Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C-518/22

Bewerbung: Altersbeschränkung für persönliche Assistenz ist zulässig

Die Beschäftigung eines persönlichen Assistenten, der die täglichen Bedürfnisse einer Person mit Behinderung unterstützt, kann Personen derselben Altersgruppe vorbehalten werden. Dies stellt keine rechtswidrige Altersdiskriminierung dar.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Ein deutsches Unternehmen Gesellschaft, das sich auf Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert hat, suchte im Jahr 2018 Assistentinnen für eine 28-Jährige, die in allen Lebensbereichen des Alltags Unterstützung benötigte. Laut der Anzeige sollten die Bewerberinnen "am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt“ sein. Eine etwa 50-jährige abgelehnte Bewerberin fühlte sich aufgrund ihres Alters diskriminiert und forderte gemäß § 15 Abs. 2 des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine Entschädigung – ohne Erfolg.
Der EuGH betonte, dass es nach den deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgeschrieben sei, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen zu entsprechen, wenn dabei die Leistungen der persönlichen Assistenz betroffen sind. Die Betreffenden müssen in der Lage sein, zu entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben. Eine geäußerte Bevorzugung von Assistentinnen einer bestimmten Altersgruppe sei zudem geeignet, das Recht auf Selbstbestimmung eines Menschen mit Behinderung zu fördern. Die sich aus der Beschränkung der Bewerber auf eine gewisse Altersgruppe ergebende Ungleichbehandlung sei daher gerechtfertigt.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde (im Folgenden: VN-Übereinkommen).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. M. P. und der AP Assistenzprofis GmbH, einer Anbieterin von Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, über die Zahlung einer von J. M. P. geforderten Entschädigung wegen einer Altersdiskriminierung im Rahmen eines Einstellungsverfahrens.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

In der Präambel des VN-Übereinkommens heißt es:

„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens –

c)      bekräftigend, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss,

h)      ebenso in der Erkenntnis, dass jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung eine Verletzung der Würde und des Wertes darstellt, die jedem Menschen innewohnen,

j)      in Anerkennung der Notwendigkeit, die Menschenrechte aller Menschen mit Behinderungen, einschließlich derjenigen, die intensivere Unterstützung benötigen, zu fördern und zu schützen,

n)      in der Erkenntnis, wie wichtig die individuelle Autonomie und Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen,

…“

Art. 1 („Zweck“) des VN-Übereinkommens bestimmt:

„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

…“

In Art. 3 („Allgemeine Grundsätze“) des VN-Übereinkommens heißt es:

„Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind:

a)      die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;

b)      die Nichtdiskriminierung;

c)      die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;

d)      die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;

…“

Art. 5 („Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung“) des VN-Übereinkommens sieht vor:

„(1)      Die Vertragsstaaten anerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben.

(4)      Besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.“

In Art. 12 („Gleiche Anerkennung vor dem Recht“) Abs. 2 des VN-Übereinkommens heißt es:

„Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.“

Art. 19 („Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“) des VN-Übereinkommens lautet:

„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass

a)      Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

b)      Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;

c)      gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.“

Unionsrecht

Die Erwägungsgründe 23 und 25 der Richtlinie 2000/78 lauten:

„(23)      Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein, wenn ein Merkmal, das mit der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter oder der sexuellen Ausrichtung zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Diese Bedingungen sollten in die Informationen aufgenommen werden, die die Mitgliedstaaten der [Europäischen] Kommission übermitteln.

(25)      Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist.“

Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

In Art. 2 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

(5)      Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

Art. 3 („Geltungsbereich“) Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 sieht vor:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs“.

Art. 4 („Berufliche Anforderungen“) Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 lautet:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“

Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„(1)      Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)      die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c)      die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

…“

Art. 7 („Positive und spezifische Maßnahmen“) der Richtlinie 2000/78 lautet:

„(1)      Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden.

(2)      Im Falle von Menschen mit Behinderung steht der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern.“

Deutsches Recht

Grundgesetz

In Art. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. 1949 I S. 1) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: GG) heißt es:

„(1)      Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2)      Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

…“

Art. 2 Abs. 1 GG lautet:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

AGG

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. 2006 I S. 1897) (im Folgenden: AGG) soll die Richtlinie 2000/78 in deutsches Recht umsetzen.

§ 1 AGG lautet:

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

In § 3 Abs. 1 AGG heißt es:

„Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. …“

§ 5 AGG bestimmt:

„Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 … benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.“

§ 7 Abs. 1 AGG sieht vor:

„Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden …“

§ 8 Abs. 1 AGG lautet:

„Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“

§ 10 AGG bestimmt:

„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

1.      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,

2.      die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,

3.      die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,

…“

In § 15 AGG heißt es:

„(1)      Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. …

(2)      Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. …“

SGB

§ 33 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (I) vom 11. Dezember 1975 (BGBl. 1975 I S. 3015) (im Folgenden: SGB I) lautet:

„Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.“

§ 8 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (IX) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. 2016 I S. 3234) (im Folgenden: SGB IX) bestimmt:

„Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 [SGB I]. …“

§ 78 Abs. 1 SGB IX lautet:

„Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

AP Assistenzprofis, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ist eine Gesellschaft, die für Menschen mit Behinderungen zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung ihres Alltags Assistenz- und Beratungsdienstleistungen gemäß § 78 Abs. 1 SGB IX erbringt.

Sie veröffentlichte im Juli 2018 ein Stellenangebot, wonach die 28‑jährige Studentin A. zu ihrer Unterstützung in allen Lebensbereichen des Alltags persönliche Assistentinnen weiblichen Geschlechts suchte, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten.

J. M. P., die 1968 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens, bewarb sich auf dieses Stellenangebot und erhielt von AP Assistenzprofis eine Absage.

Nach außergerichtlicher Geltendmachung ihrer Ansprüche erhob J. M. P. beim Arbeitsgericht Köln (Deutschland) Klage gegen AP Assistenzprofis auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Altersdiskriminierung.

Im Rahmen dieser Klage machte J. M. P. zum einen geltend, dass die ausdrücklich an Personen im Alter „zwischen 18 und 30 Jahren“ gerichtete Stellenausschreibung der Beklagten die Vermutung erlaube, dass sie im Bewerbungsverfahren nur wegen ihres Alters nicht berücksichtigt worden sei. Diese Vermutung sei von AP Assistenzprofis nicht widerlegt worden. Zum anderen sei die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht aufgrund der Art der persönlichen Assistenzdienste gerechtfertigt und weder nach § 8 Abs. 1 noch nach § 10 AGG zulässig, da u. a. ein bestimmtes Alter für das Vertrauensverhältnis im Rahmen einer solchen persönlichen Assistenz nicht relevant sei.

AP Assistenzprofis beantragte die Abweisung dieser Klage. Eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach § 8 Abs. 1 oder § 10 AGG gerechtfertigt. Die Tätigkeit der persönlichen Assistenz bestehe in einer höchstpersönlichen Alltagsbegleitung, die eine ständige Abhängigkeit der assistenznehmenden Person bedeute. Folglich ermögliche es das Erfordernis eines bestimmten Alters, den höchstpersönlichen Bedürfnissen von A. in ihrem gesellschaftlichen Leben als Universitätsstudentin gerecht zu werden.

Gemäß § 8 Abs. 1 SGB IX müsse den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Person Rechnung getragen werden. In diesem Kontext sei der legitime Wunsch, dass die Person, die die Assistenz leiste, ein bestimmtes Alter habe, als eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG anzusehen, um das mit § 78 Abs. 1 SGB IX verfolgte Ziel der Assistenzleistungen erreichen zu können, womit das Persönlichkeitsrecht im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG geschützt werde. Diese Anforderung sei auch angemessen. Des Weiteren sei eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 AGG zulässig, da sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung des Ziels der persönlichen Assistenz im Sinne von § 78 SGB IX angemessen und erforderlich seien.

Das Arbeitsgericht Köln gab der Klage von J. M. P. statt. Der Berufung von AP Assistenzprofis wurde mit einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln (Deutschland) stattgegeben. J. M. P. legte anschließend gegen dieses Urteil Revision beim vorlegenden Gericht, dem Bundesarbeitsgericht (Deutschland), ein.

Einleitend stellt das vorlegende Gericht zum einen fest, dass eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 falle, da sie die Auswahlkriterien für den Zugang zur Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie betreffe. Zum anderen habe die Klägerin des Ausgangsverfahrens durch die Absage der Beklagten des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 erfahren.

In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der es um den besonderen Fall der persönlichen Assistenz gehe, in dem sowohl die Klägerin des Ausgangsverfahrens als auch der Mensch mit Behinderung Schutz vor Diskriminierung beanspruchen könnten, solle mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, inwieweit das Recht der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters und das Recht des Menschen mit Behinderung auf einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen seiner Behinderung im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78 in Einklang zu bringen seien, die in Bezug auf Beschäftigung und Beruf den in Art. 21 der Charta verankerten allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung konkretisiere.

Hierzu führt das vorlegende Gericht erstens aus, dass die persönliche Assistenz nach dem anwendbaren nationalen Recht, nämlich § 8 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I, auf dem Leitbild der Selbstbestimmung beruhe. Sie solle somit Menschen mit Behinderungen befähigen, ihren Alltag möglichst weitgehend selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten, indem u. a. die berechtigten Wünsche der Leistungsberechtigten berücksichtigt würden. Nach § 78 Abs. 1 SGB IX umfassten diese Leistungen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung und die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben.

Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Richtlinie 2000/78 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einer der Rechtsakte der Union zu den durch das VN-Übereinkommen erfassten Angelegenheiten sei, so dass dieses zu ihrer Auslegung herangezogen werden könne (Urteil vom 11. September 2019, Nobel Plastiques Ibérica, C‑397/18, EU:C:2019:703, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Denn das VN-Übereinkommen, u. a. sein Art. 19, enthalte konkrete Anforderungen, um es Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, mit der gleichen Autonomie und den gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Personen zu leben.

Drittens ermögliche es die Wahrung des genannten Rechts auf Autonomie und Wahlmöglichkeiten, die Menschenwürde im Sinne von Art. 1 der Charta und Art. 1 GG zu gewährleisten, angesichts dessen, dass die persönliche Assistenz alle Lebensbereiche betreffe und die assistenzleistende Person daher zwangsläufig tief in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person eingreife. Daher seien die Wünsche des jeweiligen Menschen mit Behinderung bei persönlichen Assistenzleistungen, soweit sie im Einzelfall angemessen seien, zu respektieren.

Was viertens die Bestimmungen des Unionsrechts betrifft, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters rechtfertigen können, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die Möglichkeit besteht, dass einer der in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe – wie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer – eine solche Diskriminierung rechtfertigen kann. Es spreche viel dafür, dass Menschen mit Behinderungen ein solches freies Bestimmungsrecht bei der persönlichen Assistenz gewährleistet sein müsse.

Zum anderen schließt es das vorlegende Gericht nicht aus, dass eine solche Diskriminierung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein könne. So fragt es sich u. a., ob der von einem Menschen mit Behinderung im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts geäußerte Wunsch, dass die Person, die die persönliche Assistenz leistet, einer bestimmten Altersgruppe angehören solle, ein „Merkmal“ im Sinne dieses Art. 4 Abs. 1 darstellt, und ferner, ob eine Präferenz für eine solche Altersgruppe eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann.

Außerdem stelle sich die Frage, ob es ein „legitimes Ziel“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sein könne, wenn ein nationaler Gesetzgeber mit dem Recht von Menschen mit Behinderungen auf die Äußerung berechtigter Wünsche und auf Wahlmöglichkeit bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz das Ziel verfolge, die Eigenverantwortlichkeit dieser Menschen in ihrem Alltag sowie ihre Motivation zur gesellschaftlichen Teilhabe zu stärken.

Schließlich fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 7 der Richtlinie, mit dem die völlige Gleichstellung im Berufsleben erreicht werden solle, in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen für eine Rechtfertigung einer Diskriminierung wegen des Alters von Bedeutung sein kann.

Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 – im Licht der Vorgaben der Charta sowie im Licht von Art. 19 des VN-Übereinkommens – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?

 

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und/oder Art. 7 der Richtlinie 2000/78 im Licht der Bestimmungen der Charta und von Art. 19 des VN-Übereinkommens dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Einstellung einer Person, die persönliche Assistenz leistet, in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, nach denen die individuellen Wünsche der Person berücksichtigt werden, die wegen ihrer Behinderung Anspruch auf Leistungen der persönlichen Assistenz hat, von einer Altersanforderung abhängig gemacht wird.

Zunächst ist zum einen festzustellen, dass der Sachverhalt, der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist, unter die Richtlinie 2000/78 fällt, da ein Verfahren zur Einstellung einer Person, die persönliche Assistenz leistet, in dessen Rahmen die Bewerber „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollen, „die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu … Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie betrifft.

Zum anderen zeigt sich, dass die Absage, die J. M. P. von AP Assistenzprofis auf ihre Bewerbung hin erhielt, wegen ihres Alters erfolgte und daher eine „unmittelbare Diskriminierung“ wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellt.

Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob eine solche Ungleichbehandlung wegen des Alters im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden kann.

Zunächst ist Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zu prüfen, wonach diese Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen berührt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wollte der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass dieser Bestimmung auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf dem Entstehen eines Spannungsfelds zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung einerseits und der notwendigen Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, der Verhütung von Rechtsverstößen sowie dem Schutz der individuellen Rechte und Freiheiten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind, andererseits vorbeugen und vermittelnd eingreifen. Er hat somit beschlossen, dass in bestimmten, in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 aufgeführten Fällen die in dieser Richtlinie aufgestellten Grundsätze für Maßnahmen, die Ungleichbehandlungen wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe enthalten, nicht gelten, vorausgesetzt allerdings, dass diese Maßnahmen zum Erreichen der oben genannten Ziele notwendig sind (Urteil vom 12. Januar 2023, TP [Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen], C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Da dieser Art. 2 Abs. 5 eine Abweichung vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen begründet, ist er eng auszulegen (Urteil vom 12. Januar 2023, TP [Videoredakteur beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen], C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Vorliegend ist erstens zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Ungleichbehandlung auf einer im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahme gemäß Art. 2 Abs. 5 beruht.

Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschriften, nämlich § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I, bestimmen, dass bei der Entscheidung über Leistungen der persönlichen Assistenz und deren Ausführung, womit die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gefördert werden soll, den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen wird, soweit sie angemessen sind, wobei auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen wird.

Somit zeigt sich, dass diese Rechtsvorschriften die Erbringer persönlicher Assistenzleistungen in hinreichend klaren Worten ermächtigen, ja sogar verpflichten, bei der Gestaltung der persönlichen Assistenz für Menschen mit Behinderungen deren individuellen Wünschen, gegebenenfalls einschließlich derjenigen, die sich auf das Alter der Person, die ihnen diese Assistenz leisten soll, beziehen, Rechnung zu tragen, und individuelle Maßnahmen zu ergreifen, mit denen diese Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung dieser Wünsche einschließlich des Wunsches, die Einstellung einer solchen Person von einer Altersanforderung abhängig zu machen, angewandt werden. Unter diesen Umständen – und vorbehaltlich einer etwaigen vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfung – beruht die im Ausgangsverfahren fragliche Ungleichbehandlung wegen des Alters auf einer im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78.

Zweitens ist zu prüfen, ob mit dieser Maßnahme eines der in Art. 2 Abs. 5 genannten Ziele, insbesondere der „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“, verfolgt wird.

Insoweit wird, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, mit den Rechtsvorschriften, in deren Anwendung diese Maßnahme ergangen ist, das Ziel verfolgt, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu schützen, indem sie deren Wunsch- und Wahlrecht bei der Entscheidung über die Leistungen der persönlichen Assistenz und deren Ausführung gewährleisten, da diese Leistungen sämtliche Lebensbereiche betreffen und tief in die Privat- und Intimsphäre der assistenznehmenden Person hineinreichen. Diese Rechtsvorschriften sollen somit das Recht von Menschen mit Behinderungen gewährleisten, ihre Lebensumstände möglichst weitgehend selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten.

Wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fällt ein solches Ziel unter Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78, da es das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen schützen soll, das sie in die Lage versetzen muss, zu entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben.

Ein solches Recht beinhaltet notwendigerweise die Möglichkeit, dass sie die ihnen zu erbringende persönliche Assistenzleistung gestalten, wozu auch gehört, dass sie die Kriterien für die Auswahl der Person festlegen, die diese Leistung erbringen soll, und am Einstellungsverfahren für diese Person aktiv teilnehmen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zum einen das in Rn. 58 des vorliegenden Urteils genannte Wunsch- und Wahlrecht den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft konkretisiert, der gemäß Art. 26 der Charta zu den durch das Unionsrecht anerkannten Rechten gehört.

Zum anderen ist die Achtung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen auch ein in Art. 19 des VN-Übereinkommens verankertes Ziel, dessen Bestimmungen zur Auslegung der Richtlinie 2000/78 einschließlich ihres Art. 2 Abs. 5 herangezogen werden können. Diese Richtlinie ist nämlich nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit dem VN-Übereinkommen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2019, Nobel Plastiques Ibérica, C‑397/18, EU:C:2019:703, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Drittens ist zu prüfen, ob sich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters wie die im Ausgangsverfahren fragliche aus einer Maßnahme ergibt, die im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, insbesondere zum Schutz des Rechts der betreffenden Person mit Behinderung auf Selbstbestimmung bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz.

Vorliegend zeigt sich, dass sich die Angabe eines bevorzugten Alters von 18 bis 30 Jahren in der fraglichen Stellenausschreibung im individuellen Bedürfnis von A. gründet, eine persönliche Assistenz für ihre Begleitung in allen Bereichen ihres täglichen Soziallebens als 28‑jährige Studentin zu erhalten. Eine solche Assistenz berührt somit ihre Privat- und Intimsphäre mit Blick auf allgemeine Aufgaben, die nicht nur die Organisation ihres täglichen Lebens einschließlich der Planung ihrer höchstpersönlichen Bedürfnisse, sondern auch die Führung ihres sozialen und kulturellen Lebens betreffen. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass diese Bevorzugung eines bestimmten Alters u. a. damit begründet wurde, dass die assistenzleistende Person in der Lage sein sollte, sich leicht in das persönliche, soziale und universitäre Umfeld von A. zu integrieren.

Daher ist in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen die Berücksichtigung der Bevorzugung eines bestimmten Alters, die der Mensch mit Behinderung, der Leistungen der persönlichen Assistenz erhält, geäußert hat, geeignet, die Achtung seines Selbstbestimmungsrechts bei der Erbringung dieser Leistungen der persönlichen Assistenz zu fördern. Denn es lässt sich vernünftigerweise erwarten, dass jemand, der derselben Altersgruppe wie der Mensch mit Behinderung angehört, sich leichter in dessen persönliches, soziales und akademisches Umfeld einfügt.

Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht im Hinblick auf alle Umstände des Ausgangsverfahrens vorzunehmenden Prüfungen zeigt sich somit, dass sich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters wie die im Ausgangsverfahren fragliche aus einer Maßnahme ergibt, die im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Da eine Ungleichbehandlung wegen des Alters nach diesem Art. 2 Abs. 5 gerechtfertigt sein kann, sofern sie sich aus einer Maßnahme ergibt, die im Sinne dieser Bestimmung zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, braucht folglich nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob sie auch nach Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und/oder Art. 7 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein könnte.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 im Licht von Art. 26 der Charta und von Art. 19 des VN-Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Einstellung einer Person, die persönliche Assistenz leistet, in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, nach denen die individuellen Wünsche der Person berücksichtigt werden, die wegen ihrer Behinderung Anspruch auf Leistungen der persönlichen Assistenz hat, von einer Altersanforderung abhängig gemacht wird, wenn eine solche Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist im Licht von Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde,

dahin auszulegen, dass

er dem nicht entgegensteht, dass die Einstellung einer Person, die persönliche Assistenz leistet, in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, nach denen die individuellen Wünsche der Person berücksichtigt werden, die wegen ihrer Behinderung Anspruch auf Leistungen der persönlichen Assistenz hat, von einer Altersanforderung abhängig gemacht wird, wenn eine solche Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.



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