Arbeitsgericht Trier

Urteil vom - Az: 1 Ca 1288/07

Geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Erziehungstätigkeit

Das Gericht entschied, dass eine Erzieherstelle in einem Mädcheninternat auch für männliche Bewerber offen stehen muss.
Die Berufungsinstanz (LAG Rheinland-Pfalz) sowie die Revisionsinstanz (BAG) folgten dieser Ansicht nicht. Die Ungleichbehandlung sei vielmehr gerechtfertigt.

I. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 6.750,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.07.2007 zu zahlen. 

II. Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits. 

III. Der Streitwert wird auf 6.750,00 EUR festgesetzt. 

IV. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes (§ 64 Abs. 2 Buchst. b u. c ArbGG) statthaft ist, wird sie nicht zugelassen 

 

Tatbestand 

Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch wegen des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Der Kläger ist ausgebildeter Dipl.-Sozialpädagoge. Er hat sich auf eine Stellenausschreibung des V beworben, die u. a. in der Stellenbörse der Bundesagentur für Arbeit im Mai 2007 veröffentlicht war und auszugsweise wie folgt lautet: 

„STELLENAUSSCHREIBUNG
Erzieherin/Sportlehrerin/Sozialpädagogin
Das V sucht für sein Mädcheninternat eine Erzieherin/Sportlehrerin/Sozialpädagogin zum 20. August 2007. Die Vergütung richtet sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TVL). Darüber hinaus werden die üblichen Sozialleistungen gewährt. Es handelt sich um eine Vollzeitstelle.... 

Das V besuchen zur Zeit 500 Schülerinnen und Schüler in den Klassen 7-13 sowie in speziellen Förderklassen für Aussiedler und Migranten ab Klasse 10. Zur Schule gehört ein Internat mit 196 Plätzen. Wir suchen eine Erzieherin/Sportlehrerin/Sozialpädagogin, die bereit ist, Hausaufgabenbetreuung zu übernehmen und das sportliche sowie das Freizeitangebot für unsere Internatsschülerinnen und -schüler (Basketball, Volleyball, Badminton, Gymnastik, Tanz, Outdoor-Sportarten) durchzuführen und zu ergänzen. Die Schule verfügt über eine Sporthalle, ein Schwimmbad und einen Sportplatz.“ 

Mit Schreiben vom 24.05.2007 wurden dem Kläger die Bewerbungsunterlagen zurückgesandt mit dem Bemerken, da die neue Stelleninhaberin auch Nachtdienste im Mädcheninternat leisten müsse, könnten bei der Besetzung der ausgeschrieben Stelle ausschließlich weibliche Bewerberinnen berücksichtigt werden. Mit Schreiben seiner späteren Prozessbevollmächtigten vom 02.07.2007 hat der Kläger gegenüber dem V einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 6.750,00 EUR geltend gemacht. Die B-Stadt (ADD) hat mit Schreiben vom 19.07.2007 den Anspruch zurückgewiesen mit der Begründung, es liege ein sachlicher Grund für die geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung vor, nämlich wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit, namentlich dem zu versehenden Nachtdienst. Allein die Tatsache, dass in einer reinen Mädchenschule ein Nachtdienst versehen werden müsse, spreche schon für sich. Es sollte einem Jeden einleuchten, dass Mädchen und junge Frauen in der Alterstufe, in der sich die Schülerinnen befinden, sich mit ihren Problemen nicht an eine männliche Aufsichtsperson wenden wollten und dazu auch nicht gezwungen werden sollten.

Mit bei Gericht am 30.08.2007 eingegangener Klageschrift hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, es liege eine Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß §§ 1, 7 AGG vor. Nach § 8 AGG sei eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen sei. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Das V und das angeschlossene Internat stehe für Mädchen und Jungen offen. Die Stellenausschreibung sei nicht geschlechtsneutral im Sinne des § 11 i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG erfolgt. Mit keinem Wort gehe die Ausschreibung auf die Anforderung ein, nämlich auf die angebliche Notwendigkeit, „Nachtschichten im Mädcheninternat durchzuführen. Seitens des Beklagten werde nicht einmal mitgeteilt, welchen Anteil evtl. Nachtdienste in dem gesamten Tätigkeitsbereich der ausgeschriebenen Stelle einnehmen würden. Dieser Anteil dürfte äußerst gering sein. Unter Hinweis auf § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach die Entschädigung im Falle einer Nichteinstellung 3 Monatsgehälter nicht übersteigen dürfe, beanspruche der Kläger einen Betrag als Entschädigung, der 2,5 Bruttomonatsgehältern entspreche. Bei einem geschätzten Bruttomonatsgehalt von 2.700,00 EUR sei dies mithin ein Betrag von 6.750,00 EUR. 

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 6.750,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Juli 2007 zu zahlen. 

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Es trägt vor, in dem V, und zwar in dem dortigen Internat, seien in 2 getrennten Gebäuden 120 Mädchen als Internatsschülerinnen und 80 Jungen als Internatsschüler untergebracht. In dem Internat seien 7 Erzieher beschäftigt, und zwar 4 Frauen und 3 Männer. Die Stelle einer weiblichen Erzieherin sei frei geworden und deshalb sei die Stellenausschreibung seinerzeit erfolgt. Das Gebäude des Mädcheninternats habe 4 Etagen. Auf jeder Etage sei ein Dienstzimmer. Innerhalb des Teiles Mädcheninternat wechselten sich die Erzieherinnen im Dienst ab. Durch den Dienstplan sei klargestellt, welche Erzieherin Dienst habe. Bei 4 Personen finde ein wöchentlicher Wechsel des Nachtdienstes statt, so dass jede Erzieherin einmal im Monat eine Woche lang für den Nachtdienst zuständig sei. In dem Teil Jungeninternat werde bei 3 Erziehern in gleicher Weise vorgegangen. Weiter macht das beklagte Land geltend, das Bereitschaftszimmer befinde sich auf der Wohnetage, wo auch die Mädchen ihre Zimmer hätten. Bei Lichtschluss am Abend und zu den Weckzeiten am Morgen gehe die Internatserzieherin die einzelnen Mädchenzimmer ab. Zu den Bereitschaftszimmern der Erzieherinnen gehöre keine eigene Nasszelle, so dass die Erzieherinnen die Gemeinschaftseinrichtungen mitbenutzen müssten. Da der Elternwohnsitz der Internatsschülerinnen meist recht weit entfernt liege, übernehme im Krankheitsfall die Betreuung zunächst die diensthabende Erzieherin. Dadurch entstehe ein sehr enger Kontakt zu den Mädchen. Gerade in einem Internat sei es von großer Wichtigkeit, dass sich Schülerinnen wohlfühlten und in einer vertrauensvollen Umgebung leben und lernen könnte. Deshalb sei es insbesondere mit Rücksicht auf die Intimsphäre der Mädchen und jungen Frauen erforderlich, dass vor allem nachts eine weibliche Kontaktperson zur Verfügung stehe. Da der Nachtdienst nicht doppelt besetzt sei, wäre dies im Falle der Einstellung eines männlichen Bewerbers nicht gewährleistet. Der Nachtdienst im Mädcheninternat mache also nicht nur einen unwesentlichen Teil der Aufgaben aus. Im Übrigen komme es auf den Anteil des Nachtdienstes im gesamten Aufgabenbereich nicht an. Jedenfalls sei ein männlicher Bewerber nicht in gleicher Weise einsetzbar wie eine weibliche Bewerberin. Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe 

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land gemäß § 15 Abs. 2 AGG einen Entschädigungsanspruch in Geld. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag in Höhe von 2,5 Monatsgehältern = 6.750,00 EUR ist angemessen. Die Frist für die schriftliche  Geltendmachung gemäß § 15 Abs. 4 AGG von 2 Monaten ist im Hinblick auf die Ablehnung der Bewerbung gemäß Schreiben vom 24.05.2007 und im Hinblick auf den geltend gemachten Schadenersatzanspruch mit Schreiben vom 02.07.2007 gewahrt. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes, also insbesondere auch nicht wegen des Geschlechts, benachteiligt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 AGG gelten als Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis.

Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden; eine Ausschreibung ist demgemäß grundsätzlich geschlechtsneutral vorzunehmen. Eine merkmalsbezogene Aussage ist nur zulässig, wenn das Differenzierungskriterium wegen Vorliegens von Ausnahmen oder Rechtfertigungsgründen verwendet werden darf (vgl. Erfurter Kommentar/Schlachter 8. Auflage § 11 AGG RN 2). Zwar löst ein Verstoß gegen das Verbot der benachteiligenden Ausschreibung noch keine Entschädigungsansprüche aus § 15 Abs. 2 AGG aus. Es begründet jedoch eine Vermutung für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot selbst, weil sie als Tatsache gewertet wird, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lässt (vgl. Schlachter Erfurter Kommentar a. a. O. mit weiteren Nachweisen auch auf die frühere Rechtsprechung zu § 611 a BGB).

Das beklagte Land bzw. das V hat eine Stellenausschreibung vorgenommen für „Erzieherin/Sportlehrerin/Sozialpädagogin“, also ausdrücklich für eine weibliche Bewerberin. Dies begründet zunächst einmal eine Vermutung dahingehend, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt. Dies führt gemäß § 22 AGG zu einer Beweislastumkehr: Das beklagte Land trägt nunmehr die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Für die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Männern und Frauen für die ausgeschriebene Stelle beruft sich das beklagte Land auf § 8 Abs. 1 AGG. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Entgegen den Ausführungen des beklagten Landes reicht demgemäß nicht bereits ein „sachlicher“ Grund für die Ungleichbehandlung aus. Entscheidend sind also die beruflichen Anforderungen, wie sie für die vertragsgemäß zu erbringende Leistung erforderlich sind. Wesentlich sind Sie, wenn ein hinreichend großer Teil der Gesamtforderungen des Arbeitsplatzes betroffen ist (vgl. Küttner Personalhandbuch 277 14. Auflage Stichwort Diskriminierung RN 73). Die Geringfügigkeitsgrenze muss also klar überschritten sein. Auf lediglich sachliche Gründe oder Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte darf die berufliche Anforderung nicht gestützt werden (vgl. Erfurter Kommentar/Schlachter a. a. . § 8 AGG RN 4). 

Das beklagte Land stützt die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen für die zu besetzende Stelle auf den Sachvortrag, in dem Mädcheninternat müsse ein Nachtdienst versehen werden. Insoweit sei eine Aufteilung des Nachtdienstes bei 4 Erzieherinnen im Mädcheninternat dahingehend vorzunehmen, dass jede Person einmal im Monat eine Woche lang für den Nachtdienst zuständig sei. Mit Rücksicht auf die Intimsphäre der Mädchen und jungen Frauen sei es erforderlich, dass vor allem nachts eine weibliche Kontaktperson zur Verfügung stehe.

Aus diesem Vortrag des beklagten Landes folgt nicht, dass die unterschiedliche Behandlung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Art der auszuübenden Tätigkeit darstellt. In der Stellenausschreibung ist von der Übernahme eines Nachtdienstes keine Rede. Nach der Stellenausschreibung wird gesucht eine Erzieherin/Sportlehrerin/Sozialpädagogin, die bereit ist, Hausaufgabenbetreuung zu übernehmen und das sportliche sowie das Freizeitangebot für die Internatsschülerinnen und -schüler (Basketball, Volleyball, Badminton, Gymnastik, Tanz, Outdoor-Sportarten) durchzuführen und zu ergänzen. Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben ist ein Mann genauso gut geeignet wie eine Frau, zumal die Hausaufgabenbetreuung und das Freizeitangebot sich nicht nur an die Internatsschülerinnen, sondern auch an die Internatsschüler richtet. Im Hinblick auf die räumlichen Verhältnisse des V, insbesondere im Hinblick auf die beiden Internatsgebäude mag es zweckmäßig sein, dass für die Wahrnehmung der Aufgaben eine weibliche Person eingestellt wird. Wesentlich und entscheidend für die Ausübung der Tätigkeit ist dies jedoch nicht. Insbesondere hat das beklagte Land nicht dargelegt, weshalb es organisatorisch nicht machbar ist, den Nachtdienst so zu organisieren, dass ein männlicher Bewerber nicht betroffen ist. Allein die Tatsache, dass die Stelle einer weiblichen Erzieherin frei geworden ist, rechtfertigt es im Hinblick auf das am 18.08.2005 in Kraft getretene allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht, auch künftig insoweit ausschließlich eine weibliche Erzieherin einzustellen. Jedenfalls ist das beklagte Land der ihm obliegenden Beweislast nicht nachgekommen. Für seinen vom Kläger bestrittenen Vortrag hat das beklagte Land überhaupt keinen Beweis angetreten.

Entsprechend dem Vortrag des Klägers hält das Gericht eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 2,5 Monatsgehältern à 2.700,00 EUR für angemessen. Insbesondere hat das beklagte Land insoweit keine Einwendungen erhoben. 

Der Klage war deshalb im beantragten Umfang stattzugeben.

Da das beklagte Land unterlegen ist, hat es die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO. 

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG 



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