Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil vom - Az: 1 Sa 63/16

Wegen Pause kein Rechtsmissbrauch: 22 befristete Verträge

Bei einer Befristung des Arbeitsvertrags wegen der Vertretung eines anderen Mitarbeiters scheidet ein institutioneller Rechtsmissbrauch in der Regel aus, wenn zwischen zwei von insgesamt 22 befristeten Arbeitsverträgen ein Zeitraum von 3 Monaten und 3 Wochen liegt.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 21.01.2016 - ö. D. 5 Ca 1598 a/15 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Befristung.

Der Kläger ist seit dem 25.08.2008 als Briefzusteller auf der Grundlage von insgesamt 22 befristeten Arbeitsverträgen bei der Beklagten beschäftigt. Wegen des Inhalts der einzelnen Arbeitsverträge und des jeweils dort angegebenen Befristungsgrundes wird auf Bl. 4 sowie 18 - 38 d. A. verwiesen. Die Beschäftigung des Klägers erfolgte zunächst ohne Unterbrechungen bis zum 31.07.2013 in Teilzeit. Vom 01.04. bis 31.08.2013 leistete der Kläger auf Grundlage eines „Vertrags über die Ableistung eines berufspraktischen Studiensemesters“ (Bl. 39 d. A.) ein Praktikum im Rahmen seines Betriebswirtschaftsstudiums/Fachbereich Logistik ab. Das Praktikum absolvierte er drei Monate in der Abteilung Verkehr der Beklagten, zwei Monate schrieb der Kläger an seiner Abschlussarbeit.

Ab dem 21.11.2013 war der Kläger dann wieder als Zustellkraft in Vollzeit tätig. Im letzten Arbeitsvertrag des Klägers vom 24.06.2015 für die Zeit vom 01.07. - 30.09.2015 ist als Befristungsgrund angegeben: „Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters N. C.“. Dieser Befristungsgrund war auch bereits in den beiden vorherigen Arbeitsverträgen des Klägers vom 29.07. und 29.09.2014 benannt.

Herr C. N. ist bei der Beklagten seit 29.06.2006 als Zusteller, seit dem 01.04.2009 unbefristet in Vollzeit beschäftigt. Ebenso wie der Kläger ist er im Bereich des Zustellstützpunkts mit Leitung (ZSPL) K. eingesetzt. Ebenso wie der Kläger wird er vergütet nach der Entgeltgruppe 3. Herrn N. war auf Grundlage des für die Beklagte geltenden Manteltarifvertrags zunächst vom 01.10.2013 - 01.10.2014 Sonderurlaub bewilligt worden. Mit Schreiben vom 30.07.2014 verlängerte die Beklagte diese Bewilligung bis zum 01.10.2015. Mit Schreiben vom 07.06.2015 beantragte Herr N. die Verlängerung seines Sonderurlaubs um ein weiteres Jahr. Dem entsprach die Beklagte mit Schreiben vom 13.07.2015.

Bereits im Oktober 2013 hatte die Beklagte mit Herrn N. eine Rahmenvereinbarung (Anlage B5, Bl. 58 d. A.) geschlossen, nach der die Beklagte ihn in eine Liste von Interessenten für kurzfristige Arbeitseinsätze aufnahm. Weiter heißt es dort, die Beklagte werde sich im Bedarfsfall mit der Frage an Herrn N. wenden, ob er in der Lage und bereit sei, für einen näher bestimmten kurzen Zeitraum Arbeiten für die Beklagte zu erledigen. Eine Verpflichtung zur Unterbreitung von Angeboten durch die Beklagte oder zur Annahme dieser Angebote durch Herrn N. wurde durch die Vereinbarung ausdrücklich nicht begründet.

Mit seiner am 19.10.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Befristung im Arbeitsvertrag vom 24.06.2015.

Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die Beklagte habe bei Vertragsschluss schon gewusst, dass Herr N. ihr auch über den 30.09.2015 hinaus nicht zur Verfügung stehen werde, da er die Verlängerung seines Urlaubs bereits beantragt gehabt habe. Das spreche dafür, dass die Beklagte den Sachgrund der Befristung nur vorschiebe.

Darüber hinaus sei die Befristung wegen Rechtsmissbrauchs der Beklagten unwirksam. Das sei durch die Dauer der Arbeitsverhältnisse und die Anzahl der Befristungen indiziert. Die kurze Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit im Jahr 2013 falle nicht ins Gewicht. Für rechtsmissbräuchliches Verhalten spreche dagegen, dass die Befristungsdauer auch in den beiden Arbeitsverträgen vom 29.07. und 29.09.2014 hinter der Dauer des Beschäftigungsbedarfs zurückgeblieben sei.

Die Beklagte hat erwidert:

Die Befristung sei durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Der Kläger habe Herrn N. mittelbar vertreten. Sie habe die Aufgaben des Klägers bei Vertragsschluss Herrn N. gedanklich zugeordnet und dies durch die Angabe des Namens von Herrn N. im Arbeitsvertrag auch nach außen deutlich gemacht. Herr N. und der Kläger seien - unstreitig - als Zusteller im ZSPL K. einsetzbar.

Sie habe auch davon ausgehen dürfen, dass Herr N. nach Beendigung des Sonderurlaubs wieder seine vertragliche Tätigkeit aufnehmen werde. Ob ein Sonderurlaub bewilligt werde, hänge von tatsächlichen Voraussetzungen ab, die nach dem Antrag von Herrn N. vom 07.06.2015 erst hätten geprüft werden müssen. Für diese Prüfung sei nicht der ZSPL K. zuständig. Daher habe erst am 13.07.2015 festgestanden, dass Herr N. auch über den 30.09.2015 hinaus abwesend sein werde.

Die bestehende Rahmenvereinbarung mit Herrn N. ändere an der Wirksamkeit der Befristung nichts. Hiervon sei der Vertretungsbedarf wegen des Sonderurlaubs nicht berührt gewesen. Im Übrigen sei Herr N. in der Zeit vom 01.07. - 30.09.2015 tatsächlich nur an drei Tagen beschäftigt gewesen.

Schließlich handele sie auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Kläger sei bis zum 31.07.2013 neben seinem Studium in Teilzeit beschäftigt gewesen. Anschließend sei eine Unterbrechung von fast vier Monaten erfolgt.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Gegen das am 01.02.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.02.2016 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 11.04.2016 am 08.04.2016 begründet.

Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus der ersten Instanz und führt ergänzend aus:

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege der Sachgrund der mittelbaren Vertretung nicht vor. Die von der Beklagten behauptete gedankliche Zuordnung der vom Kläger zu erledigenden Aufgaben zu Herrn N. sei nicht dokumentiert. Die Beklagte habe auch nicht nachgewiesen, dass Herr N. während des Befristungszeitraums nur an drei Tagen für sie tätig gewesen sei. Aufgrund des Antrags des Herrn N. vom 07.06.2015 habe die Beklagte auch erhebliche Zweifel daran haben müssen, dass dieser zurückkehren werde.

Schließlich verkenne das Arbeitsgericht, dass die Beklagte sich rechtsmissbräuchlich verhalte. Die zeitliche Unterbrechung während des Praktikums falle nicht ins Gewicht. Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht daher erst die Zeiten ab dem 21.11.2013 berücksichtigt. Bei einer Gesamtbeschäftigungsdauer von sieben Jahren und 22 befristeten Arbeitsverträgen seien die Maßstäbe des § 14 Abs. 2 TzBfG jeweils um ein mehrfaches überschritten. Er werde faktisch als dauerhafte Personalreserve mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 21.01.2016, Az. ö. D. 5 Ca 1598 a/15, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 01.07.2015 vereinbarten Befristung am 30.09.2015 beendet worden ist,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Briefzusteller weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert:

Der Arbeitsvertrag des Klägers sei wirksam nach den Grundsätzen der mittelbaren Vertretung befristet. Wie der Kläger sei auch Herr N. als Zusteller in Vollzeit in der Entgeltgruppe Teil 3 tätig. Herrn N. könnten daher die Aufgaben des Klägers zugewiesen werden. Die Dokumentation dieser gedanklichen Zuordnung nach außen sei durch die Angabe im Arbeitsvertrag erfolgt.

Dem stehe der Antrag auf Verlängerung des Sonderurlaubs durch Herrn N. nicht entgegen. Für die Entscheidung über diesen Antrag sei bei der Beklagten die Tarifkanzlei Nord zuständig. Deren Entscheidung habe bei Vertragsschluss noch nicht festgestanden. Im Übrigen bedürfe die Vertretungsdauer keiner sachlichen Rechtfertigung. Aus den drei eintägigen Einsätzen des Herrn N. folge nicht, dass ein Vertretungsbedarf nicht bestanden habe.

Schließlich seien die Befristungen auch nicht rechtsmissbräuchlich. Die Unterbrechung von 3 1/2 Monaten im Jahr 2013 zeige, dass von einem planvollen Ausnutzen von befristeten Arbeitsverhältnissen nicht die Rede sein könne. Die Nichtbeschäftigung habe auf dem Interesse des Klägers beruht, sein Studium zu Ende zu führen. Bis auf die letzten beiden Verträge sei der Einsatz des Klägers auch genau für den prognostizierten Zeitraum erfolgt. Schließlich lege der Kläger auch keine zusätzlichen Gesichtspunkte dar, die für einen Rechtsmissbrauch sprächen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Antrag zu 1. ist unbegründet. Der Antrag zu 2. ist nicht zur Entscheidung angefallen.

A.

Der Antrag zu 1., der dahin auszulegen ist, dass sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der im Arbeitsvertrag vom 24.06.2015 - nicht 01.07.2015 wie es im Antrag irrtümlich heißt - vereinbarten Befristung wendet, ist unbegründet. Die Befristung in diesem Vertrag ist nach § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Ein Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs liegt nicht vor.

I.

Die Befristung ist nicht bereits nach § 17 TzBfG gerechtfertigt, da der Kläger am 19.10.2015 und damit rechtzeitig vor Ablauf von drei Wochen nach der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klage erhoben hat, die der Beklagten am 26.10.2015 und damit demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellt worden ist.

II.

Die Befristung im Arbeitsvertrag ist als Befristung zur Vertretung i. S. von § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt.

1. Nach § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Der Grund für die Befristung liegt in Vertretungsfällen darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis.

Teil des Sachgrundes ist eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Entsteht der Vertretungsbedarf für den Arbeitgeber „fremdbestimmt“, weil der Ausfall der Stammkraft - z. B. durch Krankheit, Urlaub oder Freistellung - nicht in erster Linie auf seiner Entscheidung beruht, kann der Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig damit rechnen, dass der Vertretene seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird. Die Stammkraft hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, nach Wegfall des Verhinderungsgrunds die vertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Der Arbeitgeber muss daher davon ausgehen, dass der Vertretene diesen Anspruch nach Beendigung der Krankheit, Beurlaubung oder Freistellung geltend machen wird.

Der Sachgrund der Vertretung setzt des Weiteren einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft voraus. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall der Stammkraft und der befristeten Einstellung der Vertretungskraft ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist. Es ist deshalb aufgrund der Umstände bei Vertragsschluss zu beurteilen, ob der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des zeitweilig ausgefallenen Arbeitnehmers zurückzuführen ist. Die Anforderungen an die Darlegung des Kausalzusammenhangs durch den Arbeitgeber richten sich dabei nach der Form der Vertretung (BAG, Urt. v. 11.02.2015 - 7 AZR 113 /13 - Juris, Rn 15 - 17).

Hinsichtlich der Formen der Vertretung unterscheidet das Bundesarbeitsgericht zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Vertretung und innerhalb letzterer danach, ob eine „Vertretungskette“ zwischen den Vertretenen und dem Vertreter besteht oder ein Fall der Vertretung in Form der gedanklichen Zuordnung erfolgt. Zu Letzterer führt das Bundesarbeitsgericht aus: Werden dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Aufgaben übertragen, die der vertretene Mitarbeiter nie ausgeübt hat, besteht der erforderliche Vertretungszusammenhang nicht nur, wenn eine mittelbare Vertretung erfolgt, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. In diesem Fall ist allerdings zur Gewährleistung des Kausalzusammenhangs zwischen der zeitweiligen Arbeitsverhinderung der Stammkraft und der Einstellung der Vertretungskraft erforderlich, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordnet. Dies kann insbesondere durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag geschehen. Nur dann ist gewährleistet, dass die Einstellung des Vertreters auf der Abwesenheit des zu vertretenden Arbeitnehmers beruht (BAG, a. a. O., Rn 20).

2. Im hier zu entscheidenden Fall genügen die Darlegungen der Beklagten den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtfertigung der Befristung nach den Grundsätzen der Vertretung in Form der gedanklichen Zuordnung.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers durfte die Beklagte von einer Rückkehr des Arbeitnehmers N. auf seinen Arbeitsplatz ausgehen. Herr N. war befristet Sonderurlaub gewährt worden. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass er nach dessen Beendigung seine Arbeit nicht wieder aufnehmen werde, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht dargelegt. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob die für die Vertragsverlängerung des Klägers zuständigen Mitarbeiter der Beklagten von dem Antrag des Mitarbeiters N. auf Verlängerung seines Sonderurlaubs am 24.06.2015 wussten. Selbst wenn festgestanden hätte, dass Herr N. auch über den 30.09.2015 abwesend sein werde, steht dieser Umstand allein der Wirksamkeit der Befristung nicht entgegen. Der Umstand, dass eine vereinbarte Vertragslaufzeit erheblich hinter der Dauer eines einem anderen Mitarbeiter bewilligten Sonderurlaubs zurückbleibt, stellt nämlich den Sachgrund für eine Befristung nicht in Frage (BAG, Urt. v. 25.03.2009 - 7 AZR 34/08 - Juris, Rn 26). Dem Arbeitgeber ist es vielmehr unbenommen zu entscheiden, ob er den vorübergehenden Ausfall eines Arbeitnehmers überhaupt durch Einstellung einer Vertretungskraft überbrückt. Deshalb kann er die Vertretung auch nur für einen kürzeren Zeitraum regeln (BAG, a. a. O.). Der Dauer einer Befristung und insbesondere der Frage ob diese hinter dem Zeitraum zurückbleibt, für den ein Beschäftigungsbedarf bestehen würde, kommt nur insoweit Bedeutung zu, als dieser Umstand einen Anhaltspunkt für eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Befristungsgrund Vertretung ist.

b) Die Voraussetzungen der Vertretung in Form der gedanklichen Zuordnung liegen im Streitfall vor.

aa) Herrn N. könnten im Fall seiner Anwesenheit die Aufgaben des Klägers tatsächlich und rechtlich zugewiesen werden.

Herr N. wäre im Fall seiner Anwesenheit, wie der Kläger, als Zusteller in der Entgeltgruppe 3 innerhalb derselben organisatorischen Einheit der Beklagten, dem ZSPL K., einsetzbar. Einwände gegen den Vortrag der Beklagten, dass Herrn N. die Tätigkeiten des Klägers tatsächlich und rechtlich zugeordnet werden können, hat der Kläger auch weder im Verfahren noch im Berufungstermin vor der Kammer geltend gemacht.

bb) Die Beklagte hat auch im Arbeitsvertrag mit dem Kläger die diesem zu übertragenen Aufgaben Herrn N. gedanklich zugeordnet. Entgegen der vom Kläger im Berufungsverfahren geäußerten, nicht näher begründeten Auffassung findet sich im Arbeitsvertrag des Klägers vom 24.06.2015, den der Kläger erstinstanzlich selbst zur Akte gereicht hat (Bl. 4 d. A.), der Hinweis darauf, dass der Befristungsgrund die Vertretung des Mitarbeiters N. wegen dessen vorübergehender Abwesenheit sei.

c) Der Rechtmäßigkeit der Befristung steht schließlich nicht die mit Herrn N. geschlossene Rahmenvereinbarung vom 10.10.2013 entgegen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen eines Vertretungsbedarfs im Zeitraum des befristeten Arbeitsverhältnisses ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, also der 24.06.2015. Zu jenem Zeitpunkt war für die Beklagte nicht prognostizierbar, dass Herr N. im Befristungszeitraum als Arbeitnehmer für sie tätig werden würde. Allerdings dürfte eine Befristung zur Vertretung ausscheiden, wenn der Vertretene im Rahmen eines (Abruf-) Arbeitsverhältnisses tatsächlich für den Arbeitgeber tätig wird. Die Rahmenvereinbarung vom 10.10.2013 begründet aber gerade ausdrücklich kein Arbeitsverhältnis. Sie begründet auch keinen Anspruch seitens der Beklagten oder aber des Herrn N. auf Abschluss eines Arbeitsvertrags. Beides ist in der Rahmenvereinbarung in den Absätzen 3 und 4 ausdrücklich ausgeschlossen.

Für die Beklagte gab es daher keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass einer Vertretung des Herrn N. durch den Kläger dessen Anwesenheit im Rahmen von 1-Tages-Arbeitsverhältnissen entgegenstehen würde. Dass die Beklagte am 24.06.2015 im Hinblick auf die Rahmenvereinbarung mit Herrn N. beabsichtigte, diesem in erheblichem Umfang 1-Tages-Arbeitsverhältnisse anzubieten und der Vertretungsgrund deswegen nur vorgeschoben ist, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht behauptet. Den Darlegungen der Beklagten, Herr N. sei tatsächlich nur an drei Tagen in der Zeit vom 01.07. - 30.09.2015 eingesetzt gewesen, hat er substantiiert nichts entgegengesetzt. Einem etwaigen von der Beklagen beabsichtigten Missbrauch stünde auch jedenfalls der Umstand entgegen, dass die Beklagte nicht prognostizieren konnte, ob und in welchem Umfang Herr N. überhaupt zur Begründung von 1-Tages-Arbeitsverhältnissen bereit war.

III.

Die Befristung ist schließlich auch nicht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam.

1. Aus unionsrechtlichen Gründen sind die Arbeitsgerichte verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung erfolgt nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (BAG, Urt. v. 07.10.2015 - 7 AZR 944/13 - Juris, Rn 14).

Dabei verlangt diese Prüfung eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen. Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift. Zu berücksichtigen ist außerdem, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibt. Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei etwa an die Zahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen. Die Übereinstimmung von Befristungsgrund und Befristungsdauer ist als Indiz gegen einen Gestaltungsmissbrauch zu berücksichtigen (BAG, a. a. O., Rn 15).

Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG angeknüpft werden. Regelmäßig besteht kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Werden diese Grenzen jedoch alternativ oder insbesondere kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten, in deren Rahmen es Sache des Arbeitnehmers ist, noch weitere für einen Missbrauch sprechende Umstände vorzutragen. Werden die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder insbesondere kumulativ in gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften (BAG, a. a. O., Rn 16). Von einem indizierten Gestaltungsmissbrauch kann ausgegangen werden, wenn beide Schwellenwerte für die nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG maximal zulässige sachgrundlose Befristung in Vertretungsfällen kumulativ um mehr als das Vierfache überschritten sind oder wenn einer der Schwellenwerte des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten ist (Kiel, JbArbR, Bd. 50, 25, 46).

Diese Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs hält auch die Berufungskammer insbesondere im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen und die Möglichkeit zur rechtssicheren Befristung für sachgerecht.

2. Nach diesen Vorgaben liegt hier kein Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs vor.

a) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist vorliegend allerdings ein institutioneller Rechtsmissbrauch indiziert. Die Beklagte hat die höchstzulässige Zahl von befristeten Vertragsverlängerungen um mehr als das Fünffache überschritten. Insgesamt ist bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Befristung von 22 befristeten Arbeitsverträgen auszugehen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts stellt die Unterbrechung zwischen den befristeten Arbeitsverhältnissen in der Zeit vom 01.08. - 21.11.2013 keinen durchschlagen Grund dar, der es rechtfertigen würde, erst die Zeit ab dem 21.11.2013 der Missbrauchskontrolle zu unterziehen.

Ausschlaggebend hierfür ist aus Sicht des Berufungsgerichts, dass die Befristungen des Klägers, ab dem Zeitpunkt, ab dem sie eines Grundes bedurften, stets auf dem Sachgrund des vorübergehenden Personalbedarfs beruhten. Das beginnt mit dem 01.10.2009. Im dazugehörenden Vertrag vom 25.09.2009 ist als Sachgrund die Vertretung des Arbeitnehmers K. angegeben, wie auch im Folgevertrag. Vom 01.07.2010 bis zum 30.06.2013 ist als Befristungsgrund stets angegeben „Entlastung in der Zustellung“. Schließlich vom 01.07. - 31.07.2013 als Befristungsgrund „Erholungsurlaub“ im Zustellstützpunkt E,. Die Befristungsgründe in der Zeit ab dem 21.11.2013 liegen auf derselben Linie. Es ging um die Abwicklung von Erholungsurlaub, um vorübergehenden Personalbedarf zur Weihnachtszeit und zum Schluss um die Vertretung verschiedener Mitarbeiter. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger bis zum 31.07.2013 seine Tätigkeiten für die Beklagte in Teilzeit neben seinem Studium ableistete. Dieser Umstand mag dazu geführt haben, dass stets nur Teilzeitarbeitsverträge abgeschlossen worden sind. Dass die Befristung selbst aber etwa auf Wunsch des Klägers oder auf Rücksicht auf dessen Studium erfolgte, folgt hieraus nicht. Die Beklagte hätte den Kläger ohne weiteres auch neben seinem Studium in Teilzeit unbefristet beschäftigen können.

Der Umstand, dass zwischen den Parteien über drei Monate und drei Wochen kein Arbeitsverhältnis bestand, ist demgegenüber mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des europäischen Gerichtshofs im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände des Falls darauf, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, zu berücksichtigen.

b) Die Gesamtwürdigung aller Umstände führt nach Auffassung der Kammer dazu, dass trotz der Indizwirkung durch die Anzahl der Befristungen vorliegend kein Rechtsmissbrauch der Beklagten anzunehmen ist. Unter Berücksichtigung der vom Bundesarbeitsgericht genannten Kriterien ergibt sich Folgendes: Die Gesamtdauer der befristeten Verträge beläuft sich auf nicht ganz sieben Jahre und ist damit nicht besonders hoch. Hier wird die zulässige Befristungsdauer nach § 14 Abs. 2 S. 1 TZBFG nicht um mehr als das Vierfache überschritten (vgl. zu diesem Faktor: Kiel, a. a. O.).

Dem steht allerdings die bereits genannte hohe Zahl von insgesamt 22 Verträgen gegenüber. Der Kläger ist auch stets mit denselben Aufgaben, nämlich mit der Briefzustellung betraut worden. Was die Laufzeit der befristeten Verträge angeht, so deckt sich teilweise die Dauer der Befristung mit dem Befristungsgrund, etwa im Vertrag vom 19.11.2013, im Vertrag vom 25.06.2014 und auch bei Abschluss des letzten Vertrags vom 24.06.2015 war jedenfalls den für die Vertragsverlängerung zuständigen Mitarbeitern der Beklagten nicht bekannt, dass auch über das Befristungsende hinaus Vertretungsbedarf bestand. Andererseits gibt es auch Verträge, in denen Befristungsdauer und Befristungsgrund auseinanderfallen, etwa im Vertrag vom 29.07.2014 oder vom 29.09.2014. Für Rechtsmissbrauch spricht auch, dass in der Zeit vom 01.07.2010 - 30.06.2013 insgesamt acht befristete Arbeitsverträge jeweils mit dem Befristungsgrund „Entlastung in der Zustellung“ geschlossen worden sind. Das lässt darauf schließen, dass jedenfalls in jenem Zeitraum ein Dauerbedarf an der Arbeitsleistung des Klägers bestand.

Aus Sicht des Berufungsgerichts entscheidend gegen die Annahme des Rechtsmissbrauchs spricht bei diesem Sachverhalt die zeitliche Zäsur in der Beschäftigung von drei Monaten und drei Wochen vom 01.08.2013 bis zum 20.11.2013. Nach einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs (EuGH v. 03.07.2014 - C-362/13 - Fiamingo, Rn 71) kann eine Unterbrechung von mehr als 60 Tagen im Allgemeinen als ausreichend angesehen werden, um jedes bestehende Arbeitsverhältnis zu unterbrechen und dafür zu sorgen, dass jeder etwaige später unterschriebene Vertrag nicht mehr als darauffolgend angesehen wird. Dieser Bewertung schließt sich die Kammer an (in diesem Sinne auch Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, 5. Aufl., § 14, Rn 63, die in diesen Fällen die befristeten Arbeitsverhältnisse nicht mehr zusammenrechnen wollen). In diesem Zusammenhang spielt es aus Sicht des Berufungsgerichts ferner eine Rolle, dass die Unterbrechung darauf beruhte, dass dem Kläger die Möglichkeit eröffnet wurde, sein Studium zu beenden. Das spricht dagegen, dass die Beklagte die Befristung der Arbeitsverträge des Klägers missbraucht hat, um ihn nicht dauerhaft beschäftigen zu müssen. Nach der Unterbrechung war der Kläger keine zwei Jahre mehr bei der Beklagten tätig. Wegen dieses kurzen Zeitraums ist eine Missbrauchskontrolle nicht indiziert.

B.

Der Antrag zu 2., der nur für den Fall des Obsiegens gestellt worden ist, ist nicht zur Entscheidung angefallen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden. Sowohl die Beurteilung der von der Beklagten mit Herrn N. geschlossenen Rahmenvereinbarungen, als auch die Bewertung der Dauer der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses sind für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und haben aus Sicht des Berufungsgerichts grundsätzliche Bedeutung. Abzuwägen ist aus Sicht des Berufungsgerichts, ob nach der zitierten Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs nicht davon auszugehen ist, dass bei einer Unterbrechung von mehr als 60 Tagen ein institutioneller Rechtsmissbrauch kontraindiziert ist.



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