Landesarbeitsgericht Niedersachsen

Urteil vom - Az: 12 Sa 875/09

Außerordentliche Kündigung wegen exzessiver Privatnutzung des Dienst-Computers

Eine exzessive Privatnutzung des Dienst-PC (hier: E-Mail-Verkehr) kann eine außerordentliche Kündigung auch bei über dreißigjähriger Betriebszugehörigkeit rechtfertigen. Einer Abmahnung bedarf es hierbei nicht. Private E-Mails können außerdem in den Prozess eingebracht werden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 26.02.2009 - 3 Ca 311/08 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02.07.2008 nicht beendet worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 80 % und die Beklagte zu 20 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher verhaltensbedingter Beendigungskündigungen, die die beklagte Gemeinde dem Kläger gegenüber mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 ausgesprochen hat.

Der am 00.00.1958 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.05.1976 bei der beklagten Gemeinde beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des TVöD-VKA Anwendung. Zuletzt war der Kläger als stellvertretender Leiter des Bauamtes mit einem Bruttomonatsgehalt von ca. 4.800,00 € tätig.

Bei der Beklagten existiert eine Dienstanweisung aus November 1997 zur Erfassung der Arbeitszeit. Darin ist unter anderem geregelt, dass das Unterbrechen der Arbeitszeit zur Erledigung privater Angelegenheiten untersagt ist. Am 25.11.1997 hat der Kläger diese Dienstanweisung zur Kenntnis genommen. Ausdrückliche schriftliche Regelungen zur dienstlichen/privaten Nutzung der E-Mail-Funktion der Dienst-EDV der beklagten Gemeinde existieren nicht. In der Vergangenheit hat die Beklagte geduldet, dass die bei ihr Beschäftigten das E-Mail-System - zumindest in der Pause - auch für private Kommunikationen nutzen.

Mit Schreiben vom 29.09.2006 erhielt der Kläger eine Abmahnung, weil er am 27.05.2005 gegen 13:12 Uhr von seinem dienstlichen Telefonanschluss aus die Sonderdienstleistung "Erotik-Hotline" in Anspruch genommen haben soll. Eine zweite Abmahnung erhielt der Kläger am 20.02.2007 wegen der ihm vorgeworfenen unbefugten Installation des Programms ICQ. Im Zeitraum ab dem 07.01.2008 war der Kläger infolge einer Operation am Fuß für mehr als 3 Monate arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger war unter dem Pseudonym M.48 in dem kostenlosen Netzwerk www.lablue.de (Eigenwerbung: Chat und Partnersuche) angemeldet. Nach seiner Genesung setzte er von seinem dienstlichen Rechner aus die E-Mail-Kommunikation in diesem Netzwerk ab dem 12.03.2008 fort. Während der Kläger seine eigenen Beiträge gelöscht hat, sind die ihm zugegangenen Antworten seiner Chat-Partnerinnen von der Beklagten durch Ausdruck für die Gerichtsakte dokumentiert (für den Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 umfasst die Dokumentation dieser dem Kläger zugegangener E-Mails 774 DIN-A4-Seiten (Bl. 262 bis 1036 d. A.).

Am 23.06.2008 sah die Mitarbeiterin Sch. gegen 13:00 Uhr durch das Fenster des Arbeitszimmers des Klägers, wie dieser den Fernseher benutzte. Kurz nach 13:00 Uhr betrat die Mitarbeiterin Sch. wegen eines dienstlichen Anliegens das Arbeitszimmer des Klägers und stellte fest, dass sich auf dem Tisch eine ausgebreitete Tageszeitung befand und der Kläger vor dem laufenden Fernseher saß. An diesem Tag hatte der Kläger sich aus der Mittagspause kommend um 12:40 Uhr wieder eingestempelt.

Am 30.06.2008 informierte der Zeuge M., welcher bei der Beklagten auch die Funktion eines Personalsachbearbeiters wahrnimmt, die weiteren Personalratsmitglieder, darunter die Vorsitzende T. F., mündlich über den von Frau Sch. geschilderten Sachverhalt. Mit Schreiben vom 02.07.2008 (Bl. 64 d. A.) stimmte der Personalrat einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 zu. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 02.07.2008 das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich aus verhaltensbedingten Gründen mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.03.2009. Zeitgleich stellte sie den Kläger von der Arbeitspflicht unter Anrechnung auf seine Urlaubsansprüche frei.

Gegen diese Kündigung hat der Kläger mit am 09.07.2008 beim Arbeitsgericht D. eingegangenem Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben. Ferner hat er am 05.08.2008 einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung gestellt (Bl. 28 f. d. A.). Bisher ist dem Kläger lediglich ein GdB von 40 zuerkannt.

Mit Datum vom 13.08.2008 fertigte der damalige Bauamtsleiter der Beklagten, Herr A., einen Vermerk "Überprüfung bzw. Erledigung der aufgefundenen Arbeitsrückstände auf dem Arbeitsplatz C.". Der Zeuge M. führte eine Überprüfung des Arbeitsplatzrechners des Klägers durch, welche zunächst auf das Auffinden von Arbeitsrückständen gerichtet war. Im weiteren Verlauf überprüfte der Zeuge M. den Arbeitsplatzrechner des Klägers auch bezüglich des Umfangs des privat geführten E-Mail-Verkehrs. Der Zeitpunkt dieser Überprüfung durch den Zeugen M. ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 20.08.2008 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat ergänzend an. Zur Begründung der beabsichtigten weiteren Kündigung beruft sich die Beklagte dabei darauf, dass auf dem Arbeitsplatzrechner des Klägers eine Vielzahl eindeutig privater Mails gefunden worden sei. Der Kläger habe darüber in Kontakt mit mindestens 10 verschiedenen Kontaktvermittlern gestanden. Er habe auf seinem Rechner auch Kontaktbriefe mit erotischen und sogar pornografischen Fotos abgelegt. Weiter heißt es wörtlich: "Damit hat Herr C. nicht nur in großem Umfang seine Arbeitszeit dazu 'genutzt', seine sehr umfangreiche private Korrespondenz zu pflegen, sondern auch noch sein privates Fotoarchiv auf seinem Dienstrechner vorgehalten. Sehr wahrscheinlich lassen sich dadurch auch die sehr zahlreichen nicht erledigten Arbeiten des Herrn C. erklären, die der Bauamtsleiter A. in seiner Aufstellung vom 13.08.2008 auflisten musste." Unter Mitteilung der Sozialdaten beantragte die Beklagte sodann erneute die Zustimmung des Personalrates zur weiteren außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist (Bl. 61 bis 63 d. A.). Mit Beschluss vom 21.08.2008 stimmte der Personalrat diesem Kündigungsbegehren zu. Mit Schreiben vom 22.08.2008 erklärte die Beklagte dem Kläger eine weitere außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Dieses Kündigungsschreiben ist dem Kläger noch am selben Tage durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugegangen.

Eine wortgleiche außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist wurde dem Kläger unter dem Datum des 26.08.2008 auf dem Postwege übermittelt. Nach vorsorglicher Beteiligung des Integrationsamtes und nochmaliger Anhörung des Personalrates hat die Beklagte mit Schreiben vom 07. und 08.10.2008 zwei weitere außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist dem Kläger gegenüber ausgesprochen. Nach einer weiteren Zustimmung des Integrationsamtes am 24.02.2009 hat die Beklagte mit Schreiben vom 25.02.2009 eine sechste außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber dem Kläger ausgesprochen.

Der Kläger hat sich gegen alle ausgesprochenen Kündigungen teils mit konkretem Feststellungsantrag teils mit allgemeinem Feststellungsantrag zur Wehr gesetzt. Er hat vorgetragen, dass er am 23.06.2008 keine Sportübertragung, sondern das Video eines Regenwasserkanals angesehen habe. Die noch von der Mittagspause aufgeschlagene Zeitung auf seinem Schreibtisch habe er nicht gelesen. Die private Nutzung der E-Mail-Funktion sei von der Beklagten nicht untersagt gewesen. Durch die von ihm gepflegte private Kommunikation seien dienstliche Belange nicht beeinträchtigt worden. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Beteiligung des bei der Beklagten gebildeten Personalrates bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2. Juli 2008 nicht zum 31. März 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. August 2008 nicht zum 31. März 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. August 2008 nicht zum 31. März 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 7. Oktober 2008 nicht zum 31. März 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 8. Oktober 2008 nicht zum 31. März 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

6. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch weitere Kündigungen beendet wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, das Verhalten des Klägers sei insbesondere aufgrund seiner Vorbildfunktion als Vorgesetzter nicht mehr hinnehmbar. Am 23.06.2008 habe der Kläger durch das Betrachten einer Sportübertragung während der Arbeitszeit einen Arbeitszeitbetrug begangen. Durch den umfangreichen privaten E-Mail-Verkehr auch in der Arbeitszeit habe er seine Arbeitspflicht verletzt. Zudem befänden sich unter den vom Kläger gesammelten Bildern seiner E-Mail-Bekanntschaften auch Bilddateien mit pornografischem Inhalt.

Mit Urteil vom 26.02.2009 hat das Arbeitsgericht D. der Kündigungsschutzklage in vollem Umfange stattgegeben (Bl. 200 ff. d. A.). Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass etwaige vom Kläger zu vertretende Arbeitsrückstände ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung nicht die außerordentliche Kündigung des ordentlich unkündbaren Klägers zu rechtfertigen vermögen. Hinsichtlich der drei auf dem Dienstrechner des Klägers abgelegten pornografischen Fotodateien hat das Arbeitsgericht zu Gunsten des Klägers ein Verwertungsverbot angenommen. Hinsichtlich des von der Beklagten erstinstanzlich vorgetragenen Umfanges des privaten E-Mail-Verkehrs des Klägers hat das Arbeitsgericht diesen nicht als "ausschweifend" gewertet. Die von der Beklagten erstinstanzlich vorgelegte private E-Mail-Korrespondenz des Klägers hat das Arbeitsgericht ausgehend von einem Zeitraum von 1 1/3 Jahren auf nur rd. eine E-Mail pro Tag geschätzt.

Am 01.07.2009 ist die Berufungsschrift der Beklagten beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Das mit Entscheidungsgründen versehene Urteil erster Instanz ist am 08.07.2009 den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt worden. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.09.2009 ist am 15.09.2009 die Berufungsbegründung beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Mit der Berufungsbegründung macht die Beklagte geltend, dass der Kläger durch das ausschweifende Schreiben, Versenden, Empfangen und Lesen privater E-Mails während der Arbeitszeit seine Arbeitspflicht erheblich vernachlässigt habe. Die bereits archivierten E-Mails unterlägen auch nicht mehr dem Geheimschutz und könnten so in den Zivilprozess eingeführt werden. Der "ausschweifende" private E-Mail-Verkehr während der Arbeitszeit ergebe sich beispielhaft daraus, dass der Kläger z. B. am 16.04.2008 139, am 17.04.2008 183 und am 21.04.2008 173 private E-Mails empfangen habe. Aus dem Umfang des vorgetragenen privaten E-Mail-Verkehrs lasse sich der Schluss ziehen, dass der Kläger gar keine Zeit mehr gehabt habe, seiner eigentlichen Arbeit nachzugehen. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei bezüglich der Kündigung vom 22.08.2008 eingehalten, da der Zeuge M. erst am 13. und 14.08.2008 den Arbeitsplatzrechner des Klägers im Einzelnen auf den Umfang des privaten E-Mail-Verkehrs hin untersucht habe. Auf eine nachträglich festgestellte Schwerbehinderung könne sich der Kläger gegenüber der Kündigung vom 22.08.2008 nicht berufen, da die mögliche Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers den Prozessbevollmächtigten der Beklagten erst länger als 3 Wochen nach Ausspruch dieser Kündigung zur Kenntnis gelangt sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts D. - 3 Ca 311/08 - vom 26.02.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Hilfsweise beantragt die Beklagte,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum 31.03.2009 oder zum nächstmöglichen Termin aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung sowie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und rügt hinsichtlich des neuen Sachvortrages der Beklagten Verspätung. Bezüglich der privaten E-Mails bestehe ein Verwendung- und Verwertungsverbot. Die Beklagte sei durch die Gestattung des privaten E-Mail-Verkehrs Anbieterin von Telekommunikationsdienstleistungen. Der Kläger bestreitet, dass der kündigungsbegründend herangeführte private E-Mail-Verkehr arbeitgeberseitig erst am 13. und 14. August 2008 zur Kenntnis genommen worden sei. Da sein Arbeitsplatzrechner direkt am 02.07.2008 beschlagnahmt worden sei, müsse er davon ausgehen, dass die Beklagte bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von allen Kündigungsgründen gehabt habe.

In der mündlichen Verhandlung am 31.05.2010 wurde durch Vernehmung des Zeugen M. über die Behauptung der Beklagten Beweis erhoben, dass arbeitgeberseitig der ausschweifende private E-Mail-Verkehr des Klägers erst am 13. und 14.08.2008 zur Kenntnis gelangt sei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 1093 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die frist- und formgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet.

Unwirksam ist die Kündigung vom 02.07.2008. Nach dem Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz erweist sich jedoch die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2008 als wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit der sozialen Auslauffrist zum 31.03.2009 beendet.

I. Die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 02.07.2008 ist unwirksam.

1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers, der das 40. Lebensjahr bereits vollendet hat und auf eine weit mehr als 15-jährige Beschäftigungszeit zurückblickt, kann nach § 34 Abs. 2 TVöD-VKA nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dabei ist eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt dabei das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose.

2. Danach ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass die dem Kläger für den 23.06.2008 vorgeworfene Arbeitspflichtverletzung (Anschauen einer Sportübertragung während der Dienstzeit und Lesen der Tageszeitung noch nach Beendigung der Mittagspause) selbst dann, wenn sie tatsächlich begangen worden sein sollte, nicht so schwer wiegt, dass sie ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte. Für den von der Beklagten hier vorgetragenen Kündigungsvorwurf sind die Abmahnungen vom 29.09.2006 und 20.02.2007 nicht einschlägig. Der Schwerpunkt der Abmahnung vom 29.09.2006 wegen der angeblichen Nutzung der "Erotik-Hotline" liegt auf der damit verbundenen Veruntreuung öffentlicher Mittel. Dass das entsprechende Telefonat außerhalb der Mittagspause und damit innerhalb der Arbeitszeit des Klägers stattgefunden habe soll, ist von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Die Abmahnung vom 20.02.2007 zielt auf die unbefugte Installation des Programms ICQ. Stoßrichtung der Beklagten war es dabei eine Gefährdung der dienstlichen EDV durch nicht zugelassene Software zu vermeiden. Der Vorwurf der Vergeudung von Arbeitszeit ist in diesem Zusammenhang von der Beklagten nicht erhoben worden. Wenn der Kläger am 23.06.2008 ca. eine halbe Stunde nach offizieller Beendigung seiner Mittagspause noch ferngesehen und Zeitung gelesen haben sollte, so liegt hierin zwar eine erhebliche Verletzung der Arbeitspflicht durch den Kläger. Ohne vorherige Abmahnung wiegt der Pflichtverstoß jedoch nicht so schwer, dass er zur außerordentlichen Kündigung des seit mehr als 32 Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses berechtigt.

3. Auf die exzessive private E-Mail-Kommunikation während der Arbeitszeit, die der Kläger spätestens ab März 2008 unterhalten hat, kann die Beklagte die Kündigung vom 02.07.2008 nicht stützen, da dieser Kündigungsgrund nicht Gegenstand der mündlichen Personalratsanhörung am 02.07.2008 gewesen ist. Dort ist der Personalrat lediglich auf das vermeintliche Fehlverhalten des Klägers durch das Fernsehen und das Lesen der Zeitung am 23.06.2008 informiert worden.

II. Die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 22.08.2008 erweist sich hingegen unter Berücksichtigung des ergänzenden Tatsachenvortrages der Beklagten in der Berufungsinstanz als wirksam.

1. Der wichtige Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitverhältnisses liegt in der exzessiven privaten Nutzung der E-Mail-Funktion während der Arbeitszeit im Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 und der damit notwendig verbundenen Verletzung der Arbeitspflicht.

a) Erstmalig mit Urteil im Juli 2005 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit grundsätzlich seine (Hauptleistungs-)Pflicht zur Arbeit verletzt. Die private Nutzung des Internets darf die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (BAG 07.07.2005, 2 AZR 581/04, AP Nr. 192 zu § 626 BGB, Rn. 27). Deshalb muss es jedem Arbeitnehmer klar sein, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletzt. Es bedarf daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung. Mit der Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als so schwerwiegend ansehen (BAG a. a. O. Rn. 38). Diese Grundsätze hat der Zweite Senat mit seiner Entscheidung vom aus April 2006 (BAG 27.04.2006, 2 AZR 386/05, AP Nr. 202 zu § 626 BGB) noch einmal bekräftigt. Mit Urteil vom 31.05.2007 (2 AZR 200/06, NZA 2007, 922 bis 925) hat das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung über die private Nutzung des Internets auch auf die "private Nutzung des Dienst-PC" erstreckt. Kündigungserheblich sein kann die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets oder anderer Arbeitsmittel während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet oder einer intensiven Betrachtung von Videofilmen oder -spielen zu privaten Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt und sie verletzt. Die außerordentliche Kündigung ohne Ausspruch einer vorherigen Abmahnung kommt dabei in Betracht, wenn es sich um eine exzessive Privatnutzung handelt.

 

b) Im vorliegenden Fall ist zumindest für den Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 ein exzessiver privater E-Mail-Verkehr des Klägers während der Arbeitszeit belegt. Die Beschäftigung des Klägers mit der Pflege seiner privaten Kontakte hat dabei phasenweise einen zeitlichen Umfang angenommen, der ihm keinen Raum mehr für die Erledigung seiner Dienstaufgaben gelassen hat. Als Ausdrucke zur Gerichtsakte gereicht hat die Beklagte zwar nur diejenigen E-Mails, die an das Pseudonym des Klägers (M.48) gerichtet waren. In der mündlichen Verhandlung am 31.05.2010 hat der Kläger auf Vorhalt eingeräumt, dass er "auf den einen oder anderen Beitrag" geantwortet habe. Zu dem genauen Umfange seiner Antworten wollte er sich nicht näher erklären. Nun ergibt sich aber aus den von der Beklagten vorgelegten E-Mails der Kommunikationspartnerinnen des Klägers, dass es sich dabei um Bestandteile eines fortgesetzten Dialoges handelt. Jeder Beitrag ist sprachlich auf einen vorangegangenen (sachlogisch vom Kläger stammenden) Beitrag bezogen. So beispielsweise die Rückfrage von "je-lo" am 25.04.2008 um 09:19 Uhr, die sich an den Kläger richtet mit den Worten: "wie? du musst mal arbeiten? bist du krank? *grins*" (Bl. 909 d. A.). Das Gleiche gilt für eine an den Kläger gesandte Mail mit den Worten "das kann ich nur zurück geben *lach*" Mail vom 25.04.2008 09:12 (Bl. 909 d. A.). Insgesamt muss daher davon ausgegangen werden, dass die Beiträge des Klägers zur wechselseitigen E-Mail-Kommunikation sich in etwa in der gleichen Größenordnung bewegt haben, wie die an ihn gerichteten Antworten. Lägen die Dinge anders, so hätte der Kläger hier mit Substanz bestreiten müssen. Am 01.04.2008 hat der Kläger im Zeitraum von 08:56 Uhr bis 16:31 Uhr 110 E-Mail-Antworten (nach Rechnung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten: 111 E-Mail-Antworten) erhalten. Am 02.04.2008 waren es 118 E-Mails, am 16.04.2008 139 E-Mails, am 17.04.2008 183 E-Mails und am 21.04.2008 173 E-Mails. Ergänzend wird hier auf die datenmäßige Aufbereitung im Schriftsatz der Beklagten vom 28.05.2010 (Bl. 1103 d. A.) verwiesen. Legt man für das Lesen und die Beantwortung einer Mail nur jeweils 3 Minuten zu Grunde, so ist ein Arbeitstag des Klägers, der tariflich mit 7 Std. und 48 Min. zu veranschlagen ist, bereits dann vollständig ausgefüllt, wenn der Kläger 156 private E-Mails "bearbeitet" hat. Dies bedeutet, dass dem Kläger zumindest am 17.04., 21.04. und 23.04.2008 keinerlei Zeit mehr für die Bearbeitung seiner Dienstaufgaben verblieben ist. Bei einem derart exzessiven privaten E-Mail-Verkehr während der Dienstzeit bedurfte es zum Beleg der Verletzung der Arbeitspflicht seitens der Beklagten keiner näheren Substantiierung der tatsächlich beim Kläger aufgelaufenen Arbeitsrückstände. Der Kläger hat seine Arbeitspflicht in einem solchen Umfang und einer solchen Intensität verletzt, dass es hier einer vorausgehenden Abmahnung nicht bedurfte. Der mit ca. 4.800 € brutto im Monat vergütete Kläger konnte und durfte nicht annehmen, dass es von der beklagten Gemeinde toleriert wird, wenn er den gesamten Arbeitstag versucht, private (erotische) Kontakte über das dienstliche E-Mail-System anzubahnen. Ihm musste auch klar sein, dass er durch sein Handeln bei der privaten Kontaktanbahnung und das Unterlassen des Bearbeitens dienstlicher Aufgaben seinen Arbeitsplatz gefährdet.

c) Die von der Beklagten in den Prozess eingeführten Auswertungen der an den Kläger gerichteten privaten E-Mails auf seinem dienstlichen Rechner unterliegen keinem "Verwendungs- und Verwertungsverbot".

Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführten Sachvortrag muss das entscheidende Gericht berücksichtigen. Ein "Verwertungsverbot" von Sachvortrag kennt das deutsche Zivilprozessrecht nicht. Der beigebrachte Tatsachenstoff ist entweder unschlüssig oder unbewiesen, aber nicht "unverwertbar". Dies gilt umso mehr, wenn der Sachverhalt unstreitig ist. Das Gericht ist an ein Nichtbestreiten (wie auch an ein Geständnis) grundsätzlich gebunden. Es darf für unbestrittene Tatsachen keinen Beweis verlangen und erheben. Die Annahme eines "Sachvortragsverwertungsverbotes" steht in Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Zivil- und Arbeitsgerichtsverfahrens (BAG 13.12.2007, 2 AZR 537/07, NZA 2008, 1008 - 1012). Gestattet ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern, den Arbeitsplatzrechner auch zum privaten E-Mail-Verkehr zu nutzen und E-Mails, die von den Mitarbeitern nicht unmittelbar nach Eingang oder Versendung gelöscht werden, im Posteingang oder -ausgang zu belassen oder in anderen auf lokalen Rechnern oder zentral gesicherten Verzeichnissen des Systems abzuspeichern, unterliegt der Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter auf diese Datenbestände nicht den rechtlichen Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses. Schutz gegen die rechtswidrige Auswertung dieser erst nach Beendigung des Übertragungsvorganges angelegten Daten wird nur durch die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung bzw. auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gewährt (Hessischer Verwaltungsgerichtshof 19.05.2009, 6 A 2672/08.Z, NJW 2009, 2470 - 2473). Die Beklagte hat vorliegend nicht die § 15 Telemediengesetz bzw. § 88 Telekommunikationsgesetz verletzt, da sie im Sinne dieser Spezialgesetze nicht als "Dienstanbieter" von Telekommunikationsdienstleistungen anzusehen ist. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers mit den Interessen des Arbeitgebers ist durch eine Güteabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vorrang verdient (BAG 13.12.2007 a. a. O. Rn. 36).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Interessenabwägung, dass die Beklagte den privaten E-Mail-Verkehr des Klägers zur Wahrnehmung eigener Rechte in den Kündigungsschutzprozess einführen durfte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Systems nicht ausdrücklich schriftlich gestattet, sondern lediglich geduldet hat. Ferner war zu berücksichtigen, dass die Beklagte, da dem Kläger ein Büro zur alleinigen Nutzung zugewiesen war, keine Möglichkeiten hatte, das Arbeitsverhalten des Klägers durch ein milderes Mittel wie z.B. die soziale Kontrolle durch andere Mitarbeiter zu beeinflussen. Dem Kläger ist als stellvertretendem Leiter des Bauamtes arbeitgeberseitig ein Vertrauensvorschuss dahingehend gegeben worden, dass er seine Arbeiten selbständig und ordnungsgemäß erledigt. Dieses Vertrauen hat der Kläger wie der vorgelegte exzessive private E-Mail-Verkehr zeigt, massiv enttäuscht. Die mit der im Prozess vorgenommenen Auswertung der E-Mails verbundene Persönlichkeitsverletzung musste der Kläger daher mit Rücksicht auf die berechtigten Belange der Beklagten hinnehmen.

d) Die im Rahmen der außerordentlichen Kündigung vorzunehmende umfassende Interessenabwägung rechtfertigt die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Zu Gunsten des Klägers waren dessen mehr als 32-jährige Betriebszugehörigkeit, sein für den allgemeinen Arbeitsmarkt schon als ungünstig zu bewertendes Lebensalter, sein Grad der Behinderung von 40 sowie seine drei Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Gegen den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses spricht die außerordentliche Intensität der Verletzung der Arbeitspflicht durch den exzessiven privaten E-Mail-Verkehr. Dabei lässt der Wortlaut einiger E-Mail-Nachrichten erkennen, dass sowohl der Kläger als auch seine Kommunikationspartnerinnen zumindest partiell ein Unrechtsbewusstsein bei ihrem Tun hatten. So schrieb "hpe" dem Kläger am 12.03.2008 um 15:43 Uhr: "ja dir auch, denk dran die mails zu löschen" (Bl. 267 d. A.). Der Kläger selbst hat am 23.08.2007 an "dikepani" geschrieben: "kann leider tagsüber bei meetic nicht chatten oder mailen... sitze im r. und hier haben wir eine firewall die das unterbindet... liebe grüße m. (B 169, 3. Anlagenordner). In der Interessenabwägung gegen den Kläger spricht schließlich der Umstand, dass das durch den privaten E-Mail-Verkehr dokumentierte Verhalten des Klägers an seinem Arbeitsplatz lässt nicht einmal das Minimum einer pflichtgemäßen Arbeitshaltung erkennen lässt. Bei dem zur Begründung der Kündigung herangezogenen Verhalten des Klägers handelt es sich nicht um einen arbeitstäglichen "Ausrutscher". Der nachgewiesene Zeitraum des Fehlverhaltens umfasst ca. 7 Wochen. Bei dieser Sachlage fiel die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus. Der Beklagten wäre nicht einmal die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten gewesen.

2. Die am 22.08.2008 ausgesprochene und dem Kläger noch am selben Tage zugegangene außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden.

a) Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Zwei-Wochen-Frist, innerhalb derer eine außerordentliche Kündigung zu erklären ist, mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an; selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Nicht ausreichend ist die Kenntnis des konkreten die Kündigung auslösenden Anlasses, d. h. des "Vorfalls" der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muss eine Gesamtwürdigung möglich sein. Solange der Kündigungsberechtigte die Aufklärung des Sachverhaltes, auch der gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, durchführt, kann die Ausschlussfrist nicht beginnen. Sie ist allerdings nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhaltes verschaffen sollen (BAG 29.07.1993, 2 AZR 90/93, AP Nr. 31 zu § 626 BGB Ausschlussfrist, Rn. 16).

b) Nach diesen Grundsätzen und unter Würdigung des Beweisergebnisses, welches die Vernehmung des Zeugen M. am 31.05.2010 erbracht hat, ist die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist vorliegend gewahrt. Die Beklagte hatte vorgetragen, dass erst am 13. und 14.08.2008 eine Überprüfung des Arbeitsplatzrechners des Klägers in Bezug auf den ausschweifenden privaten E-Mail-Verkehr stattgefunden haben soll. Dies ist in zentralen Punkten durch die Vernehmung des Zeugen M. in der mündlichen Verhandlung am 31.05.2010 bestätigt worden. Zwar ist kein schriftlicher Vermerk über das Ermittlungsergebnis des Zeugen M. zur Gerichtsakte gereicht worden. Aus dem an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gerichteten Schreiben vom 12. August 2008 (Bl. 1105 d. A.) ergibt sich jedoch, dass die Ermittlungen bezüglich der Mails am 12.08.2008 noch nicht abgeschlossen waren. Zu dem Schreiben vom 12.08.2008 hat der Zeuge ausgesagt, dass er dieses Schreiben tatsächlich erst am 12.08.2008 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt hat. Er hat aus dem Schreiben gefolgert, dass er seinem "Chef" zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis geben konnte. Auch vor Einführung dieses Schreibens in den Prozess hat der Zeuge angegeben, dass er sich erinnert, dass seine Untersuchungen des Rechners in Bezug auf den privaten Mail-Verkehr höchstens eine Woche vor der Personalratsanhörung am 20.08.2008 abgeschlossen waren. Dabei tut es der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen M. keinen Abbruch, dass er sich fast 2 Jahre nach dem maßgeblichen Vorfall nicht taggenau daran erinnern konnte, wann er die entsprechenden Untersuchungen abgeschlossen hat. Auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er nach dem Eindruck der Kammer ein kritisches Verhältnis zum Kläger hatte. Denn der vom Zeugen angegebene Sachverhaltsverlauf wird durch das in der mündlichen Verhandlung zur Akte gereichte Schreiben vom 12.08.2008 verobjektiviert.

Rückgerechnet vom Zugang der Kündigung am 22.08.2008 reicht die dem Arbeitgeber zuzugestehende Kündigungserklärungsfrist zurück bis zum 08.08.2008. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass die Ermittlungen in Sachen der privaten E-Mail-Korrespondenz des Klägers keinesfalls vor dem 08.08.2008 zum Abschluss gelangt sind.

3. Die schriftliche Anhörung des Personalrates der Beklagten am 21.08.2008 zur erneuten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit sozialer Auslauffrist genügt den Anforderungen der §§ 75, 76 NPersVG. In dem Anhörungsschreiben vom 20.08.2008 sind die sozialen Daten des Klägers vollständig und zutreffend mitgeteilt. Ebenso die Art und der Zeitpunkt der auszusprechenden Kündigung. Als Kündigungsgrund wird dem Personalrat mitgeteilt, dass der Kläger in großem Umfange seine Arbeitszeit dazu "genutzt" habe, seine sehr umfangreiche private Korrespondenz zu pflegen und ein privates Fotoarchiv auf seinen Dienstrechner vorzuhalten. Ferner äußert die Beklagte die Vermutung, dass dies die beim Kläger vorgefundenen Arbeitsrückstände erklärt. Ferner verweist die Beklagte auf die Vorbildfunktion, die dem Kläger als stellvertretendem Amtsleiter eigentlich zukommen würde. Damit hat die Beklagte nach den Grundsätzen der subjektiven Determination, diejenigen Kündigungsgründe dem Personalrat mitgeteilt, die sie für tragend hält. Demgegenüber tut es der Wirksamkeit der Personalratsanhörung keinen Abbruch, dass die Beklagte zu dem Zeitpunkt die private E-Mail-Korrespondenz des Klägers noch nicht so umfassend ausgewertet hatte, wie sie es in der Berufungsinstanz getan hat. Der Kern des im Anhörungsschreiben mitgeteilten Kündigungsvorwurfs ist, dass lediglich ein Bruchteil der auf dem Arbeitsplatzrechner des Klägers gespeicherten E-Mails dienstlicher Natur waren. Ferner stellt die Beklagte darauf ab, dass der Kläger dadurch seine Arbeitspflicht verletzt hat, dass er diese privaten Mails in seiner Arbeitszeit bearbeitet hat. Die Zustimmung des Personalrates am 21.08.2008 lässt erkennen, dass die Stellungnahme des Personalrates abschließend war.

4. Die Kündigung vom 22.08.2008 scheitert nicht an einem etwaigen Sonderkündigungsschutz des Klägers nach § 85 SGB IX. Für den Kündigungszeitpunkt ist weder ein Grad der Behinderung beim Kläger von wenigstens 50 nachgewiesen noch ist eine Gleichstellung i. S. von § 2 Abs. 3 SGB IX erfolgt. Bislang konnte der Kläger lediglich einen GdB von 40 nachweisen. Sein dagegen gerichtetes Widerspruchsverfahren ist erfolglos geblieben, die sozialgerichtliche Klage noch unentschieden.

Im Übrigen würde ein etwaiger Sonderkündigungsschutz des Klägers in Bezug auf die Kündigung vom 22.08.2008 an der Versäumung der Drei-Wochen-Frist scheitern: Ist dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bzw. dessen Gleichstellung nicht bekannt und hatte der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes folglich auch nicht beantragt, so muss sich der Arbeitnehmer zur Erhaltung seines Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf diesen Sonderkündigungsschutz berufen. Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seinen Schwerbehindertenstatus bzw. seine Gleichstellung nicht innerhalb dieser drei Wochen mit, so kann sich der Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz nicht mehr berufen und mit Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ist der eigentlich gegebene Nichtigkeitsgrund nach § 134 BGB i. V. m. § 85 SGB IX wegen § 7 KSchG geheilt (BAG 13.02.2008, 2 AZR 864/06, NZA 2008 1055 - 1060). Im vorliegenden Fall ist dem Kläger die hier maßgebliche Kündigung am 22.08.2008 zugegangen. Die Drei-Wochen-Frist endete damit am 12.09.2008. Erst am 15.09.2008 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten durch Zugang des entsprechenden Schriftsatzes von einer möglichen Schwerbehinderung des Klägers Kenntnis erhalten.

5. Das ergänzende Vorbringen der Beklagten in der Berufungsbegründung zur exzessiven Nutzung der privaten E-Mail-Funktion während der Arbeitszeit ist auch nicht prozessual präkludiert. Zwar bleiben nach § 67 Abs. 1 ArbGG Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen. Hier hat jedoch das Arbeitsgericht keine Zurückweisung des Streitstoffes nach § 61 a Abs. 5 ArbGG vorgenommen. Die Beklagte hat die neuen Tatsachen vollständig innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.09.2009 in das Verfahren eingeführt. Die weiteren Schriftsätze in der Berufungsinstanz enthalten lediglich Rechtsansichten bzw. eine neue Aufbereitung des schon vorgetragenen Streitstoffes. Deshalb brauchte dem Kläger auf den Schriftsatz der Beklagten vom 28.05.2010 auch kein Schriftsatznachlass gewährt zu werden.

III. Über die Wirksamkeit der weiteren Kündigungen vom 26.08.2008, 07.10.2008, 08.10.2008 und 25.02.2009 brauchte nicht entschieden zu werden, da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 22.08.2008 bis zum 31.03.2009 bereits wirksam beendet worden ist. Der von der Beklagten für den Fall des Unterliegens gegenüber der Kündigungsschutzklage nur hilfsweise gestellt Auflösungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen.

Die Kostenentscheidung folgt nach den Anteilen des Obsiegens und Unterliegens der Parteien aus § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 



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