Oberlandesgericht Oldenburg

Urteil vom - Az: 6 U 135/15

Das Abwerben von Mitarbeitern ist erlaubt

(1.) Die Abwerbung von Mitarbeitern eines anderen Unternehmens ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gehört zum Wesen des freien Wettbewerbs und ist grundsätzlich erlaubt. Das Abwerben von Mitarbeitern eines anderen Unternehmens ist nur dann unlauter, wenn besondere unlautere Umstände hinzutreten, etwa verwerfliche Zwecke, verwerfliche Mittel oder Methoden, eingesetzt werden.

(2.) Es stellt einen Wettbewerbsverstoß dar, wenn gezielt im großen Stil Mitarbeiter abgeworben werden, um den Konkurrenten wirtschaftlich "lahmzulegen" und von allen wichtigen Spitzenkräften zu entblößen.
Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn mehrere Geschäftsführer und andere leitende Mitarbeiter von sich aus das Unternehmen wechseln.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 03.07.2015 unter Zurückweisung der Berufung der Verfügungsklägerin dahingehend geändert, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt wird.

Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: die Klägerin) begehrt, der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: die Beklagte) zu untersagen, der Klägerin oder einer ihrer Tochtergesellschaften auf dem Gebiet "System-Lösungen für die Kaffeeversorgung in Unternehmen" in Deutschland Wettbewerb zu machen, weitere Mitarbeiter abzuwerben sowie sechs namentlich benannte Mitarbeiter zu beschäftigen.

Die Herren … und … (im Folgenden: die Altgesellschafter) hatten ein Unternehmen gegründet und durch verschiedene Gesellschaften betrieben, das sich mit dem Vertrieb von Kaffeeautomaten sowie weiteren damit zusammenhängenden Leistungen für Gewerbebetriebe befasste; Muttergesellschaft der Betreibergesellschaften ist die 2006 errichtete Klägerin. Die Altgesellschafter veräußerten 2010 den überwiegenden Teil ihrer Anteile an der Klägerin an verschiedene Finanzinvestoren unter der Führung des Schweizer Unternehmens … . Nachdem sich der im Jahr 2013 von ihnen angestrebte Rückkauf der Anteile zerschlagen hatte, veräußerten die Altgesellschafter auch ihre verbliebenen Anteile an die genannte Investorengruppe. Bereits in einer "Gesellschafter- und Co-Investmentvereinbarung" vom 30.04.2010 (Anlage ASt 4) hatten sich die Altgesellschafter in Abschnitt 2.5 verpflichtet, keiner der Gesellschaften der Kaffee Partner Gruppe Wettbewerb auf einem ihrer Geschäftsfelder zu machen; wegen des Wortlauts der Vereinbarung wird auf das Zitat auf Seite 4 des Landgerichtsurteils verwiesen. In dem Anteilskaufvertrag vom 22.08.2014 (Anlage ASt 6) wurde diese Vereinbarung in Nr. 12.1 bestätigt und unter 12.2 und 12.3 ein ergänzendes sowie weitergehendes Wettbewerbs- und Abwerbeverbot vereinbart.

Die Altgesellschafter hatten bereits 1998 die Beklagte errichtet, die sich ebenfalls mit dem Vertrieb von Getränkezubereitungsgeräten befasste, jedoch vorwiegend für Privathaushalte und kleinere Büros. Kurz vor dem Abschluss des Anteilskaufvertrags vom 22.08.2014 (Anlage ASt 6) übertrugen die Altgesellschafter ihre (jeweils hälftigen) Anteile an der Beklagten mit Verträgen vom 10. bzw. 11.07.2014 im Wege vorweggenommener Erbfolge schenkweise auf den Sohn von … , Herrn … , bzw. die Tochter von … , Frau … (Gesellschafterliste vom 05.08.2014, Anlage ASt 11). Die Klägerin und ihre Anteilserwerber hatten davon bei Abschluss des Anteilskaufvertrags keine Kenntnis.

Im ersten Halbjahr 2015 wechselten zwei der drei Geschäftsführer sowie etliche weitere leitende und andere Angestellte von der Klägerin zu der Beklagten.

Die Klägerin hat die Untersagung von Wettbewerb in ihrem Geschäftsgebiet seitens der Beklagten sowie die Verurteilung der Beklagten begehrt, weitere Mitarbeiter der Klägerin oder ihrer Tochtergesellschaften abzuwerben.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat das beantragte Wettbewerbsverbot ausgesprochen, den Ausspruch eines Verbots der Abwerbung von Mitarbeitern jedoch abgelehnt. Im Wesentlichen hat es darauf abgestellt, dass unter den gegebenen Umständen die Beklagte glaubhaft machen müsse, dass die Altgesellschafter keinen Einfluss mehr auf sie ausübten, da sonst auch die Beklagte an das Wettbewerbsverbot aus den genannten Verträgen gebunden sei. Die Beklagte habe jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass die Altgesellschafter keinen Einfluss mehr auf sie ausübten, da die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen in dem entscheidenden Punkt substanzlos seien. Die Begehungsgefahr von Wettbewerb sei glaubhaft auf Grund von Erklärungen des ehemaligen Geschäftsführers … in einem vorangegangenen Eilverfahren vor der Kammer, in dem dieser in der mündlichen Verhandlung ausgeführt habe, es sei an einer Erweiterung des Geschäftsfelds der Beklagten auf Geschäftskunden gearbeitet worden. Das von der Klägerin begehrte Abwerbe- und Beschäftigungsverbot hat das Landgericht abgelehnt, weil die dafür relevante Vertragsregelung unter 12.3 lediglich die Altgesellschafter, nicht aber die Beklagte verpflichte, was sich aus dem unterschiedlichen Wortlaut der Regelung unter 12.1/12.2 und 12.3 ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass die nach Auffassung der Klägerin Handelnden als bloßes Werkzeug der Altgesellschafter gehandelt hätten, seien konkret nicht aufgezeigt worden.

Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte unter Vorlage weiterer eidesstattlicher Versicherungen das Ziel der Aufhebung der Wettbewerbsuntersagung. Das vereinbarte Wettbewerbsverbot binde die Beklagte nicht, da sie weder Partei der Vereinbarung sei noch sich anderweitig zu dessen Einhaltung verpflichtet habe. Das Wettbewerbsverbot sei im Übrigen wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig, weil es die Altgesellschafter in räumlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht übermäßig beschränke. Jedenfalls habe die Klägerin den geltend gemachten Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es sei die Klägerin, die den Einfluss der Altgesellschafter auf die Beklagte glaubhaft machen müsse, und nicht umgekehrt.

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Berufung sowie mit ihrer Berufung die Untersagung des Abwerbens von Mitarbeitern sowie der Beschäftigung bestimmter Mitarbeiter. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass zwei Studenten Mitte Zwanzig ohne jede Berufserfahrung sich entschlössen, mit einem Millionenbetrag einen Geschäftsbereich zu erschließen, ohne auf den Rat ihrer Väter zurückzugreifen, obwohl diese über Jahrzehnte erfolgreiche Unternehmer in eben diesem Bereich gewesen seien. Das Wettbewerbsverbot sei in jeder Hinsicht wirksam. Die Beklagte werde davon erfasst, was sich schon aus dem Verweis in Abschnitt 2.5 der Gesellschaftervereinbarung (Anlage ASt 4) auf den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit Herrn … senior bzw. den Beratervertrag mit Herrn … ergebe, da in dieser Verträgen jeweils geregelt sei, dass eine Betätigung der Altgesellschafter im Rahmen des "bisherigen tatsächlichen, räumlichen und sachlichen Tätigkeitsbereichs" der Beklagten nicht als Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot gelte. Die Beklagte sei ein von den Altgesellschaftern beherrschtes Unternehmen gewesen. Selbstverständlich dürfe ein Veräußerer neben sich selbst auch etwa seine Tochtergesellschaften zu einem Wettbewerbsverbot verpflichten. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe das Landgericht die eidesstattlichen Versicherungen richtig gewürdigt. Die jetzt mit der Berufungsbegründung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien als verspätetes Vorbringen nicht zu berücksichtigen. Überdies seien sie eine klare Reaktion auf das landgerichtliche Urteil, weitgehend wortidentisch von den Anwälten der Beklagten verfasst und hätten deshalb nur verminderte Beweiskraft. Aus nunmehr auf dem vormals gemeinsamen Server der Parteien von der Klägerin entdeckten E-Mails der Altgesellschafter ergebe sich, dass diese tatsächlich doch Einfluss auf die Geschicke der Beklagten nähmen und die eidesstattlichen Versicherungen von … und … dementsprechend falsch seien. Was das weitere Unterlassungsbegehren angehe, habe die Beklagte insgesamt 33 Mitarbeiter der Klägerin abgeworben; die abgeworbenen Personen stellten einen Großteil des mittleren Managements sowie der Abteilungsleitungen dar. Damit verstoße die Beklagte zum einen gegen das vertragliche Abwerbeverbot, zu dem sich die Altgesellschafter verpflichtet hätten, zum anderen lasse die gezielte Abwerbung der meisten Abteilungsleiter innerhalb von zwei Monaten nur den Schluss zu, dass die Klägerin wirtschaftlich lahmgelegt und von allen wichtigen Führungskräften entblößt werden solle, was unlauter sei.

Die Beklagte meint, die E-Mails dürften nicht verwertet werden. Im Übrigen ergebe sich aus ihnen die behauptete Einflussnahme der Altgesellschafter nicht.

Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die Berufung der Klägerin hingegen unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der beantragten Wettbewerbsuntersagung, des beantragten Abwerbeverbots sowie der beantragten Beschäftigungsverbote gegen die Beklagte.

Soweit die Verfügungsanträge auf die mit den Altgesellschaftern vereinbarten Wettbewerbsverbote gestützt sind, ist die Beklagte nicht passivlegitimiert (1). Überdies hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, dass die Altgesellschafter die Beklagte weiterhin beherrschen und steuern (2). Soweit die Anträge auf Erlass eines Abwerbe- und Beschäftigungsverbots auch auf allgemein unlauteres Wettbewerbsverhalten gestützt werden, hat die Klägerin einen Verfügungsanspruch ebenfalls nicht glaubhaft gemacht (3).

1. Die Beklagte ist nicht passivlegitimiert hinsichtlich der Unterlassungsanträge, soweit diese auf die vertraglichen Wettbewerbsvereinbarungen gestützt werden, die mit den Altgesellschaftern … und … vereinbart wurden.

Das Begehren der Klägerin stützt sich auf die Behauptung, die Beklagte werde von den Altgesellschaftern als Strohmann-Unternehmen bzw. von ihnen beherrschtes Unternehmen benutzt, um das vereinbarte Wettbewerbsverbot zu umgehen und mittelbar Wettbewerb zu betreiben. Wenn diese Behauptung zuträfe bzw. wenn sich das feststellen ließe, wäre indes nicht die Beklagte zur Unterlassung verpflichtet, sondern es bestünde in diesem - unterstellten - Fall eine Verpflichtung der Altgesellschafter, auf die von ihnen beherrschte Beklagte dahingehend einzuwirken, dass diese die den Altgesellschaftern verbotenen Wettbewerbshandlungen einstellt, zumindest aber eine Verpflichtung der Altgesellschafter, eine entsprechende Einwirkung auf die Beklagte zur Vornahme von Wettbewerb gegenüber der Klägerin zu unterlassen. Ein solches Einwirken der Altgesellschafter auf die Beklagte müsste gegebenenfalls im Wege einer Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO, eine entsprechende Unterlassungsanordnung nach § 890 ZPO durchgesetzt werden.

Eine unmittelbare Unterlassungsverpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin lässt sich hingegen aus den Vereinbarungen mit den Altgesellschaftern nicht herleiten. Der Senat vermag den Erwägungen des Landgerichts nicht beizutreten, es könne "keine Unklarheiten" darüber geben, dass dann, wenn sich jemand wie hier die Altgesellschafter einem vertraglichen Wettbewerbsverbot unterwerfe, die Unterlassungsverpflichtung aus diesem Vertrag auch die Gesellschaft - hier die Beklagte - treffe, auf die die vertraglich zur Wettbewerbsunterlassung Verpflichteten einen beherrschenden Einfluss ausübten. Die Beklagte ist eine eigene (juristische) Person und war an den Wettbewerbsvereinbarungen nicht beteiligt, in denen sich die Altgesellschafter zur Wettbewerbsunterlassung im Verhältnis zu der Kaffee Partner Gruppe verpflichtet haben. Es gehört zu den gesicherten, elementaren Rechtsgrundsätzen, dass man aufgrund eines Vertrags, an dem man selbst nicht beteiligt war, nicht verpflichtet werden kann ("kein Vertrag zulasten Dritter"). Etwas anderes kann nur gelten, wenn das betreffende Rechtssubjekt später selbst noch einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Verpflichtungstatbestand gesetzt hat (Schuldbeitritt, Vertragsübernahme oder ähnliches); dafür gibt hier jedoch der von den Parteien vorgetragene Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkt. Wenn die zur Unterlassung auch mittelbaren Wettbewerbs verpflichteten Altgesellschafter die Beklagte tatsächlich beherrschten, wäre es die Verpflichtung der Altgesellschafter, den durch die Beklagte betriebenen mittelbaren Wettbewerb zu unterlassen und zu diesem Zweck ihren Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Eine eigene Verpflichtung der Beklagten, die ihre Inanspruchnahme im Wege einer einstweiligen Verfügung oder einer Unterlassungsklage rechtfertigen könnte, ist jedoch nicht zu erkennen.

2. Auch wenn man dies anders sehen und für den Fall der Verwendung der Beklagten als faktisch beherrschtes und gesteuertes Unternehmen der Altgesellschafter zur Umgehung des vertraglichen Wettbewerbsverbots einen unmittelbaren Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte für möglich halten wollte, läge ein Verfügungsanspruch nicht vor, weil die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Altgesellschafter tatsächlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Beklagte ausüben und sie als Mittel für die Umgehung des Wettbewerbsverbots einsetzen.

Zwar hat die Klägerin Indiztatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht, die auf eine gewisse Einflussnahme der Altgesellschafter aus dem Hintergrund schließen lassen. Schon die schenkweise Übertragung der Geschäftsanteile an der Beklagten auf die Kinder der Altgesellschafter, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen haben, wenige Wochen vor Verkauf der restlichen Anteile an der Klägerin, kann als Indiz für eine geplante Umgehung der Wettbewerbsverbotsverpflichtungen der Altgesellschafter gewertet werden. Dass dann bald darauf zwei Geschäftsführer und zahlreiche weitere Angestellte von der Klägerin zur Beklagten wechseln und die Beklagte eine Ausweitung ihrer Tätigkeit gerade auf das Geschäftsfeld der Klägerin plant, lässt zusammen mit dem zuvor genannten Indiz durchaus den Verdacht einer Gesamtstrategie zur Fortführung der Geschäfte der Klägerin durch die Beklagte aufkommen, nachdem die Altgesellschafter mit ihrem Plan gescheitert waren, die verkauften Anteile an der Klägerin zurückzuerwerben, zumindest erscheint dies als eine nicht abwegige Möglichkeit.

Das Landgericht hat vor dem Hintergrund dieser Umstände eine sekundäre Darlegungslast mit einer damit verbundenen Last der Glaubhaftmachung auf Seiten der Beklagten dafür gesehen, dass die Altgesellschafter keinen Einfluss mehr auf die Beklagte ausüben. Dies ist - unter der von dem Senat nicht geteilten (vgl. oben unter Ziffer 1) Prämisse, dass eine Unterlassungsverpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin auf Grund der Wettbewerbsvereinbarungen mit den Altgesellschaftern in Betracht kommt, und unter der ebenfalls zweifelhaft erscheinenden Prämisse einer Verlagerung der Beweis- bzw. Glaubhaftmachungslast - in der tatsächlichen Würdigung nicht zu beanstanden. Die in erster Instanz von der Beklagten vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sind in der Tat unzureichend, wie das Landgericht im Einzelnen zutreffend begründet hat; auf die Ausführungen des Landgerichts unter 1 b) dd) der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 10 ff.) wird Bezug genommen.

die mit der Berufungsbegründung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen, insbesondere durch die eidesstattlichen Versicherungen von … (Anlage B 4) und … Anlage B 5), hat die Beklagte nunmehr jedoch glaubhaft gemacht, dass die Altgesellschafter auf die Tätigkeit der Beklagten keinen Einfluss ausüben und die Gesellschafter … und … ohne Hilfe ihrer Väter oder Rücksprache mit diesen ihre Entscheidungen treffen. Durch diese eidesstattlichen Versicherungen ist eine Situation entstanden, die in einem Hauptsacheverfahren mit der Erforderlichkeit eines Vollbeweises von Tatsachenbehauptungen als non liquet zu bezeichnen wäre. Die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der von der Klägerin aufgestellten Behauptungen ist jedenfalls nicht größer als die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Darstellung der Beklagten. Es spricht weiterhin manches für die Annahme der Klägerin, dass die Altgesellschafter nach dem Scheitern ihrer Pläne, die Anteile an der Klägerin zurückzuerwerben, nunmehr das Geschäftsmodell der Klägerin auf die Beklagte übertragen und es durch Abwerbung des Personalstamms der Klägerin vorantreiben wollen. Es ist aber ebenso denkbar, dass die Beklagte unter ihrer neuen Geschäftsführung auf Grund einer autonomen Entscheidung der neuen Gesellschafter aus naheliegenden oder gar zwingend erscheinenden wirtschaftlichen Gründen ihr Geschäftsfeld erweitern will und dabei bloß die Möglichkeiten nutzt, die sich für sie aus dem Wechselwunsch zahlreicher Mitarbeiter der Klägerin ergeben.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass es für die Glaubhaftmachung auf ein den konkreten Umständen angepasstes Maß an Glaubhaftigkeit ankommt, also die Sicherheit der Feststellung (auch) von den Folgen der zu treffenden Entscheidung abhängig gemacht werden muss (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 294 Rn. 6). Die allgemeine Lebenserfahrung, die hier vielleicht eher für die These der Klägerin spricht, reicht zur Glaubhaftmachung jedenfalls nicht aus, wenn es darum geht, einem Unternehmen die Betätigung in einem bestimmten Geschäftsfeld, das Anwerben von Mitarbeitern oder deren Beschäftigung zu verbieten.

Was den Wert der eidesstattlichen Versicherungen der Gesellschafter … und … angeht, die in zweiter Instanz vorgelegt worden sind, so verkennt der Senat nicht, dass sie ohne Frage von Anwälten formuliert sind; sie sind auch ersichtlich inhaltlich und wörtlich identisch und durch die Entscheidung des Landgerichts motiviert, das die bisherigen Versicherungen für nicht ausreichend gehalten hat. Das setzt ihren "Beweiswert" bzw. ihre Überzeugungskraft jedoch nicht herab. Eidesstattliche Versicherungen werden regelmäßig von Rechtsanwälten formuliert; daran ist nichts auszusetzen, da die Versichernden mit ihrer Unterschrift inhaltlich die Verantwortung für das von dem Rechtsanwalt Formulierte übernehmen. Im Hinblick auf die Strafbarkeit der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung ist gegen anwaltliche Hilfe in diesem Zusammenhang grundsätzlich nichts einzuwenden.

Die Vorlage dieser eidesstattlichen Versicherungen ist auch nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO verspätet, wie die Klägerin meint. Es ist umstritten, ob die Vorschrift im einstweiligen Rechtsschutzverfahren überhaupt anwendbar ist. Jedenfalls dürfen aber die Anforderungen hinsichtlich der "Nachlässigkeit" i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht überspannt werden (vgl. etwa OLG Koblenz, Urteil vom 29.08.2014 - 6 U 850/14 -, juris Rn. 56 ff.). Hier hatte die Beklagte in erster Instanz eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, die in dieselbe Richtung zielten wie die jetzt vorgelegten, die das Landgericht aber für nicht hinreichend hielt. Es handelt sich damit letztlich nur um Nachbesserungen der erstinstanzlich vorgelegten Versicherungen, die nicht verspätet sind. Überdies wäre jedenfalls auch ein Zulassungsgrund nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO anzunehmen, da eine Nachlässigkeit im Hinblick auf die erst in zweiter Instanz vorgenommene weitere Konkretisierung der eidesstattlichen Versicherungen mangels rechtzeitiger Erkennbarkeit der Bewertung des erstinstanzlichen Gerichts nicht anzunehmen ist.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auch nicht festgestellt werden, dass die eidesstattlichen Versicherungen der Gesellschafter … und … falsch sind. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus den E-Mails der Altgesellschafter und weiterer Personen, die die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 23.08.2015 vorgelegt hat. Zunächst ist anzumerken, dass die Verwertbarkeit des Inhalts dieser E-Mails zweifelhaft erscheint, weil die Klägerin sich rechtswidrig Kenntnis davon verschafft haben dürfte. Dies muss hier aber nicht vertieft werden, weil der Inhalt der E-Mails nicht geeignet ist, durchgreifende Bedenken gegen die Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherungen zu begründen.

Für die E-Mails, die die Altgesellschafter zu der Zeit erhalten oder versendet haben, zu der sie noch Geschäftsführer der Beklagten waren, also bis Ende Oktober 2014, bedarf dies keiner weiteren Begründung. Entsprechendes gilt jedoch auch für die Übergangszeit im November, in der die Altgesellschafter gerade aus der Geschäftsführung ausgeschieden waren, zugleich aber der "Splitting"-Prozess der Parteien abgewickelt wurde. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Altgesellschafter weiterhin für die Kaffee Partner Leasing AG und damit im Firmenverbund der beiden Parteien tätig waren. Den Hintergrund der als Anlage ASt 42 vorgelegten E-Mail von … vom 05.01.2015, die auf den ersten Blick auf eine Einflussnahme der Altgesellschafter schließen lässt, hat die Beklagte nachvollziehbar erläutert und mit der als Anlage B 17 vorgelegten weiteren eidesstattlichen des … glaubhaft gemacht.

Die mit den nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingereichten, nicht nachgelassenen Schriftsätzen vorgelegten E-Mails können gemäß § 296 a ZPO nicht berücksichtigt werden, weil es sich dabei um Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung handelt; weder ist der Klägerin ein Schriftsatznachlass gewährt worden noch besteht Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die Frage, ob das Wettbewerbsverbot, dem sich die Altgesellschafter vertraglich unterworfen haben, überhaupt wirksam ist, was die Beklagte bezweifelt, bedarf keiner Entscheidung, weil es darauf für die Entscheidung des Senats nicht ankommt.

3. Die Klägerin hat auch unabhängig von den vertraglichen Wettbewerbsvereinbarungen keinen Verfügungsanspruch gegen die Beklagte, das Abwerben von Mitarbeitern zu unterlassen oder bestimmte Mitarbeiter zu beschäftigen.

Die Abwerbung von Mitarbeitern eines anderen Unternehmens ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gehört zum Wesen des freien Wettbewerbs und ist grundsätzlich erlaubt. Das Abwerben von Mitarbeitern eines anderen Unternehmens ist nur dann unlauter, wenn besondere unlautere Umstände hinzutreten, etwa verwerfliche Zwecke, verwerfliche Mittel oder Methoden, eingesetzt werden (zusammenfassend dazu Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 4 UWG Rn. 10.103 ff.). Solche besonderen Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich und von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht.

Es mag sein, dass es einen Wettbewerbsverstoß gemäß §§ 3, 4 Nr. 10 UWG darstellen würde, wenn die Beklagte, wie die Klägerin behauptet, gezielt im großen Stil Mitarbeiter abgeworben hätte, um die Klägerin wirtschaftlich "lahmzulegen" und von allen wichtigen Spitzenkräften zu entblößen. Ihre diesbezügliche Behauptung hat die Klägerin aber nicht glaubhaft gemacht. Es sind - außer der bloßen Anzahl der von der Klägerin zur Beklagten gewechselten Mitarbeiter - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, dass die Beklagte aktiv an die "übergelaufenen" Mitarbeiter herangetreten ist, um die Klägerin zu schädigen. Vielmehr hat die Beklagte eine Vielzahl von eidesstattlichen Versicherungen ehemaliger Mitarbeiter der Klägerin vorgelegt (Anlagen EV 1 bis EV 14 als Anlagenkonvolut B 15), aus denen sich jeweils ergibt, dass die betreffenden Personen nicht abgeworben wurden, sondern sich selbst bei der Beklagten beworben haben. Auch hier gilt, dass allein die Plausibilität einer Behauptung nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht schwerer wiegt als entgegenstehende eidesstattliche Versicherungen.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs.1, 708 Nr. 6 und 10, 711, 713 ZPO.



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