.04.2012 in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2012 ein und verzichtete insoweit auf den Bestandsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz; die Beklagte verpflichtete sich, das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2012 "vollständig und ordnungsgemäß abzurechnen", wozu sie möglicherweise, nämlich im Falle der Rechtswirksamkeit ihrer außerordentlichen Kündigung vom 09.03.2012 nicht verpflichtet gewesen wäre. Die Beklagte verpflichtete sich in Ziff. 4) des Vergleichs außerdem, die Vorwürfe gegen die Klägerin "nicht aufrechtzuerhalten". Diese Erklärung stellt ein weiteres Entgegenkommen der Beklagten im Rahmen des gegenseitigen Nachgebens dar. Damit kann sie im vorliegenden Rechtsstreit nicht damit gehört werden, das Arbeitsverhältnis habe aus verhaltensbedingten Gründen geendet. Das verbietet ihr schon der Grundsatz der Vertragstreue.

3.         Entgegen der Ansicht der Berufung stellt Ziff. 4) des Vergleichs vom 02.04.2012 im Kündigungsschutzverfahren eine rechterhebliche Erklärung dar, die das Arbeitsgericht zutreffend ausgelegt hat.

Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt (25.04.2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 22 mwN, NZA 2013, 1206).

Die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt, dass Ziff. 4) des Vergleichs nicht nur eine "rechtsunerhebliche Erklärung" darstellt, wie die Berufung meint. Vielmehr präkludiert Ziff. 4) den der Kündigung vom 09.03.2012 zugrundeliegenden Sachverhalt. Genau diesen Sachverhalt wendet die Beklagte aber jetzt gegen den Anspruch der Klägerin auf die VPR-Vergütung für das Jahr 2011 ein. Die Erklärung in Ziff. 4) des Vergleichs kann entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht so verstanden werden, dass sie lediglich für die "Außenwirkung" abgegeben worden sei, damit der Klägerin nicht der Makel schwerwiegender Vertragsverstöße anhafte. Ob der Klägerin schwerwiegende Vertragsverstöße vorzuwerfen waren, die eine außerordentliche oder hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten hätten rechtfertigen können, ist im Kündigungsschutzprozess wegen der vergleichsweisen Einigung nicht gerichtlich überprüft worden. Für die "Außenwirkung" ist nicht der Inhalt des gerichtlichen Vergleichs, sondern der Inhalt des Arbeitszeugnisses von Bedeutung, um sich mit einiger Aussicht auf Erfolg um eine neue Arbeitsstelle bewerben zu können. Die Beklagte hat sich in Ziff. 5) des Vergleichs zur Erteilung eines wohlwollenden, qualifizierten Zeugnisses verpflichtet.

Soweit die Berufung ausführt, bei der Erklärung in Ziff. 4) des Vergleichs handele es sich um eine bei Vergleichen nach Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung häufig verwendete Formulierung, die von Arbeitnehmervertretern regelmäßig gefordert würde, obwohl sich etwaige sozialversicherungsrechtliche Nachteile, wie die Verhinderung einer Sperrfrist, damit nicht abwenden ließen, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg. Aus welchen Motive oder Gründen Formulierungen wie in Ziff. 4) des Vergleichs von Arbeitnehmervertretern verlangt werden, kann hier dahinstehen. Die Beklagte behauptet nicht, ihre Prozessvertreterin habe bei Vergleichsschluss am 02.04.2012 überhaupt nicht das Bewusstsein gehabt, auch mit Ziff. 4) eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben. Dies wäre nicht nur wenig überzeugend, sondern auch unerheblich. Denn dass die Erklärung, die Vorwürfe gegen die Klägerin "nicht aufrechtzuerhalten" als Willenserklärung aufgefasst werden konnte und von der Klägerin tatsächlich so verstanden worden ist, musste die Beklagte jedenfalls erkennen. Ein geheimer Vorbehalt der Beklagten, ihre Zusage in Wirklichkeit nicht einhalten zu wollen, wäre gemäß § 116 BGB ohnehin unbeachtlich.

4.         Der Anspruch der Klägerin auf die VPR-Vergütung für das Jahr 2011 ist entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht deshalb nach Ziff. 7.5. der KBV entfallen, weil der gerichtliche Vergleich vom 02.04.2012 mit einem Aufhebungsvertrag aus verhaltensbedingten Gründen gleichzusetzen sei. Die Beklagte hat in Ziff. 4) des Vergleichs erklärt, dass sie die Vorwürfe gegen die Klägerin im Hinblick auf die gütliche Einigung "nicht aufrechterhalte". Diese Erklärung kann sie nicht mit dem Hinweis relativieren, dass für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit einer Kündigung auf die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs abzustellen sei. Vorliegend ist die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 09.03.2012 wegen des Vergleichsabschlusses vom 02.04.2012 nicht zu überprüfen. Im Falle eines Vergleichs iSv. § 779 BGB kommt es weniger auf die wahre Ausgangslage im Sinne einer objektiven Bewertung der von beiden Seiten übernommenen Leistungen an, als auf die Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch die Parteien bei Abschluss der Vereinbarung. Entscheidend ist, inwieweit sie zur Streitbereinigung wechselseitig nachgegeben haben. Wird ein Vergleich abgeschlossen, um die bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben zu beseitigen, so lässt dies zudem vermuten, dass die vereinbarte Regelung die gegenseitigen Interessen ausgewogen berücksichtigt hat. Die Parteien tragen in so einem Fall regelmäßig jeweils selbst das Risiko der Angemessenheit der vergleichsweise versprochenen Leistung (BAG 25.04.2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 35 mwN, aaO.). Die Beklagte kann der Klägerin nach Vergleichsschluss nicht mehr entgegenhalten, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf verhaltensbedingten Gründen. Damit ist ihre Verpflichtung zur Auszahlung der VPR-Vergütung für 2011 nicht gemäß Ziff. 7.5 der KBV entfallen.

III.  Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.



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