Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Beschluss vom - Az: 12 TaBV 76/14

Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit

1. Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG.

2. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung (im Anschluss an BAG 07.06.1989, 7 AZR 500/88).

3. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist regelmäßig anzunehmen, wenn ansonsten bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.
(Leitsätze des Gerichts)

(4.) Die unmittelbare Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die Betriebsratsarbeit ist zu verneinen. BetrVG und ArbZG nehmen mit ihren Normen bezüglich der Betriebsratstätigkeit nicht aufeinander Bezug. Das Amt des Betriebsrats ist ein Ehrenamt.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 03.07.2014 – 13 BV 8/14 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Frage, in welchem zeitlichen Umfang Betriebsrats- oder Ersatzmitglieder verpflichtet sind, nach einer Betriebsratssitzung am selben Tage zusätzlich im Rahmen der durch den Dienstplan disponierten Arbeitszeit zu arbeiten.

Bei der Beteiligten zu 2) (künftig: Arbeitgeberin) handelt es sich um ein bundesweit tätiges Filialunternehmen der Bekleidungsindustrie. Der Antragsteller (künftig: Betriebsrat) ist der in der Filiale 623 in A-Stadt gebildete Betriebsrat. In der Filiale sind insgesamt mehr als 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Es wird dort in Schichtarbeit gearbeitet. Die erste Frühschicht beginnt um 7.00 Uhr und endet um 16.10 Uhr. Die zweite Frühschicht beginnt um 8.00 Uhr und endet um 17.10 Uhr. Die Spätschicht beginnt um 11.05 Uhr und endet um 20.15 Uhr.

Der Betriebsrat tagt derzeit regelmäßig donnerstags von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Für Nacharbeiten wie beispielsweise die Erstellung der Sitzungsniederschrift verlängert sich die für die Betriebsratsarbeit aufzuwendende Zeit noch für einige Mitglieder des Gremiums.

Die konkrete Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Filiale ergibt sich aus einer fortlaufenden Dienstplanung. Zur Erfassung der entsprechenden Schichtzuschläge bleiben die für die Spätschicht disponierten Betriebsratsmitglieder bei der Erstellung der Dienstplanung auch für Sitzungstage in Spätschichtwochen für diese Schicht geplant. Aus dieser Systematik ergibt sich, dass jeweils mindestens ein Betriebsratsmitglied am Sitzungstag des Betriebsrates für eine Spätschicht disponiert ist.

Zumindest bis Anfang 2014 ist die Arbeitgeberin so verfahren, dass sie für die Spätschichtwoche disponierte Betriebsratsmitglieder am Sitzungstag des Betriebsrats durch einen anderen Mitarbeiter ersetzt hat und den Freizeitausgleich für die Sitzungsteilnahme somit am gleichen Tag gewährt hat. Im Monatsgespräch am 27.02.2014 teilt die damalige Filialleiterin, Frau D., dem Betriebsrat mit, dass sie sich das Recht vorbehalte, Betriebsratsmitglieder, welche an Sitzungstagen in der Spätschicht geplant seien, nach Beendigung der Betriebsratssitzung noch bis zum Ende der Spätschicht einzusetzen.

In der Schichtplanung für August 2014 war das Betriebsratsmitglied S.H. für den 27.08.2014 für die bis um 20.15 Uhr geplante Spätschicht disponiert. Aus einem vom Betriebsrat vorgelegten Formular zur Schichtplanung (Bl. 81 d.A.) ergibt sich, dass für die Mitarbeiterin S.H. für den 27.08.2014 vormittags zudem die Teilnahme an der Betriebsratssitzung anlag. Die sich auf den 27.08.2014 beziehende Zeile der Schichtplanung hat die damalige Filialleiterin Frau D. mit dem handschriftlichen Vermerk „kein FZA am selben Tag!“ versehen. Tatsächlich hat die Mitarbeiterin S.H. am 27.08.2014 ab 8.00 Uhr an der ordentlichen Betriebsratssitzung teilgenommen und nach Beendigung der Betriebsratssitzung die Arbeit in der Filiale aufgenommen. Um 17.36 Uhr hat die Mitarbeiterin H. ausgestempelt und die Filiale verlassen.

In der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht am 02.02.2015 hat die aktuelle Filialleiterin, Frau L., erklärt, dass sie in ihrer Verantwortung als Filialleiterin auf einen entsprechenden Wunsch der Betriebsratsmitglieder zum Schichttausch eingehen würde, sofern dadurch eine Spätschicht an Tagen vermieden wird, an denen auch die Betriebsratssitzung stattfindet.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass um die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes zur Geltung zu bringen, Zeiten der Betriebsratssitzung und der am selben Tag erfolgten Arbeitsleistung unterschiedslos zusammengerechnet werden müssten.

Der Antragsteller hat beantragt,

festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, von Betriebsratsmitgliedern und Ersatzmitgliedern Arbeitsleistung vor oder im Anschluss an ganz oder zum Teil außerhalb der disponierten Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzungen zu verlangen, soweit diese unter Hinzurechnung der Sitzungsdauer den Umfang der disponierten Arbeitszeit überschreitet,

hilfsweise festzustellen, dass Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder, die an einer Betriebsratssitzung teilnehmen, die außerhalb ihrer disponierten Arbeitszeit liegt, nach Beendigung der Betriebsratssitzung und gegebenenfalls im Gesamtumfang der für diesen Tag durch Dienstplan disponierten Arbeitszeit am selben Tag Freizeitausgleich für den Zeitraum der Teilnahme an der Betriebsratssitzung beanspruchen können.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass Betriebsratstätigkeit nicht dem ArbZG unterfalle. Der Betriebsrat habe es zudem selbst in der Hand, die zeitliche Lage seiner Sitzung so zu verändern, dass die von ihm gerügte Überbeanspruchung der Betriebsratsmitglieder vermieden wird.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die in erster Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Mit Beschluss vom 03.07.2014 hat das Arbeitsgericht Hannover den in erster Instanz gestellten Hauptantrag sowie den Hilfsantrag zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist am 31.07.2014 an die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist am 12.08.2014 und die dazugehörige Beschwerdebegründung am 30.09.2014 und damit am letzten Tag der Beschwerdebegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Zum Feststellungsinteresse für den am 02.02.2015 gestellten Hilfsantrag macht der Betriebsrat geltend, dass die Arbeitgeberin mit der Erklärung von Frau L. im Termin am 02.02.2015 nicht rechtsverbindlich auf die Möglichkeit verzichtet habe, Betriebsratsmitglieder im Anschluss an die Betriebsratssitzung über die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes hinaus zu einer weiteren Schicht heranzuziehen. Die Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber sich hinsichtlich einer solchen Praxis an den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu orientieren habe, sei zwischen den Beteiligten nach wie vor klärungsbedürftig.

Materiell-rechtlich macht der Betriebsrat zur Begründung seiner Beschwerde geltend, dass es sich auch bei der Tätigkeit während einer Betriebsratssitzung um Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG handele. Auch wenn das Direktionsrecht der Arbeitgeberin gegenüber den Mitgliedern des Betriebsrats während der Ausübung ihres Amtes eingeschränkt sei, so seien diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dennoch in die Arbeitsorganisation der Arbeitgeberin eingegliedert. Der Ort der Betriebsratstätigkeit sei insoweit vorgegeben, als die Betriebsratsarbeit in der Regel im Betrieb stattfinde. Die Betriebsratsarbeit sei betrieblich veranlasst. Die Amtstätigkeit der Betriebsratsmitglieder stehe der vertraglich zu leistenden Arbeitszeit insoweit gleich, als Arbeitsversäumnis zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben keine Kürzung des Arbeitsentgeltes rechtfertige. Auch sozialversicherungsrechtlich gelte Betriebsratsarbeit als Arbeitsleistung, so dass Unfälle in diesem Zusammenhang als Arbeitsunfälle im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII angesehen werden. Schließlich gebiete der Schutzzweck des Arbeitszeitrechts Betriebsratstätigkeit als Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG anzusehen. Während der Tätigkeit als Betriebsrat seien die Betriebsratsmitglieder ähnlichen oder im Einzelfall sogar intensiveren Belastungen ausgesetzt als diese während der betrieblichen Tätigkeit gegeben seien.

Ergänzend wird auf die Beschwerdebegründung vom 30.09.2014 sowie auf die Schriftsätze des Betriebsrates vom 28.01.2015 sowie 13.02.2015 verwiesen.

Der Betriebsrat beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, von Betriebsratsmitgliedern und Ersatzmitgliedern Arbeitsleistungen vor oder im Anschluss an ganz oder zum Teil außerhalb der disponierten Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzungen zu verlangen, soweit diese unter Hinzurechnung der Sitzungsdauer 8 Stunden oder 10 Stunden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglicher Arbeitszeit überschritten werden, überschreitet.

Hilfsweise beantragt der Betriebsrat,

festzustellen, dass es rechtswidrig war, von dem Betriebsratsmitglied S.H. am 27.08.2014 zuzüglich der von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr stattfindenden Betriebsratssitzung die Erbringung von Arbeitsleistung in der unmittelbar anschließenden Spätschicht bis um 20.15 Uhr zu verlangen.

Der Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde einschließlich des am 02.02.2015 erstmalig gestellten Hilfsantrags zurückzuweisen.

In tatsächlicher Hinsicht wendet die Arbeitgeberin ein, dass der vom Betriebsrat vorgelegte „Schichtplan“ für August 2014 nicht von der Arbeitgeberin, sondern vom Betriebsrat erstellt worden sei. Die vom Betriebsrat zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemachte Problematik sei entschärft, weil die aktuelle Filialleiterin, Frau L., auf entsprechende Wünsche zum Schichttausch seitens der Betriebsratsmitglieder eingehen werde. Hinsichtlich der vom Betriebsrat zum Gegenstand des Hilfsantrags gemachten Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds S.H. am 27.08.2014 wendet die Arbeitgeberin ein, dass Frau H. bereits um 17.36 Uhr ausgestempelt und die Filiale verlassen habe. Ungeachtet der Beurteilung der streitigen Rechtsfrage könne damit am 27.08.2014 kein Verstoß gegen das ArbZG vorgelegen haben.

In Erwiderung auf die Beschwerde macht die Arbeitgeberin geltend, dass es sich bei der Betriebsratstätigkeit nicht um Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG handele. Bei der Betriebsratstätigkeit handele es sich um ehrenamtliche Tätigkeit, die keinerlei Weisungen der Arbeitgeberin unterliege. Betriebsratstätigkeit sei keine abhängige, fremdbestimmte oder durch den Arbeitgeber angeordnete Tätigkeit.

Ergänzend wird auf die Beschwerdeerwiderung vom 30.10.2014 sowie den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 02.02.2015 verwiesen.

Mit Rücksicht auf den im Anhörungstermin am 02.02.2015 gewährten Schriftsatznachlass ist die Kammer in der Besetzung vom 02.02.2015 am 19.02.2015 zu einer abschließenden Nachberatung zusammengetreten. Dabei lagen der Kammer sowohl der Schriftsatz der Arbeitergeberin vom 02.02.2015 als auch der Schriftsatz des Betriebsrates vom 13.02.2015 vor.

II.

Die gem. § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte und innerhalb der Fristen der §§ 87 Abs. 2 S. 1, 66 Abs. 1 ArbGG eingelegte und begründete Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig aber unbegründet.

1.

Die in der Beschwerdeinstanz zuletzt gestellten Haupt- und Hilfsanträge sind zulässig.

a)

Die vom Betriebsrat in der Beschwerdeinstanz vorgenommene Antragsänderung ist gem. §§ 87 Abs. 2 S. 3, 81 Abs. 3 ArbGG zulässig. Einerseits hat sich die Arbeitgeberin mit ihren Schriftsätzen in der Beschwerdeinstanz sowie in der mündlichen Verhandlung am 02.02.2015 auf die geänderten Anträge widerspruchslos eingelassen. Andererseits ist die vom Betriebsrat vorgenommene Antragsänderung auch sachdienlich, weil sie dazu dient, die zwischen den Parteien nach wie vor streitige Frage, ob die Arbeitgeberin bei der Kumulation von Betriebsratstätigkeit und Arbeitstätigkeit die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes unmittelbar oder mittelbar zu beachten hat, zu klären hilft.

b)

Der mit der Beschwerdebegründung vom 30.09.2014 angekündigte Feststellungsantrag sowie der in der mündlichen Verhandlung am 02.02.2015 zusätzlich gestellte Hilfsantrag sind hinreichend bestimmt i.S. des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der mit der Beschwerdebegründung angekündigte Hauptantrag zielt darauf festzustellen, dass die Ausübung von Betriebsratstätigkeit und die Ausübung der arbeitsvertraglich übertragenen Tätigkeiten in arbeitsschutzrechtlicher Hinsicht gleichzusetzen sind. Daraus soll aus Sicht des antragstellenden Betriebsrats folgen, dass die Arbeitgeberin § 3 ArbZG stets mit der Maßgabe anzuwenden hat, dass sie den Betriebsratsmitgliedern keine Schichten mehr zuweisen darf, die unter Zusammenrechnung mit der geleisteten Betriebsratstätigkeit zur Überschreitung der zeitlichen Grenzen des § 3 ArbZG führen würden. Mit dem am 02.02.2015 erstmalig gestellten Hilfsantrag macht der Betriebsrat geltend, dass die Arbeitgeberin die Grenzen ihres Direktionsrechts mit Rücksicht auf die arbeitsschutzrechtlich zu beachtenden Arbeitszeitregelungen überschritten habe, als sie dem Betriebsratsmitglied S.H. am 27.08.2014 zuzüglich der von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr stattfindenden Betriebsratssitzung weitere Arbeitsleistung in der unmittelbar anschließenden Spätschicht abverlangt habe. Im Beschlussverfahren muss ein Antrag ebenso bestimmt sein wie im Urteilsverfahren. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist auf das Beschlussverfahren und die in ihm gestellten Anträge entsprechend anwendbar. Der jeweilige Streitgegenstand muss so konkret umschrieben werden, dass der Umfang der Rechtskraftwirkung für die Beteiligten nicht zweifelhaft ist (BAG 18.03.2014 - 1 ABR 73/12 - Rn 13). Hiernach genügen der Haupt- und der Hilfsantrag dem Bestimmtheitserfordernis. Mit dem Hauptantrag will der Betriebsrat sinngemäß festgestellt haben, dass die Beklagte bei der Anordnung von Arbeit nachgeleisteter Betriebsratsarbeit stets und grundsätzlich die Zeitgrenzen des § 3 ArbZG zu beachten hat. Mit dem Hilfsantrag verfolgt der Betriebsrat das Anliegen, festzustellen, dass die gegenüber der Mitarbeiterin S.H. am 27.08.2014 noch angeordnete Spätschicht so von ihr nicht hätte verlangt werden dürfen.

c)

Die so auszulegenden Anträge des Betriebsrats sind gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Sie sind auf die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses der Beteiligten gerichtet. Es geht um die Feststellung, dass die Arbeitgeberin entweder immer und unter allen Umständen unmittelbar § 3 ArbZG bei der Zusammenrechnung von Betriebsratstätigkeit und Arbeitsleistung zu beachten hat bzw. darum festzustellen, dass zumindest von der Mitarbeiterin S.H. am 27. August 2014 nach der Betriebsratstätigkeit die weitere Erbringung der Spätschicht nicht hätte verlangt werden dürfen. Das entsprechende Feststellungsinteresse für den Betriebsrat ist nicht dadurch entfallen, dass die aktuelle Filialleiterin, Frau L., in der mündlichen Verhandlung am 02.02.2015 erklärt hat, dass sie in ihrer Verantwortung als Filialleiterin im Zweifel auf einen entsprechenden Wunsch zum Schichttausch, welcher vom Betriebsrat an sie herangetragen werde, eingehen werde. Dadurch wird lediglich eine gewisse Flexibilität der Arbeitgeberin mit Rücksicht auf die in der Betriebsverfassung zu beachtende vertrauensvolle Zusammenarbeit sichtbar. Eine formale Aufgabe der von der Arbeitgeberin für sich reklamierten Rechtsposition ist darin nicht zu sehen. Es muss davon ausgegangen werden, dass - zumindest bei etwaigen Personalengpässen - sich die Arbeitgeberin erneut dazu veranlasst sieht für Betriebsratsmitglieder die Durchführung von Schichten nach erfolgter Betriebsratssitzung anzuordnen, so dass bei Zusammenrechnung der Tätigkeiten für die Betriebsratsarbeit und der nachfolgenden Schicht die Grenzen des § 3 ArbZG überschritten werden würde.

d)

Nachdem sich die Arbeitgeberin zu dem vom Betriebsrat erst in der mündlichen Verhandlung am 02.02.2015 vorgelegten Schichtplan (Bl. 81 d.A.) nicht abschließend erklären konnte, ist ihr in entsprechender Anwendung von § 283 ZPO ein Schriftsatznachlass gewährt worden. Sowohl der Inhalt des Schriftsatzes der Arbeitgeberin vom 02.02.2015 als auch der Inhalt des Schriftsatzes des Betriebsrates vom 13.02.2015 waren Gegenstand der am 19.02.2015 durchgeführten Nachberatung der Kammer. An der Beratung haben dieselben Richter mitgewirkt, die auch an der vorangegangenen letzten mündlichen Verhandlung beteiligt waren (vgl. BAG 18.12.2008, 6 AZN 646/08).

2.

Haupt- und Hilfsantrag sind unbegründet.

a)

Bei dem vom Betriebsrat mit Schriftsatz vom 30.09.2014 angekündigten Antrag handelt es sich um einen sogenannten Globalantrag, welchem nur stattgegeben werden könnte, wenn es der Arbeitgeberin in allen denkbaren Konstellationen ohne die Möglichkeit der Ermessensausübung verwehrt wäre, Arbeitszeiten gegenüber Betriebsratsmitgliedern nach der Betriebsratssitzung anzuordnen, so dass unter Zusammenrechnung der Dauer der Betriebsratssitzung und der anschließend angeordneten Schicht die Höchstgrenzen des § 3 ArbZG überschritten werden würden. Dieses Anliegen ist unbegründet, weil § 3 ArbZG nicht unmittelbar und starr auf Zeiten der Ausübung von Betriebsratstätigkeit angewendet werden kann.

aa)

Die Frage, ob Zeiten der Betriebsratstätigkeit unmittelbar unter die Normen des Arbeitszeitgesetzes zu fassen sind, ist bislang von den Gerichten für Arbeitssachen höchstrichterlich nicht entschieden. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.07.1977 (1 AZR 376/74) befasst sich lediglich mit dem vergütungsrechtlichen und nicht mit dem arbeitsschutzrechtlichen Aspekt der Betriebsratsarbeit. Danach hat ein Betriebsratsmitglied, das aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Betriebszeit Betriebsratsarbeit durchführen muss nach § 37 Abs. 3 BetrVG nur Anspruch auf Arbeitsbefreiung, die der tatsächlich für die Betriebsratstätigkeit aufgewandten Zeit entspricht. Die außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratstätigkeit gilt nicht als zusätzliche Arbeitszeit, die entsprechend den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Vorschriften wie Mehrarbeit anzusehen wäre. Auch die Entscheidung des 7. Senats vom 19.03.2014 (7 AZR 480/12) befasst sich nicht mit der arbeitsschutzrechtlichen Qualifizierung der Betriebsratsarbeit. In der dortigen Entscheidung wird klargestellt, dass die Gewährung von Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG nur die persönliche Arbeitszeit des Betriebsratsmitgliedes erfasst. Sie hindert das Betriebsratsmitglied nicht, sein Ehrenamt als Betriebsrat außerhalb seiner individuellen Arbeitszeit wahrzunehmen. Findet diese Betriebsratstätigkeit wiederum betriebsbedingt außerhalb der individuellen Arbeitszeit statt, erwirbt das Betriebsratsmitglied erneut einen Anspruch auf Freizeitausgleich für diese Betriebsratstätigkeiten. Zu der Frage, ob diese Betriebsratstätigkeiten den Höchstgrenzen des § 3 ArbZG unterliegen, hat sich das Bundesarbeitsgericht bislang nicht explizit festgelegt. In einem Einzelfall hat der 7. Senat (Urteil vom 07.06.1989, 7 ARZ 500/88) angenommen, dass ein unmittelbarer Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung gegeben ist, wenn es einem Betriebsratsmitglied wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung unmöglich oder unzumutbar ist, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat indes mit Urteil vom 10.05.2011 (4 A 1403/08) die Frage bejaht, dass die Teilnahme an Betriebsversammlungen i.S. von § 42 BetrVG Arbeitszeit i.S. von § 2 Abs. 1 ArbZG ist.

In der Literatur wird die Frage, ob Zeiten der Ausübung der Betriebsratstätigkeit unmittelbar oder mittelbar den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes unterliegen, uneinheitlich beantwortet.

Buschmann/Ulber (ArbZG 8. Aufl. 2015, § 2 Rn 39) gehen davon aus, dass Arbeitszeit i.S. des Arbeitszeitgesetzes auch die Tätigkeit von Betriebsratsmitgliedern ist. Ob und inwieweit Entgeltansprüche bestehen, sei arbeitsschutzrechtlich unerheblich. Begründet wird dies wesentlich mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG), die auch für Betriebsratsmitglieder in ihrer Amtstätigkeit gelte. Würde Betriebsratsarbeit nicht als Arbeitszeit gewertet, könnten Betriebsratsmitglieder z.B. nach ganztägigen Betriebsratssitzungen unmittelbar zu Vollschichten eingeteilt werden, wodurch die Höchstgrenzen des Arbeitszeitgesetzes überschritten würden und notwendige Ruhezeiten nicht zur Anwendung kämen. Die Betriebsratstätigkeit sei eine berufliche Anforderung, die das Betriebsratsmitglied daran hindere, seinen persönlichen Verpflichtungen nachzugehen. Damit sei der Arbeitszeitbegriff i.S. des Arbeitszeitgesetzes erfüllt. Diese Auffassung vertritt auch Schulze (ArbRAktuell 2012, 475 ff.) mit dem Argument, dass Arbeitszeit i.S. der Richtlinie 2003/88/EG jede Zeitspanne sei, während der ein Arbeitnehmer gem. den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Zwar könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 105 S. 1 GewO) nicht unmittelbar auf den Betriebsrat während der Betriebsratstätigkeit einwirken. Dennoch verbleibe es bei seiner arbeitgeberlichen Fürsorgepflicht und der Verpflichtung, die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zu überwachen. Auch wenn Kollisionen mit einer unabhängigen - vom Arbeitgeber nicht beeinflussten - Betriebsratstätigkeit denkbar seien, so überwögen doch die Vorteile eines Schutzes durch das ArbZG. Jedes Betriebsratsmitglied könne sich voll und ganz auf seine Betriebsratstätigkeit konzentrieren und müsse keine verkürzten Ruhezeiten oder überlange Tagesarbeitszeiten befürchten.

Die Mehrzahl der Kommentare zum ArbZG vermeidet eine Stellungnahme zu dieser Streitfrage (so z.B. Schliemann ArbZG, 2. Aufl. 2013, § 2; Neumann/Biebel ArbZG 16. Aufl. 2013, § 2; Baeck/Deutsch ArbZG 3. Aufl. 2014, § 2 und Anzinger/Koberski ArbZG 4. Aufl. 2014, § 2).

Im Schaub Arbeitsrechtshandbuch (15. Aufl. 2013, § 156 Rn 14) wird die Frage verneint. Zwar leiste das Betriebsratsmitglied in diesem Zeitraum Arbeit i.S. der allgemeinen Definition. Seine Tätigkeit diene auch der Befriedigung des Bedürfnisses eines Anderen. Trotz eines Interessengegensatzes im Verhältnis zum Arbeitgeber und des Fehlens eines Weisungsrechts wegen der Betriebsratstätigkeit erfolge die Tätigkeit nicht dem eigenen Interesse, sondern dem Interesse des Betriebs und der Belegschaft. Das Gesetz regele aber die Tätigkeit des Betriebsrates in § 37 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich als Ehrenamt, für das gleichzeitig ein Anspruch auf bezahlte Freistellung gem. §§ 37, 38 BetrVG begründet werde. Der arbeitszeitrechtliche Überforderungsschutz lasse sich durch die Ansprüche nach § 37 Abs. 2 BetrVG gewährleisten. Ebenso verneint auch Wiebauer (NZA 2013, 540 - 545) die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die Betriebsratstätigkeit. Normadressat des Arbeitszeitgesetzes sei der Arbeitgeber. Dieser aber könne dem Betriebsrat in Bezug auf die Betriebsratstätigkeit keine Weisungen geben. Als notwendige Konsequenz dieser Überlegung ergebe sich, dass Betriebsratsarbeit keine Arbeitszeit i.S. des Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie sowie i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG sei. Es obliege den Betriebsratsmitgliedern selbst, die ihnen zustehende Arbeitsbefreiung in Anspruch zu nehmen, um eine überobligationsmäßige Belastung zu verhindern.

bb)

Die unmittelbare Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die Betriebsratsarbeit ist zu verneinen. BetrVG und ArbZG nehmen mit ihren Normen bezüglich der Betriebsratstätigkeit nicht aufeinander Bezug. Das Amt des Betriebsrats ist ein Ehrenamt. Die dafür aufgewendete Zeit ist keine Arbeitszeit i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG. Eine hiervon abweichende Lösung verbietet sich auch deshalb, weil ansonsten die alleinige Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber der zur Durchführung des Arbeitszeitgesetzes berufenen Aufsichtsbehörden einerseits und der Autonomie des Betriebsrats bei der eigenen Wahrnehmung seiner Aufgaben anderseits zu schwer auflösbaren Konfliktsituationen führen würden. Zu besorgen wäre, dass der Arbeitgeber bei dem Versuch, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auch gegenüber dem Betriebsrat durchzusetzen, in dessen autonome Arbeitsorganisation eingreift. Im Rahmen zugespitzter innerbetrieblicher Konfliktsituationen (beispielsweise bei den Verhandlungen über eine Betriebsänderung) ist es im Einzelfall nicht immer zu gewährleisten, dass der Betriebsrat bei einem solchen „Verhandlungsmarathon“ alle Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes eins zu eins einhält. Es liegt dann aber im Rahmen des ihm übertragenen Ehrenamtes in seiner eigenen Verantwortung, welche Anstrengungen er sich noch zumutet und ab welchem Punkt er dem Erholungsbedürfnis seiner Mitglieder Vorrang gewährt. Es griffe in die Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrates ein, wenn dem Arbeitgeber zugestanden würde, den Betriebsrat in der heißen Phase einer Verhandlung „quasi ins Bett zu schicken“. Auf der anderen Seite könnte auch der Arbeitgeber in eine schwer auflösbare Konfliktsituation geraten, wenn ein selbstbewusster und kampfstarker Betriebsrat sehenden Auges die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes überschreitet, ohne dabei auf die fürsorglichen Hinweise des Arbeitgebers zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu achten. Adressat der Bußgeld- und Strafvorschriften in §§ 22, 23 ArbZG ist ausschließlich der Arbeitgeber. Wenn Betriebsratsarbeit umstandslos als Arbeitszeit i.S. des Arbeitszeitgesetzes zu bewerten wäre, geriete der Arbeitgeber hier in die Haftung, ohne dass er etwaige Verstöße gegen das ArbZG im Angesicht der eigenständigen Amtsführung durch den Betriebsrat verhindern könnte.

Zu präferieren ist daher im Anschluss an die Entscheidung des BAG vom 07.06.1989 (7 AZR 500/88) eine vermittelnde Lösung, nach der die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes bei der Ausübung des Direktionsrechtes durch den Arbeitgeber in Zusammenschau der Betriebsratstätigkeit und der dienstlichen Verpflichtungen mittelbar zu beachten sind. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat er gem. § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung. Eine Unzumutbarkeit liegt in der Regel dann vor, wenn bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.

cc)

Nach diesem Prüfungsmaßstab erweist sich der vom Betriebsrat als Hauptantrag gestellte Globalantrag als unbegründet. Tätigkeiten der Betriebsratstätigkeit und betrieblich veranlasste Tätigkeiten im Rahmen der Erfüllung des Arbeitsvertrages sind nicht eins zu eins zusammenzurechnen. Es sind im Einzelfall Konstellationen denkbar, bei denen es den Betriebsratsmitgliedern durchaus zuzumuten wäre, auch bei Zusammenrechnung der Zeiten der Betriebsratstätigkeit und der arbeitsvertraglich übertragenen Tätigkeit die Grenzen des § 3 ArbZG geringfügig zu überschreiten. Eine solche Konstellation kann beispielsweise vorliegen, wenn entweder die Zeiten der Betriebsratstätigkeit von geringer Intensität oder von erheblichen Beratungspausen unterbrochen sind oder aber wenn die im Anschluss noch zu erbringende betriebliche Tätigkeit aufgrund einer Notlage des Arbeitgebers (z.B. Personalengpass aufgrund eines unerwartet hohen Krankenstandes) noch dringend erforderlich ist.

b)

Unbegründet ist auch der vom Betriebsrat im Termin am 02.02.2015 gestellte Hilfsantrag. Zwar wäre es nach den oben (II. a) bb) der Gründe) aufgestellten Maßstäben rechtswidrig, wenn die Arbeitgeberin nach einer siebenstündigen Betriebsratssitzung noch eine volle achtstündige Arbeitsschicht auf der Verkaufsfläche anordnen würde. Eine solche Konstellation war aber am 27.08.2014 in Bezug auf die Mitarbeiterin S.H. nicht gegeben. Nach dem insoweit unwidersprochenen Vortrag der Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 02.02.2015 hat die Mitarbeiterin H. ausweislich ihrer Stempelkarte bereits um 17.36 Uhr ihre Arbeit beendet. Selbst unter Hinzurechnung der zuvor geleisteten Betriebsratstätigkeit ergibt sich damit (die nicht Inanspruchnahme von Pausen unterstellt) eine Gesamtarbeitszeit von „nur“ 9,5 Stunden. Anhaltspunkte dafür, dass im Ausgleichszeitraum nach § 3 S. 2 ArbZG der Durchschnitt von 8 Stunden werktäglich überschritten worden ist, liegen nicht vor.

3.

Die Rechtsbeschwerde war gem. § 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen, da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.



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